Lust ich

Hab mir fest vorgenommen, in Zukunft wieder positiver zu denken. Und auch mal wieder etwas Lustiges zu schreiben. Man kann nicht immer nur jammern und klagen – selbst, wenn die Situation danach schreit. Gemeinsam haben wir die Kraft, Dinge zu ändern. Also nicht daran verzweifeln, dass der Fremdenhass im Osten immer schlimmer wird, sondern dem Schrecken und der Intoleranz mit einem freundlichen, ansteckenden Lachen entgegentreten.

Bin selber drauf gekommen, als mir mein Kollege Sebastian folgendes Foto schickte:

aale

Sebastian arbeitet unter anderem als Grafiker und Illustrator. Wir haben beide ein Faible für Wortwitze und gerade eine Kooperation gestartet. Hier unser erster Wurf:

golfimschafspelz

Schnittmuster 1

Mutter Erde ist paradiesisch, aber unsere Welt an vielen Orten die reinste Hölle.

spon-syrien

Das hab ich heute bei SPON gelesen. Betone das deswegen, weil ich mir gerade gestern von unserem History-Chef Michael Kloft alte Aufnahmen aus der Zeit der St. Petersburger Blockade besorgt habe. Damals sind – nach heutigen Schätzungen – rund 1,5 Millionen Menschen verhungert, weil die Deutschen die Stadt belagert und nichts rein oder raus gelassen haben. Monströs! Auch diese alten Schwarzweißaufnahmen. Beim Schauen schoss mir durch den Kopf, so etwas möge bitte nie mehr geschehen, doch nichts anderes spielt sich gerade in Syrien ab.

Beinahe zynisch, angesichts dieser Tragödie und politischen Hilflosigkeit zum Tagesgeschäft zurückzukehren. Zweiter Tag Schnitt St. Petersburg, und ich suche, wie immer, mit meinem Cutter nach dem Erfolgsrezept: dem richtigen Stil, der richtigen Dramaturgie, der richtigen Bildsprache.

Ansonsten? Hat mir mein Kameramann schon mal zwei Pressefotos geschickt. Die sehen auf jeden Fall super aus:

mosaikkuenstler

digger

Und? Mein Fahrrad ist wieder aufgetaucht. Unser emsiger Hausmeister hatte es vorsorglich aussortiert, weil er es nicht zuordnen konnte. Ende gut, alles gut. Und ich muss mir offenbar vorerst keine Sorgen um mein Karma machen …

Welt, Herrschaftszeiten

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Wühle mich seit Tagen durch mein Russland-Material. Etwas frustrierend, wenn man die Sprache nicht spricht. Glücklicherweise hab ich mir ab und an Notizen gemacht, aber … puh … ist aber was Schönes dabei.

Hab u.a. ein Foto gefunden, das ich an einem Souvenir-Stand gemacht habe. Es gibt ja in Russland einen regelrechten Putin-Merchandise, mit ganz schrägen T-Shirts, auf denen er sich … äh, ja … entsprechend „schräg“ darstellt, bzw. sich selbst inszeniert. Solche Shirts wird man von unserer Kanzlerin nicht finden. Und das Schlimme ist ja, das ist ernst gemeint. Und von der anderen Seite kommt dann Trump angeritten, weil Hillary sich eine Schwäche erlaubt hat. Man darf das alles nicht zu Ende denken.

Egal, hab mich gestern Abend mit dem Stubenhacker getroffen, um mal wieder auf andere Gedanken zu kommen. Hat es auch voll gebracht, meine Laune war heute Morgen prompt besser. Hab mich sogar ein bisschen aufs Sichten gefreut. Wollte dann eben vor der Arbeit noch in den Keller, um die Trikots aus der Waschküche zu holen, als ich bemerkte, dass mein Fahrrad geklaut wurde. Kreisch! Muss in den letzten zwei Tagen passiert sein, denn am Sonntag, als ich die Trikots gewaschen habe, war es noch da. So ätzend. Musste an die Szene in „Pulp Fiction“ denken, wo John Travolta beschreibt, was passiert, wenn er den Typen zwischen die Finger kriegt, der den Lack seines Autos beschädigt hat. Im Ernst, ich wünschte, Karma regelt das. Wobei ich mir dann im Umkehrschluss die Frage stellen müsste, was ich im Vorfeld angestellt habe, dass jemand mein Fahrrad klaut.

Blauäugiges Volk

Hab gestern sicherheitshalber den Rest meines Russland-Reisevorschusses zur Bank gebracht, bevor ich ihn ausgebe und dann in die Röhre gucke, wenn meine Firma ihn zurückhaben möchte. Dabei ist mir ein neues Werbeplakat meiner Hausbank aufgefallen, das ich so schräg fand, dass ich beinahe auf dem Fuße kehrtgemacht und mein Konto aufgelöst hätte:

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Wie soll man den Slogan interpretieren? Ein lustiger Seitenhieb auf die Deutsche Bank? Oder auf die großen, internationalen Banken? Oder aber – und das wäre in der Tat das Letzte – springen jetzt auch die Banken (und sei es bloß unbewusst) bei der Neukunden-Akquise auf den AfD-Zug?

Gesetzt den Fall, es wäre so: Was kommt als Nächstes? Made in Germany über alles? Deutsche Luxusküchen, von starken Arierhänden montiert? Garantiert blonder, blauäugiger Nachwuchs von der Samenbank? Und endlich: Der neue deutsche „Volkswagen“ mit Gasantrieb?

Es gab ein paar kluge Kommentare in den letzten Tagen über die hässliche Fratze, die Europa dem Rest der Welt aktuell bietet. Über den allgemeinen Rechtsruck. Wenn ich keine Familie hätte, würde ich mich zurücklehnen und mir ins Fäustchen lachen, wenn die Wutbürger und Alternativwähler sich plötzlich verwundert umschauen, welche Teufel sie da gerufen haben. Aber ich bin nicht alleine.

Hätte nicht gedacht, dass mein Familienglück mal zum Problem werden könnte.

Ansonsten? Ein Nachtrag zum Thema „Künstliche Intelligenz“: Japan plant, zukünftig „soziale Roboter“ in der Pflege einzusetzen …

Rechter Ausleger

 

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An demselben Tag, an dem die AfD über 20 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern holt (und sogar Thema in den ausländischen Medien ist), habe ich in einem Tunnel unter einer Kathedrale gedreht, der im 2. Weltkrieg bzw. während der deutschen Besatzung als Bunker diente. Seltsamer Zufall. Wir brauchen eine Bildungsreform, sonst sehe ich schwarz. Oder braun.

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Diese neue Deutschtümelei geht mir total auf den Sack. Was ist denn „deutsch“? Wofür stehen wir denn? Hab hier in einem russischen Supermarkt eine Dose Holsten gefunden, also ein norddeutsches Seemannsbier – und welches Motiv ziert die russische Variante? Ein Lederhosen-Bayer. Ernsthaft?

Kommsun

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Zielgerade in Saint Petersburg. Die Tage sind anstrengend, aber abwechslungsreich. Haben gestern in einer der prunkvollen U-Bahn-Stationen gedreht, und am Tag davor in dem Atelier eines Mosaik-Künstlers, der für diese U-Bahn-Stationen die großen Mosaike fertigt. Ein hochinteressanter Mann – und die Werkstatt ein Knaller. Mein Kameramann wollte gar nicht mehr aufhören zu drehen.

Heute nochmal einen Tag Erholung, dann morgen und übermorgen Endspurt. Im Fernsehen kommt gleich Pippi Langstrumpf, bleibe bei meiner Astrid-Lindgren-Kur. Seelenmassage.

Dazu noch eine Randnotiz zum Thema künstliche Intelligenz: Hab eben die Daily Goal Challenge bei Score gespielt (Hotel-Langeweile). Das kurze Werbevideo im Anschluss zeigte einen russischen Spot. Klar, mein Handy zeigt an, dass ich in Russland bin. Aber das Produkt war ein Ice Age Spiel. Auch auf den russischen TV-Kanälen laufen viele synchronisierte Werbespots für Westprodukte. Völkerverständigung im globalisierten Kapitalismus. Was die Politik nicht schafft, schafft der Konsum. Anders gesagt: Wirklich frei ist nur der Markt. Das ist die Realität. Wenn es die denn noch gibt.

Kunst vs künstliche Intelligenz

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Die Nachricht stand heute bei meedia. Musste sehr an den Tatort vom Sonntag denken, in dem eine Analyse-Software die Kontrolle über ihre Entwickler gewinnt. Klasse Krimi, krass nah an der Realität. Hätte danach fast mein Handy zerschlagen, aber ich muss ja bloggen.

Gestern haben wir in der Eremitage gedreht. War wie immer etwas stressig, aber das, was ich so gesehen habe, war schier unglaublich: die Räume, die Kunstwerke, diese Pracht, Wahnsinn. Aber von Menschen gemacht.

Komme darauf, weil ich letztens mit meinem Sohn „I Robot“ gesehen habe, wo Will Smith zu dem Roboter sagt: „Ihr könnt keine Kunstwerke schaffen.“ Das würde ich unterschreiben. A priori. Denn ohne die Zutat „Mensch“ ist Kunst bloß „künstlich“.

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Win Win

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War heute mit meinem Kameramann ein bisschen spazieren. Haben uns die berühmte Eremitage angeschaut. Da drehen wir morgen. Waren allerdings nicht drin, weil wir da, wo wir morgen sind – im Katzenkeller -, heute eh nicht reingekommen wären. Wahnsinnsgebäude auf jeden Fall. Man sieht es hinten auf dem Foto, wenn man durch den Torbogen schaut. Morgen zeige ich es in voller Größe.

Auf dem Rückweg hab ich einem Straßenkünstler ein Gemälde abgekauft. Das versuche ich immer, wenn ich auf Reisen bin. Statt Souvenir. Diesmal ist es etwas größer, aber ich bin echt hängengeblieben, als ich es gesehen hab.

Der Künstler war sehr nett. Er erzählte, er hätte es erst vor 2 Tagen fertig gestellt. Und dass er vor Jahren mal eine Zeitlang in München auf dem Marienplatz als Porträtmaler gearbeitet habe. Er schien ganz erleichtert. Er meinte, ich sei sein erster Kunde an diesem Tag. Ich hab nicht groß verhandelt, aber dennoch nicht so viel bezahlt. Von der Kohle kann er hier eine Woche seine Einkäufe bestreiten.

Ich hab mich auch gut gefühlt. Nicht weil ich ihm ein Bild abgekauft habe, sondern weil ich über meinen Schatten gesprungen, stehen geblieben und auf ihn zugegangen bin. Ich hasse das eigentlich. Ich gehe auch ungern in Läden und wenn, hoffe ich, dass mich kein Verkäufer anquatscht. Egal, der Typ hat was verdient – und ich liebe das Bild jetzt schon.

Fern sehen

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Haben gestern in einem alten Bunker-Club gedreht, dem „Griboedov“. Der Club besteht seit 20 Jahren und ist von jeher die kreative Keimzelle alternativer Musik in Sankt Petersburg. Gestern Abend hat dort eine Hip-Hop Band aus Moskau gespielt. Ich hab ein kurzes Interview mit dem Frontmann gemacht, und er erzählte ganz schön, wie wichtig es für einen jungen Künstler ist, Räume zu haben, in denen man ein bisschen unter dem Radar fliegt. Das Konzert erinnerte mich an die ersten H-Blockx-Auftritte im Jugendzentrum unseres Dorfes vor 25 Jahren, mit dem kleinen Unterschied, dass wir uns Zeit unseres Lebens nie besonders Gedanken über den Inhalt von Songtexten machen mussten. Der junge Frontmann machte ziemlich deutlich, dass unterirdische Clubs, in denen man ein bisschen unterm Radar fliegen kann, für russische Künstler überlebensnotwendig sind. Bei uns muss man sich schon explizit Erdogan widmen, bevor man Probleme bekommt. Ansonsten ist freie Meinugsäußerung, wie wir sie kennen, Gold wert. Nein, unbezahlbar.

Und? Gucke zum Ausgleich deutsches Fernsehen. Das ist verrückt: Gestern kam der Landarzt – aus der Heimat meiner Eltern (die Schleifähre, die der Arzt fährt, bin ich im Mai noch mit meinem Sohn gefahren) – und heute Michel von Lönneberga, und zwar die Folge, in der Michel Alfred im Schneesturm zum Arzt fährt und ihm so das Leben rettet. Dieser kleine Junge, mit einem Herz aus Gold und ein bisschen Pech mit seinen Streichen (die ja oft eher „Unfälle“ sind), wächst in der Not über sich hinaus, 100 Mal mutiger, willensstärker und tapferer als die „Großen“. Am besten ist der Moment, in dem Michel fast aufgibt und dann der Schneepflug von vorne kommt. Was für eine starke, wunderschöne Kindergeschichte. Werde aber, fernab von Heimat und Familie, gerade auch ein bisschen rammdösig. Ich glaube, ich gehe mal aufs Laufband …

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Unter Tage 1

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Dritter Tag Sankt Petersburg. Fangen heute etwas später an, deswegen habe ich Zeit, ein paar Eindrücke zu schildern. Ich war mit 15 einmal mit dem Schulorchester in Moskau und muss sagen, seitdem hat sich einiges geändert. Wobei auch heute – wenn man den Staatschef im Fernsehen sieht, dann denkt man, dass Russland so ganz anders ist als Westeuropa (und auf dem Land ist es sicher auch noch so). Aber wenn man dann zum ersten Mal in eine Metropole wie Sankt Petersburg kommt, ist der Einfluss des Westens unheimlich groß. Gleich hinterm Flughafen kommen ein OBI-Baumarkt, Mercedes- und Porsche-Häuser, ein Metro-Supermarkt, es könnte auch eine größere deutsche Stadt sein. Im Frühstückssaal des Hotels laufen englische Hits aus den 90ern.
Das Zweite ist, dass ich den europäischen Gedanken wieder besser verstehe. Bin ja in den letzten Jahren ein bisschen herum gekommen, und Sankt Petersburg hat den gleichen Sandstein-Charme wie Bukarest, Riga oder Prag. Es macht schon Sinn, dass man von einem großen Kontinent spricht. Deswegen sind die kulturellen Unterschiede und diplomatischen Verwicklungen umso unverständlicher.
Die Drehs sind super anstrengend, aber natürlich auch wieder super interessant. Donnerstag waren wir im Petershof und haben die Fontänen von unten begutachtet, gestern sind wir 50 Meter unter der Erde durch einen 2 Kilometer langen U-Bahn-Tunnel gerannt, der gerade gebaut wird. Übrigens mit deutschen Maschinen. Ein Höllenlärm, schlechte Luft und die jungen russischen Arbeiter alle ohne Atem- und Gehörschutz. Aber cool und freundlich. Diese Eindrücke sind wirklich reich und besonders, denn das waren definitiv zwei Orte, an die man normalerweise nicht kommt.