Diss-Kurse

Hab heute morgen auf dem Weg zur Arbeit auf NDR-Kultur einen Kommentar zur „cancel culture“ gehört. Also, zu der Tendenz, dass hierzulande umstrittene (die Autokorrektur von Notizen schlägt mir „unstrittige“ für „umstrittene“ vor – WTF?) Künstler eher ausgeladen und entsprechende Veranstaltungen eher abgesagt werden, anstatt sich mit anderen, anstößigen oder gar rassistischen Meinungen (z.B. rechten Verlagen auf Buchmessen) kritisch auseinanderzusetzen.

Einer der NDR-Redakteure hat sich sehr offen dafür ausgesprochen, dass es gut sei, diese Konflikte immer auszutragen, also z.B. rechte Verlage zuzulassen und Verschwörungstheoretiker nicht auszuladen.

Ich glaube nicht, dass das so einfach ist. Ich glaube auch nicht, dass man das pauschal beantworten kann. Ich glaube, dass es auch einen Unterschied macht, ob man z.B. einer umstrittenen Band eine Festival-Bühne zugesteht, wo das Publikum sich dann eben auch so goebbelsmäßig einfangen lässt, oder ob man explizit ein diskursives Streitgespräch einberuft. Dann sollte man jedoch drauf achten, dass der Gastgeber auch in der Lage ist, den umstrittenen Gast kritisch zu hinterfragen, bzw. die umstrittenen Thesen auch als solche zu entlarven. Andererseits ist das Risiko, dass sowas nach hinten losgeht, m.E. viel zu hoch – und es wäre dann im Zweifel besser, in schwierigen Zeiten bestimmte Themen noch eine Weile in der Tabuecke zu lassen, bis wir Demokraten in der Lage sind, stets und in jeder Situation die besseren Argumente zu liefern. Oder der Großteil der Bevölkerung wieder zur Besinnung gekommen ist.

Mit 17 hat man noch Träume …

Mein jüngster Sohn wird morgen 17. Mit 17 hat man noch Träume, schrieb meine Mutter eben. Mit (fast) 47 übrigens auch, möchte ich an dieser Stelle hinzufügen. Mein Traum wäre, dass Corona aufhört (also, der Virus, nicht die Vorsicht deswegen und die Maßnahmen dagegen), dass meine Liebsten gesund bleiben (vor allem die Alten), dass wir das Leben nicht immer so schwer nähmen, obwohl es manchmal schwerfällt, das eben nicht zu tun, wenn man sieht, was da draußen los ist. Hab mich eine Woche lang geweigert, über diese rechte Reichstagsstürmung zu schreiben, aber das macht sie ja nicht ungeschehen, nur weil ich nicht darüber schreibe. Über den „Mob“ oder „die Masse“ gibt es ja viele Abhandlungen, ich verstehe nur nicht so ganz, warum sich so viele darüber wundern, dass scheinbar „normale“ Menschen Seite an Seite mit Rechtsextremen auf die Straße gehen. Das passiert ja nicht zum ersten Mal. Man kann von einer heterogenen Masse nicht verlangen, dass sie auch differenziert reagiert, so paradox das klingt.

Jetzt wird ein sofortiger Sicherheitsgraben vor dem Parlament diskutiert. Kann ich verstehen. Sieht blöd aus, aber was soll’s? Um den Eiffelturm steht schon seit geraumer Zeit eine Panzerwand aus Plexiglas. Nützt ja nichts. Der Terror war immer schuldig, aber jetzt hat er auch noch seine Unschuld verloren. Nein, so kann man das nicht sagen, aber ihr wisst, was ich meine. Früher reichten eine Smith&Wesson oder ein Maschinengewehr, ein Brandsatz oder ein Messer. Aber jetzt heißt es eben auch in Sicherheitsfragen: Denken Sie groß!

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Man muss in diesen Tagen – mehr, denn je – aufpassen, dass man nicht vergisst, das Positive zu sehen: Ja, die Demokratie ist gefordert, aber, hey, wir haben wenigstens noch eine. Und sie funktioniert sogar. Ja, jetzt wird der Jüngste schon 17, aber, hey, wir haben es mit vereinten Kräften und günstigen Sternen geschafft, dass aus dem Jungen ein gesunder, toller Kerl geworden ist. Ja, die Äpfel an unserem kleinen Apfelbaum auf der Terrasse schmecken nicht, aber, hey, endlich trägt er mal welche. Und so viele! Und, ja, mich strengt mein Job oft an, aber, hey, er ist auch interessant. Mein neuestes Recherche-Thema lautet: David Bowie, mehr muss ich ja wohl nicht sagen. Darf ich auch (noch) gar nicht.

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Und auch die Neben-Projekte machen Spaß. Aktuell sitze ich abends immer noch zwei, drei Stunden am Schreibtisch und kümmere mich um das Schlusslektorat für das Buch von Ina Bruchlos, das wir bei mta bald herausbringen werden. Und obwohl ich die Geschichten schon kenne, hatte ich nochmal sehr viel Spaß beim Lesen. Was für ein unterhaltsames, kluges Buch …