Why nachten?

IMG_0894

Wie schön, endlich ein bisschen Zeit mit seinen Liebsten zu verbringen. War gestern mit meiner Freundin an der Ostsee, heute haben wir ein Pferdegatter repariert. Ich glaube, ich bin ein Typ, der jeden Tag ein kleines Projekt braucht. Deswegen ist mein literarischer Output auch nicht so hoch wie bei, sagen wir mal, Goethe. Weil ich, bevor ich mich in Ruhe an einen Text setzen kann, erstmal das Regal anbohren muss, die alten Bücher aussortieren, den Schrank aufräumen. Ehrlich, ich brauche eine gewisse äußere Ordnung, bevor ich das innere Chaos angehen kann. Außerdem liebe ich es, Ergebnisse zu sehen.

IMG_0901
Mit rudimentären Mitteln und ohne Strom repariert …

Ich könnte den ganzen Tag damit verbringen, kleine Dinge in Stand zu setzen. Dann eine Tasse Kaffee trinken und zwei Gedichte schreiben. Oder eine Songzeile. Oder ein Bild anfangen. Kann nicht verstehen, dass manche Menschen nichts mit ihrer Zeit anzufangen wissen. Oder mit ihren Händen. Oder mit ihrem Leben.

Wieder Geburt

IMG_0849

Bin heute geboren worden. Vor 42 Jahren. Jetzt kann ich wirklich mit Fug und Recht (Woher kommt die Redewendung eigentlich?) behaupten, die Hälfte sei geschafft. Andererseits ist das schon optimistisch gedacht. Erinnere mich daran, dass ich als Student mal ein Lied von Reinhard Mey gehört hab, das sinngemäß hieß: 50 – jetzt schon? und damals eine Ewigkeit entfernt schien. Nun nicht mehr so sehr.

Hab jetzt Urlaub. Endlich. Die letzte Woche war noch mal ziemlich stressig. Bin jemand, der einen leeren Schreibtisch hinterlassen muss. Ist in meinem Job ohnehin schwer genug. Man schleppt immer etwas nach Hause. Da hat die Weihnachtsstimmung kaum eine Chance. Hab zum Trotz einen Elektrobaum im Büro brennen lassen. Zeichen setzen. Punkte machen.

IMG_0807
Wenn das die Haustechnik gesehen hätte …

Dann am Freitag die Glücksbringer geholt und groß eingekauft. Fast die ganze Familie war heute da. Zum Geburtstagsbrunch. Relativ spontane Idee. Aber die beste seit langem.

Es ist leider wirklich ein bisschen so wie in dem Ikea-Spot, wo es regnet und das Essen misslingt, aber es dennoch ein schöner Weihnachtsabend wird, einfach weil die Familie zusammenkommt. Wir hatten zwar keinen Regen, aber es war 20 Grad zu warm für die Jahreszeit. Hoffentlich ein Ausrutscher. Sonst müssen wir irgendwann der Kälte hinterherziehen. Ich brauche meine vier Jahreszeiten, sonst verliere ich die Orientierung. Ansonsten war alles perfekt. Volles Haus, voller Kühlschrank, bezaubernde Kinder und eine Freundin, die sagt, selbst die „schlechteren Zeiten“ mit mir seien besser als (vermeintlich) gute ohne mich. Höher kann ein Typ wie ich im Leben nicht mehr hinaus. Höher kann kein Typ hinaus. Ein einziges Geschenk.

Ja, der formale Erfolg lässt vielleicht noch auf sich erwarten. Aber was bedeutet das schon? In der aktuellen BUNTE wird der Autor Michael Nast gefeiert.

IMG_0822

Mit dem habe ich mal vor ein paar Jahren auf einer gemeinsamen Lesung in Frankfurt Wodka getrunken. Jetzt ist er bekannt, mit Büchern wie „Generation Beziehungsunfähig“ oder „Ist das Liebe oder kann das weg?“ Sehr respektabel. Aber ich glaube, ich blogge dann doch lieber im Verborgenen und freue mich heimlich über kleine, schmutzige Nebensätze, die streuen und nicht abzielen.

Ich freue mich auch auf das nächste Jahr. Werde aber auch die Augen offen halten. Nicht, dass es uns so ergeht wie den Polen, die erst eine komische Regierung wählen, sich kurz darauf verwundert die Augen reiben, um dann gegen die neu gewählte Regierung zu protestieren. Das sollte uns eine Warnung sein. Mit Wahlen spielt man nicht.

IMG_0818
Let the Keksdose speak. Hab das Bild mal aus der taz ausgeschnitten. Dank an den unbekannten Designer.

und ich dachte

Hat nach über 20 Jahren ihren Geist aufgegeben. Fest steht: Die neue wird nicht so lange halten.
Hat nach über 20 Jahren ihren Geist aufgegeben. Fest steht: Die neue wird nicht so lange halten.

Heute Morgen hab ich an unserem Bahnhofskiosk noch einen Kaffee und ein Croissants gekauft, da bestellte neben mir jemand zwei kleine Jägermeister, so ein ganz normaler Typ, ein Monteur oder Handwerker, offenbar auf dem Weg zur Arbeit, und ich dachte, okay, das ist schon krass, wenn du morgens erstmal Sprit tanken musst, damit der Motor auf Touren kommt – oder ruhig läuft, je nachdem.

Als ich dann die Rolltreppe am Hauptbahnhof hochfuhr und am Saturn entlangging, rannte so ein hagerer, grauer, alter Mann im Stechschritt an mir vorbei und pfiff dabei ganz laut, aber mit starrer Miene: „Lasst uns froh und munter sein“, und ich dachte: Ja, dann mach doch.

Auf der anderen Straßenseite unterhielt sich vor dem Kaufhaus eine junge Frau im Business-Outfit mit einem Obdachlosen, der sich mit seinem knappen Hab und Gut in eine windgeschützten Nische zurückgezogen hatte. Als ich fast bei ihnen war, verabschiedeten sie sich gerade. Sie sagte: Tschüss, und nannte seinen Namen. Darauf er: Viel Spaß heute. Und sie: Ja, Dir auch, und ich dachte: Hä? Dir auch?

Das Leben ist schön, bunt, wild, faszinierend unfassbar, mitunter hart und grausam, aber allemal komplex. Hab mir vorgenommen, was die Komplexität betrifft, an meiner Einstellung zu arbeiten. Bin ja (wie viele andere auch) manchmal genervt, wenn wegen des Jobs die Kunst leidet oder die Familie, oder wenn die Spülmaschine kaputtgeht (s.o.) oder der Dachdecker den Grund für den nassen Fleck in der Wand nicht sofort findet. Aber jetzt hatte ich – extra kurz vor Jahresschluss – nochmal so eine Woche mit Zahnarzt und TÜV, und das ist eine interessante Analogie, weil man bei beiden Terminen mit viel Hoffnung vorfährt und, gerade wenn Gebiss und Getriebe (Zahn(!)räder) jetzt nicht mehr die jüngsten sind, doch jedes Mal enttäuscht wird. Anders gesagt: Automechaniker und Zahnärzte finden immer was. Doch diesmal ging beides glimpflich ab. Poröse, kleine alte Zementfüllung im Weisheitszahn und poröses Traggelenk vorne links – no big deal. Und darüber habe ich mich gefreut, weil ich mich auch gut um beides gekümmert habe. Weitsichtig agiert. Nachhaltig gedacht. Abgesehen davon, dass der alte Elch an sich natürlich eine Umweltsünde ist. Hab heute beim Mittagessen einen interessanten Artikel in der taz darüber gelesen, wie sehr unsere deutsche „Vereinzelungsgesellschaft“ auf die Klimabilanz drückt. 40 Prozent aller Deutschen wohnen alleine, und jeder hat einen eigenen Fernseher, Computer, eine Kaffeemaschine und ein eigenes Auto. Und das alles verbraucht natürlich viel mehr Energie als zu Zeiten der Großfamilie, und ich dachte, ich möchte da nicht unbedingt hin zurück, aber „Vereinzelungsgesellschaft“ klingt auch irgendwie gruselig.

Un-Wucht

Jetzt ist auch Frankreich nach rechts gerückt. Das Problem ist: Wenn alle Länder nach rechts rücken, gerät die rotierende Welt in eine Unwucht – wegen der „unsymmetrischen Verteilung der Massen“ (Duden). Deswegen klopfen die Mechaniker in der Werkstatt beim Reifenwechsel mitunter so kleine Gewichte an die Felge, das nennt man „Auswuchten“. Weil die Unwucht zu unruhigem Laufverhalten des Rades und im Extremfall sogar zu Schäden an der Achse führen kann. Man kann nur hoffen, dass die amerikanischen Wähler keinen Scheiß bauen.

Letzte Woche haben sich irgendwelche Idioten bei Facebook über einen Adventskalender ausgelassen, weil darauf angeblich eine Moschee abgebildet sei. Ich habe genau diesen Kalender meiner Freundin vor zwei Jahren zum 1. Advent geschenkt. Und werde es auch wieder tun.

lindt1

Im Ernst, wir müssen langsam mal an die Software unserer Gesellschaft. Unser Betriebssystem updaten. Da verselbständigen sich gerade rechte Viren und Trojaner. Vielleicht reicht es im Einzelfall auch aus, kleine Gewichte an die Unwuchten hängen, z.B. in Form von Büchern. Vielleicht nicht gerade „Mein Kampf“, sondern Bücher, die die (Mit-)Menschlichkeit fördern. Apropos, dass das Hitler-Hatebook ausgerechnet dieses Jahr wieder „frei“ kommt, ist natürlich auch symptomatisch. 70 Jahre. Vielleicht ist das, ob wir wollen oder nicht, auch die Halbwertzeit für Völkermord, bzw. für die Schuldgefühle deswegen.

Das haben wir ja auch damals festgestellt, als wir mit Manuel Möglich „Deutschland von außen“ gedreht haben. Dass (fast) alle deutschstämmigen Ausländer (Brasilianer, Namibier, Rumänen oder Letten), die wir gefragt haben, sich einig waren, dass Deutschland genug gebüßt habe und endlich wieder nach vorne blicken solle. Ich glaube nicht, dass „wir Deutschen“ wirklich gebüßt haben. Oder Reue gezeigt. Die meisten haben einfach nur die Fresse gehalten. Und sind jetzt froh darüber, dass sie sie wieder aufreißen können.

Prim (e) aten

primeat

Dass unsere Poststelle nicht die ganzen ankommenden Privatpakete der Kollegen bearbeiten kann, leuchtet mir absolut ein. Und dass wir stattdessen die Möglichkeit haben, uns in dem coolen Kiosk unten im Haus für eine Packstation registieren zu lassen, finde ich sogar richtig praktisch. Dass ich deswegen jetzt allerdings nicht nur Teil eines riesigen Erfassungsvorganges, sondern auch noch in den Besitz einer (weiteren) völlig unnötigen, Ressourcen fressenden Plastikkarte gekommen bin …. herrjemine. Klar, die wollen mir mit diesem goldenen Mist suggerieren, dass ich irgendwie „prime“ bin, aber … herrjemine! Und nochmal: Herrjemine!

Nacht(r)ag zu gestern

Hab eben kurz meine Mutter am Hauptbahnhof getroffen. Sie war auf der Durchreise von München und hatte eine halbe Stunde Aufenthalt. Hab ihr etwas Vitaminsaft besorgt, die Koffer getragen und sie in den richtigen Zug gesetzt. Hätte sie auch alleine hinbekommen, doch ich habe es gerne gemacht.

Will sagen: Dieses Eltern-Thema leuchtete auch schon vor dem Edeka-Spot auf meinem Schirm. Hängt, glaube ich, auch mit meiner Teilzeit-Vaterschaft zusammen. Dass ich schon bei meinen Söhnen gelernt habe, die Zeit, die man hat, so gut es geht zu nutzen und nicht achtlos verstreichen zu lassen, weil man meint, man hätte ja noch so viel davon.

Letztes Wochenende war Adventsbasar an der Schule, und das Mittelstufenorchester hat „Es ist ein Ros entsprungen …“ gespielt. Wir Eltern haben dazu gesungen. Da kam bei mir das erste Mal Weihnachtsstimmung auf. Einfach nur schön. Fast zu schön. Der Schriftsteller denkt ja immer das Drama, und plötzlich dachte ich, das wäre auch der perfekte Schluss für ein episches Untergangsszenario. Draußen versinkt die Welt im Terror und im Smog und drinnen singen die Familien „Es ist ein Ros entsprungen …“. So wie die Band in dem einen Titanic-Spielfilm, die bis zur letzten Sekunde weiterspielt, bevor das Schiff schließlich untergeht.

Nein, im Ernst, das kleine Schulkonzert war ein großer Anlass zur Hoffnung.

Deswegen hier, wie jedes Jahr um diese Zeit, nochmal mein Lieblingsweihnachtsvideo der Band „Erdmöbel“. Diesmal allerdings mit einer neuen Zusatzinfo: Maren Eggert, die Duett-Partnerin von Markus, hat am Sonntag im Tatort die entführte Freundin von Kommissar Borowski gespielt. Spannend, oder?

Dschungel bells

Heute sogar der „Gewinner“ in BILD – der neue Weihnachtsspot von Edeka. Meine Freundin hatte ihn mir am Sonntag schon gezeigt. Gut gemacht, große Gefühle auf knapp 2 Minuten, und das Thema trifft natürlich voll den Nerv. (Groß-)Eltern besuchen oder nicht? Ist dafür dieses Jahr Zeit? Hat man mit der Organisation der eigenen Familie und den Kindern nicht schon genug Stress? Und dazu die letzten Dinge, die vor Weihnachten noch im Job erledigt werden müssen. Alles, wie immer, unter Hochdruck bis zur letzten Minute. Wann kommt denn endlich Weihnachtsstimmung auf?
Diesen inneren Zwiespalt kennen wir wohl alle. Und die dunkle Ahnung, dass „Familie“ eigentlich die alle Familienmitglieder umfasst und die Eltern eben auch nicht ewig leben, kennen wir genauso gut. Und das schlechte Gewissen, wenn man sich gegen den Besuch entscheidet, weil man sich einredet, das nächste Weihnachten werden sie wohl noch da sein, ebenso. Meistens liegt man mit dieser Einschätzung ja auch richtig. Aber der Spot führt uns gut vor Augen, wie es uns ergehen würde, in dem Jahr und in der Sekunde, da wir realisieren, dass wir uns geirrt haben. Dass uns die Zeit manchmal einholt. Oder wir sie. Wenn uns das Schicksal einen Strich durch die Rechnung macht. Dieses Gefühl der Hilflosigkeit und der Erkenntnis, (jahrelang) die falsche Entscheidung getroffen zu haben.
All das führt uns der Spot (Anm.: im Übrigen eine Werbung, die so erfolgreich ist, dass bei youtube Werbung vor die Werbung geschaltet wird – super Thema für eine Abschlussarbeit) sehr eindrucksvoll vor Augen. Aber das Spannende ist: Er wird in den meisten Fällen an der Entscheidung – zumindest da, wo sie noch nicht getroffen ist – letztlich nichts ändern. Denn das ungute Gefühl haben wir ohnehin. Und eigentlich wissen wir um das „tödliche Risiko“. Und wir spielen mit diesem Risiko, weil wir vor der Komplexität des Alltags kapitulieren. Anders ausgedrückt: Wir sehen trotz der ganzen (kranken) Bäume zwar den Wald, doch das Leben ist ein Dschungel (zumindest glauben wir das). Und deswegen müssen wir sogar mit diesem Risiko spielen, weil wir nicht anders können (zumindest glauben wir das). Weil die Kraft, die es kostet, eine richtige Entscheidung zu treffen, von immer weniger Menschen aufgebracht werden kann. Oder? Irre ich mich!