Berlin

Berlin war super. Intensiv. Mit guten Freunden. Lebendig. Jedes Bild ein Motiv:

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Ich könnte in dieser Stadt vermutlich nicht mehr auf Dauer leben, aber die Vielfalt, das friedliche, gewachsene Nebeneinander, das ständig aufblubbernde Gefühl, dass hier wirklich jeder Mensch so sein kann, wie er/sie will, das hat mich mal wieder überzeugt. Bei allen Problemen und Baustellen. Ich kann nur hoffen, dass die Politik es schafft, soziale Gleichheit herzustellen. Denn nur so kann die persönliche Vielfalt gewahrt werden.

Mann schafft

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Meine Mannschaft hat den Flieger zurück nach Hamburg genommen. Ich sitze im EC von Prag nach Berlin. Nach zwei tollen Tagen in Tschechiens Hauptstadt, ganz gesellig und geruhsam.

Hatte Freitag auf dem Weg zum Flughafen – gewissermaßen zum direkten Vergleich – noch eine andere „Truppe“ mit in der S-Bahn. Die hat morgens um 9 schon zotige Lieder gesungen. Aber es klang nicht cool und lustig, sondern eher nach Massenvergewaltigung. Obwohl Frauen und Kinder daneben saßen. Ätzend. Von außen betrachtet, würde man unser Team vielleicht als „brav“ bezeichnen. Ich finde es einfach toll. Ein lebendes Beispiel dafür, dass sich über die Definition von Coolness trefflich streiten lässt. Alles gute Jungs. Männer und Väter, die ihr Bestes geben. Und dazu noch lustig sind. Ich glaube, wir sind die einzige Truppe, die sich geschlossen die Kafka-Statue angeschaut hat. Und der Vorschlag kam nicht einmal von mir!

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Habe eben meine kleine Siddhartha-Ausgabe zu Ende gelesen. Sehr anregend, gerade in puncto Vaterliebe. Diese ewige Frage nach der richtigen Balance zwischen an-sich-binden und frei lassen. Und wie sich die Dinge von Generation zu Generation wiederholen. Dass man als Vater etwas erwartet, was man als Sohn selbst nie eingehalten hat. Oder andersherum. Und wie schwer diese Liebe auch wiegen kann, weil man sie im Grunde in ein Fass ohne Boden gießt!? Was nicht bedeutet, dass man sie nicht auch genießen kann. Und zurückbekommt. Und dass „Zeit“ immer jetzt geschieht und alles in allem stets in uns drin war/ist/sein wird. Der Fluss als Lehrmeister – dieses Motiv sehe ich jetzt auch mit anderen Augen, nachdem ich mit meinem Sohn in den Auen Schleswig-Holsteins auf Forellenfang war. Trotzdem muss ich damit rechnen, dass er sich demnächst vorübergehend von mir abwenden wird. Vielleicht muss ich sogar darauf hoffen.

Spürte wirklich kurz, nachdem ich das Buch zugeklappt hatte, in mir das Gefühl, meinen Mitmenschen wieder offener und unmittelbarer entgegentreten zu können. Bis ich kurz darauf hinter Dresden ins Zugbistro ging und dort sogleich die erste Prüfung auf mich wartete: die nächste Fußballmannschaft.

Ich möchte es so formulieren: Ohne die Lektüre zuvor hätte ich sicher schlechter abgeschnitten …

 

Tri Kot

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Hab mir vor einer halben Ewigkeit mal das 70er Jahre-Auswärtstrikot der Nationalmannschaft gekauft. Ziehe es zu besonderen Spielen an, heute natürlich auch. Früher fand ich es cool, aber diesmal beschlich mich auf der Fahrt ins Büro irgendwie ein komisches Gefühl. Die beflaggten Gärten und Autos, die Auslagen in den Supermärkten, sogar Deutschland-Blumen(!) gibt es jetzt, kein Scherz. All das, gepaart mit der allgemeinen Stimmung, … schwierig.

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Schade, dass die Jahre des deutschen Understatements endgültig vorbei sind. Ich möchte eigentlich gar nicht zu denen gehören, die wieder „Deutschland, Deutschland“ schreien. Klar, ich kann differenzieren, Sport ist Sport, aber ich muss sagen: AfD und Pegida haben mir mein Trikot madig gemacht. Und das ist noch das kleinste Problem.

Ansonsten? Der normale Wahnsinn. Aufrüsten in Russland, seltsame Trainerdiskussionen in Deutschland und Rocker und Stargeiger tappen in „Sex-Fallen“. Dabei geriet eine echte Horror-Meldung leider total in den Hintergrund:

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Schüsse

Verfolge
Schwalben
auf der Leinwand

Bananenflanken
Verfoulen
Noch in der Luft
werden
Elfmeter
immer länger

Verliere mich
in Deinem 5-Meter-Raum

Verbringe ein halbes Leben
mit EM glotzen

Ball

Schweinsteiger trifft – aber wie?!
Löw macht Sachen – aber warum?!
Heute spielt Österreich-Ungarn – aber gegen wen?! (Ja, den Witz hat die 11Freunde schon gemacht)

Ansonsten? Das totale Chaos. Hooligans und Polizistenmörder in Frankreich. Massaker in Orlando. Erneute Unwetterwarnungen für Deutschland.

Hab das Gefühl, dass man sich so langsam, sukzessive an das Chaos gewöhnt. Dass man aber auch die friedlichen Tage umso mehr schätzt. Die Tage, an denen „nix passiert“. Schade, dass man dafür erst das Chaos braucht, um zu dieser Erkenntnis zu kommen. Hab gestern in Köln gedreht und auf dem Rückweg ein bisschen in einer kleinen „Siddharta“-Ausgabe gelesen, die ich mir extra mal für unterwegs gekauft habe. Werde mich zukünftig wieder mehr mit dem „höheren Sinn“ beschäftigen. Damit mich das Chaos nicht durcheinander bringt.

Heute morgen kam im Radio die Nachricht, Niedersachens Innenminister fordere höheres Bußgeld für Raser, halte darüber hinaus aber auch einen nach Einkommen gestaffelten Bußgeldkatalog für denkbar, um Menschen mit geringem Einkommen nicht zu benachteiligen. Beides(!) fordere ich seit Jahren.

Vielleicht sollte ich nochmal in die Politik gehen. Denn ebenso fordere ich seit langem bessere Bildung und soziale Gerechtigkeit. Über diese Missstände äußert sich heute der Wirtschaftsforscher Marcel Fratzscher in der taz. 40 Prozent der ärmsten Deutschen haben praktisch kein Vermögen. Die Schere geht eben seit Jahren immer weiter auseinander. Und in der Tat ist das noch wichtiger als ein neuer Bußgeldkatalog. Aber da fehlen die Visionäre. Und ein gemeinsamer Wille. Klar, warum sollten Politiker daran etwas ändern? Die reiten ja praktisch auf der scharfen Klinge. Doch irgendwann schnappt die Schere urplötzlich wieder zu und schneidet unsere Gesellschaft mitten durch.

Keep smiling

 

 

Wenigstens ER hat was zu lachen
Wenigstens ER hat was zu lachen

Bin wieder auf dem Weg nach Köln. An einem Tag, an dem andere das Bier kaltstellen, mit ihren Kindern das Ergebnis tippen, sich auf das erste Spiel der Mannschaft freuen, bin ich schon wieder „einsamer-Wolf-mäßig“ unterwegs.
Das Reservierungssystem in der Bahn hat wieder mal nicht funktioniert. Meine Reservierung galt nicht. Auf dem Platz saß außerdem schon eine Omi, brachte es nicht übers Herz, ihr den wieder wegzunehmen. Hab mich dann kurz woanders hingesetzt, aber da kam gleich so ein „deutscher Fan“ im DFB-Trikot: „Wir ham dafür bezahlt.“ Hab kurz überlegt, ihm zu erklären, dass er sich seine Reservierung in die Glatze massieren kann, und das auszusitzen, wollte morgen aber auch nicht mit Pflaster im Gesicht drehen.
Sitze jetzt auf dem Gang. Also dem Gang, auf dem keine Sitze sind. Direkt neben dem Klo. Gebe zu, bin ein bisschen mellow. Nächste Woche kommt mein bester Freund, und ich habe eigentlich keine Zeit. Wie beim letzten Mal. Diesmal ist es die Ausfahrt mit der Mannschaft. Anstatt es als Highlight anzusehen – Freizeitstress. Fühle mich saudoof deswegen. Es ist ätzend, dass Entscheidungen immer zugleich für und gegen etwas sind. Das kann nicht richtig sein.

Muss sagen, an Tagen wie diesen hätte ich gerne das bedingungslose Grundeinkommen. Dann würde ich heute zuhause bleiben. Und morgen Kunst machen. Vermutlich würde ich nicht mal weniger verdienen, wenn ich die Chance hätte, das mit der Kunst mal vernünftig „einzustielen“. Sehe ständig irgendwelchen Mist, der sich super verkauft.
Herrjemine, nennt sich Smartphone, aber kennt nicht: einstielen. DAS ist symptomatisch.
Gerade war der Schaffner hier. Ich möge mich doch BITTE in die 1.Klasse setzen. Liegt vielleicht am „Dr.“ auf der BahnCard. Zögere noch. Gar nicht so schlecht in Klonähe …

 

post-ill

Manchmal reicht ja ein Blick in die Boulevardpresse, um sofort zu sehen, was schief läuft. Heute war es mal wieder ganz einfach:

1. Die Natur schlägt zurück

Quelle: Mopo
Quelle: Mopo

Da muss man ernsthaft konstatieren: Glück gehabt – das Ding wirbelte knapp einen Kilometer Luftlinie an unserer Dachgeschosswohnung vorbei. Halleluja.

2. Ein Blick in die BILD gibt einem dann noch den Rest.

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Dämlicher als die „Outs“ von Frau Gülzow geht es nun wirklich nicht. Passt aber zum BILD-Fan-Paket. Nicht falsch verstehen: Ich finde es wirklich ganz toll, dass sich auch Menschen mit kleinem Budget hierzulande vernünftig ernähren bzw. sich sogar mal einen kleinen „Luxus“ leisten können. Aber dieses ungesunde Plastik-Fraß-Sauf-Zucker-Fett-Fan-Paket für nicht einmal 2 Euro inklusive dieser verschissenen, unheilvollen Kleingarten-Schland-Das-Boot-ist-voll-Fahne, das ist leider – und, ja, dann klingt es halt elitär, aber in Wahrheit bin ich bloß sehr besorgt, und ich kann mich nicht dagegen wehren – irgendwie echt: White Trash meets Brot & Spiele. Stopft dem Volk Maul und Hirn und gebt ihm Fußball, so haltet ihr es unter Kontrolle. Wobei man aktuell ja sogar froh sein muss, wenn die Wutbürger nicht das Maul aufreißen, sondern brav auf ihrer Parzelle bleiben. Zumindest bis zum Endspiel.

Sprachrohr

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Erste Drehreise nach Köln gut überstanden. Gestern Nacht noch im Jack Who gedreht, einem relativ neuen Kellerclub in Ehrenfeld. Teil des Konzeptes dort ist es, dass die Gäste keine Fotos machen, sondern sich auf die Party konzentrieren sollen. Für uns haben sie eine Ausnahme gemacht.
War im Morgengrauen zuhause, hatte ich auch lange nicht. Bin aber erstaunlich fit. Eben auf der Rückfahrt im Zug „Generation Beziehungsunfähig“ von Michael Nast durchgelesen. Ich hab den ja mal auf einer Lesung in Frankfurt kennengelernt – also, ich kannte den vorher auch gar nicht. Netter, unaufgeregter Typ, der mit diesen Alltagskolumnen eine gute Nische für sich entdeckt hat. Aber auch bemerkenswert, dass man damit so erfolgreich sein kann. Es scheint mehr Menschen zu geben, als man denkt, die es schätzen, wenn man das Nachdenken für sie übernimmt. Oder zumindest ihre Gedanken formuliert.

Behandelst die Umwelt
wie ein billiges T-Shirt.
Falsche Größe,
falsche Farbe.
Und in Köln warnt die Lautsprecherstimme vor Trickdieben!

Wenn du einen Freund brauchst,
hörst du Beethoven.
Und in München warnt bloß der Deckel des Kaffeebechers vor heißem Inhalt!

Baust dir eine Existenz auf.
Aber es entsteht nichts.
Und in Düsseldorf warnt die Presse vor einem Anschlag!

Stopfst deine Showeinlagen
in die schnellen Lackschuhe.
Und in Berlin warnt ein Politiker vor dem Generalverdacht!

Kommst dir vor wie …
und endlich an.
Und zuhause warnt eine innere Stimme davor, allzubald wieder wegzufahren.

Tiefe

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Drehen erst heute Abend, insofern hatte ich tagsüber ein bisschen Zeit für Recherche. War im NS-Dokumentationszentrum, in zwei Tiefgaragen und an der Einsturzstelle des alten Stadtarchivs (Foto siehe oben). Hab dann Mittag gegessen in einem total netten Laden namens „Pausenbrot“. Dort ein wenig in der neuen Brand eins geblättert und ein interessantes Interview mit dem Soziologen Berthold Vogel gelesen. Es ging um die Zukunftssorgen der Mittelschicht und inwiefern dieses Phänomen das Sozialkollektiv gefährdet und ein Misstrauenskollektiv schafft, welches wiederum Rechtspopulisten ausnutzen. Hochinteressant.
Hab ohnehin trotz des Produktionsstresses das Gefühl, wieder eine Art Bildungsreise zu unternehmen. War gestern im Fernwärmetunnel unter dem Rhein. Interessante Konstruktion. 500 m lang, aber nur 3 m Durchmesser. Gespenstisch. Als wir in der Röhre so herum liefen, fragte mein Kameramann Aksel plötzlich: warst du schon mal hier? Und zeigte mit dem Finger auf ein Gekritzel an der Betonwand. Wir trauten unseren Augen nicht. Da hatte jemand meinen Namen hinterlassen (siehe rechtes Foto). Verrückt, oder?

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Entwickle gerade ein Faible für die prosaischen, hässlichen, urbanen Un-Orte einer Stadt.
Gibt hier in einer Tiefgarage am Dom Reste der alten Stadtmauer.

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Völlig unscheinbar, aber auch bemerkenswert, wie hier hässlichste Moderne um frühe Stadtgeschichte herum gebaut wurde. Scheußlich schön.
Hab unterm Strich das Gefühl, in dieser Stadt mit all den Gesichtern, die ich nicht kenne, fern ab von zu Hause, plötzlich wieder ganz viel über das Leben zu lernen. Das Leben zu verstehen.

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Das NS-Dokumentationszentrum mit dem alten Folterkeller der Gestapo war besonders krass. Erinnerte mich an den Folterkeller der russischen Geheimpolizei in Riga, wo wir mit Manuel Möglich gedreht haben. Das sind die Orte, an denen die Menschlichkeit ins Unmenschliche mutiert. Man kann nur hoffen, dass es hierzulande nie mehr dazu kommt. Und da kommt wieder die Mittelschicht ins Spiel. Also die Menschen, die gerade so gut durchs Leben kommen und so viel besitzen, dass sie meinen, Angst haben zu müssen, genau das alles wieder zu verlieren. Denn genau an dieser Schwelle keimen Extremismus und Fremdenhass.

 

Eau de Cologne

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War heute für eine ARTE Doku im berühmten Kölner Kronleuchtersaal. Stammt aus  dem 19. Jhdt. Und zu Ehren des Kaisers hat man damals einen Kronleuchter reingehängt, obwohl es eigentlich ein Abwasser-Kanal ist, auch heutzutage noch. Wurde heute Zeuge, wie das Abwasser über die kleine Mauer in den Saal schwappte, weil es hier so viel regnet. Das war beeindruckend. Vor allem, dass die Jahrhunderte alte Konstruktion immer noch funktioniert. Heute geht jedes Gerät und jede Maschine einen Tag, nach dem die Garantie abgelaufen ist, kaputt. Garantiert.

 

 

Der rechte Augenblick

Wann kommt die Flut?
Wann kommt die Flut?

In Österreich knapp an einer Katastrophe vorbeigeschrammt. Aber Trump noch vor der Brust. Und der ist plötzlich Kumpel von Putin. Und die AfD hetzt gegen den kleinen Jerome auf der Kinderschokolade …

Je bekloppter es da draußen wird, desto ruhiger werde ich. Weil ich momentan wieder verstärkt das Gefühl habe, dass es auch viele Leute gibt, auf deren gesunden Menschenverstand man sich verlassen kann. Ich habe da meinen Blickwinkel korrigiert. Nachjustiert. Es gibt keine neuen Rechten. Man wird nicht von heute auf morgen „Wutbürger“. Sie waren die ganze Zeit da. Überall. Hierzulande haben sie sich nur gut versteckt und gewissermaßen den „rechten Augenblick“ abgewartet.

Da sind sicher auch noch mehr. Aber man muss es womöglich sogar positiv sehen, dass rechtspopulistische Parteien in dem Augenblick, wo sie es offiziell wieder „sein“ dürfen, nicht aus dem Stehgreif gleich eine Zweidrittelmehrheit holen. Dass es im Vergleich zu früher mittlerweile einen größeren Anteil in der Bevölkerung gibt, der den Namen Zivilgesellschaft auch verdient.

Ich hoffe nur, dass wir nicht noch mehr Katastrophenschleifen brauchen, bis irgendwann auch der letzte Idiot begreift, wie soziales Zusammenleben funktioniert, ohne dass man sich dabei selber den Stuhl unterm Arsch wegreißt.

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