Maradona …

… ist tot.

Hatte diesbezüglich eine kleine Diskussion mit meiner Frau, wie man „Legende“ definiert. Oder was einen Menschen zur Legende macht. Ich glaube, es begann damit, dass ich sagte, der komplette Lebenswandel dieses Mannes sei für mich zu destruktiv, um am Ende von einer Legende zu sprechen. Klar, der sportliche Erfolg, seine Bedeutung für den Fußball, aber alles danach? Schwierig. Im Grunde, meinte ich ein bisschen voreilig, sei Maradona da für mich eher auf einer Linie mit Boris Becker. Wimbledon-Sieg mit 17, die Spiele waren Straßenfeger, er hat einen Tennis-Boom ausgelöst (auch bei mir), aber dann? Ein langsamer, stetiger Niedergang, bis heute (Muss seine Mutter jetzt eigentlich aus der Villa raus, die Papa Becker noch gebaut hat?).

Jedenfalls wurde meine Frau an der Stelle ziemlich unnachgiebig. Die beiden könne man ja wohl kaum miteinander vergleichen. Und warum ich Menschen kein Scheitern zugestehen würde!? Ich erwiderte, das täte ich ja, natürlich könnten Menschen Fehler machen (ich mache ja selber ständig welche). Aber für mich verdienen vor allem die Menschen Bewunderung, die trotz ihres Erfolges und ihrer Bedeutung eben nicht abdriften, sondern ihr Leben weiterhin im Griff haben. Oder nach einer Krise umso stärker zurückkommen. Klar, die gebrochene Biografie ist immer interessanter. Genie und Wahnsinn, Selbstmord mit 27 usw., wissen wir alle. Doch ich bewundere Menschen, die Großes erreichen und trotzdem weiterhin funktionieren, gute Eltern, Freunde und Partner sind, die vielleicht noch etwas für die Gesellschaft tun. Ich glaube eben, es ist schwieriger, über lange Zeit ein verlässliches Licht zu sein als über kurz oder lang in Flammen aufzugehen.

Aber natürlich funktionieren „Legenden“ anders. Und ich muss sagen, ich habe da auch zwei Begriffe vermischt: Legende und Held. Mir ist das klar geworden, nachdem ich jetzt nochmal eine Doku über Maradona gesehen habe. Ich kannte natürlich die Geschichten: die Nicht-Nominierung bei der WM 1978, das frühe Ausscheiden (mit der Roten Karte) gegen Brasilien 1982 und dann die WM 1986, das Viertelfinale gegen England, in dem er die zwei wichtigsten Tore seine Karriere schießt. Im selben Spiel! Das „Hand-Gottes“-Tor (die Poetisierung einer groben Unsportlichkeit) und dann das Solo über den ganzen Platz, das alle Zweifel beseitigt. Mir war das alles noch bewusst, jedoch nicht mehr der zeitliche Zusammenhang: dass Argentinien und England vier Jahre zuvor gegeneinander Krieg geführt hatten (obwohl der Falkland-Krieg im geheimen Tagebuch von Adrian Mole auch Thema ist – die Reihe feiere ich gerade mal wieder richtig). Dass der Sieg gegen England im Prinzip ein ganzes Land emotional befreite. Maradona war Seelenheil, nicht nur für seine argentinischen Landsleute, auch für Neapel, eine zerstrittene Stadt, die er durch den ersten Meistertitel seit was-weiß-ich-wieviel Jahren wieder zusammenführte – und die ihn danach mit ihrer Liebe erdrückte.

Und insofern war er – über sein gesamtes Leben betrachtet – vielleicht kein klassischer Held, dafür war die zweite Hälfte m.E. zu tragisch, aber mit der Bedeutung für sein Land, mit diesem poetisch-prägnant geführten Kampf gegen England, ja, mit dieser hinzu gedichteten religiösen Komponente (die „Hand Gottes“) und letztlich der Tatsache, im vielleicht wichtigsten Spiel seines Lebens seine größten Fähigkeiten auf dem Platz zu verwirklichen … das ist natürlich legendär.

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Ansonsten? Ist meine Mutter ein bisschen lustig …

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Zuvielisation

Die Anti-Corona-Demos in Leipzig. Dieser amerikanische (Alb-)Traum von (Ex-)Präsident, die zunehmende soziale Ungerechtigkeit, der allgemeine Rechtsruck, die allgemeine Tristesse, die neue Perspektivlosigkeit. Der November 2020 birgt Herausforderungen.

Vor ein paar Tagen erzählte ein hohes Tier vom NDR im Radio, Journalisten müssten aufpassen, dass sie die Welt, wenn sie über sie berichten, nicht immer – bewusst oder unbewusst – in Schwarz und Weiß aufteilten. Sonst erscheine bald alles auch nur noch Schwarz oder Weiß. Ich denke, ja, stimmt, aber Grautöne und Schattierungen helfen im November ja auch nicht so richtig weiter.

Ich habe in den letzten Tagen viel mit meiner klugen Frau gesprochen und werde selber versuchen, wieder ein bisschen mehr Freude und Farbe zu versprühen. Die Gräben, die sich auftun, nicht noch tiefer zu zeichnen, sondern mit Kalauern zuzuschütten. Und mit Argumenten. Ohne erhobenen Zeigefinger. Auf Augenhöhe. Von Herzen.

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Ich schneide diese Woche bei Studio Hamburg, zum ersten Mal in meiner nun doch schon recht lange andauernden TV-Karriere. Und ganz grundsätzlich habe ich hier den ganzen Tag nur mit netten Menschen zu tun. Was erstaunlich ist, weil alle ihre kleinen Sorgen mit sich herumtragen. Und weil die Stadt, wenn man aus dem Fenster blickt, (zumindest hier) potthässlich ist. Weil eigentlich alle jeden Grund hätten, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. Aber sie tun es nicht. Weil der Mensch in der Lage ist, sich menschlich zu verhalten. Mitmenschlich! Weil das Handeln des Einzelnen im Alltag normalerweise nicht Ausdruck von Gier oder dem Streben nach Macht ist. Sondern der Versuch, mit anderen Menschen klarzukommen. Gemeinsam zu einem Ergebnis zu kommen und dabei womöglich sogar ein bisschen Spaß zu haben. Das ist nicht immer leicht, aber es macht das Leben leichter, wenn es ansatzweise gelingt.

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