Gelbe Engel

Es ist ein alter Hut, dass man in den Sozialen Medien immer nur Ausschnitte aus seinem Leben zeigen kann. Und dass man mit der Auswahl dieser Ausschnitte draußen einen Eindruck erwecken kann, der mit den inneren Wirklichkeiten (Freunde einer konstruktivistischen Lebenssicht sprechen lieber von Wirklichkeiten als von Realität ;-) mitunter kaum deckungsgleich ist.

Bei uns ist das im Moment etwas anders. Die Tage sind wirklich so (ertrag-)reich, wie sie erscheinen. Und, ja, wir waren jetzt zwei Samstage hintereinander auf einem tollen Konzert. Gestern Abend im DOCKS bei den H-Blockx, freundlicherweise auf Einladung meines alten Kumpels Gudze, weil ich tatsächlich auch zu spät dran war mit Tickets besorgen.

War ein super Abend! Die H-Blockx sind einfach eine richtig gute Band, mit einer tollen Song-Vergangenheit, und auch wenn wir uns, glaube ich, ALLE etwas gewundert haben, dass die erste Platte jetzt ihren 30. Geburtstag feiert (in Worten: dreißig), klang es trotzdem fresh und jung und energiegeladen. Und es ist immer eine Freude, Gudze zu treffen, ein super Typ, lustig, clever und, vor allem, bescheiden, obwohl er schon als junger Mensch ein paar zeitlose Riffs erschaffen hat, die damals wirklich jeden Arsch in Bewegung gebracht haben.

Ansonsten war unter der Woche auch in der Firma einiges los. Folge 1 unseres True Crime Talks (ich berichtete) ist jetzt am Freitag (erstmal im Memberbereich) auf Sendung gegangen. Und auch wenn ich gedanklich schon wieder im nächsten Projekt bin, verspürten meine Liebste und ich hier wegen unserer Doppel-Moderation doch eine kleine, familiäre Nervosität. Wir haben uns den ganzen Kram dann Freitagabend draußen auf der Terrasse noch einmal auf dem Handy angeschaut … und finden es gut. Vor allem den Look.

Uiiiuiiiiuiii

Wir haben alle unser Bestes gegeben und m.E. das Optimum herausgeholt. Hoffen wir, dass es die True Crime Community zu schätzen weiß.

Habe außerdem die Cohen-Serie zu Ende geguckt. Diese Liebesgeschichte mit Marianne, diese Sehnsucht um künstlerische Anerkennung, der manische Drang zu schaffen, der Kampf mit den Depressionen, das Problem mit der konservativen Mutter – wenn das alles einigermaßen „wahr“ ist (noch so ein konstruktivistisches Lieblingswort), dann muss man sagen, war das für Cohen (und seine, ihn liebenden Mitmenschen) keine leichte Zeit. Und es hat mich demütig gemacht. Vielleicht, weil mir die krassen Depressionen erspart geblieben sind, vielleicht, weil ich einen Lebensunterhalt verdiene, aber sicher, weil meine Beziehung stabil ist. Obwohl ich (immer noch) verstehe, wie jemand sein Leben faktisch der Kunst opfern kann. Mit Haut und Haaren. Und ich habe wieder Lust bekommen, Gedichte zu schreiben.

Danke, NDR

Natürlich macht mir auch die allgemeine Lage zu schaffen, die Sorge um die Zukunft unseres Planeten, wenn ich an unsere Jungs denke; der ganze Wahnsinn, den bestimmte Politiker auf der ganzen Welt verzapfen – direkt und indirekt. Bewusst und unbewusst. Auf der anderen Seite versuchen wir, jeden Tag zu genießen und unsere eigenen Ressourcen im Blick zu behalten. Und einfach nett zueinander zu sein. In dem Sinne, dass man sagt, wenn alle so miteinander umgingen, gäbe es vielleicht weniger Leid auf der Welt. Ich bilde mir ein, manchmal zahlt das Leben das sofort zurück. Donnerstagabend habe ich nach dem Trommeln meine kleine Schwester angerufen, weil ich das Bedürfnis hatte zu hören, wie es ihr geht. Wir haben lange gesprochen, ich stand eigentlich schon vor der Tiefgarage, hab dann den Motor ausgemacht, aber das Licht angelassen, weil es schon dunkel war. Wir haben gequatscht und uns verabschiedet, ich sagte noch so, ich muss jetzt mal in die Garage … und dann war die Batterie leer. Aber – jetzt kommt es – der Mann vom ADAC war bereits nach 10 Minuten da, statt der in Aussicht gestellten 90 Minuten. Hammer. Netter Typ. Handschlag. Mein Auto gelobt („schöner 5-Zylinder“). Überbrückt. Batterie gecheckt, alles ok. Fertig. Wenn selbst solche Probleme keine werden, weiß man – es läuft im Großen und Ganzen.

Bert on the wire

Ein Samstag voller Geschichten über die Musik, mehr oder weniger, aber zumindest voller Leben. Waren morgens auf dem Markt, und da hätte ich beinahe – auf der Suche nach meiner Frau, die vor einem Schaufenster stehengeblieben war – eine ältere Frau übersehen und umgerannt. Im letzten Moment hielt ich inne, schaute sie an und entschuldigte mich aufrichtig. Dann kam meine Frau dazu, ich erklärte kurz die Lage und verschwand dann, um mir einen kleinen Kaffee zu holen. Als ich wiederkam, standen die beiden immer noch da, ins Gespräch vertieft, wobei meiner Frau eher die Rolle der Zuhörerin zukam. Die ältere Dame fragte, was wir so machten, wir antworteten (Filme fürs Fernsehen), daraufhin erzählte sie, ihr Vater sei Tonmeister gewesen und habe die Deutsche Grammophon mit aufgebaut, und sie habe als Schülerin eine Arbeit darüber geschrieben, wie der Ton auf die Platte kam. Und erst letztens sei sie von Studenten der Hochschule für Musik gefragt worden, ob sie dazu einen Vortrag halten könne.

Das war alles sehr nett und interessant und die Dame für ihr Alter noch superklar und rüstig. Schließlich sagte sie, es sei von mir so nett gewesen, dass ich sie so direkt angesehen habe, als ich mich bei ihr entschuldigte, das sei gar nicht mehr üblich, normalerweise werde sie wie alle alte Menschen immer übersehen, und ob wir ihre Arbeit mal anschauen wollten, also bei ihr zuhause, sie bekomme so wenig Besuch und ihr Mann und alle Freunde seien inzwischen gestorben ….

Das hat uns natürlich sehr nachdenklich gemacht. Wie soll man da reagieren? Also, klar, im Idealfall tauscht man Adressen aus und freut sich über eine neue Bekanntschaft. Aber ich schaffe es im Moment ja nicht einmal, meine eigenen Eltern angemessen in mein Leben miteinzubeziehen und schäme mich fast dafür.

Ich versuche das zu ändern.

Alles.

Wir waren dann abends in der Elbphilharmonie – The Notwist in klassischem Ambiente, mit tollem Lichtdesign und musikalisch aufregend wie immer. Ich denke immer, wenn ich The Notwist sehe, dass es das Beste sein muss, Musiker in so einer Band zu sein. Besser als Fußballprofi. Oder Bestsellerautor. Und dass es jetzt schwierig wäre, so einen Sound zu machen, weil es sofort nach The Notwist klingen würde.

Es gab nur ein Konzert vor vielen, vielen Jahren, das im Hinblick darauf, wie eine Band auf der Bühne Klangräume schaffen und sprengen kann, eine ähnlich hypnotisierende Wirkung auf mich hatte: Sophia im Knust.
Gibt es die eigentlich noch?
Der letzte Eintrag auf FB ist von 2022.

Das heißt allerdings nichts.

Überhaupt NICHTS.

Natürlich war ich dann gestern Abend nach dem Konzert noch ganz aufgekratzt. Hab dann zur Beruhigung in der ARD-Mediathek die Leonard Cohen-Serie „So Long, Marianne“ angefangen. Gefällt mir gut. Weil es u.a. auf einer Insel spielt, Hydra, die mich ein bisschen an Atrani erinnerte und sofort Sehnsucht in mir auslöste. Nochmal jung zu sein, von vorne anzufangen, der übliche Quatsch eben, der einem in den Kopf kommt, wenn die Nacht ihren dunklen, dumpfen Schleier auswirft ;-)

Außerdem wurde mir wieder einmal klar, was ich alles nicht weiß; dass Cohen tatsächlich nicht sofort Singer-Songwriter war, sondern als reiner Poet begann und erst die besagte Marianne ihm eine Gitarre gab, um ihn aus seinen Depressionen zu holen. Interessant.

Und dann fiel mir irgendwann (sehr spät) ein, dass Gunter Gabriel damals, als wir mit ihm für den NDR den „Hafencowboy“ drehten und ich die kleine Titelmusik zu dem 3-Teiler geschrieben hatte (s. Video), zu mir meinte: Ich brauche so einen Song wie „Bird on the wire“ von Leonard Cohen, nur auf Deutsch – denk mal drüber nach. „Bird on the wire“ war einer der ersten Songs von Cohen und entstand auf eben dieser Insel Hydra, das ist das eine, und das Gunter Gabriel meinte, ich könne ihm so einen Song liefern, ist das andere, da fehlen mir im Nachhinein etwas die Worte.

Allerdings – hab ich es ja auch nicht geschafft.