Grippe geht um. Alle sind krank. Bin kurz davor, wieder mit Maske bei der Arbeit rumzulaufen. Andererseits halte ich mich wacker, liegt vielleicht am Fußball. Schlecht für die Gelenke, schlecht für die Knochen (hab meine dritte Rippenprellung in dieser Saison), aber sehr gut für die mentale Gesundheit und das Immunsystem.
Dafür liegt die Kunst flach. Keine Zeit für networking, keine Zeit fürs Booking – und das Schreiben beschränkt sich gerade auf Reportage-Off-Texte fürs Privatfernsehen. „Job“ eben. Andererseits gibt einem dieser Arbeitsrhythmus ja auch Struktur und Sicherheit in unsicheren Zeiten. Nette KollegInnen, warme Büroräume, deftiges Kantinenessen, alles ok.
Schöne AussichtenKontrollieren die jetzt meine Arbeit? 😅
Wobei ich – DAS zeigt mein aktuelles Filmprojekt gerade auch – das schon beeindruckend finde, wenn Leute ihren Beruf mit sooooo viel Leidenschaft ausüben, dass es sich für sie manchmal nicht wie Arbeit anfühlt. Bin z.B. sehr angetan von den KollegInnen der Tierklinik Rostock, die ich gerade sichte. Klar, agieren Menschen vor der Kamera immer anders, also unnatürlich, aber auch immer nur bis zu einem gewissen Grad. Man kann sich nicht komplett verstellen, ohne dass es seltsam wirkt. Und so niedlich wie die mit ihren tierischen Patienten umgehen, das ist einfach sehr, sehr sweet – und macht mir gute Laune.
Ansonsten? Waren meine Frau und ich mit dem Ältesten und seiner Freundin (die ein großer Musical-Fan ist) beim Michael Jackson Musical. Das war klasse. Tolle Story, tolle Performance. Aber natürlich auch komisch, wegen der ganzen Michael-und-die-Kinder-Diskussion, die ja – trotz Freispruchs – bis heute rätselhaft geblieben ist … naja. Oder überlagert die Leistung als Künstler diesen Aspekt nun endgültig?
Es ist (und bleibt) komplex. Und die Sorge um die allgemeine Lage wird natürlich auch nicht weniger. Freue mich über jedes beschmierte Wahlplakat der AfD und denke, warum darf es die geben, wo hat wer gepennt, und was bin ich bereit zu tun, wenn es hart auf hart kommt?!? Also, ganz allgemein gefragt: Wann ist (politischer) Widerstand irgendwann Notwehr?!? So, wie Geschichtsbücher heute ja eher positiv über Leute wie von Stauffenberg sprechen?!? Doch dass eine solche Tatabsicht richtig und ehrenvoll war, wird ja immer erst posthum anerkannt, wenn deutlich geworden ist, das es gut gewesen wäre, wenn z.B. so ein Attentat geklappt hätte und bestimmte Dinge NICHT passiert wären. Klingt kompliziert, macht aber Sinn. Macht es aber auch nicht leichter.
Ich habe wieder schlechte Haut. Ich habe wieder brüchige Fingernägel. Ich habe wieder schlechte Laune. Ich habe wieder schlechte Nächte. Und denke: Wie kann das alles sein?
Meine Frau und ich waren am Wochenende auf der Demo gegen Rechts in Hamburg. Es war beeindruckend. Beeindruckend voll. Gut zu wissen, dass man nicht alleine dasteht. Dass man die Sorgen und Ängste nicht alleine hegt, sondern teilen kann. Selbst, wenn es nur die Masse ist. Nein, weil es die Masse ist. Die coolere Hälfte der Masse.
Ich kann nicht verstehen, wie 350 Jahre nach Beginn der Aufklärung der Status Quo so sein kann, wie er sich gerade darstellt. Dass große, demokratische Parteien, die wahrlich Zeit hatten zu üben, hierzulande unfähig sind, eine Gemeinschaft in Frieden, soziale Sicherheit und allgemeinen Wohlstand zu führen. Dass das, global betrachtet, schwierig ist, leuchtet mir ein, und das ist schlimm genug. Aber dass wir hier in Deutschland mit unserer Geschichte gerade wieder Sorge haben müssen, dass es eine Partei, die vom Verfassungsschutz als „Verdachtsfall“ beobachtet werden darf, mit den Mitteln der Demokratie – weil sie ideologisch und populistisch argumentiert und dabei auf Menschen trifft, die sich seit Jahren und Jahrzehnten abgehängt und missverstanden fühlen – möglicherweise schafft, wieder mittelfristig Teil einer Bundesregierung werden, das ist schwer zu verstehen.
Und auch wieder nicht.
Dass nicht immer diejenigen am Ende in bestimmten Jobs landen, die für diese auch am besten geeignet sind, ist kein politikspezifisches Problem. Das haben wir auch an Schulen, in Kitas, in großen Unternehmen, in Medienhäusern – überall, wo sich Psychopathen und Narzissten über andere Menschen hinwegsetzen können. Aber in der Spitzenpolitik haben solche Fehlbesetzungen eben mitunter dramatische, weitreichende Auswirkungen. Für ein ganzes Land. Einen Kontinent. Die Welt.
Es gibt nur wenige Berufsgruppen, in denen man Karriere machen kann, ohne in diesem Bereich besonders ausgebildet worden zu sein: Immobilienmakler, Journalisten und Politiker gehören z.B. dazu. Ich will damit gar nicht behaupten, dass es nicht viele PolitikerInnen gibt, die aus besten Motiven politisch aktiv werden. Aber das sind leider nicht immer die, die am Ende auch gestalten. Und das Sagen haben. Weil Mann/Frau auf bestimmte Weise gestrickt sein muss, um in eine wirkliche Machtposition zu gelangen – und dort auch zu bleiben.
Wir sind mehr, hieß es Samstag auf der Demo. Aber sind wir das wirklich? Und denken all die, die nicht da waren, es ist kein Problem? Oder zumindest nicht IHR Problem? Und lassen sich die anderen, gegen die sich die Demo richtet, durch unser Auftreten beeindrucken? Ein Merz? Eine AfD? Oder sind wir für den einen bloß Teil seines politisches Kalküls? Und für die anderen Hippies und linke Zecken, die keine Gefahr darstellen?
Vielleicht ist es das, was mich nach dem Jahrhunderte langen (mitunter sehr klugen und hoffnungsvollen) Diskurs über politische Wirklichkeiten so ohnmächtig zurücklässt: Dass ich mich heute als Wähler in Deutschland frage, was wohl das kleinste Übel ist.
Ich lese gerade ein Buch, das mir der Jüngste zum Geburtstag geschenkt hat: Rick Rubin – Genie im Studio, ein Buch, das ich aus mehreren Gründen gerne lese. Zum einen finde ich es interessant, dass man ein Sachbuch schreiben und mit Zitaten und Anekdoten füllen kann, die man sich aus anderen Interviews zusammengesucht hat. Ernsthaft, das ist für mich als TV-Redakteur (irgendwie) eine neue Erkenntnis, dass man für so ein inhaltsreiches Projekt im Prinzip offenbar kein einziges Primär-Interview selbst geführt haben muss. Alles Text-Recherche. Zweitens – und das ist der Hauptgrund – macht es großen Spaß, die Songs und Platten, um deren Entstehungsgeschichte es geht, nach jedem Kapitel mal eben im Bett oder auf der Couch nachzuhören, was mit den Streaming-Diensten heutzutage natürlich supereinfach ist.
Da sind mir manche Platten (z.B. One Hot Minute von den Red Hot Chili Peppers oder auch das gesamte Spätwerk von Johnny Cash) in den letzten Tagen nochmal ganz neu zu Ohren gekommen. Und drittens – und das ist lustig, weil ich gerade von Cash sprach – denke ich, bei aller Bescheidenheit, dass ich auch ein guter Produzent wäre. Ich meine, diese Fähigkeiten, Geschmacksentscheidungen zu treffen, mit denen man leben kann und die vielleicht dennoch den Nerv des Publikums treffen, oder das Große und Ganze im Blick zu behalten, (auch schwierige) Protagonisten zu führen usw., das kenne ich ja auch aus meinem Job,
Und da fiel mir (mal wieder) die kleine Session im alten Chilehaus ein, wo Gunter Gabriel, der „deutsche Johnny Cash“, damals in der SPIEGEL TV-Tonkabine für den NDR-3-Teiler „Der Hafencowboy“ unter den Reglern unseres Tonmeisters Thorsten und meiner musikalischen Anleitung die Titelmelodie einspielte, die ich komponiert hatte. Danach dachte ich wirklich ganz kurz: Okay, JETZT bist du ein richtiger Produzent.
Tatsächlich jetzt erst der erste Blog-Eintrag im neuen Jahr, obwohl der Monat schon fast rum ist. Aber es herrschte hier so viel echtes Leben im Dezember, dazu ein bisschen digitale Müdigkeit, ein bisschen erschöpfter Schöpferdrang, dass ich mich nicht aufraffen konnte. Und dann wird es natürlich groß, weil ja jeden Tag etwas passiert. Womit anfangen?
Vielleicht damit, dass unser ältester Sohn heute Geburtstag hat. Meine Mutter schickt mir manchmal – wenn sie putzt oder aufräumt oder einfach, wenn es einen Anlass gibt – per Handy alte Fotos, die ihr dann gerade untergekommen sind. Und ich freue mich immer darüber.
Ja, der kleine Kerl auf meinem Arm ist mein Sohn. Und heute ist er fast genauso alt, wie ich es damals auf dem Foto war. Unfassbar. Schön.
Nun steht er auf eigenen Beinen, und die Verantwortung als Vater fühlt sich nicht mehr ganz so groß an, wie man sie empfand, als die Kinder noch klein waren. Das Tolle ist, ich bin immer noch nicht (sooooo) alt. Da sind im Idealfall noch ein paar Jahre, die ich jetzt ein bisschen freier gestalten kann, weil der Junge erstens nicht mehr so schnell aus den neuen Schuhen herauswächst und er sie zweitens jetzt selber kauft. Das ist auch Freiheit.
Wir sind zurück. Haben diese Familien-Reise gewagt, meinem Vater einen Herzenswunsch erfüllt: Casablanca. Mittagessen in Rick‘s Café, mit all dem Drumherum, dass es dieses Café in Casablanca nie wirklich gab usw. Danach Essaouira und Marrakesch.
Es war toll, es war auch ein bisschen anstrengend, weil die nächste Generation sich natürlich für die vorige verantwortlich gefühlt hat.
Phasenweise kam es mir tatsächlich vor wie eine meiner kurzen Drehreisen, auf denen man zwar viel sieht und viel erlebt, sich aber dennoch nicht in jeder Phase gehen lassen kann, weil man die Geschicke und das große Ganze im Auge behalten muss.
Es war schön, mal wieder ein paar Tage am Stück mit meiner großen Schwester zu verbringen. Es war schön zu sehen, wie erfüllt meine Mutter von den Unterkünften war, die meine Frau organisiert hatte. Und es war rührend, wie mein Vater im Landeanflug auf Casablanca den Hals reckte, aus dem Fenster schaute und versuchte, seinen Sehnsuchtsort mit einem Blick zu erfassen, um abzugleichen, ob es wohl das sein wird, was er über die Jahre als Vorstellung mehr oder weniger vage im Kopf entwickelt hatte.
Natürlich ist Nordafrika noch mal was ganz anderes. Und die Menschen dort sind tatsächlich so nett und freundlich, wie es in diversen Blogs und Reiseführern vorher beschrieben worden war.
Und wir hatten Glück mit dem Wetter. Es war auch für marokkanische Verhältnisse vergleichsweise warm. Aber nicht zu warm. Gerade recht, um noch einmal ein bisschen Sonne zu tanken, um jetzt bei knackigen 2 Grad, kristallklarer Luft und Sonne zum Pferd zu fahren.
Privilegiert. Hat meine Tante mal gesagt. Über das Leben, das meine Frau und ich führen. Meine Tante meinte, glaube ich, etwas anderes, deswegen habe ich das gar nicht so empfunden, als sie es sagte. Aber natürlich führen wir ein privilegiertes Leben. Das merkt man einmal mehr, wenn man in anderen Ländern unterwegs ist. Der niedrige Lebensstandard, den die meisten Menschen dort teilen. Der tägliche Kampf ums Überleben. Die Infrastruktur. Der Müll. Auf Trinkwasser aus Plastikflaschen angewiesen zu sein, die überall ihre Spuren hinterlassen. Ich kenne das natürlich von anderen Reisen, China, Südamerika, mir fällt dann auch immer auf, wie gut unser System funktioniert, beziehungsweise wie klein unsere Herausforderungen jahrzehntelang waren. Natürlich ist das fragil. Man muss es schützen. Jeder muss seinen Beitrag leisten. Und man muss bereit sein, sich zu modernisieren. Transformieren. Ohne, dass das, was gut funktioniert, plötzlich zerbricht. Nach diesen Reisen stelle ich auch immer ein wenig meinen Job in Frage. Denke, ich müsste auf dem letzten Ende noch mal etwas Sinnvolles tun. Etwas Vernünftiges. Etwas wirklich Vernünftiges. Oder aber leichter und mutiger agieren, wie die Aussteiger und Künstler, die man auf solchen Reisen immer trifft. Die sich treu geblieben sind. Immer. Auch wenn es schwerfällt und sie dafür einen Preis zahlen.
Diese Reise noch einmal mit meinen Eltern zu unternehmen, war ein großes Geschenk, weil natürlich nicht klar ist, ob das wiederholbar ist. Weil das Alter seine Spuren hinterlässt. Auf der anderen Seite muss man diese Zeit teilen, um sich nicht fremd zu werden. Ich glaube, meine größte Angst ist es, mich irgendwann den Menschen, die mir zeitlebens nah waren, gegenüber fremd zu fühlen. Weil sich Wege trennen. Lebensentwürfe nicht mehr deckungsgleich sind. Weil das Alter Menschen verändert. Und das Älterwerden. Der Reiz liegt doch darin, das Timing für sein eigenes Älterwerden mit zu bestimmen. Die verschiedenen Rollen anzunehmen. Es auch zu genießen, dass man bestimmte Dinge ruhiger angehen kann. Dass man niemandem mehr etwas beweisen muss. Das man begriffen hat, das Kostbarste, was man besitzt, nicht leichtfertig aufs Spiel setzt: seine Beziehung.
Habe unterwegs ein wunderbares Buch gelesen, das mir meine gute Freundin und Schriftsteller-Kollegin Ina Bruchlos geschenkt hat. Weil es sie, wie sie sagte, irgendwie an meinen neuen Roman erinnert hat. Oben ist es still. Und tatsächlich gibt es Parallelen. Pikanterweise geht es darin um ein problematisches Vater-Sohn-Verhältnis. Und auch wenn ich natürlich abstrahieren kann, habe ich doch gemerkt, wie diese Geschichte die Reflexion über die Beziehung zu meinem eigenen Vater angekurbelt hat. Kurioserweise hat er sich das Buch während unseres Urlaubs einmal vom Tisch genommen und sich prompt darin festgelesen. Ich rief ihm zu, es sei jetzt gerade vielleicht „nicht das richtige Buch“, aber er ließ nicht davon ab. Fand ich natürlich spannend, weil ich mich gefragt habe, was ihn daran wohl so packt. Und ob er es einfach lesen konnte, ohne es gleich an sein eigenes Leben anzulegen. Und an meines.
Auf jeden Fall ist mir mal wieder klar geworden, dass die alltäglichen Probleme, mit denen ich mich herumschlage, nicht existenzieller Natur sind. Und da geht es mir vermutlich wie vielen anderen. Habe gestern gelesen, dass die Deutschen im Durchschnitt am wenigsten arbeiten, weil sie so viel Urlaub haben und so oft krank sind.
Das hat schon etwas damit zu tun, dass man es sich leisten können muss, krank zu sein. Dass man krank sein darf.
Jetzt war ich gestern beim Pferd, und das Pferd hat so hochwertiges Kraftfutter gegessen und ich ein Brot, das der Bäcker „Champagner-Roggen“ getauft hat, und jetzt sitze ich vorm Fernseher, schaue Liverpool gegen Man City, weil wir uns einen Sportkanal leisten können, und gleich werde ich noch für die SOS-Kinderdörfer spenden, weil ich das immer mache, wenn die mir schreiben, obwohl ich weiß, dass es mich nicht viel kostet, und dann fühle ich mich mutlos und denke wieder an diesen Aufkleber auf unserem Kühlschrank: What would you do, if you weren’t afraid, und dann denke ich: ja, what would I eigentlich tun, wenn ich keine Angst hätte, aber Angst ist ja relativ und irgendwie german, und die Nacht ist ne Bitch, aber natürlich ist Zeit kostbar, fast so kostbar wie eine gute Beziehung, und es ist leicht, darüber zu schwadronieren, wie man seine Zeit besser oder sinnvoller nutzen könnte, wenn man keine existenziellen Sorgen hat.
Was natürlich nicht bedeutet, dass psychische Probleme oder Traumata nicht belastend sein können. Gestern erzählte Gustav Peter Wöhler in einem wunderbaren NDR-Kultur-Interview, dass ihn der Chorleiter in der Schule nicht singen lassen wollte, weil er aus kleinen Verhältnissen stammte (Gustav, nicht der Lehrer), und dass ihm seine Gesangslehrerin später sagte, er habe (womöglich deswegen) eine Laufbahn als Opernsänger verpasst. Das war ziemlich berührend, und ich glaube, das vielleicht doch auch einiges besser geworden ist. Vielleicht aber auch nicht.
Das Jahr geht zu Ende, zumindest äußerlich. Obwohl die Temperaturen zu hoch sind. Der goldene Oktober verlängert sich in den November, die Sonne scheint so stark, dass Haut-Typen wie ich auf dem Fußballplatz erröten.
Heute seit langem mal wieder gewonnen, gegen den Tabellendritten, durch eine starke Mannschaftsleistung, auch wenn ich mich heute morgen um 07:30 kurz gefragt habe, warum ich mir das immer noch antue. Aber dann dieser Kampf, dieser Teamgeist und schließlich den Wettstreit für sich entscheiden, das hat in der Tat etwas sehr Urtümliches und Befriedigendes – wenn man gewinnt.
Ansonsten gibt es unseren TrueCrime Talk jetzt im SPIEGEL TV Digital-Memberbereich, ich verzichte allerdings darauf, Feedback einzuholen, bzw. zu fragen, wie es ankommt. Kümmere mich parallel um die nächste Produktion (RTL2 Nachtschicht – habe im Gelsenkirchener Zoo mit dem Nachtwächter gedreht, das war sehr nett und interessant), merke aber, dass mir das Arbeitsjahr krass in den Knochen steckt (eigentlich die letzten Jahre).
Nebenbei versuchen Michael Knüfer aka DJ Mike Pepper und ich noch Leute für die Lesung/Party nächsten Samstag in Münster (20h, Puls Club, Hafenstraße) zu mobilisieren, ja, es gibt immer was zu tun, auch heute, weil ich denke, ich müsste bloggen. Denn weil die Zeit offenbar nicht schnell genug vergeht, wird mein Neffe jetzt auch noch 18. In Worten: achtzehn.
Wir schenken ihm gemeinsam einen Gutschein, ich habe aber als ganz kleines Dazu-Geschenk gestern auf dem Markt noch einen alten Fix und Foxi-Comic (von 1979) gekauft, weil mich plötzlich, als ich es sah, das Gefühl überkam, meinem Neffen noch irgendwas aus der „alten Welt“ zu schenken, aus der ich komme, wo noch D-Mark auf dem Heft stand und die Lego-Werbung so alt ist, dass man sich selbst nur zu gut daran erinnert, wie man vor Weihnachten oder vor dem Geburtstag diese Werbeheftchen stets liebevoll zerschnitten und zu Wunschzetteln verarbeitet hat.
Man denkt ja, und jetzt komme ich zum Punkt, dass früher immer alles besser war, friedlicher, einfacher. Und vielleicht stimmt das zum Teil sogar. Aber eben auch nicht unbedingt. Mir ist das (wieder einmal) aufgefallen, als ich den immerhin schon 45-Jahre alten Comic in die Hand und ein bisschen darin gelesen habe. Gleich in der ersten Geschichte verreisen Fix und Foxi mit Lupo und Knox in die Steinzeit. Sie steigen aus der Zeitmaschine und das erste, was Knox bemerkt, ist die gute Luft, „völlig unverpestet“. Und Fix und Foxi fügen hinzu, hier gebe es „nicht mal Atomkraftwerke“. Und „keine Benzinpreiserhöhungen“.
Es gibt vermutlich jede Menge wissenschaftliche Arbeiten über Gesellschaftskritik in den Comics von Rolf Kauka und, ja, es ist extrem, wer im Moment überall weltweit mit allen Mitteln an die Hebel der politischen Macht drängt, und ich ertrage nicht einmal mehr Sendungen, die sich satirisch damit auseinandersetzen, weil mir das Lachen im Halse steckenbleibt, aber: Herausforderungen gab es immer schon. Auch als ich klein war. Und das wiederum macht mir Hoffnung. Weil ich trotz allem groß geworden bin. Fast alt sogar.
Es ist ein alter Hut, dass man in den Sozialen Medien immer nur Ausschnitte aus seinem Leben zeigen kann. Und dass man mit der Auswahl dieser Ausschnitte draußen einen Eindruck erwecken kann, der mit den inneren Wirklichkeiten (Freunde einer konstruktivistischen Lebenssicht sprechen lieber von Wirklichkeiten als von Realität ;-) mitunter kaum deckungsgleich ist.
Bei uns ist das im Moment etwas anders. Die Tage sind wirklich so (ertrag-)reich, wie sie erscheinen. Und, ja, wir waren jetzt zwei Samstage hintereinander auf einem tollen Konzert. Gestern Abend im DOCKS bei den H-Blockx, freundlicherweise auf Einladung meines alten Kumpels Gudze, weil ich tatsächlich auch zu spät dran war mit Tickets besorgen.
War ein super Abend! Die H-Blockx sind einfach eine richtig gute Band, mit einer tollen Song-Vergangenheit, und auch wenn wir uns, glaube ich, ALLE etwas gewundert haben, dass die erste Platte jetzt ihren 30. Geburtstag feiert (in Worten: dreißig), klang es trotzdem fresh und jung und energiegeladen. Und es ist immer eine Freude, Gudze zu treffen, ein super Typ, lustig, clever und, vor allem, bescheiden, obwohl er schon als junger Mensch ein paar zeitlose Riffs erschaffen hat, die damals wirklich jeden Arsch in Bewegung gebracht haben.
Ansonsten war unter der Woche auch in der Firma einiges los. Folge 1 unseres True Crime Talks (ich berichtete) ist jetzt am Freitag (erstmal im Memberbereich) auf Sendung gegangen. Und auch wenn ich gedanklich schon wieder im nächsten Projekt bin, verspürten meine Liebste und ich hier wegen unserer Doppel-Moderation doch eine kleine, familiäre Nervosität. Wir haben uns den ganzen Kram dann Freitagabend draußen auf der Terrasse noch einmal auf dem Handy angeschaut … und finden es gut. Vor allem den Look.
Uiiiuiiiiuiii
Wir haben alle unser Bestes gegeben und m.E. das Optimum herausgeholt. Hoffen wir, dass es die True Crime Community zu schätzen weiß.
Habe außerdem die Cohen-Serie zu Ende geguckt. Diese Liebesgeschichte mit Marianne, diese Sehnsucht um künstlerische Anerkennung, der manische Drang zu schaffen, der Kampf mit den Depressionen, das Problem mit der konservativen Mutter – wenn das alles einigermaßen „wahr“ ist (noch so ein konstruktivistisches Lieblingswort), dann muss man sagen, war das für Cohen (und seine, ihn liebenden Mitmenschen) keine leichte Zeit. Und es hat mich demütig gemacht. Vielleicht, weil mir die krassen Depressionen erspart geblieben sind, vielleicht, weil ich einen Lebensunterhalt verdiene, aber sicher, weil meine Beziehung stabil ist. Obwohl ich (immer noch) verstehe, wie jemand sein Leben faktisch der Kunst opfern kann. Mit Haut und Haaren. Und ich habe wieder Lust bekommen, Gedichte zu schreiben.
Danke, NDR
Natürlich macht mir auch die allgemeine Lage zu schaffen, die Sorge um die Zukunft unseres Planeten, wenn ich an unsere Jungs denke; der ganze Wahnsinn, den bestimmte Politiker auf der ganzen Welt verzapfen – direkt und indirekt. Bewusst und unbewusst. Auf der anderen Seite versuchen wir, jeden Tag zu genießen und unsere eigenen Ressourcen im Blick zu behalten. Und einfach nett zueinander zu sein. In dem Sinne, dass man sagt, wenn alle so miteinander umgingen, gäbe es vielleicht weniger Leid auf der Welt. Ich bilde mir ein, manchmal zahlt das Leben das sofort zurück. Donnerstagabend habe ich nach dem Trommeln meine kleine Schwester angerufen, weil ich das Bedürfnis hatte zu hören, wie es ihr geht. Wir haben lange gesprochen, ich stand eigentlich schon vor der Tiefgarage, hab dann den Motor ausgemacht, aber das Licht angelassen, weil es schon dunkel war. Wir haben gequatscht und uns verabschiedet, ich sagte noch so, ich muss jetzt mal in die Garage … und dann war die Batterie leer. Aber – jetzt kommt es – der Mann vom ADAC war bereits nach 10 Minuten da, statt der in Aussicht gestellten 90 Minuten. Hammer. Netter Typ. Handschlag. Mein Auto gelobt („schöner 5-Zylinder“). Überbrückt. Batterie gecheckt, alles ok. Fertig. Wenn selbst solche Probleme keine werden, weiß man – es läuft im Großen und Ganzen.
Ein Samstag voller Geschichten über die Musik, mehr oder weniger, aber zumindest voller Leben. Waren morgens auf dem Markt, und da hätte ich beinahe – auf der Suche nach meiner Frau, die vor einem Schaufenster stehengeblieben war – eine ältere Frau übersehen und umgerannt. Im letzten Moment hielt ich inne, schaute sie an und entschuldigte mich aufrichtig. Dann kam meine Frau dazu, ich erklärte kurz die Lage und verschwand dann, um mir einen kleinen Kaffee zu holen. Als ich wiederkam, standen die beiden immer noch da, ins Gespräch vertieft, wobei meiner Frau eher die Rolle der Zuhörerin zukam. Die ältere Dame fragte, was wir so machten, wir antworteten (Filme fürs Fernsehen), daraufhin erzählte sie, ihr Vater sei Tonmeister gewesen und habe die Deutsche Grammophon mit aufgebaut, und sie habe als Schülerin eine Arbeit darüber geschrieben, wie der Ton auf die Platte kam. Und erst letztens sei sie von Studenten der Hochschule für Musik gefragt worden, ob sie dazu einen Vortrag halten könne.
Das war alles sehr nett und interessant und die Dame für ihr Alter noch superklar und rüstig. Schließlich sagte sie, es sei von mir so nett gewesen, dass ich sie so direkt angesehen habe, als ich mich bei ihr entschuldigte, das sei gar nicht mehr üblich, normalerweise werde sie wie alle alte Menschen immer übersehen, und ob wir ihre Arbeit mal anschauen wollten, also bei ihr zuhause, sie bekomme so wenig Besuch und ihr Mann und alle Freunde seien inzwischen gestorben ….
Das hat uns natürlich sehr nachdenklich gemacht. Wie soll man da reagieren? Also, klar, im Idealfall tauscht man Adressen aus und freut sich über eine neue Bekanntschaft. Aber ich schaffe es im Moment ja nicht einmal, meine eigenen Eltern angemessen in mein Leben miteinzubeziehen und schäme mich fast dafür.
Ich versuche das zu ändern.
Alles.
Wir waren dann abends in der Elbphilharmonie – The Notwist in klassischem Ambiente, mit tollem Lichtdesign und musikalisch aufregend wie immer. Ich denke immer, wenn ich The Notwist sehe, dass es das Beste sein muss, Musiker in so einer Band zu sein. Besser als Fußballprofi. Oder Bestsellerautor. Und dass es jetzt schwierig wäre, so einen Sound zu machen, weil es sofort nach The Notwist klingen würde.
Es gab nur ein Konzert vor vielen, vielen Jahren, das im Hinblick darauf, wie eine Band auf der Bühne Klangräume schaffen und sprengen kann, eine ähnlich hypnotisierende Wirkung auf mich hatte: Sophia im Knust. Gibt es die eigentlich noch? Der letzte Eintrag auf FB ist von 2022.
Das heißt allerdings nichts.
Überhaupt NICHTS.
Natürlich war ich dann gestern Abend nach dem Konzert noch ganz aufgekratzt. Hab dann zur Beruhigung in der ARD-Mediathek die Leonard Cohen-Serie „So Long, Marianne“ angefangen. Gefällt mir gut. Weil es u.a. auf einer Insel spielt, Hydra, die mich ein bisschen an Atrani erinnerte und sofort Sehnsucht in mir auslöste. Nochmal jung zu sein, von vorne anzufangen, der übliche Quatsch eben, der einem in den Kopf kommt, wenn die Nacht ihren dunklen, dumpfen Schleier auswirft ;-)
Außerdem wurde mir wieder einmal klar, was ich alles nicht weiß; dass Cohen tatsächlich nicht sofort Singer-Songwriter war, sondern als reiner Poet begann und erst die besagte Marianne ihm eine Gitarre gab, um ihn aus seinen Depressionen zu holen. Interessant.
Und dann fiel mir irgendwann (sehr spät) ein, dass Gunter Gabriel damals, als wir mit ihm für den NDR den „Hafencowboy“ drehten und ich die kleine Titelmusik zu dem 3-Teiler geschrieben hatte (s. Video), zu mir meinte: Ich brauche so einen Song wie „Bird on the wire“ von Leonard Cohen, nur auf Deutsch – denk mal drüber nach. „Bird on the wire“ war einer der ersten Songs von Cohen und entstand auf eben dieser Insel Hydra, das ist das eine, und das Gunter Gabriel meinte, ich könne ihm so einen Song liefern, ist das andere, da fehlen mir im Nachhinein etwas die Worte.
Das war berauschend schön gestern. Also, das Singen war doch ein klitzekleines Bisschen raus aus der Komfortzone, zumal diese Wahnsinns-Akustik in der Kirche auch nichts verzeiht, aber der ganze Rest, das ganze Drumherum – die Passagen aus dem Buch und die Songs haben gut zusammengepasst, meine Frau, die da war, meine Familie, mein Verleger Jan Billhardt von mta, dazu ein paar andere besondere Menschen (Andreas Moster, meine Kollegin Grit und Volker, mein Trainer) und natürlich die überragende musikalische Begleitung von Ninon Gloger – haben die Nacht der Kirchen 2024 für mich wirklich zu einer ganz besonderen Nacht gemacht.
Es war schon so, dass ich kurz vorher dachte, warum machst du das alles (diese TrueCrime-Aufzeichnung letzten Samstag war ja auch schon haarig), du könntest jetzt auch einfach auf der Couch liegen und Fußball gucken, aber im Nachhinein ist es natürlich genau richtig. Nicht so sehr, weil ich unbedingt auf der Bühne stehen muss, sondern weil die Reaktionen danach eine schöne Bestätigung für mein Schreiben sind und auch immer ein paar Leute das Buch kaufen, weil es sie berührt, angesprochen oder interessiert hat, wie es weitergeht. Und diese LeserInnen würde ich als Indie-Autor sonst eben nie erreichen.
Wobei ich es schon genieße zu singen, also ich singe halt gern (kennt ihr ja wahrscheinlich – unter der Dusche, im Auto, Karaoke etc.), vor allem, wenn jemand mitmusiziert, der das kann und auch dafür brennt. Insofern, ja, ich gehe da immer ein gewisses Risiko ein, aber es hält auch immer jemand eine schützende Hand über mich.
Der Clou – wir haben als Zugabe etwas überraschend ein Stück gespielt, das ich vor über 20 Jahren mal geschrieben und auf die CD-Beilage meines Debut-Romans „Jugendstil“ (die Kombination aus Roman & Musik/Hörbuch in einem war damals tatsächlich noch was Neues) gepackt habe, im Original damals schon fett produziert von meinem alten Freund Stephan Gudze Hinz, dem musikalischen Mastermind der H-Blockx, und gestern relativ spontan umarrangiert von der wunderbaren Ninon Gloger. Und auch wenn ich in der ersten Bridge feststellen musste, dass ich mit 30 doch noch ein Stückchen höher singen konnte als heute, hat es mich doch ziemlich berührt, dass wir das alte „Stück“ nochmal an- und ausgepackt haben. Unfassbar eigentlich.
Habe die ganze Woche noch ein wenig die Anspannung und Anstrengung der Aufzeichnung gespürt, ging aber, glaube ich, dem ganzen Team so. Hatte das schon geahnt, dass ich mich etwas durch die Woche dosieren muss, ist aber gut gegangen.
Heute Abend nochmal volle Konzentration und Leidenschaft in der St. Gertrud Kirche, bin sehr gespannt und freue mich, bin auch etwas erleichtert, dass da noch andere KünstlerInnen auftreten, weil parallel das Reeperbahn-Festival läuft und natürlich bei so schönem Wetter die Leute auch gerne einfach irgendwo draußen sitzen und zum letzten Mal in diesem Jahr einen schönen, sonnigen Abend genießen.
Ich hab gestern Abend nach der Arbeit nochmal kurz mit Ninon Gloger geprobt, der Pianistin, und das ist immer wieder bemerkenswert, wie diese Profi-MusikerInnen – und ich konnte das ja auch schon ein paar Mal im Frühjahr beobachten – ihr Handwerk beherrschen. Wie Ninon alles, was sie sich letztes Mal notiert hatte, ohne dass ich es mitbekommen hätte, schon parat und drauf hatte. Und natürlich die Art und Weise, wie diese KünstlerInnen über Musik sprechen. Ich wollte ihr gestern erklären, für mich wäre beim Soundcheck wichtig, dass wir das so einstellen, dass ich nicht so schreien bzw. die hohen Töne (Lindenberg singt tatsächlich sehr hoch, obwohl man irgendwie denkt, der kann GAR NICHT singen, der ist doch Trommler – insofern sind wir uns da gar nicht so unähnlich ;-) nicht so herausquetschen muss, also sagte ich: „Wichtig ist, dass wir das so einstellen, dass ich …“ und suchte dann aber noch nach den richtigen Worten, da sagte sie schon: „… modulieren kann!?“ – und das traf es natürlich auf den Punkt.
Also, ja, ich bin ein bisschen nervös und gurgele schon wieder abwechselnd mit Salviathymol und Kamillentee, aber spätestens nach dem Soundcheck kommt da noch ein kleines Beruhigungsbier drauf – und dann geht das.
Es macht tatsächlich auch immer noch Spaß, in meinem kleinen unbedeutenden Roman zu lesen und mich auf solche Abende vorzubereiten. Vielleicht hilft es ja, noch ein paar Exemplare unters Volk zu bringen …