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Ich habe wieder schlechte Haut. Ich habe wieder brüchige Fingernägel. Ich habe wieder schlechte Laune. Ich habe wieder schlechte Nächte. Und denke: Wie kann das alles sein?
Meine Frau und ich waren am Wochenende auf der Demo gegen Rechts in Hamburg. Es war beeindruckend. Beeindruckend voll. Gut zu wissen, dass man nicht alleine dasteht. Dass man die Sorgen und Ängste nicht alleine hegt, sondern teilen kann. Selbst, wenn es nur die Masse ist. Nein, weil es die Masse ist. Die coolere Hälfte der Masse.
Ich kann nicht verstehen, wie 350 Jahre nach Beginn der Aufklärung der Status Quo so sein kann, wie er sich gerade darstellt. Dass große, demokratische Parteien, die wahrlich Zeit hatten zu üben, hierzulande unfähig sind, eine Gemeinschaft in Frieden, soziale Sicherheit und allgemeinen Wohlstand zu führen. Dass das, global betrachtet, schwierig ist, leuchtet mir ein, und das ist schlimm genug. Aber dass wir hier in Deutschland mit unserer Geschichte gerade wieder Sorge haben müssen, dass es eine Partei, die vom Verfassungsschutz als „Verdachtsfall“ beobachtet werden darf, mit den Mitteln der Demokratie – weil sie ideologisch und populistisch argumentiert und dabei auf Menschen trifft, die sich seit Jahren und Jahrzehnten abgehängt und missverstanden fühlen – möglicherweise schafft, wieder mittelfristig Teil einer Bundesregierung werden, das ist schwer zu verstehen.
Und auch wieder nicht.
Dass nicht immer diejenigen am Ende in bestimmten Jobs landen, die für diese auch am besten geeignet sind, ist kein politikspezifisches Problem. Das haben wir auch an Schulen, in Kitas, in großen Unternehmen, in Medienhäusern – überall, wo sich Psychopathen und Narzissten über andere Menschen hinwegsetzen können. Aber in der Spitzenpolitik haben solche Fehlbesetzungen eben mitunter dramatische, weitreichende Auswirkungen. Für ein ganzes Land. Einen Kontinent. Die Welt.
Es gibt nur wenige Berufsgruppen, in denen man Karriere machen kann, ohne in diesem Bereich besonders ausgebildet worden zu sein: Immobilienmakler, Journalisten und Politiker gehören z.B. dazu. Ich will damit gar nicht behaupten, dass es nicht viele PolitikerInnen gibt, die aus besten Motiven politisch aktiv werden. Aber das sind leider nicht immer die, die am Ende auch gestalten. Und das Sagen haben. Weil Mann/Frau auf bestimmte Weise gestrickt sein muss, um in eine wirkliche Machtposition zu gelangen – und dort auch zu bleiben.
Wir sind mehr, hieß es Samstag auf der Demo. Aber sind wir das wirklich? Und denken all die, die nicht da waren, es ist kein Problem? Oder zumindest nicht IHR Problem? Und lassen sich die anderen, gegen die sich die Demo richtet, durch unser Auftreten beeindrucken? Ein Merz? Eine AfD? Oder sind wir für den einen bloß Teil seines politisches Kalküls? Und für die anderen Hippies und linke Zecken, die keine Gefahr darstellen?
Vielleicht ist es das, was mich nach dem Jahrhunderte langen (mitunter sehr klugen und hoffnungsvollen) Diskurs über politische Wirklichkeiten so ohnmächtig zurücklässt: Dass ich mich heute als Wähler in Deutschland frage, was wohl das kleinste Übel ist.