Unter Wegs 0623

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Freitagnachmittag. Nach zehn Tagen on the road bin ich wieder auf dem Rückweg mit dem ICE nach Hamburg. Halten gerade in Münster, da kochen gleich wieder Heimatgefühle hoch. Es waren ohnehin sehr reiche, aber auch fordernde Tage. Körperlich und mental. Mittendrin vier komplizierte Drehtage für den SAT1-Check. Interview in Köln mit der Konsumforscherin Dr. Eva Stüber, einen Tag später in Osnabrück mit dem Preis-Experten Clemens Vest, diese Woche Dienstag in Franken Interview mit dem Baur-CEO Stephan Elsner, gestern in München dasselbe Programm nochmal mit dem Country Manager von Amazon, Rocco Bräuniger. Und zum Abschluss spätabends noch ein funkelnder Biergarten-Besuch in Marbach am Neckar mit meinem alten Studienfreund Jan, der gerade mit seiner Familie aus Amerika gekommen und auf Heimatbesuch ist. Dazwischen, letzten Donnerstag, vom Dreh in Osnabrück direkt nach Münster gefahren, einen wundervoll inspirierenden Nostalgie-mit-Blick-nach-vorne-Abend mit meinem alten Freund DJ Mike Sugar in den schönsten Kneipen Münsters verbracht (Kuhviertel, Nordstern, Mocambo Bar), am nächsten Abend in meiner alten Hometown Wolbeck 30-jähriges Abi-Treffen gefeiert (mit fast 50 ehemaligen MitschülerInnen) und im Anschluss ein Vater-Sohn-Wochende mit meinem alten Herrn verlebt, was auch total nett war. Feuer gemacht. In altem Spielzeug gewühlt. Musste zwar bei der Entrümpelung des Kellers helfen (so einen alten Heizkessel rauszutragen stecke ich auch nicht mehr weg wie ein 20-Jähriger), doch mir ist natürlich mal wieder aufgefallen, dass man im Erwachsenenalter viel zu wenig Zeit mit seinen Eltern verbringt.

DJ Mike Sugar und ich - da geht noch was ...
DJ Mike Sugar und ich – da geht noch was …

Nun bin ich – und vielleicht ist das angesichts des Pensums verständlich – etwas müde. Das Tückische bei meinem Job ist ja auch, dass die Arbeit am Ende einer solchen Drehreise nicht erledigt ist, sondern, streng genommen, erst beginnt. Versteht man den Schnitt als „Montage“ (deswegen heißt es ja eigentlich auch so), ist das Drehen ja im Grunde nur der Gang in den Baumarkt, das Besorgen der Materialien. Dann fängt man an zu „montieren“ und hofft, dass die Teile, die man (über Wochen in ganz Deutschland) besorgt hat, zu den Bauplänen passen, die man ursprünglich mal mit den Kollegen und Kolleginnen gezeichnet hat.

Inside Amazon ...
Kundenzentriertheit …

Ich kann sicher sagen, dass ich, wie immer, nichts auf die leichte Schulter genommen habe. Ich habe versucht, jedes Interview mit den CEOs und den ExpertInnen so optimal wie möglich vorzubereiten, klar und auf Augenhöhe zu kommunizieren, alle möglichen Aspekte, Fragen und Abzweigungen dieses komplexen Themas (Onlinehandel) auf dem Schirm zu haben, links und rechts wach zu bleiben und dennoch das große Ganze dabei nicht aus den Augen zu verlieren. Und trotzdem ahne ich, dass es wieder Momente im Schnitt geben wird, wo „was fehlt“, ein Ton „kratzt“, eine Frage vergessen wurde oder ein Bild. Wenn ich in 20 Jahren Fernsehjournalismus etwas gelernt habe, dann wohl dies: Die (Handwerks-)Kunst besteht nicht nur darin, ein Thema zu stemmen und aus den vielen Ideen, Gedanken, Bildern und Tönen einen Film bis zur Aufführung zu bringen. Die eigentliche Kunst besteht darin, bei all dem Druck den man hat, gepaart mit dem (leicht pathologischen) Hang zur Perfektion, sich eben nicht über die kleinen Fehler und Unzulänglichkeiten, die normal sind, kaputt zu ärgern, sondern am Ende vor allem die vielen, interessanten Begegnungen mit den Menschen, die man unterwegs getroffen hat (beruflich und privat), in Erinnerung zu behalten. Und so war es diesmal wieder: Die Zusammenarbeit mit den Kamerateams, PressesprecherInnen, die alten WegbegleiterInnen, Freunde, Väter und auch die CEOs riesiger Unternehmen – das ist etwas, was wirklich hängen bleibt: Dass es da draußen sehr viele nette und/oder interessante Menschen gibt, die – wie man selbst – einfach nur versuchen, jedem Tag etwas Gutes abzugewinnen.

Um ehrlich zu sein, hatte ich vor dem Antritt der Reise ein bisschen Sorge, dass diese zehn Tage zu dicht werden könnten. Dass ich irgendwo auf der Strecke bleiben könnte. Aber weil die Tage davor und die Tage davor und die Tage davor auch schon dicht waren, konnte ich an den Plänen nichts mehr ändern, sondern musste mich auf mein Pferd setzen, die Lanze einklemmen und losreiten. Vielleicht hat mich ein Schutzengel begleitet, vielleicht waren die Pläne auch gut durchdacht. Zumindest größtenteils. Vielleicht hatte ich auch einfach Glück. Was soll ich sagen? Ich hab ein paar Treffer abbekommen, aber ich sitze noch im Sattel. In der Hoffnung, dass Rapunzel gleich das Haar herablässt, wenn Stahlross und Reiter beim alten Dorfturm in die Eisen gehen.

Nachtrag am Samstag: Das Sahnehäubchen auf meinem ausgefuchsten Dreh- und Reiseplan-Pudding vernaschen die Prinzessin und ich übrigens heute Abend: Erobique spielt im Stadtpark. Übrigens auch jemand mit Münsteraner Vergangenheit. Zufall? Habe die Karten vor Wochen auf gut Glück gekauft, ohne zu schauen, ob der Termin überhaupt passt. Jetzt kommt der Gig wie eine Belohnung für die ganzen Strapazen daher. Ein bisschen wie Urlaub in Italien … ohne die Eltern.

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Bayern ist wieder Meister, aber wie!!!??? Was für ein Saisonfinale! Aber, ganz ehrlich, ich hätte es den Dortmundern gegönnt, wenn sie es geschafft hätten. Haben sie aber nicht. Und das ist das Problem. Doch mir gehen die Bayern dieses Jahr selbst ein bisschen auf die Nerven. Was für ein Theater da immer. Aber spannend. Und die 2. Liga war natürlich genauso spannend, da hoffen wir jetzt mal auf die Relegation …

Ich liebe diese Zeit im Mai, mit den sportlichen Highlights und der Vorfreude auf den Sommer. Es ist schon warm, man kann draußen sitzen und grillen, aber es ist nicht so ätzend heiß, dass man es nicht aushält. Und wie jetzt die Terrassen explodieren … so vollmundig schön sind die Blumenkästen nur in diesen Tagen. Ab jetzt geht es darum, sie, so gut es geht, am Leben zu erhalten.

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Apropos „am Leben erhalten“ ;-) – Ich spüre jetzt, da am Ende des Jahres die 50 auf mich lauert, eigentlich zum ersten Mal im Leben das Gefühl, dass mir nicht mehr ewig Zeit bleibt, um mein Leben so zu gestalten, wie ich es mir wünsche. Oder immer gewünscht habe. Das betrifft natürlich vor allem das, was ich tagtäglich tue. Meinen Beruf, der aber eben nicht meine Berufung ist. Es niemals war. Also, ich glaube, ich kann das richtig, richtig gut, aber das bedeutet ja nichts. Zumindest mir nicht.

Ich habe ja eigentlich immer gehofft, ich könnte irgendwann von meiner Kunst leben (Musik, Bücher). Und der Job beim Fernsehen kam da ganz gelegen. Er war aber eigentlich immer so als „Lückenbüßer“ gedacht, als eine bezahlte „Weiterbildung“, um die Kinder in sicheren Verhältnissen großzuziehen und sich nebenbei noch das Filmemachen beizubringen. Kontakte zu knüpfen. Die Mechanismen der Mediengesellschaft zu verstehen. Und so konnte ich das 20 Jahre ganz gut machen. Aber jetzt?

Nicht, dass es nicht interessant wäre; wir sind ja gerade voll im Produktionsstress, für den SAT1 Check zum Thema Onlinehandel. Ich habe da tatsächlich auch nochmal einiges gelernt. Wie das alles so funktioniert. Und was nicht so gut funktioniert. Letzten Montag haben wir mit einem Hamburger Frauenfußball-Team gedreht. Die sollten parallel eine Sammelbestellung bei unseren teilnehmenden Onlinehändlern durchführen. Das war sehr lustig und nett.

Jetzt führen wir – meine Co-Autorin und ich – die wichtigen Interviews, mit den CEOs der großen Unternehmen: SATURN, Amazon, BAUR, im Juli dann noch OTTO. Und das ist schon bemerkenswert, wie wir uns da immer aus dem laufenden Prozess heraus auf diese hochkarätigen Termine vorbereiten. Ich möchte nicht sagen, dass wir uns nicht sehr gut vorbereiten, im Gegenteil, wir streben immer nach der optimalen Ausgangslage, doch ich könnte mir vorstellen, dass ein(e) WirtschaftsjournalistIn solche Interviews vermutlich etwas anders angehen muss. Man sollte sich ja auf Augenhöhe unterhalten, Hintergründe kennen, darauf achten, dass man hinterher nichts Falsches erzählt, es up to date ist, dem Thema angemessen und für die Zuschauer dennoch verständlich. Aber gut, irgendwie gelingt uns das ja immer. Und vielleicht ist das eine Stärke von uns: als„UniversalexpertInnen“ (denn nichts anderes sind wir ja) von der Seite zu kommen, die Situation einzuschätzen und sich in kürzester Zeit möglichst optimal auch auf komplexe Fragestellungen vorzubereiten – damit am Ende alles zusammen passt. Auch eine Kunst, irgendwie.

Mai be good

Menschen sprechen mich an. Dass sie auf meinen Blog gegangen sind und festgestellt haben, dass ich lange nichts geschrieben habe. Das stimmt. Und, ehrlich gesagt, kann ich gar nicht sagen, woran das liegt. Ich meine, woran das wirklich liegt. Es gibt vordergründige Erklärungen: Zu viel Arbeit, zu wenig Zeit. Zu viel Stress, zu wenig Muße. Und so ganz profane Dinge: oh, nee, jetzt lieber Fußball gucken, Feierabend genießen, Füße hochlegen usw. Ihr kennt das sicher. Aber, wie gesagt, das sind nur vordergründige Erklärungen. Denn, streng genommen, kann es doch gar nichts Wichtigeres geben, als diese eine Leben, das man hat, ein wenig zu dokumentieren. Nicht (nur) für andere, sondern vor allem für sich selbst. Um später vielleicht einmal zu verstehen, warum die Dinge so gelaufen sind, wie sie gelaufen sind – im Guten wie im Schlechten.

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Dann würde man irgendwann feststellen, dass das Frühjahr 2023, das man damals in dem Moment (mal wieder) als anstrengend empfand – ja, ich rede (mal wieder) vom Job -, eigentlich voller Glücksmomente war. Gestern Nachmittag hatte ich so ein erweckendes Erlebnis: Meine Frau lag glücklich und zufrieden in der Badewanne, weil sie endlich dazu gekommen war, die Terrassen zu schrubben (da halte ich mich jedes Jahr vornehm zurück, ich bin eher für die Bepflanzung zuständig), ich zur gleichen Zeit unten auf der Couch weilte, im Fernsehen lief Fußball, auf dem Tisch ein kühles Bier, der Kater still zur Rechten, die Jungs zogen mich im Familien-Chat mit frechen (aber doch lustigen) Nachrichten auf, weil mein Verein gerade Mist spielte, und ich dachte, Mann, was willst du eigentlich? Du hast doch alles, was man braucht, um glücklich zu sein.

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Wir waren eine Woche mit einem gemieteten Bulli unterwegs, um mal zu schauen, ob uns diese Art zu reisen gefällt. Wir haben den Roadtrip mit der Hochzeit meiner Schwester in der Rhön verbunden und anschließend noch ein paar Tage drangehängt. Haben den einen Sohn in Köln besucht, waren an der Weinstraße und zum Schluß sogar noch in Thüringen, wo Ellen & Jonas, die ich 2019 für „Abenteuer Freiheit“ gedreht habe, jetzt eine Art Campingplatz aufbauen. Es waren ganz besondere Tage mit ganz besonderen Menschen, und meine Frau und ich haben das sehr genossen. Auch dass wir diese Erlebnisse teilen dürfen. Und wir haben uns etwas in dieses Auto verknallt. Mal sehen, vielleicht in naher Zukunft … wobei, als Neuwagen sind die natürlich kaum zu stemmen.

Ansonsten – um mal kurz die Sparte NEWS zu bedienen – freue ich mich darüber zu verkünden, dass mein neues Buch jetzt die nächsten Stufen des Produktionsprozesses durchläuft. Es gibt eine Titel, sogar schon Titelentwürfe, der Text ist korrigiert und wird nun gesetzt. Und die Tatsache, mit wieviel Eifer diejenigen, die damit zu tun haben, bei der Sache sind, erfüllt ich mit Stolz und Freude. Ich werde mir jetzt, da es in die heiße Phase geht, mal Gedanken machen, wie ich da draußen ein bisschen Lust und Spannung aufbauen kann, ohne zu nerven. DAS ist doch mal ein schönes Kommunikationsziel, oder?

Genießt jeden Tag, den ihr ohne existentielle Ängste begehen könnt. Und, nein, es ist kein existentielles Problem, wenn der Lieblingsverein gerade Mist spielt. Es sei denn vielleicht, man ist zufällig HSV-Fan. Dann geht das wirklich irgendwann an die Substanz … ;-)

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Nach dem Film ist vor dem Film

3SAT

SRF auf 3SAT

Gerade läuft meine Doku-Reihe, die ich fürs Schweizer Fernsehen realisiert habe, nochmal an zwei Abenden auf 3SAT. Und ich würde an dieser Stelle gerne ein paar persönliche Anmerkungen teilen.

Ich habe ein bisschen gezögert, ob ich die Ankündigung in den Sozialen Netzwerken teilen soll oder nicht. Weil ich natürlich ahne, dass einige Menschen denken, wir hätten – nur, weil sich unsere ProtagonistInnen nicht ausnehmend kritisch über die politischen Zustände in der Golfregion äußern – nicht kritisch genug gefragt.

Meine Mutter hat sich letzte Woche die ersten beiden Folgen angeschaut, ganz klassisch, linear in der Spätvorstellung auf 3SAT. Kurz vorher lief eine Reportage über Katar auf arte. Die hat sie auch gesehen. Und sie war dann etwas überrascht, wie wohlwollend, optimistisch und – bei aller Kritik – zum Teil eben auch wertschätzend meine ProtagonistInnen über Katar gesprochen haben. Ebenso die ProtagonistInnen in Dubai.

Es ist eine Binse, aber dennoch wurde mir da wieder einmal klar, wie unterschiedlich die Blickwinkel auf das Geschehen und die Menschen sind. Dass ich Tage, zum Teil Wochen mit den Menschen verbringe, in deren Umfeld und vor Ort, der Zuschauer diese aber genau ein Mal, aus heiterem Himmel, ohne Vorwissen auf 8 Minuten pro Folge komprimiert zu sehen bekommt. Dass ich diese Menschen natürlich auch in den Momenten zwischen den Aufnahmen ganz anders kennenlerne. Und dass (reflektierte) Menschen auch abstrahieren können und sich vielleicht ein wenig überlegen, was sie in der Öffentlichkeit so von sich geben.

Ich habe für meine ProtagonistInnen stets auch eine gewisse Verantwortung. Es gibt für uns alle immer ein Leben nach der Produktion. Und ich bin mit der Art und Weise, wie wir das (auch mit meinen KollegInnen aus Hamburg und Zürich) gelöst haben, sehr zufrieden. Und ich glaube, dass man viel über die Region erfährt. Ich bin aber auch etwas erleichtert, dass das, was ich schon vor ein paar Wochen gesagt habe, mittlerweile nicht mehr „anrüchig“ ist. Dass das allgemeine Katar-Bashing und die Haltung, die hierzulande in vielen Fällen dahintersteht, auf lange Sicht nicht unbedingt zielführend sein muss.

Meine Mutter hat – ohne, dass ich sie darauf stoßen musste – etwas ganz Kluges gesagt: Sie erinnerte mich gewissermaßen an meinen Sendeauftrag: ein Porträt zu erstellen über ein paar bestimmte Menschen, die in der Region am Persischen Golf leben und arbeiten. Dort einen Alltag bestreiten. Ja, diese Menschen leben ein vergleichsweise gutes Leben – und in das haben sie mich hineinblicken lassen. Und dafür bin ich dankbar.

Ich drehe jetzt seit über zehn Jahren im Ausland. War in den USA, China, Russland, Brasilien und in vielen Ländern Europas. Und jetzt im Mittleren Osten. Und ich kann sagen: Es gibt viele unfassbar interessante Regionen und Menschen auf dieser Welt.

Und: Ich schätze unsere Demokratie, in der wir leben, sehr. So sehr, dass ich finde, man muss sie schützen. Im Notfall vielleicht sogar vor sich selbst.

Mer lasse de DOM in Hamburg

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Die Kerzen auf dem Kranz sind an, das Turnier ist aus. Vielleicht besser für „die Mannschaft“. Wer so früh rausfliegt, kann zuhause immerhin noch ein wenig besinnliche Adventszeit genießen. Was für ein Trubel in Katar. Aber nicht nur da. Auch hier. Wer sich alles die Köpfe heißredet. Über alles und nichts. Manchmal denke ich, wir sollten weniger brüllen und mehr reden. Weniger schreien und mehr zuhören. Erst nachdenken, dann vordenken. Nicht bei jedem Nachbarn die Fußmatte hochheben, sondern erst einmal bei uns selber nachschauen und überlegen, wo WIR anfangen können, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Und Glück zu erkennen, wenn man es hat.

Letztens saß ich mit meiner klugen Frau vor dem Fernseher. Und wir sprachen über unsere Kinder, unsere Freunde, unsere Arbeit (die oft nervt). Und neben uns schliefen die Katzen im Arm. Und meine Frau sagte: Wenn im Prinzip alles so bleibt, wie es jetzt ist, ist alles gut. Und es stimmte: Es war ein unfassbar unaufgeregt gemütlicher zufriedener Moment.

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Was nicht heißt, dass man keine Impulse setzen sollte. Habe – jetzt, da die Jungs groß sind – in den letzten Monaten ja wieder mehr Augen- bzw. Ohrenmerk auf die Musik gelegt. Habe mir nach über 20 Jahren sogar mal wieder Equipment gekauft: zwei Becken, ein neues 16er und ein gebrauchtes 14er, weil ich vorher nur so riesige Dinger für die Rockband hatte. Jetzt kann ich auch wieder etwas filigraneres Zeug anbieten. Die Becken waren gewissermaßen ein Weihnachtsgeschenk an mich selbst, auch als Dankeschön an mich, dass ich so lange durchgehalten habe. Hatte sie letzte Woche mit im Übungsraum und bin total happy.

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Jetzt, da die Kinder aus dem Haus sind, können wir endlich gesund einkaufen.
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Und, ja, es gibt auch lustige Zuckerbäcker …

Apropos happy: Was ich (fürs nächste Jahr) gerade im November als Stimmungsaufheller empfehlen kann, ist ein Besuch auf dem Winter-DOM. Haben meine Frau und ich letzten Mittwoch noch so gerade eben geschafft. Einmal handgemachte Pommes, eine Schokobanane, einmal Wilde Maus und einmal den Alpen-Coaster. Wirklich, wir haben lange nicht so sinn- und zweckfrei aus vollstem Herzen „geschracht“ (geschrien + gelacht = geschracht). Herrlich.

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WehM

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Spielball beim Workers Cup

Freitagabend lief in der Schweiz die vierte und letzte Folge meiner Doku-Reihe über die SchweizerInnen am Golf. Sollte ja auch ein bisschen einstimmen auf die WM in Katar und hatte nochmal eine Superquote: 29%. Das ist für deutsche Verhältnisse der absolute Oberhammer, aber auch für die Schweizer, richtig gut.

Gestern nun hat die Fußball-WM begonnen, und ich mache keinen Hehl daraus, dass mir da natürlich auch Einiges durch den Kopf gegangen ist. Es ist schwer, sich darauf zu freuen. Weil es ein ungewohnter Zeitpunkt ist, aber auch wegen der ganzen Nebengeräusche. Und diese ganzen Nebengeräusche sind natürlich auch berechtigt. Und es werden ja täglich mehr.

Auf der anderen Seite kann ich – nachdem ich durch meine Reisen nun einige Akteure in Katar kennen gelernt habe – gar nicht anders, als auch deren Perspektive einzunehmen. Katar hat in wenigen Jahren, was seine Infrastruktur angeht, eine rasante Entwicklung durchgemacht. Wo heute Wolkenkratzer und mehrspurige Autobahnen sind, war noch vor zwanzig Jahren Wüste. Zu glauben, die Lebensweise, Ansichten und Traditionen der einheimischen Katarer wären genauso schnell – nach westlichem Vorbild – „umgebaut“ worden, ist natürlich naiv.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich liebe die Demokratie, ich liebe die freie Meinungsäußerung, ich liebe die Tatsache, dass meine Söhne einen Mann heiraten könnten, wenn sie wollten. Ich liebe es, dass meine Frau mich nicht fragen muss, wenn sie Geld verdient oder ausgibt. Dass sie wählen und sich in der Öffentlichkeit zeigen kann, wie es ihr gefällt. Wir dürfen diese Werte auch nach außen vertreten (und müssen sie u.U. sogar verteidigen), wichtig ist die Haltung, mit der das geschieht. Aber vielleicht war ich auch naiv.

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Stadionbesichtigung

Ich war während meiner Drehs vor Ort – insbesondere durch meine Gespräche mit einer Gewerkschafterin aus Basel, die seit 2018 mit einem internationalen Team in Katar Stadioninspektionen durchgeführt hat – einigermaßen beeindruckt. Nicht nur von ihrer Arbeit, sondern auch davon, wie positiv ihr Zwischenfazit ausfiel. Sie erzählte mir, dass es nun einen guten Standard auf den Stadienbaustellen gebe, ebenso regelmäßige Gespräche mit dem Arbeitsministerium über eine Ausweitung der Verbesserungen auf alle Arbeitsbereiche, außerdem sei eine zentrale Anlaufstelle für die MigrationsarbeiterInnen angedacht, wo diese hingehen und sich bei Problemen beraten lassen könnten. 

Ende März durfte ich dem Worker´s Cup beiwohnen, einem von den Gewerkschaften organisierten Fußballturnier für die Workers zum Abschluss einer mehrtägigen Konferenz, auf der auch noch mal viel über die Zukunft der ArbeiterInnen in Katar diskutiert und beraten wurde. Auch Vertreter der Fußballer-Gewerkschaft waren bei dem Event, ehemalige Profis. Sie alle haben in mir das Gefühl ausgelöst, dass sich tatsächlich etwas bewegen könnte. Dass es gut und richtig ist, nun das Beste aus der Sache zu machen, das Turnier nicht zu boykottieren, sondern über die umstrittene WM mit Katar ins Gespräch zu kommen und die Situation für die ArbeiterInnen (in der Golfregion allgemein) nachhaltig zu verbessern. Und ich kann sagen: Der Spirit bei den Beteiligten, mit denen ich gesprochen habe, war im Frühjahr 2022 vorsichtig optimistisch, dass das gelingen könnte.

Vor drei Tagen, also am selben Tag, an dem meine letzte Folge ausgestrahlt wurde, erreichte mich eine Pressemail des Gewerkschaftsverbandes BWI, in der es nun ziemlich ernüchtert hieß, die Verantwortlichen in Katar hätten sich leider bis zur Eröffnung der WM nicht mehr, wie gewünscht, verbindlich zu einigen zentralen im Frühjahr angestrebten Verbesserungen und Maßnahmen geäußert. Das zu lesen, überraschte und enttäuschte mich mehr, als ich gedacht hätte. Und ich frage mich, was in den GewerkschafterInnen vorgehen muss, die über vier Jahre lang versucht haben, Schritt für Schritt mit den Verantwortlichen zu gehen.

Ich werde schon ganz blöd im Kopf. Noch eine Katar-Akte? Nein, Katarakte ... die Niagarafälle sind's ...
Ich werde schon ganz blöd im Kopf. Noch eine Katar-Akte? Nein, Katarakte … die Niagarafälle sind’s …

Das andere Problem ist, dass die Kommerzialisierung des Fußballs mittlerweile genauso unumkehrbar scheint wie der Klimawandel. Und dass versäumt wurde, die FIFA frühzeitig zu reformieren. Ich denke zum ersten Mal ernsthaft darüber nach, 2023 alle Sport-Abos zu kündigen und nur noch Amateurfußball zu gucken.

Vielen Dank für das Leben

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So, jetzt ist es kalt, jetzt ist es grau, jetzt ist es stürmisch, jetzt ist November. Lese gerade (viel zu spät) Sibylle Bergs „Vielen Dank für das Leben“; starker Text, der in seiner schonungslosen, messerscharfen und leider absolut glaubhaften Offenheit bezüglich der empathielosen (Um-)Welt der Hauptfigur Toto allerdings auch nicht gerade zur Erbauung beiträgt. Lange her, dass ich jemanden, den es gar nicht gibt, so sehr beschützen wollte. Arme Toto.

Höchste Zeit, Kerzen anzuzünden.

Stehe immer noch ein wenig unter dem Eindruck meiner kleinen Berlin-Reise. Neben den interessanten Museum-, Galerie- und Filmfestival-Besuchen freut es mich vor allem, neben meinem Patenkind ein paar ganz verschiedene, alte Freunde besucht zu haben. Das ist ja manchmal auch ein kleines Wagnis. Gerade bei Menschen, die man sehr lange nicht gesehen und mit denen man vorher jetzt auch nicht täglich Kontakt gepflegt hat. Weil man nicht weiß, ob die nicht plötzlich AfD wählen oder Corona leugnen oder unreflektiert und in einer Tour auf „die da oben“ schimpfen. Man möchte ja eigentlich nicht, dass sich Menschen (oder Dinge), mit denen wir vorher gut klar gekommen sind, verändern. Und wenn, dann bitte nur zum Positiven. Weil die meisten von uns Probleme haben, sich auf eine neue Situation einzustellen. Dann müssten wir uns am selbst Ende noch verändern. Deswegen – und da schließt sich der Kreis – bin ich glücklich. Nicht, weil ich Angst davor hätte, mich weiterzuentwickeln, im Gegenteil, da ist noch Luft nach oben. Ich passe mich mitunter gerne an, wenn ich das Gefühl habe, dass daraus etwas Neues entsteht. Nein, ich bin glücklich, weil meine alten Freunde zwar älter geworden sind, aber nicht in negativer Weise merkwürdig. Oder gar böse. Weil man ja manchmal denkt, allmählich werden alle Menschen hysterisch, dumm oder hängen irgendwelchen Verschwörungstheorien nach. Aber wenn man dann unabhängig voneinander drei verschiedene Menschen trifft, die man alle jahrelang nicht gesehen hat, und alle drei ticken noch einigermaßen richtig, dann gibt das Hoffnung für das große Ganze. Dann kann es draußen auch mal stürmen; und der Tag sich weigern aufzuwachen.

Elfter Elfter

Karneval!!!!

Gut, dass ich in Berlin bin. Einer unserer Söhne weilt allerdings in Köln. Er hat sich sogar drauf gefreut, auf die erste Karneval-Sause seines Lebens. Hatte insgeheim gehofft, dass er als „embedded Karnevalist“ vielleicht ein paar Clips in den Familien-Chat leakt, aber andererseits macht man sich wahrscheinlich nur Sorgen, wenn man das ganze Übel plötzlich sieht.

Insofern genieße ich noch ein wenig die letzten Tage in Berlin. Treffe alte Freunde, besuche Galerien, Museen, schreibe. Im neuen Buch geht es ja am Rande auch um die ganze Mauerfall-Thematik. War deswegen im Tränenpalast und im The Wall-Museum, und ich muss sagen, das war sehr interessant. Obwohl mir viele Kleinigkeiten schon aus der Recherche der letzten Wochen bekannt waren.

Aber manchmal hilft es ja auch, einen neue Perspektive einzunehmen. Hatte z.B. vergessen, welche entscheidende Rolle Genscher damals gespielt hat. Wie er da innerhalb weniger Tage – mit seinen Ärzten im Schlepptau wegen der Herzproblematik – ein paar Mal um die Welt geflogen ist, um allen zu versichern, sie müssten keine Angst vor dem neuen Deutschland haben.

Ein Raum im The Wall-Museum ist dem Konzert gewidmet, das Roger Waters damals auf dem Potsdamer Platz organisiert hat. Als ich die Videoschnipsel vom Konzert gesehen habe, wurde mir plötzlich klar: Ich war damals da! Ich habe das Konzert live gesehen, als einer von 300.000 Menschen. Aber das war gar nicht mein Verdienst. Mein Vater hatte die Tickets besorgt. Für meine Schwester und meine amerikanische Gastschwester, die damals in Deutschland zu Besuch war. Ich hab das damals gar nicht so gecheckt, wie historisch das eigentlich war – heute völlig zurecht eine Museumsstation.

Schaut euch den Tränenpalast an, wenn ihr in Berlin seid
Schaut euch den Tränenpalast an, wenn ihr in Berlin seid

Und der Tränenpalast? Wenn man sich das mal mit etwas Zeit anschaut, diese kristallklare, messerscharfe, gläserne Abfertigungshalle abgeht, sich die Briefe der voneinander getrennten Familien durchliest, sich in die Holzboxen stellt, die da immer noch stehen, und in denen die Menschen damals auf den Ausreisestempel gehofft und allzu oft enttäuscht worden sind, in totaler Abhängigkeit von dem jeweiligen Beamten (Welcher Menschentyp wählt so eine Position?), unter fadenscheiniger Begründung wieder nach Hause geschickt. Oder gleich in U-Haft. Wenn man in die Gesichter blickt, auf den Fotos, das Leid, die Verzweiflung, ich meine, der Name „Tränenpalast“ kommt ja nicht von ungefähr.

Ja, wir haben Anfang der Neunziger alle gedacht, nun wird das Leben eine einzige Party. Alle, die sich vorher mit Bomben beschmeißen wollten (und es war ein paar Mal knapp auf Kante, das vergisst man auch, und Deutschland wäre mittendrin gewesen), sprechen plötzlich miteinander. Und diese Gespräche bringen sogar was. Und die Demokratie wird von den Menschen gewünscht. Der Rest ist Geschichte. Und Geschichte wiederholt sich. Bleiben wir also wachsam. Ein selbstbestimmtes Leben in Frieden ist alles andere als selbstverständlich.

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Aktueller, denn je

Berlin 1

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Wir schreiben die letzten, wilden, freien Tage, bevor ich nächste Woche wieder ins Büro muss, und, ja, ich versuche, mir in der Welt da draußen nochmal soviel Input wie möglich zu holen. Da bietet sich Berlin natürlich an.

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Ein kurzer Rückblick: Nach einer phänomenalen MTA-„Gute Menschen“-Premierenlesung mit Sigrid Behrens und Dominique Horwitz letzten Donnerstag, bei der ich die große Ehre hatte, eine kleine Zwischenmoderation mit Fragen an die Autorin zu gestalten, sind meine Frau und ich dann gleich am nächsten Morgen (etwas verkatert) in Richtung Osten aufgebrochen.

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Zuerst haben wir einen Abstecher in einem Schlagzeugladen gemacht, Maydrums in Schnega, weil ich – angefixt u.a. durch das tolle Konzert in der Woche zuvor (s. 4Fakultaet) – plötzlich Lust hatte, mir nach Jahren mal wieder ein Becken zu kaufen. Und Martin von Maydrums bietet einen guten Preis und, vor allem, eine vergleichsweise große Auswahl vor Ort, d.h. man kann seine eigenen Becken mitbringen und die Becken im Laden dazu auch wirklich anspielen und vergleichen, das ist ja in Hamburg kaum noch möglich. Bin auch fündig geworden ;-)

Crash-Kurs für Trommler mit Beckenschiefstand
Crash-Kurs für Trommler mit Beckenschiefstand

Dann weiter nach Berlin, mit Schutzengel an Bord, weil wir wirklich kurz vor Berlin haarscharf einem unfassbaren Stau und Verkehrschaos entkommen sind. Also, pünktlich im Hotel in Mitte eingecheckt, einen Parkplatz vor der Tür gefunden und dann gleich am selben Abend noch eine hochinteressante Veranstaltung besucht: Das Zebra Poetry Film Festival! Da geht es um verfilmte Gedichte, also eigentlich genau mein Ding, und ich frage mich, warum das jahrelang unbemerkt an mir vorbeigegangen ist, zumal doch mein alter Freund Gian-Philip Andreas da sogar regelmäßig Jahr für Jahr einige Veranstaltungen moderiert. Hat mich jedenfalls sehr inspiriert. Nicht nur das Programm, auch das Wiedersehen mit Gian-Philip, einem der klügsten Menschen, die ich kenne.

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Am nächsten Tag ging die inspirierende Reise dann weiter. Habe die Galerie von Mathias Güntner besucht, ein Galerist aus Hamburg, den ich über unsere MTA-Autorin Dagrun Hintze kennengelernt habe. Mathias hatte ziemlich viel um die Ohren, was ich einigermaßen verwundert festgestellt habe, weil ich in meiner Naivität irgendwie dachte, Galeristen arbeiten so wie Kunsthändler irgendwie … ja … „unbemerkt“. Naja, jedenfalls hat er sich trotzdem freundlicherweise total viel Zeit genommen und mir das alles mal erklärt, wie das so funktioniert in der Kunst. Und wie man Künstler wird. Und wie wichtig da der Werdegang ist. Oder auch nicht, bzw. wie der seltene Fall aussehen muss, dass man als Quereinsteiger plötzlich Kunst machen kann. Wenn ich Freitag noch hier bin, schaue ich mir eine Ausstellungseröffnung bei ihm an.

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Am nächsten Tag haben wir mein Patenkind besucht, was auch superschön war. Besuche dieser Art waren in den letzten zwei, drei Jahren ja nicht so einfach möglich. Deswegen ist es mir wichtig, den Kontakt da nicht komplett abreißen zu lassen. Außerdem ist es auch spannend, sich jetzt, da die eigenen Söhne alle groß und aus dem Gröbsten raus sind, wieder mit jüngeren Kindern zu beschäftigen. Das kann man jetzt – mit etwas mehr Distanz und weniger Involviert-Sein – ganz anders angehen. Gelassener irgendwie, wie so vieles.

Insofern lässt sich vielleicht erahnen, wie reich meine Tage in Berlin gerade sind. Und dabei habe ich noch gar nichts über den eigentlichen Anlass meiner Reise geschrieben. Wollte nämlich ursprünglich für meinen neuen Roman, der für nächstes Jahr geplant ist, nochmal ein paar bestimmte Berlin- und Mauerfall-Themen recherchieren und „erspüren“, weil es in der Geschichte auch um diese Zeit zwischen Herbst 89 und Herbst 90 geht, also im Grunde um das „Heute“ vor etwas über 30 Jahren. Werde mir noch einige Museen anschauen (z.B. Tränenpalast, The Wall-Museum) und Orte besuchen (Alexanderplatz), doch davon die Tage mehr.

Fazit: Auch wenn es sich komisch anfühlt, dass meine Frau schon abreisen musste (die Arbeit), genieße ich diese Tage sehr. Dieses bewusste im Hier-und-Jetzt; im Zweifel eine Nacht in meiner idyllischen Unterkunft im ehemaligen Grenzgebiet dranzuhängen, weil das letzte Hemd keine Taschen hat. Und weil niemand weiß, ob man morgen die Dinge noch klar denken, fühlen und erleben kann. Ja, vielleicht auch weil das große Ganze drumherum immer beängstigender wird, und die Aussicht, die Welt könne nun in Ruhe und Frieden altern, Tag für Tag auf beinahe groteske Art dekonstruiert wird, sobald man die Nachrichten einschaltet.

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Schöne Aussicht, immerhin hier

Und ganz egal, was aus meinem Buch wird. Oder meiner Musik, meiner Kunst. Oder meiner Arbeit (gerade läuft der 4-Teiler über Katar in der Schweiz und ich ahne, dass die Reihe kontrovers diskutiert wird). Ich habe mir fest vorgenommen, in nächster Zeit umso verlässlicher und hoffnungsvoller und positiver für meine Liebsten da zu sein, je verrückter es da draußen wird. Ja, die eigenen Ziele und Träume sind wichtig, aber nicht so wichtig wie die Verantwortung für die Menschen, die man sich vertraut gemacht hat. Das hat mich die Krise gelehrt. Dankbar bin ich den Verursachern der Krise deswegen allerdings nicht.

Remo und Julia n

Mal gucken, wer den Titel versteht. Nur die Trommler, wette ich, egal.

Reformationstag. Allerheiligen. Bald beginnt die Adventszeit, aber es ist immer noch zu warm für die Jahreszeit. Zumindest kühlt es jetzt abends ab. Er sieht wunderschön aus, unser „Indian Summer“. Die gelben Blätter leuchten vor dem strahlend blauen Himmel, man tendiert bei all den christlichen Feiertagen beinahe dazu, sich wieder für Naturreligionen zu interessieren. Irgendeine Schöpfungsgeschichte wird schon stimmen.

Apropos Schöpfung – ich habe an dieser Stelle ja bereits von meinem kleinen neuen Musikprojekt (Geige/Drums) mit Mark Matthes erzählt. Nun organisiert Mark auch seit ein paar Jahren eine sehr ambitionierte Konzertreihe mit dem Titel 4fakultät. Letzten Samstag war die letzte Veranstaltung, und da hab ich es dann auch geschafft hinzugehen. Zum Glück!

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Manchmal ist es ja ganz gut, sich vorher nicht zu sehr zu informieren, um möglichst unvoreingenommen z.B. in ein Konzert zu gehen. Diesmal muss ich allerdings sagen, dass ich besser etwas recherchiert hätte. Dann hätte ich nämlich geschnallt, dass Mark und seine Kollegen für diesen Abend einen der interessantesten Trommler engagiert haben, die hierzulande so die Stöcke schwingen: Julian Sartorius.

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Es fing schon damit an, dass Julian auf dem Set gespielt hat, das ich auch immer nutze, wenn wir bei Mark proben. Das war ein ganz merkwürdiges, aber gutes Gefühl, das mich schon an früher erinnert hat, wo jedes Wochenende irgendwo mein Set auf der Bühne auf mich wartete. Aber an diesem Abend ging es um Julian und der hat es wirklich anders gespielt. Mit allerlei Accessoires: Holzblöcken, Kindertrommeln, Glocken und Handbecken usw. Er hat, glaube ich, zu keiner Zeit mal über ein paar Takte einen „normalen“ Groove gespielt (das wäre dann allerdings auf Dauer auch nicht meins). Und auch wenn mir während seines Auftrittes schon klar wurde, dass Mark nach dem Konzert zu mir so etwas sagen würde wie: „Haste gut hingeguckt? Kannste auch mal was von ausprobieren …“ muss ich sagen, dass es wirklich sehr inspirierend war, wie dieser Musiker das Schlagzeugspiel für sich definiert, nämlich in erster Linie über unkonventionelle Klänge.

Nun ist es ja nicht so, dass ich nie mit moderner Musik oder Freejazz in Berührung gekommen wäre, im Gegenteil, mein Schlagzeuglehrer in Münster Ben Bönniger (und im Übrigen für kurze Zeit davor auch schon Michael Peters und Wolfgang Ekholt) sind allesamt überzeugte Jazzer. Und Ben hat im Landesmuseum in Münster auch viele absolut legendäre Jazzkonzerte mit großen Trommlern initiiert. Aber: Auch wenn ich immer schon bereits als Teenager in vielen Jazz-, Klassik- und BigBand-Formationen mit z.T. sehr guten, kreativen und experimentellen Musikern spielen durfte, habe ich damals doch immer eher wie ein „Rocker“ Musik gehört. Weil es mir eindeutiger und anspruchsvoller erschien, wie z.B. Lars Ulrich die Double-Bassdrum bei Metallica gespielt hat, im Vergleich zu – flapsig gesagt – irgendwelchen Klangkünstlern, die sich gegenseitig ihre Schellenringe zugeworfen haben. Das beinhaltet natürlich nicht so außergewöhnliche Trommler wie Vinnie Colaiuta oder Dave Weckl, das habe ich damals schon verstanden, dass die von einem anderen Planeten kamen, aber, kurz gesagt, Jazz hören war für mich immer so … ja, kann ich auch. Ohne zu üben. Und tatsächlich haben mir das Einüben der Stücke unserer Rockband (z.B. das unten im Video) auch immer mehr abverlangt als die spontanen Jazz-Gigs. Aber natürlich ist das totaler Quatsch, also sorry für die jugendliche Arroganz an dieser Stelle schon mal.

Zum Glück wird man im Alter ja reifer. Und auch wenn das Konzert am Samstag nicht einfach zu hören war, hat es mich dennoch von der ersten bis zur letzten Sekunde begeistert. Weil ich so eine Darbietung heute offenbar mit anderen Augen sehen und mit anderen Ohren hören kann. Und weil es bei so einer Formation mit 6 internationalen MusikerInnen, die sich zum ersten Mal sehen und zum ersten Mal gemeinsam Musik machen, vor allem darauf ankommt, wie man sich zurücknimmt, ohne unterzugehen. Wie man zuhört, wie man aufeinander eingeht. Wie man virtuos spielt und dabei trotzdem das Ganze (es war ein Musikstück von ca. 2,5h Länge OHNE einen einzigen Break) nicht aus den Augen verliert. Oder den Ohren. Und da musste ich jetzt erstmal 2 Tage drüber nachdenken. Denn DAS war vielleicht sogar das eigentlich Inspirierende. Und das habe ich auch meinem neuen Bandkollegen Mark Matthes zu verdanken. Egal, was aus uns wird.