Freitagabend lief in der Schweiz die vierte und letzte Folge meiner Doku-Reihe über die SchweizerInnen am Golf. Sollte ja auch ein bisschen einstimmen auf die WM in Katar und hatte nochmal eine Superquote: 29%. Das ist für deutsche Verhältnisse der absolute Oberhammer, aber auch für die Schweizer, richtig gut.
Gestern nun hat die Fußball-WM begonnen, und ich mache keinen Hehl daraus, dass mir da natürlich auch Einiges durch den Kopf gegangen ist. Es ist schwer, sich darauf zu freuen. Weil es ein ungewohnter Zeitpunkt ist, aber auch wegen der ganzen Nebengeräusche. Und diese ganzen Nebengeräusche sind natürlich auch berechtigt. Und es werden ja täglich mehr.
Auf der anderen Seite kann ich – nachdem ich durch meine Reisen nun einige Akteure in Katar kennen gelernt habe – gar nicht anders, als auch deren Perspektive einzunehmen. Katar hat in wenigen Jahren, was seine Infrastruktur angeht, eine rasante Entwicklung durchgemacht. Wo heute Wolkenkratzer und mehrspurige Autobahnen sind, war noch vor zwanzig Jahren Wüste. Zu glauben, die Lebensweise, Ansichten und Traditionen der einheimischen Katarer wären genauso schnell – nach westlichem Vorbild – „umgebaut“ worden, ist natürlich naiv.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich liebe die Demokratie, ich liebe die freie Meinungsäußerung, ich liebe die Tatsache, dass meine Söhne einen Mann heiraten könnten, wenn sie wollten. Ich liebe es, dass meine Frau mich nicht fragen muss, wenn sie Geld verdient oder ausgibt. Dass sie wählen und sich in der Öffentlichkeit zeigen kann, wie es ihr gefällt. Wir dürfen diese Werte auch nach außen vertreten (und müssen sie u.U. sogar verteidigen), wichtig ist die Haltung, mit der das geschieht. Aber vielleicht war ich auch naiv.
Ich war während meiner Drehs vor Ort – insbesondere durch meine Gespräche mit einer Gewerkschafterin aus Basel, die seit 2018 mit einem internationalen Team in Katar Stadioninspektionen durchgeführt hat – einigermaßen beeindruckt. Nicht nur von ihrer Arbeit, sondern auch davon, wie positiv ihr Zwischenfazit ausfiel. Sie erzählte mir, dass es nun einen guten Standard auf den Stadienbaustellen gebe, ebenso regelmäßige Gespräche mit dem Arbeitsministerium über eine Ausweitung der Verbesserungen auf alle Arbeitsbereiche, außerdem sei eine zentrale Anlaufstelle für die MigrationsarbeiterInnen angedacht, wo diese hingehen und sich bei Problemen beraten lassen könnten.
Ende März durfte ich dem Worker´s Cup beiwohnen, einem von den Gewerkschaften organisierten Fußballturnier für die Workers zum Abschluss einer mehrtägigen Konferenz, auf der auch noch mal viel über die Zukunft der ArbeiterInnen in Katar diskutiert und beraten wurde. Auch Vertreter der Fußballer-Gewerkschaft waren bei dem Event, ehemalige Profis. Sie alle haben in mir das Gefühl ausgelöst, dass sich tatsächlich etwas bewegen könnte. Dass es gut und richtig ist, nun das Beste aus der Sache zu machen, das Turnier nicht zu boykottieren, sondern über die umstrittene WM mit Katar ins Gespräch zu kommen und die Situation für die ArbeiterInnen (in der Golfregion allgemein) nachhaltig zu verbessern. Und ich kann sagen: Der Spirit bei den Beteiligten, mit denen ich gesprochen habe, war im Frühjahr 2022 vorsichtig optimistisch, dass das gelingen könnte.
Vor drei Tagen, also am selben Tag, an dem meine letzte Folge ausgestrahlt wurde, erreichte mich eine Pressemail des Gewerkschaftsverbandes BWI, in der es nun ziemlich ernüchtert hieß, die Verantwortlichen in Katar hätten sich leider bis zur Eröffnung der WM nicht mehr, wie gewünscht, verbindlich zu einigen zentralen im Frühjahr angestrebten Verbesserungen und Maßnahmen geäußert. Das zu lesen, überraschte und enttäuschte mich mehr, als ich gedacht hätte. Und ich frage mich, was in den GewerkschafterInnen vorgehen muss, die über vier Jahre lang versucht haben, Schritt für Schritt mit den Verantwortlichen zu gehen.
Das andere Problem ist, dass die Kommerzialisierung des Fußballs mittlerweile genauso unumkehrbar scheint wie der Klimawandel. Und dass versäumt wurde, die FIFA frühzeitig zu reformieren. Ich denke zum ersten Mal ernsthaft darüber nach, 2023 alle Sport-Abos zu kündigen und nur noch Amateurfußball zu gucken.