Ten Years gone

Spieglein, Spieglein, im Elbeland … gestern fühlte ich mich noch wie ein empathieloser, Stromschlag verteilender Proband dieses Milgram-Experiments, als ich meinen Text runterknüppelte, während meine Kollegin ihren Schreibtisch räumte – und heute schießen mir fast die Tränen in die Augen, als ich einen Blick in unsere Mitarbeiterzeitung werfe:

Ist das zu glauben? Seit 10 Jahren reiße ich mir jetzt schon den Hintern auf – Wahnsinn! Wer kann schon genau sagen, wo alles hinführt? Ich meine, das Dschungelcamp wird für den Grimmepreis nominiert, Pro 7 beschert mir schöne Abende, haut aber mit We are Sölden und Beauty & the nerds wirklich den Boden aus dem Fass, und die neue Coke-Werbung hat einen schrägen Song, sieht aber aus wie der Trailer von We are Sölden. Wer blickt da noch durch?

Morgen kommen meine Glücksbringer. Endlich was Echtes. Und noch was Echtes hinterher. Hab ich im Netz gefunden, passt zum Thema. Kauft Euch ruhig mal ein bisschen Led Zeppelin-Zeug, ich hab auch so eine 4-CD-Box – ist für die Ewigkeit …

Wer Bung?

Hab mir die neue 11Freunde gekauft, wegen der Titelstory: Die 50 härtesten Fußballer aller Zeiten. Mit dabei u. a. Uli Borowka, den wir jetzt auch für die Lügen-Doku interviewt haben, weil der ja zeitweise seine Alkoholsucht verleugnet hat.

Aber was viel wichtiger ist: Paul Gascoigne trug meine coolen Hummel-Schuhe (zumindest so ähnliche), als ihm Vinnie Jones – wie auf dem legendären Titelfoto gut zu erkennen – in die Eier kniff.

Was soll ich sagen? Ich liebe diesen Sport, ich liebe England, ja, ich möchte unbedingt mal in einem echten alten englischen Stadion, das noch seinen alten Namen trägt, in der Heimkurve stehen, am besten 2. oder 3. Liga. Ehrlich, englischen Fußball in der 3. Liga gucken, das ist wie ein Anker, den man auswirft, um in einem tosenden Sturm das rettende Ufer zu erreichen. Oder wie Zeitung lesen. Ein Butterbrot schmieren. Sein Fahrrad flicken. Einen Brief schreiben. Oh Gott, ich werde alt.

Gestern stand in der BILD, Ballack hätte bei einem Hallenturnier für die Alten Herren seines alten Vereins in Chemnitz gespielt. Das finde ich so arschcool. Vielleicht kann ich ihn zu uns locken. Ich meine, Hans, unser Wirt, macht die besten Schnitzel, und es gibt Moravia vom Fass. Klar, mich kann er natürlich nicht verdrängen, aber ein bisschen Torgefahr könnte nicht schaden …

Ballack, go west!

Ansonsten? Dschungelcamp ist für den Grimme-Preis nominiert. Hab da, ehrlich gesagt, schon dran gedacht, als diese Hipster-Ironie-Meta-Ebene-Diskusion losging. Irgendeine Zeitung schrieb in den letzten Tagen auch von dem „Spiel mit dem Spiel“ – ja, meinetwegen, aber dann erwarte ich jetzt auch, dass Joey zeitlebens beschützt wird. Sonst ist eben doch bloß Zirkus. Brot & Spiele, funktioniert seit tausenden von Jahren …

Halb und halb

Hab dieses schöne Foto noch gefunden. Mir gefällt manchmal dieses Denken in Dichotomien: Schwarz und weiß, Eros und Thanatos, Glück und Pech, Bewusstsein und Unterbewusstsein – ich könnte auf das Schwarze im Prinzip verzichten, aber vielleicht wäre das Weiße dann vollends unsichtbar.

Gedankenspiele, die meinen Kollegen und Kolleginnen nicht helfen, die in diesen Tagen ihren Ausstand feiern. Was wird aus mir? Man hat das Gefühl, von einer Intensivstation auf die andere verlegt zu werden.

Winter, (sch)ade!

 

Zwischen diesen beiden Fotos liegen 12 Stunden. Heute war wohl der letzte Tag mit ein bisschen Weiß im Bild. Schade, aber das Kaninchen freut sich. Und ich mich eigentlich auch. Werde dieses Frühjahr mal versuchen, die Terrassen so zu bepflanzen, dass ein paar Blumen den Winter überstehen und sich im Frühling wieder von selbst erholen. So dass man richtig überrascht wird, wenn die ersten Triebe sprießen …

Ansonsten? Texte noch ein bisschen an der Lügen-Doku, weil ich den Fernsehabend verbaselt hab. Erst dem Tatort eine Chance gegeben, aber nach 15 Minuten aufgegeben, dann auf arte umgeschaltet, wo Bullitt (mit Steve McQueen) läuft, schockt aber auch nicht 100%ig, weil ich es hasse, den Anfang eines Filmes verpasst zu haben … obwohl, jetzt gerade läuft eine coole Verfolgungsjagd. Warum bauen die Menschen seit 40 Jahren keine hübschen Autos mehr?

Gestern hat uns der Sohn meiner Freundin seine zwei aktuellen Lieblingslieder vorgestellt. Brandneue Hits, hab aber vergessen, wie sie heißen. Das eine klang wie Backstreet Boys, das andere wie Tic Tac Toe. Weiß nicht, ob ich das beruhigend oder deprimierend finden soll.

 

Mein Name ist Kaninchen
Ich weiß von nichts,
Die Schlange ist
so lang und kalt
Konsenswasser
rinnt aus ihrem Zahn

Ha-Zen 2

Minus-Pol. Kalt. Alt. Neu. Schnee.

Sucht man so kurz nach Weihnachten ein (Oster-)Häschen, muss man schon ganz genau hinschauen. Hat sich ganz hinten rechts in die Ecke verzogen, kein Wunder, bei der Kälte. Haben ihm aber heute noch extra Stroh und Heu reingepackt, damit er sich gut einmummeln kann, der Mummel- äh … Mümmelmann.

Ansonsten? Der DFB will von Eintracht Frankfurt konkrete Namen der Ultra-Fans – dann gibt´s Strafnachlass. Finde ich gut. Die anderen Fans sollen bei der Identifizierung helfen. Finde ich, glaube ich, nicht gut. Das klingt so nach Stasi, ja, wie ein Aufruf zur Denunziation. Das müssen die Vereine anders regeln. Ich meine, was kommt als nächstes? Dass wir unserem Nachbarn beim Ausfüllen der Steuererklärung über die Schulter schauen, ihn anzeigen – und dafür selbst Steuernachlass bekommen?

Maennaer

Frostige Zeiten in der Speicherstadt. Wer einen Job hat, macht ihn, so gut es geht. Versuche momentan zu texten, gar nicht so einfach, einen klaren Kopf zu bewahren – die Kälte hilft.

Ansonsten sehnt man irgendwie den Frühling herbei. Die wichtigen Themen sind so groß, dass man sich winzig vorkommt, selbst wenn man sich so groß wie möglich macht.

Wer in seiner Nussschale durch den täglich tosenden Orkan des Lebens schippert, muss sich kleine Inseln suchen, auf denen er sich mal kurz und unbeobachtet aufs Ohr legen kann.

Ich hab da so eine, da darf niemand hin, also zumindest nicht jeder. Sicherer als Fort Knox, lustiger als ein Loriot-Film und ekeliger als das Dschungelcamp …

Ansonsten: der Nachwuchsfootballer Manti Te´o spielt für eine tote Freundin, die er nur aus dem Internet kannte und die es, wie sich herausstellte, wohl nie gegeben hat. Das würde ich allerdings auch dem einen oder anderen deutschen Jungnationalspieler zutrauen.

Und: Heino covert Rocksongs und die ganzen harten Jungs regen sich auf. Was sagt Heino (sinngemäß)? Jahrelang haben sich alle über meine Sachen lustig gemacht. Jetzt bin ich mal dran. Finde ich irgendwie gut. Seine „Junge“-Version (Die Ärzte) irgendwie auch.

Ha-Zen

Meine Freundin hat mir heute ein Foto vom Einkaufen gemailt:

Sind die eigentlich bekloppt? Ist denn jetzt schon Ostern?

Und worüber schreiben die Feuilletons? Das neue Tocotronic-Album und das Dschungelcamp. Mein Kollege hat mir heute einen Süddeutsche-Artikel aus der letzten Woche weitergeleitet, wo es im Prinzip darum geht, dass wir so hipstermäßig durch die Ironie-Brille gucken und meinen, ein Format wie das Dschungelcamp auf einer zweiten, reflektierteren Ebene zu verfolgen als die vermeintliche „Unterschicht“, die ja BESTIMMT auch die vertrackten Wort-Witze der genialen Gagschreiber nicht schnallen; dabei glotzen wir im Grunde auch nur auf Fionas Rippen und Iris Titten. Tja, ich würde es so formulieren: Auch durch den Remix schimmert der Roughmix.

Aber es ist in der Tat bemerkenswert, wie sich die Schreiber die eine oder andere Spitze leisten, weil sei wissen, dass die Leute NICHT abschalten, also wie sie gewissermaßen ihre Gags mit Madencocktails subventionieren …

Ansonsten? Eine gefeuerte Redakteurin der Westfälischen Rundschau bloggt über das Ende ihrer Zeitung. Hmmm, … womöglich ist es mein Schicksal, dass ich immer einen Schritt hinterher hinke. Ein paar der Zeilen, die gerade aus dem neuen Tocotronic-Album zitiert werden, stehen (fast) wortwörtlich seit Jahren in meinem Notizbuch. Kein Scheiß! Hoffentlich reicht es zumindest posthum zu Ruhm, dann haben wenigstens meine Kinder was davon …

Therapy

Lange geschlafen. Auf die verschneite Terrasse gegangen und Eiswolken in die Luft gehaucht. Kaninchen Pete ans Herz gedrückt. Zum Pferd gefahren. Pferd ans Herz gedrückt. Wieder nach Hause gefahren und gemütlich Kaffee getrunken. Freundin ans Herz gedrückt. Tierischer Sonntag. Dadurch wieder menschlicher geworden.

 

Zu-Satz-Informationen

Heute Abend kommt nochmal meine Shaolin-Dokumentation über Julian. Hab versucht, ihn anzurufen, aber keinen erreicht. Hoffe, es geht ihm gut. Gucke gerade den Vorfilm, Bulletproof Monk, und muss an unseren China-Trip denken. Die Besuche in den verschiedenen Schulen, das frühe Aufstehen, das harte Training – und unseren Dolmetscher Mr. Wei. Und am Ende Julians Unzufriedenheit, wenig über den geistigen Pfad erfahren zu haben.

Trotzdem waren unsere Gespräche – auch abseits der Interviews für den Film – tiefgründig. Warum ich das erzähle? Weil ich offenbar das Glück oder auch ein Talent dafür habe, Menschen zu begegnen, die mich im Hier und Jetzt inspirieren.

Donnerstag Abend kam mein alter Freund Tobias extra raus nach Eberswalde. Er macht seit ein, zwei Jahren Online-PR im Entwicklungsministerium, hat Latein und Philosophie studiert (glaube ich) und auch promoviert. Im Ruhrgebiet, wo wir uns kennengelernt haben, lasen wir uns abends gegenseitig Philippe Djian vor, das ist 10 Jahre her. Vorgestern sprachen wir zu später Stunde über den Plan, mich mal als Videojournalist auf eine Reise des Ministers mitzunehmen. Wir hatten schon ein paar Bier intus, und ich redete mich ein bisschen in Rage, nach dem Motto, er soll sich mal meinen Shaolin-Film angucken und es dürfe natürlich kein Werbefilm für den Minister werden etc. Als ich am nächsten Morgen zur Uni ging, hatte er mir schon zwei Termine gemailt.

Gestern habe ich mich nach erfolgreichem Seminar-Abschluss dann noch mit meinem Freund Jakob in Berlin getroffen. Wir kennen uns noch nicht so lange. Er stammt aus einer Hamburger Verlegerfamilie und hat sich selbst auch der Literatur verschrieben.

Jedenfalls stelle ich fest – und damit schließt sich mein geistiger Pfad für heute -, dass ich bei den paar Freundschaften, die ich in den letzten Jahren pflege, stets das Gefühl habe, weniger zu wissen als der andere. Wobei ich ja auch immer in Fettnäpfchen tappe. Hab gestern z. B. die Suhrkamp-Frau, die da gerade mit dem Barlach im Clinch liegt, irrtümlich als Tochter von Unseld abgetan. Da hat mir Jakob erstmal erklärt, dass sie ja die Witwe ist (was ich eigentlich auch wusste) und ursprünglich mal der Unseld-Sohn den Verlag übernehmen sollte, was, wenn Jakob, der ja selbst einen Verlagschef zum Vater hat, das erzählt, natürlich mit einem bestimmten Unterton daher kommt. Und er verfügt natürlich auch noch über jede Menge Zusatz-Informationen.

Vielleicht sind das die besten Freundschaften. Sich gefordert zu fühlen, ohne im Wettstreit zu liegen. Zu lernen, ohne sich belehrt zu fühlen. Sich zu entspannen, sich sicher zu fühlen und trotzdem das Gefühl zu haben, dass das Miteinander einen selbst als Individuum weiterbringt.