Nach dem Film ist vor dem Film
Gerade läuft meine Doku-Reihe, die ich fürs Schweizer Fernsehen realisiert habe, nochmal an zwei Abenden auf 3SAT. Und ich würde an dieser Stelle gerne ein paar persönliche Anmerkungen teilen.
Ich habe ein bisschen gezögert, ob ich die Ankündigung in den Sozialen Netzwerken teilen soll oder nicht. Weil ich natürlich ahne, dass einige Menschen denken, wir hätten – nur, weil sich unsere ProtagonistInnen nicht ausnehmend kritisch über die politischen Zustände in der Golfregion äußern – nicht kritisch genug gefragt.
Meine Mutter hat sich letzte Woche die ersten beiden Folgen angeschaut, ganz klassisch, linear in der Spätvorstellung auf 3SAT. Kurz vorher lief eine Reportage über Katar auf arte. Die hat sie auch gesehen. Und sie war dann etwas überrascht, wie wohlwollend, optimistisch und – bei aller Kritik – zum Teil eben auch wertschätzend meine ProtagonistInnen über Katar gesprochen haben. Ebenso die ProtagonistInnen in Dubai.
Es ist eine Binse, aber dennoch wurde mir da wieder einmal klar, wie unterschiedlich die Blickwinkel auf das Geschehen und die Menschen sind. Dass ich Tage, zum Teil Wochen mit den Menschen verbringe, in deren Umfeld und vor Ort, der Zuschauer diese aber genau ein Mal, aus heiterem Himmel, ohne Vorwissen auf 8 Minuten pro Folge komprimiert zu sehen bekommt. Dass ich diese Menschen natürlich auch in den Momenten zwischen den Aufnahmen ganz anders kennenlerne. Und dass (reflektierte) Menschen auch abstrahieren können und sich vielleicht ein wenig überlegen, was sie in der Öffentlichkeit so von sich geben.
Ich habe für meine ProtagonistInnen stets auch eine gewisse Verantwortung. Es gibt für uns alle immer ein Leben nach der Produktion. Und ich bin mit der Art und Weise, wie wir das (auch mit meinen KollegInnen aus Hamburg und Zürich) gelöst haben, sehr zufrieden. Und ich glaube, dass man viel über die Region erfährt. Ich bin aber auch etwas erleichtert, dass das, was ich schon vor ein paar Wochen gesagt habe, mittlerweile nicht mehr „anrüchig“ ist. Dass das allgemeine Katar-Bashing und die Haltung, die hierzulande in vielen Fällen dahintersteht, auf lange Sicht nicht unbedingt zielführend sein muss.
Meine Mutter hat – ohne, dass ich sie darauf stoßen musste – etwas ganz Kluges gesagt: Sie erinnerte mich gewissermaßen an meinen Sendeauftrag: ein Porträt zu erstellen über ein paar bestimmte Menschen, die in der Region am Persischen Golf leben und arbeiten. Dort einen Alltag bestreiten. Ja, diese Menschen leben ein vergleichsweise gutes Leben – und in das haben sie mich hineinblicken lassen. Und dafür bin ich dankbar.
Ich drehe jetzt seit über zehn Jahren im Ausland. War in den USA, China, Russland, Brasilien und in vielen Ländern Europas. Und jetzt im Mittleren Osten. Und ich kann sagen: Es gibt viele unfassbar interessante Regionen und Menschen auf dieser Welt.
Und: Ich schätze unsere Demokratie, in der wir leben, sehr. So sehr, dass ich finde, man muss sie schützen. Im Notfall vielleicht sogar vor sich selbst.
Mer lasse de DOM in Hamburg
Die Kerzen auf dem Kranz sind an, das Turnier ist aus. Vielleicht besser für „die Mannschaft“. Wer so früh rausfliegt, kann zuhause immerhin noch ein wenig besinnliche Adventszeit genießen. Was für ein Trubel in Katar. Aber nicht nur da. Auch hier. Wer sich alles die Köpfe heißredet. Über alles und nichts. Manchmal denke ich, wir sollten weniger brüllen und mehr reden. Weniger schreien und mehr zuhören. Erst nachdenken, dann vordenken. Nicht bei jedem Nachbarn die Fußmatte hochheben, sondern erst einmal bei uns selber nachschauen und überlegen, wo WIR anfangen können, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Und Glück zu erkennen, wenn man es hat.
Letztens saß ich mit meiner klugen Frau vor dem Fernseher. Und wir sprachen über unsere Kinder, unsere Freunde, unsere Arbeit (die oft nervt). Und neben uns schliefen die Katzen im Arm. Und meine Frau sagte: Wenn im Prinzip alles so bleibt, wie es jetzt ist, ist alles gut. Und es stimmte: Es war ein unfassbar unaufgeregt gemütlicher zufriedener Moment.
Was nicht heißt, dass man keine Impulse setzen sollte. Habe – jetzt, da die Jungs groß sind – in den letzten Monaten ja wieder mehr Augen- bzw. Ohrenmerk auf die Musik gelegt. Habe mir nach über 20 Jahren sogar mal wieder Equipment gekauft: zwei Becken, ein neues 16er und ein gebrauchtes 14er, weil ich vorher nur so riesige Dinger für die Rockband hatte. Jetzt kann ich auch wieder etwas filigraneres Zeug anbieten. Die Becken waren gewissermaßen ein Weihnachtsgeschenk an mich selbst, auch als Dankeschön an mich, dass ich so lange durchgehalten habe. Hatte sie letzte Woche mit im Übungsraum und bin total happy.

Und, ja, es gibt auch lustige Zuckerbäcker …
Apropos happy: Was ich (fürs nächste Jahr) gerade im November als Stimmungsaufheller empfehlen kann, ist ein Besuch auf dem Winter-DOM. Haben meine Frau und ich letzten Mittwoch noch so gerade eben geschafft. Einmal handgemachte Pommes, eine Schokobanane, einmal Wilde Maus und einmal den Alpen-Coaster. Wirklich, wir haben lange nicht so sinn- und zweckfrei aus vollstem Herzen „geschracht“ (geschrien + gelacht = geschracht). Herrlich.
WehM
Freitagabend lief in der Schweiz die vierte und letzte Folge meiner Doku-Reihe über die SchweizerInnen am Golf. Sollte ja auch ein bisschen einstimmen auf die WM in Katar und hatte nochmal eine Superquote: 29%. Das ist für deutsche Verhältnisse der absolute Oberhammer, aber auch für die Schweizer, richtig gut.
Gestern nun hat die Fußball-WM begonnen, und ich mache keinen Hehl daraus, dass mir da natürlich auch Einiges durch den Kopf gegangen ist. Es ist schwer, sich darauf zu freuen. Weil es ein ungewohnter Zeitpunkt ist, aber auch wegen der ganzen Nebengeräusche. Und diese ganzen Nebengeräusche sind natürlich auch berechtigt. Und es werden ja täglich mehr.
Auf der anderen Seite kann ich – nachdem ich durch meine Reisen nun einige Akteure in Katar kennen gelernt habe – gar nicht anders, als auch deren Perspektive einzunehmen. Katar hat in wenigen Jahren, was seine Infrastruktur angeht, eine rasante Entwicklung durchgemacht. Wo heute Wolkenkratzer und mehrspurige Autobahnen sind, war noch vor zwanzig Jahren Wüste. Zu glauben, die Lebensweise, Ansichten und Traditionen der einheimischen Katarer wären genauso schnell – nach westlichem Vorbild – „umgebaut“ worden, ist natürlich naiv.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich liebe die Demokratie, ich liebe die freie Meinungsäußerung, ich liebe die Tatsache, dass meine Söhne einen Mann heiraten könnten, wenn sie wollten. Ich liebe es, dass meine Frau mich nicht fragen muss, wenn sie Geld verdient oder ausgibt. Dass sie wählen und sich in der Öffentlichkeit zeigen kann, wie es ihr gefällt. Wir dürfen diese Werte auch nach außen vertreten (und müssen sie u.U. sogar verteidigen), wichtig ist die Haltung, mit der das geschieht. Aber vielleicht war ich auch naiv.
Ich war während meiner Drehs vor Ort – insbesondere durch meine Gespräche mit einer Gewerkschafterin aus Basel, die seit 2018 mit einem internationalen Team in Katar Stadioninspektionen durchgeführt hat – einigermaßen beeindruckt. Nicht nur von ihrer Arbeit, sondern auch davon, wie positiv ihr Zwischenfazit ausfiel. Sie erzählte mir, dass es nun einen guten Standard auf den Stadienbaustellen gebe, ebenso regelmäßige Gespräche mit dem Arbeitsministerium über eine Ausweitung der Verbesserungen auf alle Arbeitsbereiche, außerdem sei eine zentrale Anlaufstelle für die MigrationsarbeiterInnen angedacht, wo diese hingehen und sich bei Problemen beraten lassen könnten.
Ende März durfte ich dem Worker´s Cup beiwohnen, einem von den Gewerkschaften organisierten Fußballturnier für die Workers zum Abschluss einer mehrtägigen Konferenz, auf der auch noch mal viel über die Zukunft der ArbeiterInnen in Katar diskutiert und beraten wurde. Auch Vertreter der Fußballer-Gewerkschaft waren bei dem Event, ehemalige Profis. Sie alle haben in mir das Gefühl ausgelöst, dass sich tatsächlich etwas bewegen könnte. Dass es gut und richtig ist, nun das Beste aus der Sache zu machen, das Turnier nicht zu boykottieren, sondern über die umstrittene WM mit Katar ins Gespräch zu kommen und die Situation für die ArbeiterInnen (in der Golfregion allgemein) nachhaltig zu verbessern. Und ich kann sagen: Der Spirit bei den Beteiligten, mit denen ich gesprochen habe, war im Frühjahr 2022 vorsichtig optimistisch, dass das gelingen könnte.
Vor drei Tagen, also am selben Tag, an dem meine letzte Folge ausgestrahlt wurde, erreichte mich eine Pressemail des Gewerkschaftsverbandes BWI, in der es nun ziemlich ernüchtert hieß, die Verantwortlichen in Katar hätten sich leider bis zur Eröffnung der WM nicht mehr, wie gewünscht, verbindlich zu einigen zentralen im Frühjahr angestrebten Verbesserungen und Maßnahmen geäußert. Das zu lesen, überraschte und enttäuschte mich mehr, als ich gedacht hätte. Und ich frage mich, was in den GewerkschafterInnen vorgehen muss, die über vier Jahre lang versucht haben, Schritt für Schritt mit den Verantwortlichen zu gehen.

Ich werde schon ganz blöd im Kopf. Noch eine Katar-Akte? Nein, Katarakte … die Niagarafälle sind’s …
Das andere Problem ist, dass die Kommerzialisierung des Fußballs mittlerweile genauso unumkehrbar scheint wie der Klimawandel. Und dass versäumt wurde, die FIFA frühzeitig zu reformieren. Ich denke zum ersten Mal ernsthaft darüber nach, 2023 alle Sport-Abos zu kündigen und nur noch Amateurfußball zu gucken.
Vielen Dank für das Leben
So, jetzt ist es kalt, jetzt ist es grau, jetzt ist es stürmisch, jetzt ist November. Lese gerade (viel zu spät) Sibylle Bergs „Vielen Dank für das Leben“; starker Text, der in seiner schonungslosen, messerscharfen und leider absolut glaubhaften Offenheit bezüglich der empathielosen (Um-)Welt der Hauptfigur Toto allerdings auch nicht gerade zur Erbauung beiträgt. Lange her, dass ich jemanden, den es gar nicht gibt, so sehr beschützen wollte. Arme Toto.
Höchste Zeit, Kerzen anzuzünden.
Stehe immer noch ein wenig unter dem Eindruck meiner kleinen Berlin-Reise. Neben den interessanten Museum-, Galerie- und Filmfestival-Besuchen freut es mich vor allem, neben meinem Patenkind ein paar ganz verschiedene, alte Freunde besucht zu haben. Das ist ja manchmal auch ein kleines Wagnis. Gerade bei Menschen, die man sehr lange nicht gesehen und mit denen man vorher jetzt auch nicht täglich Kontakt gepflegt hat. Weil man nicht weiß, ob die nicht plötzlich AfD wählen oder Corona leugnen oder unreflektiert und in einer Tour auf „die da oben“ schimpfen. Man möchte ja eigentlich nicht, dass sich Menschen (oder Dinge), mit denen wir vorher gut klar gekommen sind, verändern. Und wenn, dann bitte nur zum Positiven. Weil die meisten von uns Probleme haben, sich auf eine neue Situation einzustellen. Dann müssten wir uns am selbst Ende noch verändern. Deswegen – und da schließt sich der Kreis – bin ich glücklich. Nicht, weil ich Angst davor hätte, mich weiterzuentwickeln, im Gegenteil, da ist noch Luft nach oben. Ich passe mich mitunter gerne an, wenn ich das Gefühl habe, dass daraus etwas Neues entsteht. Nein, ich bin glücklich, weil meine alten Freunde zwar älter geworden sind, aber nicht in negativer Weise merkwürdig. Oder gar böse. Weil man ja manchmal denkt, allmählich werden alle Menschen hysterisch, dumm oder hängen irgendwelchen Verschwörungstheorien nach. Aber wenn man dann unabhängig voneinander drei verschiedene Menschen trifft, die man alle jahrelang nicht gesehen hat, und alle drei ticken noch einigermaßen richtig, dann gibt das Hoffnung für das große Ganze. Dann kann es draußen auch mal stürmen; und der Tag sich weigern aufzuwachen.
Elfter Elfter
Karneval!!!!
Gut, dass ich in Berlin bin. Einer unserer Söhne weilt allerdings in Köln. Er hat sich sogar drauf gefreut, auf die erste Karneval-Sause seines Lebens. Hatte insgeheim gehofft, dass er als „embedded Karnevalist“ vielleicht ein paar Clips in den Familien-Chat leakt, aber andererseits macht man sich wahrscheinlich nur Sorgen, wenn man das ganze Übel plötzlich sieht.
Insofern genieße ich noch ein wenig die letzten Tage in Berlin. Treffe alte Freunde, besuche Galerien, Museen, schreibe. Im neuen Buch geht es ja am Rande auch um die ganze Mauerfall-Thematik. War deswegen im Tränenpalast und im The Wall-Museum, und ich muss sagen, das war sehr interessant. Obwohl mir viele Kleinigkeiten schon aus der Recherche der letzten Wochen bekannt waren.
Aber manchmal hilft es ja auch, einen neue Perspektive einzunehmen. Hatte z.B. vergessen, welche entscheidende Rolle Genscher damals gespielt hat. Wie er da innerhalb weniger Tage – mit seinen Ärzten im Schlepptau wegen der Herzproblematik – ein paar Mal um die Welt geflogen ist, um allen zu versichern, sie müssten keine Angst vor dem neuen Deutschland haben.
Ein Raum im The Wall-Museum ist dem Konzert gewidmet, das Roger Waters damals auf dem Potsdamer Platz organisiert hat. Als ich die Videoschnipsel vom Konzert gesehen habe, wurde mir plötzlich klar: Ich war damals da! Ich habe das Konzert live gesehen, als einer von 300.000 Menschen. Aber das war gar nicht mein Verdienst. Mein Vater hatte die Tickets besorgt. Für meine Schwester und meine amerikanische Gastschwester, die damals in Deutschland zu Besuch war. Ich hab das damals gar nicht so gecheckt, wie historisch das eigentlich war – heute völlig zurecht eine Museumsstation.
Und der Tränenpalast? Wenn man sich das mal mit etwas Zeit anschaut, diese kristallklare, messerscharfe, gläserne Abfertigungshalle abgeht, sich die Briefe der voneinander getrennten Familien durchliest, sich in die Holzboxen stellt, die da immer noch stehen, und in denen die Menschen damals auf den Ausreisestempel gehofft und allzu oft enttäuscht worden sind, in totaler Abhängigkeit von dem jeweiligen Beamten (Welcher Menschentyp wählt so eine Position?), unter fadenscheiniger Begründung wieder nach Hause geschickt. Oder gleich in U-Haft. Wenn man in die Gesichter blickt, auf den Fotos, das Leid, die Verzweiflung, ich meine, der Name „Tränenpalast“ kommt ja nicht von ungefähr.
Ja, wir haben Anfang der Neunziger alle gedacht, nun wird das Leben eine einzige Party. Alle, die sich vorher mit Bomben beschmeißen wollten (und es war ein paar Mal knapp auf Kante, das vergisst man auch, und Deutschland wäre mittendrin gewesen), sprechen plötzlich miteinander. Und diese Gespräche bringen sogar was. Und die Demokratie wird von den Menschen gewünscht. Der Rest ist Geschichte. Und Geschichte wiederholt sich. Bleiben wir also wachsam. Ein selbstbestimmtes Leben in Frieden ist alles andere als selbstverständlich.
Berlin 1
Wir schreiben die letzten, wilden, freien Tage, bevor ich nächste Woche wieder ins Büro muss, und, ja, ich versuche, mir in der Welt da draußen nochmal soviel Input wie möglich zu holen. Da bietet sich Berlin natürlich an.
Ein kurzer Rückblick: Nach einer phänomenalen MTA-„Gute Menschen“-Premierenlesung mit Sigrid Behrens und Dominique Horwitz letzten Donnerstag, bei der ich die große Ehre hatte, eine kleine Zwischenmoderation mit Fragen an die Autorin zu gestalten, sind meine Frau und ich dann gleich am nächsten Morgen (etwas verkatert) in Richtung Osten aufgebrochen.
Zuerst haben wir einen Abstecher in einem Schlagzeugladen gemacht, Maydrums in Schnega, weil ich – angefixt u.a. durch das tolle Konzert in der Woche zuvor (s. 4Fakultaet) – plötzlich Lust hatte, mir nach Jahren mal wieder ein Becken zu kaufen. Und Martin von Maydrums bietet einen guten Preis und, vor allem, eine vergleichsweise große Auswahl vor Ort, d.h. man kann seine eigenen Becken mitbringen und die Becken im Laden dazu auch wirklich anspielen und vergleichen, das ist ja in Hamburg kaum noch möglich. Bin auch fündig geworden ;-)
Dann weiter nach Berlin, mit Schutzengel an Bord, weil wir wirklich kurz vor Berlin haarscharf einem unfassbaren Stau und Verkehrschaos entkommen sind. Also, pünktlich im Hotel in Mitte eingecheckt, einen Parkplatz vor der Tür gefunden und dann gleich am selben Abend noch eine hochinteressante Veranstaltung besucht: Das Zebra Poetry Film Festival! Da geht es um verfilmte Gedichte, also eigentlich genau mein Ding, und ich frage mich, warum das jahrelang unbemerkt an mir vorbeigegangen ist, zumal doch mein alter Freund Gian-Philip Andreas da sogar regelmäßig Jahr für Jahr einige Veranstaltungen moderiert. Hat mich jedenfalls sehr inspiriert. Nicht nur das Programm, auch das Wiedersehen mit Gian-Philip, einem der klügsten Menschen, die ich kenne.
Am nächsten Tag ging die inspirierende Reise dann weiter. Habe die Galerie von Mathias Güntner besucht, ein Galerist aus Hamburg, den ich über unsere MTA-Autorin Dagrun Hintze kennengelernt habe. Mathias hatte ziemlich viel um die Ohren, was ich einigermaßen verwundert festgestellt habe, weil ich in meiner Naivität irgendwie dachte, Galeristen arbeiten so wie Kunsthändler irgendwie … ja … „unbemerkt“. Naja, jedenfalls hat er sich trotzdem freundlicherweise total viel Zeit genommen und mir das alles mal erklärt, wie das so funktioniert in der Kunst. Und wie man Künstler wird. Und wie wichtig da der Werdegang ist. Oder auch nicht, bzw. wie der seltene Fall aussehen muss, dass man als Quereinsteiger plötzlich Kunst machen kann. Wenn ich Freitag noch hier bin, schaue ich mir eine Ausstellungseröffnung bei ihm an.
Am nächsten Tag haben wir mein Patenkind besucht, was auch superschön war. Besuche dieser Art waren in den letzten zwei, drei Jahren ja nicht so einfach möglich. Deswegen ist es mir wichtig, den Kontakt da nicht komplett abreißen zu lassen. Außerdem ist es auch spannend, sich jetzt, da die eigenen Söhne alle groß und aus dem Gröbsten raus sind, wieder mit jüngeren Kindern zu beschäftigen. Das kann man jetzt – mit etwas mehr Distanz und weniger Involviert-Sein – ganz anders angehen. Gelassener irgendwie, wie so vieles.
Insofern lässt sich vielleicht erahnen, wie reich meine Tage in Berlin gerade sind. Und dabei habe ich noch gar nichts über den eigentlichen Anlass meiner Reise geschrieben. Wollte nämlich ursprünglich für meinen neuen Roman, der für nächstes Jahr geplant ist, nochmal ein paar bestimmte Berlin- und Mauerfall-Themen recherchieren und „erspüren“, weil es in der Geschichte auch um diese Zeit zwischen Herbst 89 und Herbst 90 geht, also im Grunde um das „Heute“ vor etwas über 30 Jahren. Werde mir noch einige Museen anschauen (z.B. Tränenpalast, The Wall-Museum) und Orte besuchen (Alexanderplatz), doch davon die Tage mehr.
Fazit: Auch wenn es sich komisch anfühlt, dass meine Frau schon abreisen musste (die Arbeit), genieße ich diese Tage sehr. Dieses bewusste im Hier-und-Jetzt; im Zweifel eine Nacht in meiner idyllischen Unterkunft im ehemaligen Grenzgebiet dranzuhängen, weil das letzte Hemd keine Taschen hat. Und weil niemand weiß, ob man morgen die Dinge noch klar denken, fühlen und erleben kann. Ja, vielleicht auch weil das große Ganze drumherum immer beängstigender wird, und die Aussicht, die Welt könne nun in Ruhe und Frieden altern, Tag für Tag auf beinahe groteske Art dekonstruiert wird, sobald man die Nachrichten einschaltet.
Und ganz egal, was aus meinem Buch wird. Oder meiner Musik, meiner Kunst. Oder meiner Arbeit (gerade läuft der 4-Teiler über Katar in der Schweiz und ich ahne, dass die Reihe kontrovers diskutiert wird). Ich habe mir fest vorgenommen, in nächster Zeit umso verlässlicher und hoffnungsvoller und positiver für meine Liebsten da zu sein, je verrückter es da draußen wird. Ja, die eigenen Ziele und Träume sind wichtig, aber nicht so wichtig wie die Verantwortung für die Menschen, die man sich vertraut gemacht hat. Das hat mich die Krise gelehrt. Dankbar bin ich den Verursachern der Krise deswegen allerdings nicht.
Remo und Julia n
Mal gucken, wer den Titel versteht. Nur die Trommler, wette ich, egal.
Reformationstag. Allerheiligen. Bald beginnt die Adventszeit, aber es ist immer noch zu warm für die Jahreszeit. Zumindest kühlt es jetzt abends ab. Er sieht wunderschön aus, unser „Indian Summer“. Die gelben Blätter leuchten vor dem strahlend blauen Himmel, man tendiert bei all den christlichen Feiertagen beinahe dazu, sich wieder für Naturreligionen zu interessieren. Irgendeine Schöpfungsgeschichte wird schon stimmen.
Apropos Schöpfung – ich habe an dieser Stelle ja bereits von meinem kleinen neuen Musikprojekt (Geige/Drums) mit Mark Matthes erzählt. Nun organisiert Mark auch seit ein paar Jahren eine sehr ambitionierte Konzertreihe mit dem Titel 4fakultät. Letzten Samstag war die letzte Veranstaltung, und da hab ich es dann auch geschafft hinzugehen. Zum Glück!
Manchmal ist es ja ganz gut, sich vorher nicht zu sehr zu informieren, um möglichst unvoreingenommen z.B. in ein Konzert zu gehen. Diesmal muss ich allerdings sagen, dass ich besser etwas recherchiert hätte. Dann hätte ich nämlich geschnallt, dass Mark und seine Kollegen für diesen Abend einen der interessantesten Trommler engagiert haben, die hierzulande so die Stöcke schwingen: Julian Sartorius.
Es fing schon damit an, dass Julian auf dem Set gespielt hat, das ich auch immer nutze, wenn wir bei Mark proben. Das war ein ganz merkwürdiges, aber gutes Gefühl, das mich schon an früher erinnert hat, wo jedes Wochenende irgendwo mein Set auf der Bühne auf mich wartete. Aber an diesem Abend ging es um Julian und der hat es wirklich anders gespielt. Mit allerlei Accessoires: Holzblöcken, Kindertrommeln, Glocken und Handbecken usw. Er hat, glaube ich, zu keiner Zeit mal über ein paar Takte einen „normalen“ Groove gespielt (das wäre dann allerdings auf Dauer auch nicht meins). Und auch wenn mir während seines Auftrittes schon klar wurde, dass Mark nach dem Konzert zu mir so etwas sagen würde wie: „Haste gut hingeguckt? Kannste auch mal was von ausprobieren …“ muss ich sagen, dass es wirklich sehr inspirierend war, wie dieser Musiker das Schlagzeugspiel für sich definiert, nämlich in erster Linie über unkonventionelle Klänge.
Nun ist es ja nicht so, dass ich nie mit moderner Musik oder Freejazz in Berührung gekommen wäre, im Gegenteil, mein Schlagzeuglehrer in Münster Ben Bönniger (und im Übrigen für kurze Zeit davor auch schon Michael Peters und Wolfgang Ekholt) sind allesamt überzeugte Jazzer. Und Ben hat im Landesmuseum in Münster auch viele absolut legendäre Jazzkonzerte mit großen Trommlern initiiert. Aber: Auch wenn ich immer schon bereits als Teenager in vielen Jazz-, Klassik- und BigBand-Formationen mit z.T. sehr guten, kreativen und experimentellen Musikern spielen durfte, habe ich damals doch immer eher wie ein „Rocker“ Musik gehört. Weil es mir eindeutiger und anspruchsvoller erschien, wie z.B. Lars Ulrich die Double-Bassdrum bei Metallica gespielt hat, im Vergleich zu – flapsig gesagt – irgendwelchen Klangkünstlern, die sich gegenseitig ihre Schellenringe zugeworfen haben. Das beinhaltet natürlich nicht so außergewöhnliche Trommler wie Vinnie Colaiuta oder Dave Weckl, das habe ich damals schon verstanden, dass die von einem anderen Planeten kamen, aber, kurz gesagt, Jazz hören war für mich immer so … ja, kann ich auch. Ohne zu üben. Und tatsächlich haben mir das Einüben der Stücke unserer Rockband (z.B. das unten im Video) auch immer mehr abverlangt als die spontanen Jazz-Gigs. Aber natürlich ist das totaler Quatsch, also sorry für die jugendliche Arroganz an dieser Stelle schon mal.
Zum Glück wird man im Alter ja reifer. Und auch wenn das Konzert am Samstag nicht einfach zu hören war, hat es mich dennoch von der ersten bis zur letzten Sekunde begeistert. Weil ich so eine Darbietung heute offenbar mit anderen Augen sehen und mit anderen Ohren hören kann. Und weil es bei so einer Formation mit 6 internationalen MusikerInnen, die sich zum ersten Mal sehen und zum ersten Mal gemeinsam Musik machen, vor allem darauf ankommt, wie man sich zurücknimmt, ohne unterzugehen. Wie man zuhört, wie man aufeinander eingeht. Wie man virtuos spielt und dabei trotzdem das Ganze (es war ein Musikstück von ca. 2,5h Länge OHNE einen einzigen Break) nicht aus den Augen verliert. Oder den Ohren. Und da musste ich jetzt erstmal 2 Tage drüber nachdenken. Denn DAS war vielleicht sogar das eigentlich Inspirierende. Und das habe ich auch meinem neuen Bandkollegen Mark Matthes zu verdanken. Egal, was aus uns wird.
Betritt man mit Ende Vierzig schon den Herbst des Lebens?
Im pfung em pfang
Hatten einen sehr erfolgreichen Morgen im Mutterhaus des SPIEGEL an der Ericusspitze: 2x Grippeimpfung, 2x Covid-Auffrischung und 1x Freemans berühmtes Chili zum Mitnehmen. Danach kann eigentlich nicht mehr viel passieren. Waren uns zuerst unsicher wegen der 4. Covid-Impfung, aber nach einem kurzen Gespräch mit unserer Betriebsärztin dachten meine Frau und ich beide, es vielleicht besser als keine Auffrischung.
Der SRF startet jetzt die Presse für meinen 4-Teiler über die SchweizerInnen am Golf. Finde den Presstext eigentlich ganz gut, auch wenn ich da namentlich überhaupt nicht auftauche, aber so ist eben das Geschäft.
Doch ein bisschen Sichtbarkeit ist ja schon gut, vor allem, wenn man sich vielleicht auch nochmal beruflich verändern möchte. Wobei ich dieses Self-Management und Posten bei FB oder LinkedIn als mühsam empfinde. Das Bloggen macht mir ja Spaß, das andere ist eher so ein Pflichtprogramm.
Bei allem Stress waren die Reisen in den Mittleren Osten auf jeden Fall lehrreich, interessant und spannend. Und natürlich hat man jetzt doch einen anderen Blick z.B. auf die ganze Diskussion um die WM. Es ist immer gut, Menschen kennenzulernen, die in einem System leben und arbeiten anstatt immer nur von außen über ein System zu urteilen. Aber ja, es ist und bleibt komplex auf dieser Welt. Doch allein DAS zu erkennen, Menschen zu treffen und einen kleinen Einblick zu erhalten, empfinde ich jetzt schon als Privileg (auch wenn mich die eigentliche Arbeit zwischenzeitlich an meine Grenzen geführt hat).
Egal, jedenfalls schön, dass ich jetzt mal ein paar Tage ein bisschen anders denken und mich mit ein paar anderen Sachen beschäftigen kann. Hab z.B. ein kleines Gedicht geschrieben, das ich jetzt hier mal fallen lasse wie eine Eiche seine Früchte und Blätter im Herbstwind …
Gute Menschen …
… gibt es, ab jetzt im Handel. Kleiner Scherz? Ja und nein. Denn „Gute Menschen“ heißt das neue Buch von Sigrid Behrens, das in unserem kleinen Hamburger Indie-Verlag Minimal Trash Art gerade proudly herausgegeben haben.
Gestern Abend war Sigrid bereits im Nachtasyl zu sehen und zu hören, mit ihren Co-AutorInnen der Lesereihe „Zum Wilden Igel“. Da waren auch viele gute Menschen, glaube ich zumindest, man kann ja nicht allein aus der Tatsache, dass sich jemand für Literatur interessiert, daraus schließen, dass er oder sie ein guter Mensch ist. Aber bei den meisten bin ich mir ziemlich sicher, dass sie oder er zumindest nicht abgrundtief schlecht sind ;-)
Ich interessiere mich ja schon seit längerem für dieses vage Thema: Was ist das eigentlich, ein gutes Leben? Oder wie führt man ein gutes Leben? Für sich, für andere, formal, inhaltlich. Ich denke, es fing an mit meinem Shaolin-Film vor zehn Jahren. Als ich Julian nach China begleitet und ständig diese Fragen diskutiert habe. Ich habe dazu auch immer mal wieder Bücher gesammelt und zum Teil sogar gelesen oder „reingelesen“, wie es wohl heißt. Das Schöne ist, das Thema wird nicht langweilig, im Gegenteil, es wird eigentlich spannender, je älter man wird. Jetzt, da ich ein bisschen Frei-Zeit genieße, habe ich mal ein paar dieser Bücher zur Seite gelegt, neben den Sessel an der Terrassentür, und ab und an lasse ich mich da nieder und lese darin. Irgendwo, irgendwas. Und freue mich über Anregungen oder praktische Anleitungen für den Alltag. Habe bei Anselm Grün z.B. eben was Interessantes gelesen. Mir wird von Außenstehenden (ich nenne keine Namen) ja häufig mal suggeriert, mein Ordnungssinn sei eher ein „Fimmel“ oder gar eine Macke, aber in „Der Himmel beginnt in dir“ heißt es auf S. 97: Die äußere Ordnung bringt den Mönch innerlich in Ordnung. Sie reinigt sein Denken, seine Gefühle und schafft Raum, auch innerlich klar und durchsichtig zu werden.
Natürlich bin ich kein Mönch. Aber es könnte ein Hobby von mir werden, für mich selber ein Instrumentarium für ein „besseres Leben“ zu formulieren. Allerdings müsste ich dafür erstmal wissen oder zumindest definieren, was das eigentlich ist …
Ansonsten? Stecke ich in der Vorstufe zum kreativen Part meines Lektorats. Habe meine Notizen durchgeackert, jetzt kommen die meines Verlagskollegen Michael Weins und dann muss ich, glaube ich, noch ein, zwei neue Kapitel dazuschreiben. Dafür recherchiere ich gerade. Mein Assistent steht mir dabei treu zur Seite. Also, ich kann mich wirklich auf ihn verlassen. Vor allem, wenn es darum geht, mich von der Arbeit ABZUHALTEN. Einfach durch seine Süßheit …
Und? Ich habe für Sigrids neues Buch (Premiere übrigens am 03. November, ebenfalls im Nachtasyl, ich werde wohl wieder moderieren) einen kleinen Trailer gemacht. Das Tolle daran: Die Musik ist selbst gemacht, von Mark Matthes und mir. Und das Tollste ist: Ich habe Mark bei der letzten MTA-Premiere kennen gelernt, weil er ein Freund von Dagrun Hintze ist, die gestern auch gelesen hat. Seitdem machen wir ab und an, aber regelmäßig zusammen Musik. So gesehen, ist mein Leben schon ziemlich gut.