Bert on the wire

Ein Samstag voller Geschichten über die Musik, mehr oder weniger, aber zumindest voller Leben. Waren morgens auf dem Markt, und da hätte ich beinahe – auf der Suche nach meiner Frau, die vor einem Schaufenster stehengeblieben war – eine ältere Frau übersehen und umgerannt. Im letzten Moment hielt ich inne, schaute sie an und entschuldigte mich aufrichtig. Dann kam meine Frau dazu, ich erklärte kurz die Lage und verschwand dann, um mir einen kleinen Kaffee zu holen. Als ich wiederkam, standen die beiden immer noch da, ins Gespräch vertieft, wobei meiner Frau eher die Rolle der Zuhörerin zukam. Die ältere Dame fragte, was wir so machten, wir antworteten (Filme fürs Fernsehen), daraufhin erzählte sie, ihr Vater sei Tonmeister gewesen und habe die Deutsche Grammophon mit aufgebaut, und sie habe als Schülerin eine Arbeit darüber geschrieben, wie der Ton auf die Platte kam. Und erst letztens sei sie von Studenten der Hochschule für Musik gefragt worden, ob sie dazu einen Vortrag halten könne.

Das war alles sehr nett und interessant und die Dame für ihr Alter noch superklar und rüstig. Schließlich sagte sie, es sei von mir so nett gewesen, dass ich sie so direkt angesehen habe, als ich mich bei ihr entschuldigte, das sei gar nicht mehr üblich, normalerweise werde sie wie alle alte Menschen immer übersehen, und ob wir ihre Arbeit mal anschauen wollten, also bei ihr zuhause, sie bekomme so wenig Besuch und ihr Mann und alle Freunde seien inzwischen gestorben ….

Das hat uns natürlich sehr nachdenklich gemacht. Wie soll man da reagieren? Also, klar, im Idealfall tauscht man Adressen aus und freut sich über eine neue Bekanntschaft. Aber ich schaffe es im Moment ja nicht einmal, meine eigenen Eltern angemessen in mein Leben miteinzubeziehen und schäme mich fast dafür.

Ich versuche das zu ändern.

Alles.

Wir waren dann abends in der Elbphilharmonie – The Notwist in klassischem Ambiente, mit tollem Lichtdesign und musikalisch aufregend wie immer. Ich denke immer, wenn ich The Notwist sehe, dass es das Beste sein muss, Musiker in so einer Band zu sein. Besser als Fußballprofi. Oder Bestsellerautor. Und dass es jetzt schwierig wäre, so einen Sound zu machen, weil es sofort nach The Notwist klingen würde.

Es gab nur ein Konzert vor vielen, vielen Jahren, das im Hinblick darauf, wie eine Band auf der Bühne Klangräume schaffen und sprengen kann, eine ähnlich hypnotisierende Wirkung auf mich hatte: Sophia im Knust.
Gibt es die eigentlich noch?
Der letzte Eintrag auf FB ist von 2022.

Das heißt allerdings nichts.

Überhaupt NICHTS.

Natürlich war ich dann gestern Abend nach dem Konzert noch ganz aufgekratzt. Hab dann zur Beruhigung in der ARD-Mediathek die Leonard Cohen-Serie „So Long, Marianne“ angefangen. Gefällt mir gut. Weil es u.a. auf einer Insel spielt, Hydra, die mich ein bisschen an Atrani erinnerte und sofort Sehnsucht in mir auslöste. Nochmal jung zu sein, von vorne anzufangen, der übliche Quatsch eben, der einem in den Kopf kommt, wenn die Nacht ihren dunklen, dumpfen Schleier auswirft ;-)

Außerdem wurde mir wieder einmal klar, was ich alles nicht weiß; dass Cohen tatsächlich nicht sofort Singer-Songwriter war, sondern als reiner Poet begann und erst die besagte Marianne ihm eine Gitarre gab, um ihn aus seinen Depressionen zu holen. Interessant.

Und dann fiel mir irgendwann (sehr spät) ein, dass Gunter Gabriel damals, als wir mit ihm für den NDR den „Hafencowboy“ drehten und ich die kleine Titelmusik zu dem 3-Teiler geschrieben hatte (s. Video), zu mir meinte: Ich brauche so einen Song wie „Bird on the wire“ von Leonard Cohen, nur auf Deutsch – denk mal drüber nach. „Bird on the wire“ war einer der ersten Songs von Cohen und entstand auf eben dieser Insel Hydra, das ist das eine, und das Gunter Gabriel meinte, ich könne ihm so einen Song liefern, ist das andere, da fehlen mir im Nachhinein etwas die Worte.

Allerdings – hab ich es ja auch nicht geschafft.