Treffen in Telgte

Hab mich in meiner letzten freien Woche noch mal ins Auto gesetzt und bin losgefahren. Spurensuche. Stoffsuche. B-Suche.

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War mit meinem Vater zunächst in Warstein, meiner Geburtsstadt. Sind die ganzen alten Wege abgegangen: zum Kindergarten, zur Schule, zum Sportplatz, wo ich Fußball spielen gelernt habe. Vielleicht liegt es am Alter, aber ich war total geflasht. Konnte mich an ganz viele Dinge genau erinnern (Hauseingänge, Wände, Tore, Bäume). Bin am Ende sogar noch auf den Piusberg geklettert, obwohl da ziemlich viel Schnee lag. Weil ich es einfach musste. Weil ich es als Kind nicht durfte.

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Im Moment lechze ich irgendwie nach diesen Bildern aus meiner Kindheit. Bin nach unserer Rückkehr in Wolbeck, wo ich groß geworden bin, auch morgens meine alte Trainingsrunde durch den Tiergarten gelaufen. Auch hier hatte ich wieder das Gefühl, noch jede Baumwurzel zu kennen, jeden Stein. Allerdings bin ich die Strecke über den kleinen Wall auch schon hunderte Male gelaufen.

Hab dann in Münster meinen alten Freund Michael Knüfer besucht und später in Telgte „Zander“, meinen besten Freund und Fußballkameraden von früher, außerdem Bassist unserer Rockband „Verdancy“. Er hat mich mit zum Fußball genommen, was natürlich klasse war. Hab da noch ein paar alte Bekannte getroffen, Jungs, die ich 20 Jahre nicht gesehen habe. Das war toll. Und es ordnet mich auch irgendwie neu ein.

Aber unterm Strich sind das natürlich alles (schöne) Übersprungshandlungen. Die ganze Reise ist eine Übersprungshandlung, weil ich immer noch auf der Suche nach einem neuen Buchprojekt bin. Merke aber gleichzeitig, dass ich das dringend brauche. Etwas Zeitloses, etwas, das alles andere ein bisschen überdauert.

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Hab es dann heute schließlich doch ein bisschen geschafft, mich zu fokussieren. Hab mich in eine Pension in Telgte eingemietet und einen auf Hemingway gemacht. Bin durch die Stadt gelaufen, hab mir das hiesige Religionsmuseum angeschaut, mir ein Buch über Mystik gekauft, war in Kaffeehäusern und mittags in einem urigen Gasthaus zum Grünkohl essen.

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Nebenbei bin ich durch meine Notizen gegangen, meine Gedichtsammlung, hab alte Texte gelesen. Es war tatsächlich einiges dabei – und ich positiv überrascht. Jetzt hab ich endlich das Gefühl, ich könnte etwas heraus- und daran herumpicken, aber nächste Woche geht der Job wieder los. Haha.

Ich glaube, Spiritualität wird in nächster Zeit ein größeres Thema für mich. Nicht seltsam ideologisch oder komisch religiös, eher pragmatisch. Eher im Sinne: Wie kann ich die geistige Dimension im Alltag angemessen mit-erleben. Heute im Religionsmuseum, was ich wirklich gut fand, ist mir noch einmal aufgegangen, wie sehr sich der Mensch nach „Höherem“ sehnt. Und wie hilflos die meisten Versuche sind, diese Sehnsucht zu bedienen bzw. diesen Weg weiter zu beschreiten. Ohne Guru. Ohne Joga. Wobei mich Meditation schon interessiert. Vielleicht sollte ich doch noch mit einer asiatischen Kampfsportart anfangen!?

Wenn ich mir mein Leben malen könnte, würde ich meine Freundin einpacken und als Schriftsteller von Kaff zu Kaff reisen. Jeden zweiten Abend irgendwo eine kleine Lesung, gutes Essen, ein nettes Gespräch, dann in eine kleine Pension, am nächsten Tag ausschlafen, frühstücken, gemeinsam durch die Stadt bummeln – fertig.

Youth …

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„Youth“ – so hieß der erste Romanentwurf, an dem ich Mitte der Neunziger parallel zum Studium meine ersten Kletterversuche als Schriftsteller unternahm. Oder: Schrift-Hersteller. Man erkennt den Titel unten links im Foto, auf dem Aktendeckel. Damals hab ich noch mit der Hand geschrieben und die losen Seiten in einer Mappe gesammelt (und für alle deutlich sichtbar stets mit mir herumgetragen). Ziemlich genau zwanzig Jahre ist das Foto alt. Meine Mutter hat es mir vor ein paar Tagen geschickt. Per WhatsApp. Allein das würde eigentlich genug besagen, um zu verdeutlichen, was seitdem alles passiert ist. In der Welt, meine ich.

Ich dachte eigentlich, ich hätte das Foto für meine damalige Freundin gemacht (bzw. machen lassen, mein WG-Kollege und guter Freund Michael Knüfer von Nevermind Music war so nett), als Weihnachtsgeschenk, was nichts zur Sache tut, außer der Frage, wie meine Mutter in dessen Besitz gelangt ist, bzw. dass auch das, also, wenn ich damals wirklich zwei Abzüge desselben Fotos meiner Freundin und meiner Mutter geschenkt hätte, was ich mir nicht so richtig vorstellen, aber auch nicht gänzlich ausschließen kann, ein Zeichen dafür wäre, wie ich mich in den letzten zwanzig Jahren persönlich und als Mann weiterentwickelt habe.

 

Die Frau, die jetzt (und wenn es nach mir geht, bis zu meinem Lebensende) an meiner Seite steht, hat gestern versucht, dieses alte Szenario wiederaufleben zu lassen, und in der Tat ist es ihr gelungen, mit wenigen Requisiten eine Momentaufnahme abzubilden, die über diesen kleinen Moment weit hinausgeht:

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Ja, ich bin älter geworden. Vielleicht bin ich nicht mehr so schlau wie damals, mit all meinem angelesenen Uni-Wissen, dafür bin ich heute sicher klüger. Nein, ich schreibe, wenn ich arbeite, nicht mehr mit der Hand. Ja, der Rum ist in der kalten Jahreszeit als Grog immer noch ein verlässlicher Freund. Aus den losen Blättern von damals sind zwei Romane erwachsen, das Debut „Jugendstil“ sogar gewissermaßen aus demselben Samen. Und – bei allen kaputten Akkuschraubern und Netzteilen der letzten Wochen – den Nicki von damals besitze ich immer noch, obwohl er sich an den Ellbogen und den Ärmeln beinahe auflöst. Irgendwie gut. Geworden. Alles.

Die Story der Geschichte

Hab immer noch Urlaub. Weil ich letztes Jahr so viel gearbeitet habe. Wollte eigentlich die Zeit nutzen und ein neues Buchprojekt beginnen. Oder zumindest schon mal definieren. Tue mich leider ein bisschen schwer damit. Immerhin kann ich jetzt wieder am Rechner arbeiten. Kurz nachdem mein Akkuschrauber den Geist aufgegeben hatte, folgte nämlich prompt das Netzteil meines Laptops. Der hat zwar auch schon einige Jahre auf dem Buckel, war aber trotzdem lästiger als gedacht.

Da ich nicht schreiben konnte, hab ich zumindest gelesen: „Schundroman“ von Bodo Kirchhoff. Mein absoluter Lieblingssatz steht auf Seite 282 und lautet wie folgt: „Nur Schwachköpfe wollen auf der letzten Seite erfahren, wer der Mörder ist. Vernünftige Menschen fragen sich, wer wen am Ende lieben könnte.“

War schön, mal wieder ein cooles Buch zu lesen. Hab dabei allerdings auch mit Schrecken festgestellt, wie viele Bücher hier noch herumliegen, die ich nur halb, an- oder noch gar nicht gelesen habe. Erfüllt mich mit einem schlechten Gewissen. Heute schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass es vielleicht besser sei, alle Bücher zu verschenken und nur noch ein einziges zu besitzen, das man immer und immer wieder lesen kann, bis man zumindest dieses eine richtig und vollständig erschlossen hat (Ist das nicht so ähnlich in der „Schachnovelle“?).

Hab mir aber immerhin sogleich ein zweites, dickes Buch vorgenommen: „Geister“ von Nathan Hill. Hat mir Sebastian von den Alphabeten zum Geburtstag geschenkt. Gefällt mir gut; interessant, dass es genau wie „Schundroman“ (und im Übrigen auch meine beiden Romane „Jugendstil“ und „Kunststoff“) ein Roman übers Schreiben ist, also Literatur über Literatur, davon bin ich ja immer schon ein großer Freund gewesen.

Beim Lesen ist mir aber noch etwas aufgefallen: dass das Schreiben, solange es nicht wirklich das Schreiben an einem Buch ist, sondern z.B. „nur“ eine Arbeitsnotiz oder ein Blog-Eintrag, gewissermaßen immer nur ein „zweitklassiges“ Schreiben ist. Eine Art Gymnastik, an der Grenze zur Ausrede. Vielleicht nicht für Euch, die ihr das hier lest, jedoch für mich. Ein Schriftsteller ohne das passende Buchprojekt ist wie ein Kämpfer ohne Gegner. Er kann zwar trainieren, aber das Resultat der Leistung stellt keinen echten Wert dar. Oder eben nur einen zweitrangigen.

Mitunter treibt diese Verlegenheit darüber sehr seltsame Blüten. Habe gestern auf der Fensterbank in der Küche eine … ja … Landschaft geschaffen, so eine Mischung aus Kinderfoto-Album, Pop-Art-Installation und Waldorfschulen-Jahreszeitentisch. Kenne die Story der Geschichte zwar noch nicht im Detail, aber die Szenerie steht. Viel Spaß beim Draufklicken und Entdecken:

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