A B Flug

Gestern, 14 Uhr, Moskau, Ortszeit.

Zeit, den Abflug zu machen. Pfeife eine Abschiedsmelodie … auf dem letzten Loch, wohlgemerkt.

Habe acht Euro in zwei Bier investiert. Acht Euro, die mir niemals fehlen werden.

Flugzeuge fahren von links und rechts ins Bild, und das ist „oll“ und futuristisch zugleich. Wie wir Menschen, denke ich, wie wir Menschen. Und dazwischen, ein Hund ohne Herrchen, der Tank-LKW mit dem Gazprom Schriftzug, und ich denke SOFORT: Gerhard Schröder -und kann mir allmählich sehr gut vorstellen, wie man mit den Despoten dieser Welt an einem Tisch sitzen und sich verdammt wohlfühlen kann, obwohl man genau weiß, dass in dieser Sekunde in irgendeinem Scheiß-Hinterhofknast ein Oppositionsführer zu Tode gefoltert wird. Nicht, dass ich mich langsam damit abfinde, ich will nur sagen: es ist kompliziert.

A B Flug

Und auch wieder nicht …

Bin irgendwie froh, dass die Wort-Vervollständigungsfunktion meines Smartphones noch so ein Wort wie „allmählich“ kennt.

G weg

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Ich kann auch krasse Bilder …

Habe mir heute beinahe ein bisschen selbst das Leben gerettet. War nämlich Joggen im Gorkipark, weil ich hier kurz vor einem Bandscheibenvorfall stand, bzw. lag. Da macht sich der Stress dann doch bemerkbar, wenn man es nicht schafft, für körperlichen Ausgleich zu sorgen. Doch dann war ich eine Stunde laufen, habe ein bisschen Gymnastik gemacht, seitdem geht’s einigermaßen. Wahrscheinlich gehe ich morgen noch mal raus. Wäre ja blöd, wenn ich kurz vor dem Urlaub plötzlich flach läge. Die Zeiten sind allerdings auch turbulent. Komme mir vor wie ein Politiker oder ein Wirtschaftsboss, weil ich so viel unterwegs bin. In der Tat frage ich mich, wie unsere Kanzlerin das aushält. Sie ist ja auch nicht mehr die Jüngste.

Ich glaube, so viele Kilometer habe ich noch nie in einem Kalenderjahr abgerissen. Ich merke auch, dass mir die Schlagzahl zusetzt. Eine Galeere, die nie ankommt.

Und trotzdem: Der Job ist ein Privileg, gepaart (Gepard?) mit meiner Fähigkeit, mir in bestimmten Momenten die richtigen Themen ins Bewusstsein zu rufen. Hab mir ja vor Monaten Jean Ziegler ausgeliehen, mich das erste Mal nach längerer Zeit wieder etwas ausgiebiger mit Globalismus-Kritik auseinandergesetzt, mit all den Themen, die jetzt vor dem G20-Gipfel in Hamburg natürlich täglich durch die Medien geisterten.

Hab mir als Reiselektüre außerdem Goethes „Werther“ mitgenommen. Das geschah nicht nur aus einer Laune heraus, sondern hat eine Bewandtnis, und tatsächlich war das ein kleiner Handgriff, der nach und nach – und ohne, dass ich das vorausgeahnt hätte – alle Dimensionen gesprengt hat.

Warum?

Bin ja gerade fürs Thema Amok unterwegs, und der Werther-Effekt spielt da eine ganz wuchtige (wollte wichtige schreiben, aber wuchtige trifft´s besser) Rolle. Hab immer gedacht, im Werther bringe sich einfach jemand um, aber, nein, der Werther geht an einigen Stellen auch in die Argumentation, warum ein kühner Selbstmord nicht schlechter ist als ein mühsam durchlebtes Leben.

Die Amokforscher nennen das „kulturelles Skript“. Das ist im Prinzip ein Handlungsentwurf, den mir jemand vorlebt, den ich deswegen in mein Repertoire aufnehme, weil ich den Anderen als mir ähnlich empfinde. Anders gesagt: Auch ein Verbrechen kann Vorbildcharakter entwickeln. In dem Moment, wo ein Pkw in eine Menschenmenge rast, zieht er einen ganzen Konvoi Gleichgesinnter hinter sich her.

In Hamburg ist der G 20 Gipfel ziemlich mies verlaufen. Tierische Gewalt, große Verwüstung, schreckliche Bilder. Alle wundern sich darüber. Und lustigerweise schließt sich da am Ende der Kreis. Denn wenn alle diese Themen heutzutage am Ende etwas gemein haben (abgesehen davon, dass es natürlich ungleich schrecklicher ist, Menschen umzubringen als Autos anzuzünden), dann ist es der ungebrochene Wunsch nach Grandiosität und Aufmerksamkeit (ich bin kein Psychologe, und das ist reine Spekulation, aber womöglich waren diese Aspekte auch Teil der Motivation unseres Bürgermeisters, den Gipfel in Hamburg auszutragen).

Wer produziert die krassesten Bilder in der Öffentlichkeit? Denn die Medien suchen ja danach und zahlen entsprechend dafür. Und insoweit bewegen sich linke Gewalttäter (und womöglich auch so manch austeilender Ordnungshüter) letztlich wie jugendliche Amokläufer und Terroristen in dem Jagdmodus der „kalten Wut“, wie Psychologen das nennen, d.h. hochfokussiert, unemotional, gelenkt vom eigenen „Tunnelblick“. Weil sie sich, vereinfacht ausgedrückt, im Prinzip in einer Krise befinden.

Aufmerksamkeit ist momentan die höchste Währung, und um sie zu erzielen, sind nahezu alle Mittel recht, und die Grenzen zwischen gut und böse, clever und doof, lustig und ätzend verschwinden. Die Medien kontrollieren sich selbst, überprüfen sich selbst und gucken sich gegenseitig auf die Griffel, wer am neutralsten berichtet hat, aber wie soll das gehen wenn die ganze Welt darauf aus ist die krassesten Bilder zu produzieren. Und so gibt es eben Comedians, die lustige Schilder in die Luft halten und daraus auch schon wieder eine Aktion machen, und Blogger wie Moritz Neumeier, der bei seiner Tasse Kaffee letztlich zwar formal Distanz schafft und klare Worte findet, sich aber am Ende auch nicht zu doof ist, auf seine anderen Videos hinzuweisen und einen seltsamen Abgang zu inszenieren. Schade.

Was mich dann wundert, ist, dass sich alle wundern, dabei funktioniert das öffentliche Leben seit Jahrhunderten nicht anders. Politik ist von jeher symbolische Politik, und wenn man wirklich etwas kritisieren wollte, dann wäre es der Fluch der Öffentlichkeit, stets auf Symbole, Bilder, Gesten und weniger auf inhaltlichen Diskurs eingehen zu wollen. Oder zu können!?

Wenn man bei YouTube „Beatgeneration“ eingeben will, dann erscheint unter den ersten Treffen sofort „Beatrice Egli – Federleicht“. Und DAS ist symptomatisch. Ich bin kein großer Gregor Gysi-Fan aber ich hab ihn vor kurzem bei Markus Lanz gesehen, und da hat er eine „soziale Wende“ gefordert, und meinte dabei insbesondere das Bildungssystem. Das hingegen würde ich sofort unterschreiben. Alle guten Ideen, die die Zivilgesellschaft und die Aufklärung notiert haben, funktionieren nicht ohne Bildung, im Gegenteil, dann schlägt uns das irgendwann alles wie ein nasses Handtuch ins Gesicht.