Reflektionen

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Aktuell kann man in einer knappen Stunde (beinahe) ein komplettes Studium der Kultur-, Wirtschafts-, Politik- und vor allem Medienwissenschaften absolvieren.

Wie?

Zunächst sollte man sich noch einmal den SPIEGEL-Artikel aus dem Heft Nr. 41 vom 07.10.2017 über das öffentlich-rechtliche-Fernsehen auf den Schirm rufen. Der Artikel mit dem Titel „Bildstörung“ enthält eine kritische Bewertung der On- und Offline-Tätigkeiten von ARD und ZDF. Es ist anzunehmen, dass die Verantwortlichen beider Sender nicht erfreut über den Inhalt des Artikels gewesen sind.

Gestern Abend nun hat das ZDF zurückge … äh, … sendet. Sicher (k)ein Zufall!? Speerspitze Jan Böhmermann ist in die SPIEGEL-Provinz „bento“ einmarschiert.

Ich halte mich an dieser Stelle inhaltlich aus guten Gründen zurück. Aber wer sich mit beiden Seiten vernünftig auseinandersetzt, bekommt ein sehr klares Bild davon, wie moderner Journalismus „funktioniert“, bzw. mit welchen Herausforderungen er aktuell und mittelfristig zu kämpfen hat.

Ich erlaube mir eine persönliche Anmerkung: Öffentlich-rechtliches Fernsehen darf, meines Erachtens, nie verschwinden. Doch die dazugehörigen Sender müssen sich ständig überprüfen und ggf. auch hier und da neu erfinden. Öffentlich-rechtliches Fernsehen trägt eine Verantwortung für die Gebühren und muss von sich aus so gut sein, dass es gar nicht erst Gefahr läuft, grundsätzlich in Frage gestellt zu werden.

Stolpersteine

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Die ersten Tage der AfD im Bundestag und schon wird es uncool. Ärgerlich! Und: Im neuen Dresdner Tatort, der am 12.11. läuft, wurden offenbar die Outifts von Statisten mit einschlägigen, rechten Symbolen versehen, die Szene hinterher gekürzt und plötzlich standen die „Nazis“ unkommentiert und unmotiviert als freundliche Helfer im Film da. Und der MDR rieb sich die Augen, als Journalisten sie nach dem Vorab-Screening verwundert darauf hinwiesen.

Man fragt sich, wie das sein kann, dass die Rechten (jetzt auch bei uns) wieder so präsent sind. Bin in der Mittagspause ein bisschen durch den neuen Lohse-Park geschlendert und habe mir u. a. über genau diese Frage den Kopf zerbrochen, als ich plötzlich vor dem Denkmal „Hannoverscher Bahnhof“ stand, das mit einer eindrucksvollen Ausstellung von Fotos und Dokumenten daran erinnert, dass von diesem Ort aus im Dritten Reich Deportationszüge in die Konzentrationslager abgefahren sind. Starke Exponate aus einer Zeit des systematischen Grauens. Man müsste jeden deutschen Bürger in diese Ausstellung schleusen. Vielleicht würde es ein bisschen helfen. Oder Promis einspannen.

Spieler des Fußballvereins Lazio Rom haben sich am Sonntag in Anne Frank-T-Shirts warm gemacht, nachdem „Fans“ das jüdische Mädchen zuvor verhöhnt hatten. Merkwürdigerweise war die heutige Daily Goal Challenge bei Score ausgerechnet ein altes Lazio-Spiel. Zufall?

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Ansonsten wirbt Thomas Müller im aktuellen Kinder-Spiegel für mehr Bewegung, während er selbst gerade verletzt pausieren und zusehen muss, wie sich seine Bayern glücklich in die nächste Pokalrunde kämpfen.

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Hatte übrigens vor ein paar Tagen interessanten Kaffee-Besuch meines alten E-Jugend-Trainers (und heutigen Marketinggeschäftsführer von Werder Bremen) Klaus Filbry. Wir haben uns fast 30 Jahre nicht gesehen. Ich war auch ein bisschen nervös, zumindest nervöser als vor meinen Interviews, die ich normalerweise für den Job mache. Wie heißt das in der Kommunikationslehre? Beziehungsaspekt? War jedenfalls ein sehr anregender Austausch. Ist immer wieder unbezahlbar, mit sympathischen Menschen über Fußball zu sprechen, die auch etwas davon verstehen und obendrein noch andere Einblicke haben. Musste allerdings auch etwas schlucken, als mir klar wurde, dass ich bei unserem letzten Gespräch noch ein Kind war.

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Bin gerade Strohwitwer. Freundin weg, Kinder weg, ich hier. Einer muss sich ja um die Kater kümmern. Nein, nein, alles gut, ich hätte mitfahren können, aber ich hab tatsächlich die nächsten Tage jobmäßig zu tun. Außerdem finde ich jetzt vielleicht sogar mal Zeit, durch meine Notizen zu schauen und mir zu überlegen, welches literarische Projekt ich als nächstes starte. War ja noch nie als Autor auf der Frankfurter Buchmesse. Lange war das ein schönes Ziel, jetzt, da auch diese Veranstaltung von Neonazis unterwandert wird, hat es ziemlich an Reiz verloren, aber gut, vielleicht lernen die Organisatoren daraus für die nächsten Jahre.

Komme also ein wenig zur Ruhe. War gestern im Dorf, auf dem Markt. Und beim Uhrmacher, hab drei Uhren hingebracht und eine halbe Stunde später wieder abgeholt. Zwei neue Batterien, ein neues Armband, einen Uhrdeckel repariert, alles zusammen für 37 Euro, aber ich hab das Gefühl, plötzlich drei neue Uhren zu besitzen.

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Ich liebe es, ab und zu wirklich nachhaltig zu handeln, wenn sich denn schon mal die Gelegenheit bietet. Habe abends, parallel zur Bundesliga, gleich noch meine Buffer geklebt, obwohl ich kurz mit dem Gedanken gespielt habe, mich in meiner kleinen „Einsamkeit“ mit einem neuen Paar Fußballschuhe zu entschädigen. Bin froh, dass ich es nicht getan habe. Außerdem bin ich auch nicht ganz alleine. Die Kater sind ja da und freuen sich, dass ich wenigstens hier bin. War ja in letzter Zeit viel unterwegs. Und ich freu mich auch, obwohl sie gestern in aller Herrgottsfrühe dermaßen durchs Wohnzimmer getobt sind, dass ich ihnen beinahe das Fell über die Ohren gezogen hätte.

Doch zwischendurch wird es schon sehr still. Musste ein paar Mal daran denken, dass es viele Menschen gibt, die jeden Tag alleine sind. Ich merke das schon an Tag 2, dass man plötzlich dazu tendiert, Dinge, die man denkt, laut auszusprechen, um die Stille zu brechen. Hab den Fernseher an, arte, zur Beruhigung. Bin beim Frühstück in einem Film gelandet, der schon Freitagabend lief: „Die Tage unter null“, mit Marie-Sophie Ferdane und Mehdi Nebbou (vielen bekannt als der „Trivago“-Mann). Bin am Freitag jedenfalls schon beim Ende vor Begeisterung ausgeflippt, hab meiner Freundin die letzten zwei Minuten drei Mal vorgespielt, obwohl sie eigentlich Koffer packen musste.

Der Film erzählt, kurz gesagt, die Geschichte zweier Menschen, die sich am Ende begegnen. Im Off beginnt ein Dialog, der – aus der Nachbetrachtung – erzählt, was in beiden in diesem Moment vorgegangen ist. Das heißt, man weiß ganz am Ende, dass sie sich offenbar kennen gelernt haben und nun ein Paar sind, obwohl der Film auf der erzählten Zeit-Ebene genau davor aufhört. Allein das wäre schon ein schöner dramaturgischer Kniff, doch durch die Bildsprache des Kameramannes Matthieu Poirot-Delpech wird es zu einem Stück Filmkunst. Ich bin ja auch ein großer Fan von Spiegelungen (arbeite ja auch bei SPIEGEL TV, haha), aber hier ist es wirklich außergewöhnlich gut in Szene gesetzt und montiert. Der Film läuft noch bis zum 21. Oktober in der arte-Mediathek. Kann ich nur empfehlen.

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Snapseed-Bearbeitung: Gerrit Joens-Anders Copyright des Originals: Arte France, Scarlett Production

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Am Moskauer Flughafen Sheremetyevo gibt es diesen Transferbereich, zwei lange Gänge parallel, die nur durch eine Glasscheibe getrennt sind. Auf der einen Seite kommen die Leute an, auf der anderen fliegen sie wieder ab. Sie gehen in entgegengesetzte Richtungen, und jedesmal, wenn ich ankomme, schiele ich neidisch auf die Abreisenden auf der anderen Seite und wünsche mir, ich hätte meinen Job bereits hinter mir.

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Andererseits liebe ich es, am Tag des Abflugs an der anderen Seite des Flures auf einem der Sitze Platz zu nehmen und die vorbeieilenden Menschen zu beobachten. Deswegen komme ich meistens immer etwas früher. Da sitze ich dann und reflektiere die letzten Tage. Und manchmal kann ich mich regelrecht zurückziehen hinter meine Fassade, wie hinter Burgmauern. Oder, besser gesagt, wie hinter die Holzvertäfelung einer schwedischen Blockhütte. Dann kann ich ziemlich empathisch werden, betrachte wildfremde Menschen und könnte beinahe vor Rührung seufzen, sie müssen nicht einmal etwas Besonderes veranstalten – ein altes Paar auf Reisen oder ein junges, ein Junge, der seiner Mutter die Tasche trägt, eine Tochter, die die Hand des Vaters nimmt …

Und dann versetze ich mich in diese Menschen hinein, schlüpfe in ihre Rolle, weiß von einer Sekunde auf die andere, wie es wäre, der Mann dieser Frau zu sein. Oder die Ehefrau des Mannes. Wie es in ihrer Wohnung aussieht, was der Arzt gesagt hat, warum ihre Kinder nicht mehr so oft zu Besuch kommen, kenne ihre Träume, ihre Ängste, im Ernst, ich hab dann manchmal das Gefühl, die Summe aller Leben zu sein.

Und dann kommt man wieder zuhause an und liest, dass die USA und Israel aus der Unesco ausgetreten sind, und deine Freundin erzählt dir von einem „Monitor“-Bericht, der besagt, dass heute noch ein Großteil der Elite in Ostdeutschland aus Westdeutschen besteht, und die Ostdeutschen da völlig unterrepräsentiert sind, und dann stellst du fest, dass du dich da auch schon viele Male hinversetzt hast in die Lage derer, um das Dilemma zu verstehen, und dass das schon verrückt ist, dass wir es offenbar in einigen Fällen besser hinkriegen, Menschen vom anderen Ende der Welt zu integrieren als unsere eigenen Landsleute, und dass ein erster Schritt vielleicht sein könnte, sich nicht mehr über deren Dialekt lustig zu machen …

Und bevor man dann richtig schlechte Laune kriegt, betrachtet man seine Freundin, die man ein paar Tage nicht gesehen hat, – und kriegt prompt wieder gute.

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Sitze gerade in einem Hotelzimmer in Moskau und warte darauf, dass ich rausgeschmissen werde. Draußen gießt es in Strömen. Hier klopft der Winter schon an die Tür.

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Bin für zwei Drehtage rüber geflogen. Ein bisschen verrückt, war aber wohl die richtige Entscheidung.

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Haiaquarium oder Flugzeugfenster?

Im Moment passieren so viele kleine Dinge, dass ich eigentlich vollzeitmäßig bloggen könnte. Oder Tagebuch schreiben. Jeden Tag ein neuer Gedanke, der mir durch den Kopf schießt und mir hilft, das große Ganze ein bisschen besser zu verstehen.

Und viele kleine Dinge entpuppen sich eigentlich als großes Geschenk.

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Im Positiven wie im Negativen. Waren am Wochenende ein letztes Mal am Stall, um die letzten Sachen zu holen. Da habe ich erst gemerkt, wie sehr mir diese kleinen Ausflüge aufs Land gefallen haben.  Wie sehr die kleinen Bastel- und Reparaturarbeiten zu meinem inneren Gleichgewicht beigetragen haben.  Zu meinem Selbstverständnis als Mann, so bescheuert es klingt. Von den kleinen Streicheleinheiten mit den Pferden mal ganz abgesehen.

Aber, wie gesagt, auch im Positiven: War nämlich letzte Woche auch in der Elbphilharmonie, zum ersten Mal. Der Sohn der besten Freundin meiner Mutter hat dort gesungen, so sind wir an Karten gekommen.

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Auf dem Programm stand das Requiem von Mozart, das der Komponist ja selber nicht fertigstellen konnte, weil er schon todkrank war. Seine Frau Constanze hat dann einen zweiten Komponist gesucht, der das Werk fertigstellen könnte. Das hat uns ein junger Mann vor dem Konzert in einer Art Einführung erläutert, und als ich das hörte, musste ich sofort an den kleinen, unvollendeten Roman „Bilder deiner großen Liebe“ von Wolfgang Herrndorf denken, den ich jetzt gerade gelesen habe, wo es ja genauso um eben diese Frage ging, ob es einen zweiten Autoren gäbe, der in der Lage wäre, die Geschichte von Herrndorf, der ebenfalls schon sehr krank war, weiterzuschreiben. In diesem Fall hat man sich dagegen entschieden, anders als bei Mozart.

Überhaupt war diese Einführung sehr interessant, weil es da auch um musikalische Einflüsse Mozarts ging, ein Spezialthema von mir. Man denkt ja immer, die Genies erschaffen ihre Kunst aus dem Nichts, aber wie ich schon mal in „Jugendstil“ schrieb: Jedes Buch hat sein voriges.

Außer vielleicht der Bibel.

Letztlich geht es wohl immer um die Qualität und Neuartigkeit der Weiterführung. Da war Mozart allerdings zugegebenermaßen weit vorne. Ein „Vor-Bild“ gewissermaßen, um im … äh, … Bild zu bleiben.

Na, Tour

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Vier wunderschöne freie Tage mit der Familie in Schleswig-Holstein verbracht. Immer wenn man Zeit mit der Familie verbringt, merkt man erst, wie wichtig das eigentlich ist, beziehungsweise wie unwichtig alles andere. Auch wenn man es nicht schafft, immer alle Liebsten unter einen Hut zu bringen.

Lasse mich gerade wieder auf eine sanfte Art von bestimmten Inhalten in bestimmte Richtungen drängen. Lese zwischendurch diesen letzten, kleinen, unvollendeten Roman „Bilder deiner großen Liebe“ von Wolfgang Herrndorf. Einfach schön, die geraden Sätze, aber vor allem die ungeraden Gedanken.

Parallel habe ich mir außerdem ein Buch des Kirchenkritikers Martin Urban vorgenommen. Urban kritisiert die evangelische Kirche, weil sie eben keine Reformkirche mehr sei, sondern zunehmend fundamentalistisch. Das Interessante daran ist auch, dass Gerhard Roth das Vorwort geschrieben hat, ein relativ bekannter Hirnforscher und Konstruktivist. Hatte jedenfalls schon auf den ersten Seiten eine helle Sekunde, in der mich plötzlich beim Lesen das Gefühl packte, die Verbindung zwischen kognitiver Autonomie und dem ewigen Leben, bzw. der Seele für mich ableiten zu können. War dann aber doch nix. Egal, daran sind aber wohl schon einige andere vor mir gescheitert.

Herrndorf hat zu dem Thema einen schönen, schrägen Gedanken verfasst, den seine Protagonistin Isa auf ihre unnachahmliche Art formuliert: „Im einen Moment denkt man, man hat es. Dann denkt man wieder, man hat es nicht. Und wenn man diesen Gedanken zu Ende denken will, dreht er sich unendlich im Kreis, und wenn man aus dieser unendlichen Schleife nicht mehr rauskommt, ist man wieder verrückt. Weil man etwas verstanden hat.“ (S. 106)

Das Verrückte, wenn ich in Schleswig Holstein bin, ist, dass ich denke, ganz viel Zeit sei vergangen und gleichzeitig wieder überhaupt keine, weil viele Dinge immer noch ganz ähnlich sind, viele Wege noch dieselben, und wenn ich sehe, wie meine Söhne nun in dem Alter, in dem ich damals war, bestimmte Wege gehen, füllen sich meine Augen mit Wasser.

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Vielleicht bin ich auch bloß überarbeitet.

Hatte noch nie zuvor das Gefühl, dass einen seine „Frei-Zeit“ so unter Druck setzen kann. Das muss (s)ich im nächsten Jahr ändern. Es kann nicht sein, dass Luxusprobleme zu alltäglichen Problemen auswachsen.

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Danke dem Himmel, dass meine Söhne noch so ein Faible für die Natur haben. Waren am Wochenende zweimal am Langsee, nicht bei bestem Wetter, aber egal. Die großen Bäume, das Rauschen der Blätter, das Plätschern des Wassers – da kann man zum Existentialisten werden. Oder zum Naturphilosophen. Es wirkt tatsächlich so, als stecke in jedem alten Baum ein Geist, und das hat nichts mit Konstruktivismus zu tun. Oder vielleicht gerade doch?