Koma

Puh, die Zeit rast nur so dahin und reißt in ihrem Sog alles mit. Merkel bleibt, Ancelotti geht, die Nazis sind wieder da, und mir geht so langsam die Puste aus. Ein Glück, dass nun langes Wochenende ist.

tausend

Das Beste vorab: Nach nicht mal einem Jahr hat unser Bilderwitz-Duo „Die Alphabeten“ schon über 1000 Likes bei FB. Hammer! Das bedeutet, wenn wir so weitermachen, könnten wir in tausend Jahren die magische Millionengrenze knacken. Also, meine Urururururururururururururururur-Enkel können sich freuen.

Hatte diese Woche Abnahme meiner Amok-Dokumentation. War im Prinzip alles gut, aber bei so einem komplexen Thema gab es natürlich noch einige konstruktive Anmerkungen und Anregungen seitens des betreuenden ZDF-Redakteurs. Also nochmal zwei Tage mit meinem Cutter reingehauen, und jetzt steht das Ding erstmal. Nächste Woche gehe ich nochmal in Ruhe über den Text, und wahrscheinlich werden mir dann im Film ein paar weitere Kleinigkeiten auffallen, die man noch ändern könnte. Einen Film zu bauen, ist ein bisschen so, wie einen Song aufzunehmen. Je nach Genre kann man da ziemlich dran herumschrauben, bis man am Ende gar nicht mehr weiß, ob das Ergebnis wirklich besser geworden ist. Aber da sind wir noch lange nicht.

amokfinal

Ich muss sagen, dass mir (und meinem Cutter, der bald zum ersten Mal Vater wird, ging es genauso) der Film, in dem es ja schwerpunktmäßig um die jugendlichen Schulamoktäter geht, schon nahe gegangen ist, weil man selber Söhne in diesem speziellen Alter hat. Und auch wenn diese Täter, die sich ja meistens an den „Anderen“, die sie gemobbt haben, rächen wollen, sich in der Regel aufgrund einer narzisstischen Störung eher gemobbt fühlen, als dass sie tatsächlich immer gemobbt werden, fragt man sich als Vater natürlich trotzdem, ob die eigenen Söhnen gut klarkommen, bzw. ob es einem als Vater auffallen würde, wenn es nicht so wäre.

Mir ist jedenfalls heute morgen eine Situation aus meiner Grundschulzeit eingefallen, wo ich mal dazwischengegangen bin, als ein Kumpel von mir (nicht zum ersten Mal) einen Klassenkameraden in der Umkleide nach dem Schwimmunterricht gepiesackt hat, bis der anfing zu heulen. Hab es nicht ertragen. Womit ich nicht sagen will, dass ich immer der „Gute“ war. Kinder können bekanntlich grausam sein, was im Übrigen auch viel über den Menschen aussagt, und es fiel mir heute morgen passenderweise ein, kurz nachdem ich meinen jüngsten Sohn bei dessen Fußballmannschaft abgesetzt hatte.

Ansonsten? Ist mir ist aus dem Film ein Statement des Neurologen Rene Hurlemann besonders im Gedächtnis geblieben, einen richtigen Zugang zum Kind bekomme man nur über Vertrauen, nicht über Verbote (z.B. was die Mediennutzung angeht) – das habe ich mitgenommen, in dem Sinne, dass man das bisschen Zeit, was man als Familie miteinander verbringt, vornehmlich in die Vertrauensarbeit investieren sollte. Vielleicht erledigt sich dann auch das Andere irgendwann größtenteils mehr oder weniger von selbst.

Und? Wenn alle Menschen gemeinsam Musik machen würden, sähe die Welt definitiv besser aus. Stehe im Moment ja total auf den amerikanischen Trommler Chris Coleman, weil der nicht nur fantastisch spielt, sondern auch so eine Spiel- und Lebensfreude ausstrahlt, und gestern Abend bin ich auf ein Video gestoßen, in dem er mit einer russischen Kapelle namens Kosmax Band in einem Moskauer Club „jammt“. War ganz erleichtert, als ich sah, dass das Konzert nicht gerade in der Zeit war, als ich in Moskau gedreht habe. Ehrlich, so schön kann Völkerverständigung sein …

Ideeale

Idee

Auf Spiegel Online gibt es heute eine Fotoserie über alte Kaugummiautomaten zu sehen. Die Idee hatte ich auch schon, hab auch immer mal wieder Fotos gemacht, wenn ich irgendwo unterwegs einen coolen Automaten gesehen habe. Jetzt ist mir der Fotograf Eckart Bartnik zuvorgekommen. Man muss solche Ideen wirklich immer sofort umsetzen. Wobei man auch zugeben muss, dass da draußen einfach ganz viele kreative Menschen unterwegs sind, die ganz viel schaffen.

Hab mir am Montag aus Interesse diese Wahlsendung mit Klaas Heufer-Umlauf angeguckt und gehe da ziemlich d´accord mit der allgemeinen Kritik, dass es formal ambitioniert, jedoch inhaltlich ausbaufähig war. Die Interviews waren mir auch nicht szenisch und lebendig genug. Einige Momente haben mir wiederum gut gefallen, z.B. als er Heiko Maas fragt, ob die Menschen für die Demokratie zu dumm seien, und ob das Sommermärchen 2006 womöglich doch der Startschuss für diese neue, gefährliche Deutschtümelei gewesen sei. Das sind so Themen, denen ich in so einem Format gerne mehr Platz eingeräumt gesehen hätte.

Bin im Zuge dessen auf ein anderes Format aufmerksam geworden: jungundnaiv, von und mit Tilo Jung. Hab da gleich in die Folge mit Sigmar Gabriel reingeschaut und war total begeistert, mit welcher erfrischenden Haltung der Moderator seinem Interviewpartner entgegentritt: nah, ohne distanzlos zu sein, kritisch und ein bisschen kumpelhaft zugleich – so bekommt man unerwartete Antworten.

Geh, Danken

Erntedankfest (Oktoberfest auf norddeutsch)
Erntedankfest (Oktoberfest auf norddeutsch)

Nur noch ein paar Tage bis zur großen Wahl. Hab ein bisschen Bammel, dass wir uns alle hinterher verwundert die Augen reiben. Bewege mich deswegen gerade hypersensibel, mit hochgestellten Antennen durch die Welt – und stoße an jeder Ecke auf viel Propaganda-Müll, aber auch auf interessante Gedanken.

Augen auf

Auf einen Stromkasten in unserem Ortskern hat jemand das hier gesprüht: „Augen auf und durch!“ Da fahre ich jeden Morgen dran vorbei und freue mich über diese kleine, geistreiche Modifikation.

Am Wochenende habe ich eine dieser Deutschland-vor-der-Wahl-Sendungen auf sport1 gesehen, mit dem guten Moderator Raul Krauthausen, der in dem Format auch eine ostdeutsche Kleinstadt besuchte und dort auf die (mittlerweile leider) übliche, geäußerte Fremdenfeindlichkeit stieß; dass die Flüchtlinge den Deutschen die Wohnungen und die Jobs wegnähmen usw. Und gerade, als ich dachte, dass es natürlich auch immer sehr einfach ist, da mit einem Fernsehteam hinzufahren und sich die üblichen Statements abzuholen, sagte der Moderator etwas ganz Schlaues – dass man (sinngemäß) nämlich nicht die beiden Seiten, die beide auf ihre Weise Nöte haben und im weitesten Sinne „Hilfe“ suchen, gegeneinander ausspielen dürfe, sondern sich die Politik eigentlich gleich gut um beide Parteien kümmern müsse, damit sich die eine, die vorher da war, nicht radikalisiert. Und das fand ich unerwartet empathisch und ganz klug, weil das auch genau mein Eindruck war, als ich vor einiger Zeit in Duisburg-Marxloh gedreht habe; dass es in vielen Fällen nämlich keine Angst vor dem Fremden ist, sondern eher eine Neid-Diskussion, im Sinne von: Wieso bekommt der Flüchtling die sanierte Sozialwohnung, auf die ich seit Jahren vergeblich warte?

Nicht falsch verstehen, ich möchte diesen neudeutschen „Nazionalismus“ überhaupt nicht relativieren oder schon gar nicht gutheißen, ich möchte nur anmerken, dass am Ende alle Menschen nur respektiert und wahrgenommen werden wollen – auch die neuen Nazis (Das haben die Ärzte schon besungen: „Schrei nach Liebe“).

Und die Politiker einer hochzivilisierten Demokratie müssen eben verhindern, dass aus ihren Bürgern erst „Wutbürger“ und schließlich Feinde dieser Demokratie werden. Doch für diesen Balance-Akt brauchst Du wirklich die besten Leute in der Politik. Leute mit Visionen, ohne Berührungsangst. Leute, die auch mal mit der U-Bahn in die Brennpunkte fahren, anstatt immer nur mit Chauffeur von Tiefgarage zu Tiefgarage. Empathie, statt Egoismus. Aufmerksame Altruisten, statt arrogante Anzugträger. Leute, die wirklich ein Ohr für die Probleme vor Ort haben, anstatt nur vorbeizuschauen, wenn ein Kamerateam in der Nähe ist. Und, ja, vielleicht gibt es die sogar, sie sind nur verdammt schwer auszumachen. Und, ja, es wird natürlich doppelt schwer, wenn die Politik selbst von Rechtspopulisten „unterlaufen“ wird. Warum gibt es keinen „hippokratischen Eid“ für Politiker? Oder müssen sogar alle Bundestagsabgeordnete vor Amtsantritt auf das Grundgesetz schwören, dass sie nach bestem Wissen und Gewissen ihren Job machen? Ich weiß es wirklich nicht.

Vielleicht wieder mehr laufen und weniger Bier trinken und Zeitung lesen?
Vielleicht wieder mehr laufen und weniger Bier trinken und Zeitung lesen?

Zugegeben, ich bin ein bisschen „auf Zinne“. Liegt zum Teil auch daran, dass wir am Sonntag mit den Alten Herren 8:0 verloren haben. Hat mich vor allem deswegen genervt, weil wir wieder so einen „Angsthasen-Fußball“ gespielt und uns viel zu früh aufgegeben haben. So ein bisschen wie Köln gegen Dortmund ein paar Stunden später. Und da hat der Sky-Kommentator übrigens auch noch etwas Kluges über Köln gesagt, nach dem Motto: Erst verlierst du ein paar Mal unglücklich und irgendwann glaubst du dann aber auch tatsächlich, dass du so schlecht bist wie die null Punkte besagen. Und da ging mir ein Licht auf, weil das irgendwie auch auf uns zutrifft.

Pay TV-Philosophie, im ABO-Preis inbegriffen.

Qual der Wahl

Achtung: Der neue Bilderwitz der Alphabeten, druckprisch aus der Fresse, geht gleich um 16:00 online:

Briefwal

Ja, die Wahl steht an. Was wählen? Aber auf jeden Fall hingehen. Also bloß nicht nicht wählen.

Die Stadt ist ja wieder zugepflastert mit Plakaten. Markige Sätze finden sich überall, wobei mir „Die Linke“ am ehesten aus der Seele spricht. Ich habe schon vor Jahren den Trend unserer Branche kritisiert, zunehmend auf freie Mitarbeiter zu setzen. Da bildet sich eine ganze Generation, die sich nicht traut, Kinder zu kriegen und Häuser zu bauen, und die stattdessen kollektiv in den Burnout getrieben wird, weil sie in ständiger materieller Unsicherheit lebt. Fatal. Für die ganze Gesellschaft.

Den Bildungsschwerpunkt der FDP finde ich eigentlich auch gut, aber Lindner nehme ich das nicht so richtig ab, dass er die Aktenkoffer plötzlich nicht mehr so wichtig findet. Und den Spruch der Grünen finde ich beinahe irritierend, weil ich denke: Doch, die Umwelt ist alles. Mutter Erde ist ein einziges Wunderwerk, mit einem großen Problem – uns, den Menschen.

schulranzen2 umwelt 2 verdient2

Über die unerträgliche, flächendeckende Seelen- und Umweltverschmutzung der AfD hat sich der Komiker Shahak Shapira netterweise schon kreativ gekümmert, da muss man keine weiteren Gedanken und Worte verschwenden.

buntevielfalt

Ja, vielleicht muss eine gesunde Demokratie das aushalten, aber da wären wir wieder ganz schnell bei dem Bildungsthema (siehe oben). Also, `Trau Dich Deutschland!´ (ohne Komma) – bei dem Slogan könnte ich echt kotzen. Oder zum Killer werden.

Apropos, ich sitze gerade wieder mit meinem Amok-Projekt im Schnitt. Bei diesen schweren Themen muss man immer ein bisschen aufpassen, dass man sich nicht runterziehen lässt, vor allem wenn man da bei den Fällen in die Tiefe geht, Psychologen interviewt etc. Was immer am besten hilft: Galgenhumor, bzw. schwarzer Humor. Hab mir eben in bester Alphabeten-Manier einen Wortwitz ausgedacht – ein bisschen grenzwertig, aber mein fleißiger Cutter hatte Spaß. Was will ich mehr?

tastatur2

I phone

FullSizeRender

Gestern gut gelandet, heute wieder im Büro. Reisetüte ausfüllen, Belege sammeln, das gedrehte Material stichprobenartig checken, Kollegen begrüßen, die man wochenlang nicht gesehen hat. Kleine Routinen, die sich im Vergleich zu den letzten Tagen nicht nach Arbeit anfühlen. Prompt sind die Rückenschmerzen weg. Natürlich darf man nicht den Fehler machen und Nachrichten lesen. Dann wandert der Schmerz sofort vom Rücken über den Kopf direkt ins Herz.

Snapseed

Am Flughafen in Moskau hat Russia Today einen Screen aufgestellt, auf dem in einer Endlos-Schleife auf Englisch, also für Touristen und Geschäftsreisende wie mich, flotte Sprüche laufen, als Reaktion auf die Vorwürfe aus dem Westen, die russischen Medien seien Propaganda-Instrumente der Regierung, russische Hacker beeinflussten westliche Wahlen usw. Also gewissermaßen eine Anti-Propaganda-Propaganda für Leute aus dem Westen, die den Osten besuchen, und dann subtil manipuliert wieder nach Hause zurückgehen. Denn das Ganze geschieht auf eine recht clevere, nicht unlustige Art, sodass man wirklich kurz ins Grübeln kommt, wer denn wohl recht hat. Darüber könnte man eine wunderbare Doktorarbeit schreiben.

Snapseed

Hab in der „Einführung in die politische Philosophie“ von Christian Ruby noch zwei schöne Sätze gelesen. Ich zitiere zusammenfassend (S. 29/28): „Das politische Wort (kann) sich nicht selbst überlassen. Seine Richtigkeit erwirbt es im Verlauf eines richtig geführten Lebens. […] Das Wort stellt entweder einen wirklichen logos dar, die Fähigkeit, das Gerechte und das Ungerechte zu manifestieren, oder eine bloße geschwätzige Stimme (phone).“

Jetzt die Preisfrage:
Was genau steckt eigentlich hinter dem Begriff „I phone“?

Land unter

Snapseed

Heute letzter Drehtag in Moskau. Trotz toller Protagonisten und vergleichsweise reibungsloser Abläufe, freue ich mich auf mein Zuhause.

Das Spannende an Moskau ist, dass man wirklich nur eine Stunde mit dem Zug fahren muss, um aufs Land und somit in eine ganz andere Welt zu kommen. Es zeigt sich dort ein völlig anderes Gesicht Russlands. Waren gestern mit einer netten Familie bei einer anderen netten Familie zu Besuch auf deren Datscha. Mussten auf dem Weg dorthin durch Wälder und Wiesen wandern, hat mich sehr an unsere Urlaube in Schweden erinnert. Solche „familiären Drehs“ sind immer ein bisschen gefährlich, weil sie natürlich, bei aller Professionalität, das Heimweh wecken. Morgen hat mein jüngster Sohn Geburtstag. Bin, wie schon letztes Jahr, nicht da, sondern unterwegs. Aber diesmal immerhin auf dem Rückweg.

Snapseed

Statt Stadt
Land unter
wegs
trecke
decke
auf
und
ab
wickeln
die winde
ihre geschäfte
mit den blüten
bringen
falschgelb
in umlauf

Das, was sich unsere Protagonisten vorgenommen haben, nämlich ein paar Jahre – oder sogar ein ganzes Leben – in einem fremden Land zu leben, das zudem doch auch ganz anders ist als die Heimat, davor kann man wirklich nur den Hut ziehen. Und wenn man sie in der Anfangszeit ein bisschen dabei begleitet, bekommt man sogar ein Gefühl dafür, wie sich das Ankommen, die Umstellung und das Einleben anfühlen muss. Respekt.

Wort-Reich

IMG_5321
Das ist Kunst und kann nicht weg!

War in einer freien Mittagspause in einem der größten Buchläden Moskaus. Ja, genau, dieses lange Gebäude mit der komischen Reklame an der Fassade. So viele Bücher auf einem Haufen hab ich lange nicht gesehen. Vornehmlich natürlich auf Russisch, aber auch auf Deutsch, dann allerdings vornehmlich deutsche Übersetzungen russischer Autoren.

siehe Blog-Eintrag vom 31.08.
siehe Blog-Eintrag vom 31.08.

Gibt aber auch deutsche Autoren, dann allerdings wiederum auf Russisch. Da erfährt man übrigens auch, welche deutschen Schriftsteller wirklich über die Grenzen hinaus berühmt sind.

Na, welches Buch? - Thomas Mann, Doktor Faustus
Na, welches Buch? – Thomas Mann: Doktor Faustus

Außerdem gab es dort eine kleine Bühne für Veranstaltungen, direkt neben einem Café, in dem auch wirklich, am helllichten (an diese drei „l“ werde ich mich nie gewöhnen) Tage, Leute an den Tischen saßen und lasen. Ich hätte den ganzen Tag da bleiben können. Und die ganze Nacht.

IMG_5320

Überhaupt kribbelt es immer in den Fingern, wenn ich in Buchläden bin, zwischen den Regalen und diesen Unmengen an Neuerscheinungen. Fühle mich dann wie ein Fisch im Wasser, dem plötzlich einfällt, wie schön es eigentlich ist, wenn man schwimmen kann. Oder so ähnlich. Brauche unbedingt ein neues Schreibprojekt. Aber ich weiß ja nicht einmal, ob Roman oder Sachbuch …

Oh, ein Buch von mir?
Oh, ein neues Buch von mir?
Nee, doch nicht.
Nee, schade, doch nicht.