Däumling

Hab heute für die Lüge den Fall Daum geschnitten, die Kokain-Affäre, 10 Jahre ist das jetzt her, und ich habe kurz überlegt, ob das fair ist, die Geschichte nach all den Jahren ein weiteres Mal zu erzählen. Aber es ergeben sich da ganz interessante Querverbindungen.

Habe mir z. B. in unserem Archiv noch mal sämtliche Artikel der BILD-Zeitung angesehen, um ein Gefühl für den Ton zu bekommen, den der Boulevard damals angeschlagen hat. Und da fiel mir ein Foto ins Auge, von Daum und seinem (gepixelten) Sohn, mitten drin in diesem ganzen Gerüchterummel aus Drogen, Sex und Immobilien-Mafia … es gibt ja diese Momente, in denen man eine Sekunde lang völlige Klarheit erlangt, seine Scheuklappen ablegt und eine andere Ebene betritt. Und in diesem Moment sah ich auf dem Foto einen Vater, der ganz liebevoll den Kopf seines Kindes in beide Hände nimmt und ihm offenbar etwas Wichtiges mitteilt, oder etwas Tröstendes. Oder um Verständnis bittet für etwas, was kein Kind versteht. Krasser Scheiß. Die BILD fragte damals sinngemäß: Wie krank ist Daum wirklich? Und was ich dachte, war, dass man bei aller Pseudo-Intimität, die über Medien vermittelt wird, am Ende doch nie das ganze Drama erfasst. Dass da ein Vater nach Florida flüchtet, um seine Reputation kämpft und vermutlich ebenso seine Kinder vermisst, wie ICH es in dieser Sekunde tue. Und dass es gut und böse nicht gibt. Und dass einer, der gelegentlich kokst, trotzdem ein verantwortungsvoller Mensch sein kann, dem abseits des Platzes plötzlich Erklärungen schwer fallen.

Im nächsten Schritt fragt man sich, was aus dem Sohn geworden ist, er müsste mittlerweile volljährig sein. Das ist sowieso ein spannendes Projekt – Kinder von „Tätern“ zu porträtieren.

 

Ich komme auf das Vater-Thema, weil ich morgen einen Termin bei meiner Anwältin habe, wegen der Scheidungsfolgevereinbarung. Das ist zwar keine Drogen-Anklage, aber auch ein Wahnsinn, den man nie für möglich gehalten hätte. Und der auch Kinder betrifft. Zum Glück kommt meine Freundin mit, die – und da schließt sich der Kreis – mal mit Daum gedreht hat, für eine Dokumentation über Istanbul. Verrückt, oder? Aber Zufall? Wohl kaum. Das war nach dem Kokain-Skandal. Daum, so sagt sie heute, habe ihr damals gewissermaßen den Arsch gerettet, war spontan, offen und gastfreundlich. Auch eine Facette. Habe ihr Material nicht angetastet. Wollte das gute Karma nicht beschmutzen.

War ja mit ihr mal da, daher die Fotos. Am besten sind die Typen, die ihren Feierabend am Bosporus verbringen und angeln. Im Anzug! Das ist so ehrlich und herrlich undeutsch.

Schlaft gut,
Gerrit

Ein Gedanke zu „Däumling“

  1. Hmmm,

    schönes Thema: Zufälle, Verbindungen, anscheinende oder scheinbare Verknüpfungen und das alles unter der Macht und Last öffentlicher Personen (wenn es so etwas überhaupt gibt) im medialen Fokus, äh, Spiegel.
    Mich traf die Daum-Affäre als Fussballer, Berliner Clubgänger und Jungredakteur und ich wunderte mich vor allem die PK, auf der er mit Nachdruck sein absolut reines Gewissen beteuerte.
    Abseits solcher youtubesken Legendenbildung habe ich Verständnis für den gehetzten und schutzwilligen Vater in der multimedialen Persönlichkeit Daum, kann aber nur wenig Mitleid aufbringen (was viellicht an den Haaren auf meinem Herzen liegt, die mir in einigen Jahren Mediendasein wuchsen). Denn völlig unabhängig vom Charakter dieses Mannes (den ich als Medienkonsument immer als sehr erfrischend empfand – zumindest bis zu seinem bisher letzten BL-Gastspiel in Köln / Frankfurt) erkenne ich doch eine selbstgewählte und massiv eigenforcierte Aufmerksamkeitsstrategie, von den bunten Anzügen über die GlühendeKohlenLaufEinheiten bis hin zu…ja genau: Der Behauptung, seine Haarprobe mit absolut reinem Gewissen abgegeben zu haben. Ich finde es lso gut, dass Daum damals seine Familie schützte, aber auch taktisch vorhersehbar, opportun und professionell. Will sagen: Jemand der stets links und rechts grüßend in bunten Anzügen über den Boulevard flanierte, wird damit gerechnet haben, auch im Trainingsanzug als der Player wiedererkannt zu werden, der er unter der jeweiligen Klamotte ist.

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