Seit gestern zurück. Gut gelandet mit Aeroflot. Hatte abends zuvor im Hotel noch eine winzige Panikattacke, weil die Rezeptionistin (die kein Englisch spricht) nichts von meinem Airport-Transfer wusste, hat dann aber alles gut geklappt – auch wenn der Fahrer morgens um sechs die ganze Straße mit seiner Musik geweckt hat, im Auto geraucht hat und so aussah wie „Spud“ in Trainspotting. Fuhr aber wie ne Eins zum Flughafen, alles easy.
Heute für einen Tag im Büro, um die erste Reise abzuwickeln und die neue vorzubereiten. Hab außerdem die Umzugskartons ausgeräumt, sieht jetzt alles ganz gemütlich aus. Konnte sogar das Sofa behalten, obwohl das neue Büro ein bisschen anders geschnitten ist.
War heute morgen übrigens vorher noch kurz beim Amt und muss an dieser Stelle wirklich mal eine Lanze für die deutsche Verwaltung brechen. Ich wollte nämlich endlich – die Angelschein-Prüfung war vor drei(!) Jahren – meinen Fischereischein abholen, hatte aber keinen Termin. Da hat mich der Mitarbeiter spontan zwischengebucht, für einen frei gewordenen Termin eine halbe Stunde später. In der Zwischenzeit habe ich beim Hamburg-Center angerufen, weil mein Finanzamt umgezogen ist. Dort hat mich eine freundliche Mitarbeiterin gleich durchgestellt und die nächste freundliche Mitarbeiterin hat mir telefonisch – binnen Sekunden – eine Fristverlängerung für die Steuererklärung gewährt. Ehrlich, das hat keine fünf Minuten gedauert. Dann habe ich sogar zufällig noch ein Passfoto in meinen Russland-Unterlagen gefunden, musste also nicht in den Foto-Fix-Automaten, kam danach sofort dran, habe die Gebühr entrichtet – natürlich nur gegen Erhalt einer ordentlichen Einzahlquittung, was nach 10 Tagen Moskau auch irgendwie eine Wohltat war – und kann jetzt mit meinem Großen ein paar Tage auf Angeltour gehen. Herrlich.
Moskau zeigt sich von seiner schönsten Seite. Nach Schneeregen bei meiner Ankunft hat das Wetter binnen zwei Tagen auf Sommer umgeschaltet. Nicht, dass ich große Vorurteile gehabt hätte, aber die Diskrepanz zwischen dem Bild, das momentan im Westen herrscht, und dem hier auf den Straßen könnte größer nicht sein. Offen, freundlich, westlich, bunt – es bestärkt aber im Übrigen nur meine These, die ich beim letzten Mal aufgestellt habe; dass die einzig akzeptierte „Weltreligion“ der schnöde Mammon ist. Zumindest unter den Weltbürgern, die keine existentiellen Probleme haben.
Kleiner Nachtrag übrigens dazu: Lese gerade abends zur Entspannung ein wenig Platon – „Sokrates im Gespräch“. Da sagt Sokrates in seiner Eingangsrede als Angeklagter vor dem Athener Gericht folgenden Satz (und den habe ich erst gelesen, nachdem ich mir meine eigenen Gedanken dazu gemacht hatte): „Du guter Mensch, du bist aus Athen, aus der Stadt, die wegen ihrer Weisheit und Stärke unter allen Städten am größten und berühmtesten ist, und du schämst dich nicht, nach Reichtum, Ehre und Ansehen zu streben, um möglichst viel davon zu gewinnen, – um Verständigkeit aber und Wahrheit und um deine Seele, daß sie möglichst gut werde, kümmerst und sorgest Du nicht.“
Ich wollte aber heute gar nicht über die Antike, sondern vielmehr über Pop sprechen. Denke ja parallel immer über Bilderwitze für die Alphabeten nach, und da ist mir kürzlich ein Gag mit Kermit, dem Frosch, eingefallen (siehe oben). Versteht man den? Und dann dachte ich heute an so ein neuen Ober-Witz, wo unser Pinguin-Ober einen langen Schlacks (Giraffe?) an den Tisch bringt, und der Gast (Löwe?) sagt: „Ich wollte Gulasch, keinen Lulatsch.“ Und dann dachte ich: „Lulatsch“? So hieß doch ein Monster bei der Sesamstraße. Und dann hab ich das hier gefunden. Und da wurde mir ganz warm ums Herz.
Hamburg verlassen bei 18 Grad und Sonne, in Moskau angekommen bei Schneeregen und 2 Grad Celsius. Das Taxi, das mich vom Flughafen abholt, riecht so sehr nach Duftspray, dass es stinkt. Dicke Tropfen klatschen an die Scheibe. Stau, natürlich. Und wie immer schießt mir kurz der Gedanke durch den Kopf, warum ich mich immer wieder auf diese Abenteuer einlasse. Erstes scharfes Bild in Stadtnähe: die Moskauer Ikea-Filiale. Da hätte ich auch in Schnelsen bleiben können.
Das Hotel ist klein, aber nett. Allerdings spricht die Dame am Empfang kein Englisch – und ich kein Russisch, und das ist das eigentliche Problem, dass ich es bei all der Arbeit zuhause nicht einmal geschafft habe, einen kleinen Sprachkurs zu machen, und sei es online. So dauert der Check-in drei Mal so lange wie sonst, macht nix, hab ja eh nix vor. Immerhin bleibt noch Zeit für einen Gang vor die Tür. Ich brauche noch Zahnpasta, Bier und was Warmes zu essen, wäre auch nicht verkehrt. Ein pappiges Sandwich im Flieger, das war alles, was ich an diesem Tag bislang hatte.
In welche Richtung gehen? Keine Ahnung. Also los, einfach schauen, wo das Leben beginnt und dabei den Rückweg nicht aus den Augen verlieren. Denke in diesen Momenten immer an Hänsel und seine Brotkrumen, muss das Brot aber erst noch kaufen, also Augen auf und bestimmte Punkte merken, Fenster, Schilder, alles, was ein bisschen besonders aussieht. Wenn ich mich hier gleich am ersten Abend verlaufe, wird es blöd.
Russisch ist eine krasse Sprache, vor allem wegen der kyrillischen Schreibweise. Man versteht wirklich kein Wort. Das ist etwas mühsam, der Hunger macht es nicht besser. Dazu die Sorge, ob alles am nächsten Tag klappt. Kommt der russische Kameramann rechtzeitig? Ist die Protagonistin nett? Können wir überall ohne Probleme drehen? Ist immerhin der 09. Mai, der höchste russische Gedenktag zur Feier des Sieges über den deutschen Faschismus. Und ich als Kartoffel mittendrin. All das geht mir durch den Kopf und führt dazu, dass ich immer weniger Lust und Energie verspüre, mir jetzt in einer Seitengasse ein kleines, feines, russisches Restaurant zu suchen.
Was soll ich sagen? Am Ende wird es ein Big Mac, so traurig das ist. Vielleicht hat es in dieser Sekunde sogar was mit Heimweh zu tun, keine Ahnung, zumindest mit einem Gefühl von Unsicherheit. Ich meine, warum ist eine Dose Coca-Cola im Dschungel die beste Medizin? Weil man weiß, was drin ist. Ach, irgendwie jämmerlich, egal, morgen wird erkundet.
Im Hotel kriegt Indiana Jöns dann Dusche und Fernseher nicht zum Laufen. Muss die Rezeptionistin fragen, mit Händen und Füßen, versteht(!) sich, zwei Handgriffe, dann funktioniert beides, sie muss denken, dass ich total unfähig bin. Schäme mich in der Tat dafür, dass ich mir zuhause nicht einmal die Grundbegriffe in ihrer Sprache draufgeschafft habe. Auf dem Duschvorleger sind zum Glück zwei Füße eingewoben, damit sich Leute wie ich nicht das Gesicht damit abtrocknen …
Die Parade am nächsten Tag war krass. Ein Riesenauflauf. Zwischendurch, kurz bevor es auf den Roten Platz ging, dachte ich, jetzt bricht eine Massenpanik aus. Geschah dann aber zum Glück doch nichts. Tatsächlich war das alles sehr bunt und vergleichsweise freundlich-fröhlich und eigentlich ist der Brauch, den Kriegstoten die Ehre zu erweisen und an sie zu erinnern, ja ganz schön. Trotzdem hat mir die Masse an Menschen, von der man ja prinzipiell nie weiß, in welche Richtung sie sich bewegt, ein bisschen Angst eingejagt.
Vor diesem Hintergrund ist der Widerspruch zwischen den Unterschieden der politischen Systeme einerseits und der gleichmachenden Globalisierung andererseits eigentlich verrückt. Es ist ja nicht nur McDonalds, es sind auch Mercedes, Ferrero, Apple, bis hin zum Händetrockner im „Museum of Books“, der von einem Hersteller aus Norderstedt produziert wird. Kein Witz.
Insofern ist der Kapitalismus nur zu bewundern, dieser materielle Virus, der Bedürfnisse schafft, die es nicht gibt, nach denen sich die Menschen aber sehnen, egal, wo sie leben. Der erkannt hat, dass sich Menschen überall auf dieser Welt letztlich über materiellen Wohlstand definieren, mehr jedenfalls als über Intellekt und geistigen Reichtum. Und zwar in ihren Rahmenbedingungen, aber mit wachsendem Anspruch, sobald sich die Bedingungen verbessern. Es ist der kleinste Teil, der, sobald er das Existenzminimum erreicht hat, sagen kann: Das reicht. Insofern scheint der Kapitalismus bzw. der Konsum und der Wunsch nach Besitz von bestimmten Dingen tatsächlich die einzig akzeptierte Welt-Religion zu sein. Auch wenn es sich dabei (natürlich) um eine Ersatzreligion handelt.
Und deswegen war der Sozialismus keine schlechte Idee, wenn er/sie denn „wirklich“ so gerecht gewesen wäre, wie gedacht. Aber was für ein Auto fuhr z.B. Erich Honecker? Richtig, Volvo und Citroën. Und so ähneln sich nicht nur die Speisekarten in den McDonalds-Filialen weltweit, nein, es ähneln sich auch die Menschen hinter dem Tresen und die, die den Boden wischen und den Müll abräumen.
Heute auf dem Rückweg vom Bücher-Museum ist mir abseits der Hauptstraße ein Mann entgegengekommen, der offenbar kurz zuvor in einem Eichhörnchen-Kostüm Werbeprospekte verteilt hatte. Als er an mir vorbei ging, nahm er den Kopf ab und setzte sich ein auf einen Treppenabsatz, um kurz innezuhalten. Ein Bild, das mehr sagt als alle Staatstheoretiker und Soziologen jemals werden in Worte fassen können.
Freitag Abend 19:28. Schluss für heute. Hampelige Woche gehabt. Bin ja ab Montag in Moskau und hatte deswegen diese Woche einiges zu planen. Dazu noch ein Dreh und Treffen für zwei andere Filme. Obendrein heute noch einen Außentermin und zu guter Letzt noch Kisten packen für unseren Redaktionsumzug nächste Woche, bei dem ich nicht anwesend sein werde. Ist vielleicht ganz gut, auf der anderen Seite komme ich dann in 10 Tagen (vermutlich nicht völlig relaxed) aus Moskau und stehe mitten im Kistenchaos. Bin ohnehin fast den ganzen Monat nicht da, meine neue Bürokollegin tut mir jetzt schon leid. Die muss ja vier Wochen auf die Kisten gucken. Vermutlich miste ich nach meiner Rückkehr erstmal aus.
Was soll´s? So ist es eben. Morgen Abend kommt meine Sankt-Petersburg-Doku auf arte (19:30), und die Alphabeten haben heute wieder einen Bilderwitz in die Welt entlassen.
Apropos: Den letzten haben sogar die Leute von Da kotzt das Texterherz geteilt. Hat uns gefreut.