Wort. Schöpfung.

Bin heute geboostert worden. Gute Sache, schreckliches Wort. Muss Anfang Januar auf Dienstreise, deswegen bin ich in der Firma – gewissermaßen auf eigenes Risiko – früher als empfohlen aufgefrischt worden, meine 2. Impfung ist nämlich erst vier Monate her. Aber der Arzt meinte ganz richtig, in England würden sie schon nach drei Monaten boostern, also habe er da keine Bedenken. Und ich muss sagen, ich lebe lieber mit dem Risiko einer verstärkten Impfreaktion als nicht-beboostert mit hunderten anderen Passagieren aus aller Welt auf zwei Langstreckenflüge zu gehen.

Die Impfung ist ein Riesenthema gerade. Leute radikalisieren sich. Bereits Radikale schnuppern Morgenluft. Ätzend. Als Promi schafft man es – mit einer gewissen Vorgeschichte – mit der Aussage, ob man sich impfen lässt oder nicht, auf die Titelseiten. Wahnsinn.

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Bin jetzt ein bisschen schlapp, aber nicht unzufrieden. War ein anstrengendes Jahr, aber vieles ist auch ganz gut gelaufen. Die Kinder machen Freude, haben sich hier am Wochenende die Klinke in die Hand gegeben. Sogar mit Kekse gebacken. Kinder sind wichtig, auch wenn sie, sobald sie da sind, dein Leben prägen, ein Großteil deines Denkens und Fühlens einnehmen.

Habe eben in der 3SAT Mediathek „Peter Handke in Paris“ gesehen, von Georg Stefan Troller, hochinteressant, Form und Inhalt. Der Film zeigt Handke im (fürs Fernsehen zwangsläufig in Szene gesetzten) Alltag, mit seiner damals 6-jährigen Tochter Amina, die bei ihm wohnte. Und Handke sagt das auch, dass Kinder so real sind, und das ist es eben, du kannst dich als Vater nur in gewissem Maße dem Leben entziehen, jedenfalls nicht, wenn man es einigermaßen als Vater hinkriegen will. Und wahrscheinlich ist es die größte Leistung eines Erwachsenen, wenn er die eigenen Kinder nicht traumatisiert auf die Reise schickt, ins Leben „entlässt“ (auch ein lustiger Ausdruck, so als sei das Aufwachsen bei den Eltern eine Haftstrafe).

Der Film passte ganz gut in meine Zeit, da ich ja gerade wieder Djians „Verraten und Verkauft“ gelesen habe. Da geht es ja auch um das Dasein als Schriftsteller, wie Schriftsteller die Welt sehen und sich in ihr bewegen. Und das gilt ja für Künstler im Allgemeinen. Apropos, ich hab übrigens vor ein paar Tagen mal wieder Musik gemacht, und zwar „richtig“, d.h. nicht alleine (s. Foto). War super.

Mal sehen, was dabei herauskommt ...
Mal sehen, was dabei herauskommt …

Ich will das alles nicht immer überbewerten oder glorifizieren, aber ich denke, ich bin schon auch eher jemand, der ständig die Antennen aufstellt und nach Ausdrucksmöglichkeiten für das Unaussprechliche sucht. In Wort und Ton und Bild. Egal, jedenfalls wehrt sich Handke in dem Film von Troller auch gegen die (damals) vorherrschende Meinung, der Schriftsteller schreibe, um dem Leben zu entfliehen. Das Gegenteil sei doch der Fall, sagt er, niemand sei dem Leben so wehrlos ausgesetzt wie der Schriftsteller, weil ihm keine Abwehr-Systeme zur Verfügung stünden. Mein Lieblingssatz ist ja: Der Schriftsteller denkt immer das Drama. Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht mal mehr, ob der von mir ist. Aber unabhängig davon, was man von Handke hält, und dass es viele (wirklich) emphatische Menschen gibt, die auch danach handeln, anstatt „nur“ darüber zu schreiben, und dass man zugleich natürlich trefflich darüber streiten kann, was per definitionem ein vergleichsweise „schweres Leben“ ist, weiß ich doch, was Handke meint. Gestern Abend habe ich an der Tankstelle einen Mann angesprochen, der vergeblich versuchte, so eine moderne Luftsäule zu bedienen, die gleichzeitig auch als Staubsauger fungiert. Auch möglich, dass ihm ein Euro fehlte. Ich sah, dass er seine Familie dabei hatte. Eine Frau, zwei Kinder, die etwas beunruhigt schienen. Ich fragte, ob er Luft brauche, aber er verstand mich kaum, entgegnete, er lerne gerade Deutsch, komme aus Polen, sie wollten nach Hause.

Ich nickte, warf einen Euro ein, stellte die Bar-Zahl ein, von der ich dachte, sie könne passen und kniete mich vor den platten Reifen. Da kam er schon um die Ecke hockte sich neben mich und erzählte, im Reifen stecke ein Nagel. Ich nickte wieder, schaute hoch und bemerkte seinen Sohn, der mich mit großen Augen ansah. Er trug eine Pudelmütze mit Bommel. Ich lächelte ihn an. Ich pumpte, bis das Gerät piepte. Der Mann sagte mehrfach „Danke“, ich sagte, schon gut und wünschte ihm gute Fahrt. Also ich zuhause war, erzählte ich meiner Frau die kleine Episode. Dass mir diese Familie leid tat, vor allem der Vater, weil Väter in solchen Situationen immer verantwortlich sind. Weil Kinder immer erwarten, dass Väter Probleme dieser Art lösen. Und als ich das so erzählte, kamen mir fast die Tränen. Ist doch verrückt, oder?

Tolles aus der Tube – der große Dezember

Stimmt. Weihnachten naht, und die Erdmöbel gehen wie jedes Jahr wieder auf Tour, wie immer mit einem neuen Winterwunderweihnachtslied im Gepäck: Der große Dezember.

Ich habe den Song eben zum ersten Mal gehört – einfach schön. Musik UND Text. Ich kenne die Jungs ja tatsächlich ganz gut, sogar noch aus Zeiten, in denen sie in anderen Bands gespielt und noch nicht in Köln gelebt haben. Ekki Maas habe ich vor Ewigkeiten mal für meine Magisterarbeit interviewt. Ging um die (Un-)Konventionalität ästhetischer Kommunikation, verstehe ich selber nicht mehr. Mit Wolfgang bin ich zur Schule gegangen. Er hat damals für meine Jugendstil-Buch-Beilagen-CD einen Song produziert – und mich auf ein paar musikalischen Lesungen am E-Piano begleitet. Und mit der ganzen Band hab ich mal für arte gedreht. Schön war das alles. Ich frage mich gerade, ob sie mir irgendwann mal erzählt haben, warum sie damals geschlossen nach Köln gegangen sind und nicht z.B. nach Hamburg oder Berlin. Köln muss man ja wollen. Berlin allerdings auch. Über Hamburg hingegen lässt sich nicht streiten ;-)

Und nun sind sie auf Tour. Es muss ziemlich ätzend sein, jetzt wieder die Diskussionen um neue Corona-Maßnahmen zu verfolgen, wenn man im Bus sitzt, auf dem Weg zum Gig. Und noch zwanzig weitere Konzerte vor sich hat, von denen man nun hofft, dass sie auch stattfinden. Ich wünsche den Erdmöbeln (und allen anderen Künstlern und Kulturschaffenden) jedenfalls, dass nicht alles wieder komplett heruntergefahren wird. Obwohl ich andererseits auch möchte, dass wir diesen Shit endlich in den Griff kriegen.

Meine kluge Frau hat mir vor ein paar Wochen schon diesen Penny-Werbespot gezeigt, in dem der jugendliche Sohn seine Mutter fragt, was sie sich zu Weihnachten wünscht, und sie antwortet, sie wünsche ihm, dass er sich nachts aus dem Haus schleicht, Party macht, keinen Bock auf Schule hat, durchhängt, ein Mädchen kennen lernt und dass dieses Mädchen ihm das Herz bricht … Sie wünscht ihm eben ein ganz normales Leben. Und sie befürchtet, dass ihm in dieser Phase des Lebens gerade ganz viele Erfahrungen fehlen, die ein Mensch in seinem Alter machen sollte, um sich als „normaler“ Mensch zu entwickeln. Da ist natürlich etwas dran.

Bitte nicht falsch verstehen, was jetzt kommt; ich möchte, um Himmels Willen, Corona nicht mit einem Krieg vergleichen (auch wenn sich jetzt die Bundeswehr kümmert), aber letztens habe ich gedacht, wenn wir das Ganze niemals in den Griff bekommen sollten, dann wird der Ausnahmezustand eben der Normalzustand. Und dann werden wir lernen müssen, auch damit zu leben. Und es wird Spuren hinterlassen. Das merkt man ja jetzt schon. Womöglich sind wir schon auf der Schwelle dorthin!? Vielleicht werden wir dann irgendwann alle leichtsinniger. Ich meine nicht, dass man sich nicht impfen lässt, dafür gibt es keinen Grund. Leichtsinniger im Allgemeinen. Was Abstand angeht, soziale Kontakte, Umarmungen. Wie jemand, der in einer Region, in der man ständig mit Luftangriffen oder Heckenschützen rechnen muss, irgendwann eben doch einfach mal ungedeckt über die Straße läuft, weil er es einfach leid ist, immer und überall aufpassen zu müssen. Auf der anderen Seite ist ja auch nicht so schwer, ein paar neue Hygieneregeln dauerhaft zu übernehmen. So, wie man in den 80ern gelernt hat, dass man (eigentlich) immer Kondome benutzen sollte … ach, ich weiß es doch auch nicht.

Was kann man von einem Menschen erwarten? In einer globalen Gesellschaft, die sich vor allem über Leistung, Effektivität und Funktionalität definiert? Wieviel Widerstandskraft? Wieviel Individualität? Und wie schafft man es, anders zu denken, ohne ein „Querdenker“ zu werden? Schräg zu sein und sich trotzdem gerade zu machen, wenn es sein muss? Gegen den Strom zu schwimmen, um so den Fluss in die richtige Richtung umzuleiten?