Ein Pegida-Demonstrant mit Deutschland-Hut löst bei einer Anti-Merkel-Demo in Dresden eine Polizeischikane gegen Journalisten aus. Später stellt sich heraus: Er arbeitet selbst beim sächsischen Landeskriminalamt.
Äh, …
Der Degrowth-Ansatz fragt, wie wir die Bedürfnisse der Mitglieder einer Gesellschaft befriedigt kriegen, ohne das großen, privat-kapitalistischen Unternehmen zu überlassen.
Gute Frage.
Meine Kollegen essen anstandslos alten Kuchen.
Ja, warum auch nicht? Trotzdem gut.
Meine Mutter hat am Sonntag ihren 70. Geburtstag gefeiert. Mit Verwandten und allen Kindern, war sehr, sehr nett, sehr norddeutsch auch, ein bisschen wie früher, weil die nachfolgende Generation (also wir) sich ein bisschen Gedanken gemacht und ein kleines Theaterstück aufgeführt hat: Eine kurze, saukomische Gaga-Version von Aschenputtel. Dreimal dürft ihr raten, wer die gute Fee gespielt hat. Meine Söhne pendelten angesichts des Kostüms zwischen Abscheu und Verachtung, aber dann haben sie gemerkt, dass man als Kind/Mensch manchmal seine eigene Schmerzgrenze überschreiten muss, um einem anderen Menschen/seinen Eltern eine Freude zu machen.
Aber dieses Familienglück, bzw. dieses Kümmern und Schaffen von schönen Momenten und unvergesslichen Erinnerungen für die Liebsten geht natürlich in beide Generationen. Habe heute in der BILD gelesen, dass die Stettin, einer der Museumsdampfer, die in Övelgönne liegen, letztes Jahr einen Crash mit einem Containerriesen hatte und nun nicht klar ist, was aus dem Dampfer wird. Das hat mein Herz gerührt. Weiß nicht, wie oft ich mit meinen Söhnen, als sie klein waren, im Rahmen eines Sonntagsspaziergangs das Schiff besichtigt habe. Bei Wind und Wetter. Und dabei immer so getan, als sei man auf hoher See. Für einen Kindergeburtstag des Jüngsten hab ich dort sogar mal einen Schatz versteckt. In Absprache mit einem der Ehrenamtlichen. Und dann kam die ganze Kindergeburtstags-Bande am nächsten Tag da aufs Schiff, mein Sohn mit meiner gebastelten Schatzkarte in der Hand (wobei ich natürlich so getan habe, als hätte ich mit der ganzen Sache nix zu tun … oje, hoffentlich liest er das jetzt nicht ;-), und der Alte erzählte eine astreine Geschichte, dass er als kleiner Junge mal etwas davon gehört hätte, kroch in den Maschinenraum und holte aus der letzten Ecke die verstaubte „Schatzkiste“, die ich ihm am Tag zuvor gebracht hatte. Da haben die Kids aber gestaunt. Und ich stand da im Hintergrund, mit Tränen der Rührung in den Augen. Damals wie heute. Hoffentlich findet sich ein reicher Spender für die Reparatur. Will doch noch mit meinen Enkeln auf den ollen Eisbrecher.
Manchmal kann eine Zeitung vom Vortag sehr erhellend sein. Habe in einer Frankfurter Rundschau einen schönen Text über Wolf Wondratschek gelesen, der gestern vor 75 Jahren geboren wurde. Und über den Impact, den dessen Lyrik auf die deutsche Literaturlandschaft hatte, was wiederum ganz gut zu meinem Blog-Eintrag von gestern passt.
Außerdem stand in der FR, dass die taz plant, zukünftig nur noch online zu erscheinen und die Printausgabe komplett einzustellen. Das ist in der Tat ein Schock. Und wegweisend. Ätzend. Aber nachvollziehbar. Obwohl ich mich innerlich dagegen sträube.
Sowas wird mir fehlen
P.S.: Die Autokorrektur kennt „sträube“ nicht. Das darf doch alles nicht WAHR sein!
Erster Tag heute wieder im Büro. Unser Patchwork – Familienurlaub in Schweden war wie immer toll. Obgleich die drei pubertierenden Söhne ab und an auch ein bisschen an den Nerven gezupft haben. Zugleich ist es aber auch faszinierend zu sehen, wie aus den kleinen Menschenwesen von damals eigenständige Persönlichkeiten werden, die sich natürlich auch in aller Liebe abgrenzen müssen. Welchen Krach sie dabei machen. Und wie sie auch noch mit 17 Lust haben, Stunden auf dem Bolzplatz oder mit der Angel in der Hand am See zu verbringen. Das ist wahres Glück. Für die Kinder, aber auch für die Eltern, das zu beobachten.
Man könnte über dieses Patchwork-Kapitel ganze Bücher schreiben. Über die zum Teil unbewussten und ungewollten, inneren Turbulenzen, wenn man versucht, leibliche und nichtleibliche Kinder (Was macht das schon für einen Unterschied?) wirklich gleich zu behandeln. Und über die Konflikte, die sich daraus plötzlich zwischen den Erwachsenen entspannen, obwohl man sich doch sonst in vielen Dingen einig ist (zumindest in allem Wesentlichen). Weil man sich selbst eine schöne Zeit wünscht. Und dabei vielleicht die anderen aus den Augen verliert. Über die Challenge, groß und weise und wahrhaftig zu handeln, und das Scheitern darin. Darüber, in guter Balance emotional zu sein und rational, aber eben gerade nicht irrational, klein, engstirnig und doof. Ein Vorbild zu sein für alle. Allein darüber. Ein ganzes Regal voll.
Apropos: im Moment veröffentlicht jeder um mich herum ein Buch. Und alle haben Agenten. Ich merke, dass ich bei aller Freude für die Freunde, denen das gelingt, zugleich natürlich auch nachdenklich werde, warum ich es nicht schaffe, zielgerichteter an dem Ziel zu arbeiten, doch nochmal als Schriftsteller Fuß zu fassen. Habe heute, um frischen Mut zu fassen, eine alte Rezension aus der ZEIT gegoogelt, über mein Debütroman „Jugendstil“.
Die Werbung suggeriert Aktualität eines 15 Jahre alten Textes …
Konrad Heidkamp hat damals nette Dinge über meinen Text geschrieben. Später rief daraufhin ja sogar Rowohlt Berlin an (der Verlagsleiter Gunnar Schmidt persönlich) und fragte, ob ich ein neues Projekt in Arbeit hätte. Hatte ich aber nicht. Jedenfalls nicht so richtig.
Merke, dass mich das an mir selber nervt, dass ich mich bei aller Freude für meine Kollegen stets gleichzeitig frage (besser: jammere), warum das Schicksal mich (noch) nicht mit formalem Erfolg bedacht hat. Wobei ich gar nicht sagen kann, wie ich den bemessen würde.
Im Gegenteil, im Moment scheinen viele Kleinigkeiten gegen mich zu laufen. Wollte gestern an meinem letzten Urlaubstag mit meinem ältesten Sohn auf den Verkehrsübungsplatz fahren, aber 500 m vor der Ankunft hat das Auto den Geist aufgegeben: die Benzinpumpe. Das war schrecklich, weil ich mich natürlich auf ein schönes Vater-Sohn-Erlebnis gefreut hatte. Aber vielleicht ist das genau eine Art von Egoismus, die ich ablegen muss. Finde diese Eigenschaft regelrecht abstoßend. Unmenschlich. Und sie zahlt sich auch nicht aus. Gestern Abend hatte ich gerade alle Blumen gegossen, da fing es an zu regnen. Heute Morgen habe ich den Bus verpasst, der zu früh kam, und im Büro hat mich eine neue Praktikantin zum ersten Mal gefragt, ob sie mich duzen kann oder lieber siezen solle. Wobei ich darüber lachen kann. Das Älterwerden finde ich gar nicht so schlimm. Muss aber auch gelassener werden. Das Leben ist kurz. Erfreue Dich daran. Genieße jeden Augenblick. Hab das in der ersten Jahreshälfte eigentlich ganz gut hinbekommen. Ist sicher auch nur eine Phase, die ich ich selbst beenden kann. Aber eben nur, wenn ich wieder ein bisschen vorankomme. Künstlerisch, wohlgemerkt.
Freue mich zum Beispiel über den Gedichtband von Dagrun Hintze, den wir demnächst bei mta verlegen. Oder die weiteren Aktivitäten mit Sebastian und den Alphabeten.
Habe mir auf der Fähre nach Göteborg für den Urlaub einen englischen Lyrikband gekauft: „The Sun and her flowers“ von Rupi Kaur, ein wunderschön gemachter Band. Ein kleines Kunstwerk. Mir gefallen am liebsten die Zwei- und Dreizeiler …
tell them I was the warmest place you knew and you turned me cold
Schön. Schlicht. Bekomme dann Lust, an meinen eigenen Sachen weiterzuarbeiten. Und das ist dann doch viel wert, oder nicht? Gute Gedichte sind wie Medizin. Apropos: Erich Kästners „Lyrische Hausapotheke“ ist nach wie vor der bestverkaufte Gedichtband in Deutschland jedes Jahr. Da muss doch mal was Neues kommen.
Ich habe ja gestern mit meinem alten Freund Jan und seiner Familie einen langen Waldspaziergang gemacht und erst heute – trotz eines heißen Vollbades gestern Abend – eine Zecke an meinem Körper entdeckt und entfernt. Habe sie sicherheitshalber fixiert, falls ich krank werde und man die Zecke posthum auf Giftstoffe untersuchen muss.
Ist es wohl auch so eine linke Zecke?
Nein, so schlimm ist es nicht, wobei – ich finde ja nicht viele Dinge fies, aber Zecken gehören dazu. Definitiv. Scheint ohnehin gerade die Zeit für fieses Kleinvieh zu sein – in der Ostsee tummeln sich bestimmte Bakterien, weil das Wasser so warm ist. Die taz und die BILD haben darüber berichtet, jeder auf seine Art:
Hab die Gegenüberstellung auch bei Facebook gepostet. Im Laufe des Tages entwickelte sich eine kleine Diskussion, ob der BILD-Tenor eher zum Schmunzeln sei, oder ob der Begriff „Killer-Bakterium“ nur ein weiteres Beispiel dafür ist, dass die BILD-Zeitung die Sachebene gerne mal verlässt, um Menschen bzw. die Wahrnehmung und Meinungsbildung von Menschen zu manipulieren.
Ich werde heute nicht über Özil sprechen, weil mein Sohn ein großer Fan ist und mich die Geschichte mit all ihren Facetten betrübt. Auch nicht über Erdogan. Und auch nicht über Typen wie Grindel oder Seehofer, weil das alles sofort hämmernde Kopfschmerzen nach sich ziehen würde.
Ich möchte bloß an uns alle appellieren, in diesen hitzigen Tagen kühlen Kopf zu bewahren – und ein warmes Herz. Und die Sachebene nicht zu verlassen. Kategorischer Imperativ als Leitkultur – fertig!
Manchmal ist das Leben ja kurios und zufällig lehrreich. Und wenn man so wie ich an Tagen wie diesen, an denen eine neue Rassismus-Debatte ausgerufen wird, altes Archiv-Material aus der Zeit der deutschen Besatzung in Paris während des Zweiten Weltkrieges sichtet, dann kann einem schon mal das Messer in der Hose aufgehen.
Zum Glück habe ich heute festgestellt, dass ich morgen schon Urlaub habe – und nicht, wie ich dachte, erst übermorgen (Das scheint ein Problem von mir zu werden. Vor zwei Jahren kam ich einen Tag zu früh aus dem Urlaub zurück! Wer macht das?). Jedenfalls entspannt das einiges. Und es gibt eine Randnotiz vom Sichten: ein lustiger, kleiner Buchstabendreher aus alter Zeit. Das hat dann beinahe wieder etwas Rühriges:
IC-Zugabteil. Besuch im Menschenzoo. Oder Aquarium. Von innen. Mein Gegenüber: ein junger – vermutlich – homosexueller Mann am Laptop. Er telefoniert etwas exaltiert mit einem Kollegen. Es geht um Kostenvoranschläge für irgendetwas – vermutlich – Kreatives. Denke, so, wie er die anderen Fahrgäste im Abteil taxiert, ist er vielleicht etwas versnobt, beim zweiten und dritten Hinsehen denke ich: was für ein gutaussehender junger Mann. Könnte mich beinahe in einen anderen jungen Mann hineinversetzen, der sich in diesen, mir gegenüber sitzenden verknallt.
Komme gerade aus dem Ruhrgebiet. Finde es immer wieder verwunderlich, wieviele „Hausstrecken“ man im Laufe seines Lebens sammelt. Die S5 von Dortmund nach Witten bin ich hunderte Male gefahren. Diesmal allerdings bis Hagen. Ein alter Freund war zu Besuch, der jetzt in Amerika lebt, mit seiner tollen amerikanischen Frau und seinen drei tollen Kindern. Schade, dass wir uns so selten sehen. Dass könnte das einzig Gute an Trump werden. Dass er dafür sorgt, dass mein alter Freund da drüben die Zelte abbricht …
Sogar an unserem alten Haus in Witten bin ich vorbeigekommen. Kommt mir heute vor wie ein anderes Leben. Es ist – bezogen auf das Alter der Kinder – die Lebensphase, die mein alter Freund jetzt durchlebt. Für mich im Grunde schwer vorstellbar.
Hagen bei meiner Ankunft, an einem frühen, gewitterschwangeren Sonntagabend, war überraschend abschreckend. Sehr viele Gestrandete. Berauschte. Alles unklar …
Gerade rollen wir Münster an. Freue mich auf zuhause, denke aber in dieser Sekunde, ich hätte auch meinem Vater Bescheid sagen und da noch eine Nacht pennen können. Oder meinem DJ-Kumpel Mike von der Tanzbande. Freue mich aber auch sehr auf zuhause. Mein Ziehsohn ist heute aus dem Urlaub wiedergekommen. Ist wohl ein gutes Zeichen, wenn man am Ende einer Reise froh ist, nach Hause zu kommen. Wenn man sich auf die Menschen freut, die da warten.
Es ist gerade ruhig geworden im Abteil, da setzt sich eine Kleinfamilie dazu. Mutter und zwei Kinder. Aus Afghanistan, auf dem Weg zum Vater in Hamburg. Ein anderer Fahrgast fragt sie aus. Ein Deutscher. Spielt mal den lustigen Onkel, mal den mahnenden. Ich finde ihn nur nervig. Frage mich, ob der nur nett ist oder pädophil!? Merke, dass ich langsam spinne. Dabei war ich gerade selbst mit lebhaften Kindern zusammen. Vielleicht deswegen. Sie sind so verwundbar.
Die Mutter hat sich ein schickes Top angezogen und verteilt Pommes und Hühnchen an die Kinder. Dann beginnt sie, sich die Finger zu lackieren. Das stinkt so dermaßen, dass ich versucht bin, etwas zu sagen. Sehe, dass es meinem Gegenüber ähnlich geht. Andererseits rührt mich der Gedanke, dass die Mutter zuhause nicht mehr dazu gekommen ist und sich einfach nur für ihren Mann in der Fremde schick machen will. Bin selber eineinhalb Jahre gependelt damals. Von Witten nach Hamburg. Krasse Zeit war das damals. Montagmorgens immer mit der ersten S-Bahn nach Dortmund und dann in den IC nach Hamburg, damit man pünktlich zur 10 Uhr Konferenz da war. Und wehe, der Scheißzug fuhr nicht.
Noch krasser als Hagen Hauptbahnhof an einem Sonntagnachmittag ist übrigens Dortmund Barop. Da scheint alles zu verfallen. Zumindest durchs Zugfenster. Bei Menschen würde man sagen: Boah, ist der alt geworden. Oder: Boah, sieht der krank aus.
Wenn man einen Oberbegriff für alles suchen müsste, wäre das vielleicht: Gefährdet. Oder: Hoffnungslos.
Ich klage die etablierten Parteien an, dass sie es versäumt haben, Hoffnung zu streuen. Stattdessen sind Ängste entstanden. Und Nöte.
In der taz vom Freitag ist ein wunderschönes Feature: Was mache ich, wenn sich plötzlich Leute aus meinem Umfeld als AFD-Wähler outen? Im Anschluss gibt es einen klugen 7-Punkte-Plan, wie man dann vorgeht: pragmatisch, menschlich, argumentativ, respektvoll, nicht von oben herab.
Dem Artikel voran stehen drei fiktive Fallbeispiele von AFD-Wählern, die vorher sogar die Linkspartei gewählt haben. Absolut authentisch. Menschen, die selber nicht klarkommen und die AFD nur wählen, weil sie glauben, dass die „wirklich“ die Probleme angehen (anstatt in Wahrheit nur zur polemisieren).
Vielleicht muss man es anders formulieren: Ich klage die etablierten Parteien an, dass sie dem Land die Hoffnung entzogen haben, so wie man einer Pflanze Wasser entzieht. Und stattdessen Ängste gestreut. Man muss sein Volk nicht belügen. Man muss nur weitsichtig agieren und frühzeitig die richtigen Maßnahmen einleiten: Wohnen, Bildung, Arbeitsmarkt, Integration. Warum ist das so schwer?
War mal eben in Frankreich, um die ersten beiden Interviews für das „Geheime Paris“ zu drehen. Durften netterweise die Räumlichkeiten im Pariser ZDF-Studio nutzen. Leider war genau an diesem Morgen eine Baustelle vor der Tür, was natürlich doof ist, wenn man einen „sauberen“ Ton braucht. Aber die Kollegen waren sehr gastfreundlich und superhilfsbereit, das muss ich wirklich mal sagen. Wir sind dann spontan in den Hinteranbau ins Büro eines FAZ-Redakteurs gegangen, den meine Co-Autorin zum Glück kannte. Mussten natürlich alles neu arrangieren und die Fenster mit Klebefolie und Papier und Plane abkleben, um das Setting herzurichten, aber mein Kameramann war prepared und hatte alles dabei. Also jeden Menge Probleme (oder der ganz normale Wahnsinn) am frühen Morgen – alle gelöst.
Heute mal Spiegel Foto statt SPIEGEL TV
Ging in den Interviews auch um die deutsche Besatzungszeit. Das hatte ich gar nicht so auf dem Zettel, dass es in Paris über Jahre ein alltägliches Nebeneinander gab. Eine Art „Normalität“ unter der deutschen Besatzungsmacht, die aber natürlich trotzdem Besatzungsmacht war.
Hmmm, … deutsche Spuren in der Metro?
Auf dem Rückweg viel zu früh am Flughafen, weil die Verbindung super passte und bei der Sicherheitskontrolle nichts los war. Kann man eben nie wissen, ist aber besser, als zu spät zu kommen. Hab vor Jahren mal meinen Rückflug verpasst (in London) und mir geschworen, dass das nie wieder passiert. Außerdem beobachte ich gerne Menschen. Jedes Gesicht eine Geschichte (ist auch fast das gleiche Wort), jeder mitgehörte Satz eine Lektion …
Neben mir hat sich eine junge, schwarze Französin, die offenbar zum Flughafenpersonal gehört, Essen geholt: Quiche, Melone und eine Coke. Sie stellt das Tablett ab, besteigt den Hocker, als wäre er ein zu großes Klettergerüst, hält kurz inne, faltet die Hände, neigt ihre Stirn auf die gefalteten Hände und betet. Mindestens dreißig Sekunden, eine halbe Ewigkeit, finde ich. Ich beneide sie in dieser Sekunde um dieses kontemplative Ritual.
Hab eben einem Vater, der mit seiner kleinen Tochter reist, geholfen – trotz Sprachbarriere (mein „Französisch“ ist ein Mix aus Englisch mit französischen Keywords). Hab erst mit dem Aufzug gewartet und die beiden dann auf der Toilette vorgelassen – und als die erste Kabine frei wurde, und ich zögerte, und der Vater mich fragte, ob ich nicht gehen wolle, erwiderte: No, he sounded malade (der Typ, der vorher drauf war, klang wirklich nach Magen-Darm – oder Drogen, der kam auch ein bisschen fertig mit halb geöffneter Hose aus der Kabine), I´m not going there. Ist der Vater dann auch nicht. Er dankte freundlich, wir wünschten uns Bon Voyage. Kommunikation.
Draußen auf dem Flur zum Gate kam mir ein Kone-Mechaniker entgegen, er trug sein Arbeitsoutfit, und ich dachte bloß: Kone, Aufzüge, Finnland, mehrere hundert Meter langer, unterirdischer Testschacht … da hab ich auch schon gedreht. Ja, vielleicht wird das nix mehr mit dem Literaturnobelpreis, und es wird definitiv nichts mehr mit der Nationalmannschaft, aber ich habe viel gesehen und kann mir allmählich ein Urteil erlauben. Oder Urteile.
Kon-tem-pla-tiv.
Ri-tu-al.
Die junge Französin bearbeitet mehr ihr Handy als dass sie ihr Essen isst. Kommunikationsgesellschaft, ein Begriff, den ich während des Studiums gelernt habe. Aber was für eine Art Kommunikation ist das? Mit sich selbst? Mit einem technischen Gerät? Mit anderen technischen Geräten?
War natürlich cool, in Paris zu sein, während die „Blauen“ gegen Uruguay ins Halbfinale einziehen. Die ganze Stadt hat gefeiert. Da wurde mir einmal mehr bewusst, dass wir raus sind. Bierhoff hat sich ja nochmal zu Özil geäußert. Er hat vielleicht nichts ganz Falsches gesagt, aber zum denkbar falschesten Zeitpunkt, deswegen war es falsch und – vor allem – auch gefährlich, weil das wieder das Feuer auf dem rechten „Holzköpfehaufen“ schürt und, andersherum, man sich jetzt beinahe Sorgen um den Menschen Özil machen muss, dass der diese Krise heil übersteht, ohne eine tragische Dummheit zu begehen. Kommunikation.
Ö-zil
fal-sches-ten
Manchmal, wenn man begann, die Gedanken, die man dachte, die im Kopf entstanden, ohne dass man das – so weit das überhaupt möglich war (Was war das jetzt für eine Situation, in der ich versuchte, nicht daran zu denken, dass ich über das Denken nachdachte?) – steuerte, laut aussprach und die Worte immer deutlicher und langsamer formulierte, und die Sil-ben im-mer-wei-ter-von-ein-an-der-spreizte, konnte man den Eindruck haben, sich selbst in einer Fremdsprache gut zuzureden. Im Grunde war es ein Wunder, dass wir nicht alle in jeder Sekunde dieses Lebens aneinander vorbei redeten.
Unabhängig von diesem ganzen Seehofer-Gedöns, ist die Welt in anderen Bereichen auch ein bisschen lustig. So berichtet die BILD-Zeitung heute über den neuen Wellness-Trend „Waldbaden“ (Oder sollte man lieber Wellness-Trend in Anführungszeichen setzen? Oder beides?):
Es geht im Prinzip darum, die Energie und Kraft der Natur in sich aufzunehmen. Das Lustige daran ist, dass ich sofort an die Touché-Bilderwitze von TOM denken musste, die immer in der taz abgedruckt sind. Da ist ja ein fester Charakter diese verrückte Baum-Umarmerin … ja, ist vielleicht nur lustig für mich … aber ich bin ja nicht so, sondern übernehme heute auch noch ausnahmsweise die weitergehende Recherche für Euch:
Copyright: Touché by TOM, kauft seine Bücher. Oder die taz …
Ansonsten? SCHWEDEN!!!! Das Baumland besiegt das Bergland Schweiz im Achtelfinale der Fußball-WM. Zufall? Wohl kaum. Jetzt gießen sie sich bestimmt erstmal kräftig einen hinter die Rinde …
Waren am Samstag bei Billy Joel. Das war toll. Beim Refrain von „Piano Man“ hat das ganze Stadion mitgesungen. Gänsehaut. Und trotzdem hätte ich es lieber von ihm in irgendeiner alten Hafenkneipe vor 20 Leuten gehört. Seit meiner Gunter Gabriel-Produktion für den NDR denke ich, dass diese Wohnzimmerkonzerte, mit denen Gabriel seine Schulden bezahlt hat (oder bezahlen wollte), die beste Erfindung sind. Und bei Billy Joel musste ich wieder daran denken, weil ja gerade diese Carpool Karaoke-Episode mit Paul McCartney rumgeht; die löst sich ja am Ende ganz ähnlich auf. Kennt ihr bestimmt:
Hab heute in einer kurzen Mittagspause (schreibe gerade mein Drehbuch zum „geheimen Paris“) in der taz vom Wochenende gelesen. Ab und an prämiert die Zeitung ja Menschen, die was Vernünftiges machen und dabei Großes leisten (taz panter). Heute ging es um eine Frau, die sich seit Jahren für Flüchtlinge und bezahlbare Mieten in Berlin einsetzt. Hammer! Es ist nicht nur wichtig, dass es solchen Menschen gibt. Es ist auch wichtig, dass über solche Menschen berichtet wird (Titel: Bloß nicht am Elend dieser Welt verzweifeln). Die machen Mut.
Ich pflege immerhin meine kleinen Miniatur-Landschaften. Das ist etwas kleines Großartiges. Und dieser Hamburger Dino stirbt niemals aus:
Am 06. Juli ist übrigens Welttag des Küssens. Hab heute gelesen, Küssen sei ein Überbleibsel der Mund-zu-Mund-Fütterung bei Menschen (, die es in einigen Kulturen immer noch gibt. „Rückständig“, mag der eine oder andere jetzt vorschnell urteilen. Aber wo ist der Unterschied zu jungen Eltern, die ihren Babys mit dem Löffel den Möhrenbrei aus dem Gesicht kratzen und ihn sich dann – warum auch immer – selbst in den Mund stecken?)
Kluger Kommentar in der Süddeutschen Zeitung: Die DFB-Elf hätte ein kollektives Statement wie Schweden formulieren müssen, um diesen Deutsch-Dünkel-AFD-Rassisten-Müll gegen Özil im Netz etwas abzumildern (was nicht heißt, dass der nicht mal in sich gehen sollte …). Der aktuelle SPIEGEL-Titel, der Fußball (schönste Nebensache der Welt) und Politik (wirklich wichtig) in eine Zeile schreibt, wirkt da leider auch nicht wirklich entgegen.
Ansonsten? Lese ich überhaupt gerade viele kluge Kommentare. Frage mich allerdings, ob das was bringt!? Das Problem ist ja: Derjenige, gegen den sich so ein Kommentar im Prinzip richtet, wird ihn niemals lesen. Auf der anderen Seite blogge ich ja auch …
Und? Anna Seghers wunderschönes Sommerhaus wird es bald nicht mehr geben. Ob dieser Eintrag etwas dagegen bewirkt?
Manchmal, wenn der Arbeitsalltag zu grau ist, leiste ich mir, wenn es geht, so minimale, klitzekleine Ausbrüche, die keinem wehtun und mir sehr helfen. Heute bin ich zum Beispiel früher aufgestanden, als ich musste, und bin nach Billbrook in die Trommelbude gefahren. Habe eine halbe Stunde das Schlagzeug bearbeitet, danach fühlte ich mich gut und wach und ausgeglichen.
Aber es gehört noch mehr dazu. Diese Ecke da, Billbrook/Rothenburgsort, ist ein herrlich-schreckliches Industriegebiet, durchzogen von kleinen Kanälen. Da tobt das Leben, ehrlich, aber ein ganz anderes als bei uns im SPIEGEL. Da herrscht Brummi-Romantik pur. Nun bin ich ein paar Mal morgens an einem Imbiss vorbeigefahren, wo immer kernige Typen in Leuchtwesten Schlange stehen. Dachte mir: Da gibt´s bestimmt gutes Frühstück.
Heute habe ich bei „Eckhardt´s Imbiss“ angehalten (Apostroph ist bei Gewerbeschildern übrigens okay) und mir einen kleinen Kaffee sowie ein mit Bierschinken belegtes Brötchen genehmigt. Und? Kaffee: okay, Brötchen: super. Hab den Kaffee zum Abschluss meiner kleinen Before-Work-Abenteuerreise dann noch ein bisschen aufgewertet, indem ich einen zweiten Stopp eingelegt und ihn an einem sehr besonderen Ort getrunken habe:
Es ist nicht alles „perfekt“ in meinem Leben. Manchmal denke ich, ich arbeite zuviel. Und oft vermisse ich meine Kinder. Aber vieles ist toll. Weil ich Glück hatte. Aber auch, weil ich es pflege. Und die Proberaum-Beteiligung für erschwingliche 30 Euro im Monat – die habe ich mir selber gesucht. Ich weiß, dass nicht jeder die gleichen Möglichkeiten hat. Aber ich kann nur jedem raten, zumindest mal für sich zu prüfen, welche Möglichkeiten er/sie hat, sein Leben zu gestalten. Dann bekommt der Alltag gleich ein bisschen Farbe.