Auf und davon

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Bin ich noch grün oder schon ein bisschen gelb?

Letzter Tag vor der Abreise nach Südafrika. Gestern und vorgestern noch die üblichen Dinge erledigt: professionellen Mückenschutz besorgt, ausländisches Geld und so lustige Kleinigkeiten wie neue Dichtungen im Baumarkt gekauft (zweimal, wohlgemerkt) und den Abfluss unter der Spüle in der Küche repariert (zweimal, wohlgemerkt), damit mein Ziehsohn während unserer Abwesenheit keinen Schiffbruch erleidet.

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Mandela-Money

War ja in den letzten Jahren wirklich viel unterwegs, aber natürlich sind vier Wochen, privat und gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin (ein Wort, das immer, wenn ich es schreibe, viel schöner und wichtiger wirkt, als wenn man es nüchtern oder unbedacht ausspricht) unterwegs, etwas ganz Anderes als alleine auf Drehreise nach Moskau. Genieße das sehr, die Reisevorbereitungen zu treffen, ohne den üblichen Produktionsstress zu verspüren. Sich einfach nur auf die Zeit zu zweit zu freuen und lediglich darauf zu achten, sich nicht noch kurz vor dem Abflug bei irgendwem einen Infekt einzufangen.

Wir werden Südafrika mit dem Auto erkunden. Das wird sicher nicht nur spannend, sondern auch beruhigend. Freue mich auf große Naturbilder, überwältigende Panoramen, die die eigene Existenz wieder ins richtige Verhältnis setzen. Dass man am Ende merkt, wie unbedeutend man eigentlich für den Lauf der Dinge ist.

Hab mich ein bisschen eingestimmt, körperlich und geistig, mit einem schönen Spaziergang unter der Woche im Höltigbaum, einem ehemaligen Truppenübungsplatz, das nun unter Naturschutz steht. Aus dem richtigen Blickwinkel auch schon ein bisschen Steppe …

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Hatte neben Trink- auch ein bisschen geistiges Wasser an Bord: „Das hier ist Wasser“, von David Foster Wallace, eine berühmte Rede, die Wallace mal vor Uni-Absolventen gehalten hat, in der es letztlich darum geht, wie ein studierter Mensch sein (an der Uni ausgebildetes) Denken im Alltag einsetzen kann, um glücklicher und zufriedener zu leben.

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Bemerkenswert ist das natürlich vor allem vor dem Hintergrund, dass David Foster Wallace bekanntermaßen selbst unter Depressionen litt und sich am Ende das Leben nahm. Er schrieb also eine wichtige Anleitung für ein zufriedeneres Leben, war aber gleichzeitig nicht in der Lage, sie so auf sein eigenes Leben anzuwenden, dass es ihn vor dem Schlimmsten bewahrt hätte. Er reflektiert das in seiner Rede – drei Jahre vor seinem eigenen Selbstmord – übrigens auf gespenstische Art und Weise: „Es ist keineswegs Zufall, dass Erwachsene, die mit Schusswaffen Selbstmord begehen, sich fast immer in den Kopf schießen.“ Die Handlungsmaxime, die Wallace den Studenten nahelegt, sieht im Prinzip vor, bewusst Herr seines Denkens zu bleiben und sich in die Lage zu versetzen, selbst zu entscheiden, wie man über was nachdenkt. Für den Alltag konstruiert er ganz schöne, simple Beispiele, die mir bekannt vorkamen. Dass man sich, zum Beispiel, nicht über den rücksichtslosen SUV-Fahrer ärgern soll, der einem gerade den Weg abschneidet, sondern vielmehr auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass der in diesem Moment so schnell wie möglich sein krankes Kind ins Krankenhaus bringen will.

Die Idee dahinter ist, dass man seine, wie Wallace es nennt, „Standardeinstellung“ zu überwinden lernt, weil man sonst auf Dauer nur das Schlechte sieht und die Umwelt entsprechend negativ wahrnimmt. Und das ist in der Tat ein Ansatz, den ich selber für mich schon erkannt habe und – auch wenn es schwerfällt – ab und an umzusetzen schaffe: an der Supermarktkasse, bei der Arbeit, auf dem Amt … es gibt immer Erklärungen für menschliches Verhalten. Anders gesagt: Die wenigsten Menschen kommen auf die Welt mit dem Ziel, sich von Tag eins an wie ein Arschloch aufzuführen.

Herman van Veen hat das übrigens schon vor langer Zeit in ein Lied gepackt, und es könnte gut sein, dass mir das als kleiner Junge mal bei meiner Tante begegnet und seitdem hängengeblieben ist:

Damit würde ich für heute mal den Bogen zu dem ersten Foto oben spannen: Glück und Zufriedenheit sind ein hohes Gut. Nicht immer kann man die Faktoren beeinflussen, und manchmal steht man fassungslos vor den Trümmern seiner Seele. Und eine Depression ist eine Depression. Aber wer generell die Vorstellungskraft nicht mehr dafür aufbringen kann, dass etwas nicht auch ganz anders und vielleicht sogar gut sein kann, hat schon verloren. Der guckt plötzlich in den Spiegel und merkt, dass er schon ein bisschen gelb ist und gleich womöglich den Halt verliert und zu Boden segelt – und das ganze Grünsein gar nicht genießen konnte, weil er so in seiner „Standardeinstellung“ gefangen war.

 

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