Tuse næs

Der sky und SKY - da bin ich im Himmel ...
Der sky und SKY – da bin ich im Himmel …

Unser Kurzurlaub in Dänemark ist fast schon wieder zu Ende. Ein Sohn hat uns gestern bereits verlassen, mit dem Zug aus Kopenhagen, weil er am Wochenende mit Freunden auf ein Festival gehen will. Die anderen beiden sind eben mit dem Auto losgefahren, ich habe ihnen Brote geschmiert, die sie – wie damals in der Schule – vielleicht nicht essen werden. Jetzt sind nur noch meine Frau und ich hier und mein alter Volvo, der sich wahrscheinlich wundert, warum es plötzlich wieder so ruhig ist.

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Das Gästebett, als hätte nie jemand darin genächtigt, an der Hauswand neben dem Fußball nur noch ein einziges Paar Buffer – meines. Und auch wenn man jetzt wieder auf Toilette kann, wenn man muss, die leckere Nussmischung, die man sich gekauft hat, nicht mehr von Geisterhand verschwindet, ganz im Gegensatz zu den Socken, Shorts und nassen Handtüchern, die plötzlich überall herumliegen, ist es doch hart, die großen, kleinen Jungs wieder ziehen zu lassen.

In diesen wenigen, gemeinsamen Urlaubstagen gleicht unsere Familie einem bewährten, kostbaren, schönen Ball, den man kurz aufpumpt, bis er beinahe platzt, um mit ihm sein Lieblingsspiel zu spielen. Und man genießt das wundervolle Ballgefühl, jede Sekunde dieses Spiels, auch wenn der Ball relativ bald beginnt, die frisch reingepumpte Luft wieder zu verlieren. Man würde immer alles dafür geben, eine neue Partie zu erleben und zu bestreiten. Zum Glück währt die feste, mitunter etwas flaue Hülle ewig.

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Der Jüngste hatte meinen zweiten Roman „Kunststoff“ als Urlaubslektüre dabei. War seine Idee. Fand ich natürlich cool, obwohl es auch merkwürdig war, ihn dabei zu sehen (beobachten wäre zu viel gesagt), wie er mein Buch liest. Zumal er es schon vor dem Urlaub angefangen und hier gewissermaßen vor meinen Augen beendet hat. Zwischendurch fragte er auch ein paar Mal, wie ich auf bestimmte Szenen, Beobachtungen oder Gedanken gekommen sei, das war natürlich aufregend, mit ihm darüber zu sprechen. Immerhin wusste er aus der Schule, dass der Autor nicht automatisch mit dem Erzähler gleichzusetzen ist ;-) Und ein paar Fehler hat er noch gefunden (siehe Foto oben rechts). Unterm Strich hat es ihm jedenfalls gefallen, was super ist, schließlich ist das Buch schon 10 Jahre und er gerade mal 20 Jahre alt …

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Habe selber auch meine Urlaubslektüre beendet: Paul Scraton, Harzwanderungen, in Anlehnung an die berühmte Harzreise von Heine, die ich auch schon immer mal nachgehen wollte. Scraton scheint nach allem, was ich auf die Schnelle gefunden habe, ein interessanter Autor zu sein; hab ihn natürlich sofort bei Instagram gesucht und gesehen, dass er in diesen Tagen ebenfalls in Dänemark unterwegs war, keine 150 Kilometer von uns entfernt. War kurz davor, ihn anzufunken. Aber womöglich hätte er mich dann für verrückt gehalten. Und wer will das schon? Auf der anderen Seite hat Heine mit Goethe damals nichts anderes gemacht, als er um Audienz bat, im Oktober 1824, nach seiner Harzreise. Hat ihn einfach angeschrieben und um ein Treffen gebeten, und es war sehr deutlich, wie sehr es ihm am Herzen lag, diesem Menschen leibhaftig zu begegnen …

Heine ist über die Jahrhunderte eine absolut ambivalent bewertete Figur in der deutschen (Hoch-)Kultur. Er hatte zwei „Probleme“: a) er war Jude, b) er hat die Machthaber kritisiert, mitunter recht bissig, heute würde man dazu Satire sagen, damals hätte ihn das Regime am liebsten (ganz) mundtot gemacht. Heine und Deutschland, eine traurige Geschichte, die heute umso trauriger macht, weil man zwischendurch ja das Gefühl hatte, die Juden in Deutschland würden nun endlich in Frieden leben können. In Wahrheit köchelt die braune Suppe ja wieder hoch, ja, sie stand die ganze Zeit in irgendeinem dunklen Keller auf dem Herd. Scraton erarbeitet das in seinem erzählenden Sachbuch nochmal recht ausführlich, diesen Zusammenhang zwischen Naturschutz und Heimatliebe und rechtem Gedankengut; ich hatte, ehrlich gesagt, auch nicht so richtig auf dem Schirm, dass die Kulturstadt Deutschlands schlechthin, Weimar, nur einen Katzensprung entfernt war vom KZ Buchenwald. Im KZ haben die Todes-Konstrukteure damals in ihrem Rodungswahn eine Eiche stehenlassen, weil Goethe da immer saß. Diese unfassbare Nähe zwischen Hochkultur und Unmenschlichkeit, Hochliteratur und emotionalem Analphabetismus, das ist wirklich ein ganz großer, unfassbarer Scheiß. Und dass das Kollektiv daraus keine Lehren zieht, das ist das eigentlich Unfassbare.

Kurzum: Scratons Buch hat mir sehr gefallen, auch wenn ich es noch schöner gefunden hätte, wenn sein erzählendes Sachbuch noch mehr erzählend und weniger Sachbuch gewesen wäre, ein bisschen mehr wie Kesslers Expeditionen, egal. So oder so hat es mich nur darin bestärkt, selber mal diese Harzreise zu unternehmen, zugleich aber auch gezeigt, wie anspruchsvoll es ist, einen begleitenden Text dazu zu erstellen. Vielleicht lese ich auch nochmal die Harzreise von Hans-Christian Andersen. Der berühmte dänische Märchenerzähler hat das ja auch gemacht; er eiferte Heine nach, weil dessen Reisebeschreibung für so viel Wirbel gesorgt hatte. Hab ich damals im Skandinavistik-Studium gelernt, findet sich bei Scraton aber auch eine Fußnote zu. Das Lustige ist, dass wir vermutlich Ende September mit meiner Mutter in Odense ins Andersen-Museum gehen, darauf freue ich mich wirklich auch schon sehr …

Burgfrieden

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Nach dem Geburtstag meiner Mutter stand nun ein Besuch bei meinem Vater auf dem Programm. Wir haben uns zum gemeinsamen Entrümpeln getroffen, meine ältere Halbschwester, mein Halb-/Ziehbruder und ich, und das war sehr nett, weil wir in all den Jahren gar nicht soooo viel Kontakt hatten, und ich einige Dinge erfahren habe, die andere Dinge wiederum in einem anderen Licht erscheinen lassen. Klingt kompliziert, ist es auch, Familie ist immer ein bisschen kompliziert. Dabei habe ich es, wie ihm letzten Post bereits geschrieben, ja gut getroffen.

Ich finde entrümpelt eigentlich gut, weil es – wie Aufräumen – das (kreative) Chaos in meinem Kopf lindert. Gerade wenn man immer Projekte über einen langen Zeitraum mit sich herumschleppt, ist es umso wichtiger, Mechanismen zu finden, um zwischendurch mal abzuschalten. Gelingt nicht immer.

Auf der anderen Seite bedeutet so eine Entrümpelungsaktion auch immer, die Treppe hinunter in seine Vergangenheit zu stiefeln. Und da liegen natürlich einige Stolpersteine herum. Dieses Mal war es meine alte Ritterburg, an der ich als Kind wirklich viel Freude hatte. Und ich habe mich gefragt, warum ich die eigentlich nicht für meine Jungs schon viel früher aus den Tiefen des elterlichen Dachbodens hervorgekramt habe. Jetzt sind die Jungs vielleicht selber bald Papa, und die Burg ist tatsächlich auch nicht mehr so richtig zu gebrauchen. Ein kleinen Stich hat es mir aber doch versetzt, als ich das Teil auf den Hänger geladen habe. Jetzt geht die damals uneinnehmbare Festung auf den Müll und irgendwo in Flammen auf. Und damit auch ein paar Erinnerungen, die längst im Burgverlies verloren gegangen zu sein schienen.

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Morgen geht es in den Urlaub, zu den Wikingern nach Dänemark, Wetter soll okay werden, und sogar die großen Kinder kommen mit, bzw. nach (in einem Auto mit den Eltern wäre dann doch zu blöd ;-). Das wird ein Fest. Aber nicht das im Film.