Verbindung unterbrochen

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Das Problem, wenn man längere Zeit nicht zum Bloggen kommt, ist, dass natürlich trotzdem ganz viel passiert. Vor allem ganz viel von dem üblichen Scheiß da draußen. Aber heute ist der Tag gekommen, an dem ich mir mal wieder die Zeit nehmen muss, ein paar Zeilen zu schreiben.

gewitter

Man hätte heute Morgen schon darauf kommen können, dass irgendwas passiert, angesichts des Weltuntergang-Szenarios, das sich da vor dem Fenster auftat. Dann ging der Sturm los, es klarte wieder auf, ich freute mich, morgens noch den Sonnenschirm eingeklappt zu haben, und dann traf mich die Nachricht wie ein Schlag:

Gunter Gabriel ist tot.

Nach unserer Zusammenarbeit für den NDR, vielen netten Abenden, die als Arbeit begannen und als Vergnügen endeten, mit ihm und meiner Freundin, einer kleinen Zwischendurch-Hoffnung, dass er einen Song von mir interpretieren und ich endlich reich würde, bis zu der aufrichtigen Sorge am Ende, als er in den Dschungel zog: Der Verlust ist groß! Es bewegt mich sehr …

… und kam tatsächlich überraschend. Wir haben vor vier oder fünf Wochen noch telefoniert, als ich in Harburg vor seinem Hausboot stand, und er wieder einmal in Berlin war, aber voller Tatendrang und Kraft in der Stimme. Dass die nun für immer verstummt ist, erscheint unfassbar. Keine schrägen Sprüche mehr, keine Anekdoten (die man zum X-ten Mal hört, aber egal), keine Zoten und keine verrückten Telefonnachrichten mehr.

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Alles schwer zu glauben, auch wenn man jetzt sieht, dass alle Redaktionen offenbar schon fertige Nachrufe in den Schubladen liegen hatten. Ja, Herzinfarkt, Schlaganfall, Tonnen von Medikamenten (ich war häufig live dabei, wie er über die „Scheiß-Pillen“ geschimpft hat), am Ende dachte ich trotzdem (oder gerade deswegen): Gunter, das Unkraut vergeht nicht. „Mein Kadaver ist noch nicht kalt“, pflegte er immer zu sagen, und so war es auch. Kalt war kein Aggregatzustand für Gabriel.

Gabriel

Ruhe in Frieden, Du großer, manchmal etwas plumper, naiver Mann. Grüße an Johnny Cash, sei nicht enttäuscht, wenn er sich nicht sofort an Dich erinnert. Du warst sicher ein größerer Fan von ihm als er von Dir. Aber solche Kleinigkeiten spielen jetzt keine Rolle mehr.

Rückzugsgedanken

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Habe auf dem Rückweg von Sankt Petersburg das Buch von Mirko Bonné, „Nie mehr Nacht“ durchgelesen. Toll. Hatte seltsamerweise das Gefühl – jedenfalls an ein, zwei Stellen – dass er Jugendstil von mir gelesen haben muss, vor allem an einer Stelle, wo er den „jungen Belmondo“ erwähnt. Wie dem auch sei, es wäre mir eine Ehre. Ein Satz hat mir besonders gut gefallen (siehe Foto oben, letzter Satz).

Ansonsten gehen auch meine Tage hier in Russland wieder dem Ende zu. Ohne, dass es sich wie ein Ende anfühlt, weil ich ja noch ein paar Mal wiederkomme. Bin beinahe  genauso ein moderner Pendler wie meine Protagonisten. Und ich lerne wirklich dazu und -kennen und -schätzen. So werde ich versuchen, meiner Freundin irgendwann einmal das Soul Kitchen Hostel zu zeigen (siehe Foto oben).

Und ich sehe Russland jetzt nach meiner zweiten Reise wirklich mit anderen Augen. Verstehe langsam, warum das Volk Putin anders bewertet als der Westen. Weil es lieber vergleichsweise stabile Verhältnisse und volle Regale hat als einen demokratischen Rechtsstaat, wie wir ihn kennen. Das russische Volk hatte noch in den Neunzigern existenzielle Probleme. Es herrschte Chaos, was übrigens viele skrupellose Unternehmer für sich zu nutzen wussten. Aber mein Kameramann hat mir heute erzählt, dass er damals manchmal den halben Tag damit zugebracht hat, Lebensmittel zu beschaffen, um sich abends etwas Vernünftiges kochen zu können. Heute ist es für viele anders. Es gibt Coffee-Shops, ja, es gibt bei den meisten Dingen endlich eine Auswahl(!), und so sind die meisten Menschen, die auch die anderen Zeiten erlebt haben, froh, dass sie heute ein Leben führen können, dass wir – seit vielen Jahrzehnten –  als „normal“ bezeichnen.

Es ist ein bisschen so, wie ich mal über die so genannten „Wirtschaftsflüchtlinge“ gesagt habe: Wenn ich wüsste, dass es irgendwo ein Land gibt, wo ich viel besser für meine Kinder sorgen könnte, würde ich auch dorthin gehen. Vielleicht sogar über Leichen …

Nie mehr Nacht

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Drehschluss für heute. Bin wieder  für das Schweizer Fernsehen in Russland unterwegs.  Läuft alles ganz gut, ist aber, wie immer, ganz schön anstrengend. Habe mir dieses Mal endlich mal wieder ein Lese-Buch mitgenommen: Nie mehr Nacht, von Mirko Bonné. Bin total begeistert. Und hatte heute Morgen die Situation, dass ich aus meinem Alltagsstress immer noch in eine Situation flüchten kann, die der Autor in seinem Roman beschreibt. Wenn das keine dichterische Leistung ist Pünktchenpünktchen.

Cool: Die Spracherkennung macht aus „…“ tatsächlich „Pünktchenpünktchen“. Das ist einen eigenen Absatz wert.

Mein Herz ist zu jung

für den Rest von mir

bin tausendundeiner

und einen Groschen

für die Gedanken

der Stewardess

Und dann drehst du den lieben, langen Tag in Sankt Petersburg und plötzlich steht da ein Wohnwagen am Straßenrand, der dich daran erinnert, wo du herkommst. Zufall? (1. Bild)