Viel, oh, Sofie

Nun also wieder für das Schweizer Fernsehen in Moskau. Zum vierten und womöglich vorletzten Mal.

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Aufwärts, immer aufwärts

Nach Saukälte und Starkregen am Tag meiner Ankunft – und der daraus resultierenden Sorge, in meinen kurzen, nassen Beinkleidern sofort krank zu werden – schaut die Sonne jetzt noch mal vorbei. Wäre sonst auch ein reichlich kurzer Sommer gewesen. Mittlerweile ergeben sich schon ein paar bekannte Bilder, z.B. diese wahnsinnig langen Rolltreppen in der Metro, diese Eindrücke brennen sich ein. Tolle Erfahrung. Russland und Moskau sind mir ans Herz gewachsen.

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In der Stadt ist vor ein paar Tagen ein bekannter Theaterregisseur verhaftet worden, etwas beunruhigend für ein Land, in dem Kultur eine so große Tradition hat. Seltsamerweise spiegelt sich das hier in der Bevölkerung kaum wider. Mein Kameramann hat versucht, mir das zu erklären. Politik ist abstrakt. Die Leute scheinen einfach nur froh zu sein, dass der Laden irgendwie läuft. Redefreiheit ist etwas, das einem nur fehlt, oder, besser gesagt, das man nur genießen kann, wenn der erste Hunger gestillt ist. Vielleicht haben die meisten Menschen auch gar nichts zu sagen. Also nicht nur hier, sondern überall.

Der Mensch lebt nicht vom ..., äh, ... Glutamat allein
Der Mensch lebt nicht vom …, äh, … Glutamat allein

Lese gerade in einem Buch, das ich mir damals im Studium gekauft habe: Einführung in die politische Philosophie, von Christian Ruby. Fand es damals schon ein bisschen schwierig zu lesen, daran hat sich nicht viel geändert. Man muss wirklich bei jedem Wort hellwach sein. Trotzdem – oder gerade deshalb – sehr inspirierend.

Zwei Beispiele, ich zitiere:

Seite 11 – Das Wort „Idiot“ kommt von idiotes, das ist der einsame, ungesellige Bürger, der sich in die Angelegenheiten der Polis, also der politischen, sozialen Gemeinschaft, nicht einmischt, das isolierte, bedeutungslose Individuum, das unfähig ist, den anderen etwas anzubieten und Spuren zu hinterlassen.

Deswegen reicht es manchmal schon, im richtigen Moment das Bein zu heben!

Seite 23 – Die Demokratie (von demos, Gesamtheit der freien Bürger) kann manchmal zur Ochlokratie ausarten, dem „Regime der Verängstigten“ oder der Timokratie (von time, Wert, Preis, Ehre), das ist die „brutale Rivalität der Glücksritter und Profiteure“, die Unterwerfung derBürger unter den Ehrgeiz.

Da frage ich mich doch gleich, in welchem Ausmaß unsere Demokratie bereits ausgeartet ist!?

Politische Theorie ist gerade mein Thema. Meine bessere (Gehirn-)Hälfte hat mir ein tolles Interview mit Sahra Wagenknecht weitergeleitet, das so bei Meedia zu lesen war, gut geführt von Christopher Lesko. Darin erzählt Sahra Wagenknecht, wie sie sich als junger Mensch mit politischer Theorie beschäftigt hat, vor allem auch aus ihrer „sozialen Vereinsamung“ in der DDR, einem System, das sie so nicht mochte, von dem sie aber auch nicht wollte, dass es endgültig verloren geht. Sie beschreibt da auch nachvollziehbar, wie die „Wende“ am Ende keine ideelle mehr war, dass sich die Menschen nicht mehr (nur) nach Freiheit, sondern vor allem nach der D-Mark sehnten und den Produkten, die man damit kaufen konnte. Die Kapitalismus-Kritik, die sieht grundsätzlich äußert, kann ich so unterschreiben. Lohnt sich wirklich, das Interview mal zu lesen.

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Das Interessante ist, dass ich hier in Russland gerade mit sehr netten Protagonisten gedreht habe, wie sie abends noch bei IKEA einen Kinderstuhl kaufen, in einem IKEA, der aussieht, wie alle anderen IKEA-Filialen auf der Welt. Uniformes Mainstream-Design, das den Menschen dennoch Individualität vorgaukelt. Ich meine, ich bin ja nicht besser, hab da letzte Woche noch einen Bilderrahmen für fünf Euro erstanden. Keine Ahnung, ein einzelnes Unternehmen raubt einem Volk ja auch nicht seine kulturelle Identität.

Auf der anderen Seite sagen alle, die hier leben, dass die jungen Russen gerade wieder der Politik auf den Leim gehen, beziehungsweise der Propaganda, wonach Russland wieder unterwegs zu alter Größe sei, was sich leider aber eben auch in einem neuen Nationalismus bei den jungen Leuten äußert. Man weiß also gar nicht, was man lieber möchte: westlichen, vom Kapitalismus gesteuerten Einfluss, der einem neuen, übersteigerten, russischen Nationalismus entgegenwirkt, oder eine eigenständige, russische Wirtschaft, auf die Gefahr hin, dass die „russische Seele“ bald den Boden unter den Füßen verliert.

Zugegeben, ich muss keinen Hunger leiden, doch am Ende sage ich das, was ich den Regierenden immer sage: Bildet euer Volk gut und großflächig und gerecht aus, gebt allen die gleichen Chancen, verzichtet auf eine unsoziale, profitgierige Wirtschaftspolitik, und der erste Schritt auf dem langen Weg zu einer friedlichen Welt ist getan. Womöglich ist auch der Weg das Ziel. Aber man sollte jedenfalls nicht in die entgegengesetzte Richtung rennen.

(E)Motions

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Anstrengende letzte Woche gehabt. Hab die ersten fünf Tage für die Amok-Doku geschnitten. Sehr komplex, alle Wege führen irgendwie nach Rom. Viele Dinge, die man sich  im Vorfeld ausgedacht hat, haben noch keinen Platz gefunden. Man sollte meinen, 45 Minuten seien lang genug, aber es erscheint mir gerade so, als stünde ich am Start eines 100 m-Laufs,  obwohl ich für einen Marathon trainiert und gemeldet habe. Im Laufe der Woche wurde es dann klarer, die Vision wurde greifbar. Jetzt denke ich, dass ich, wenn ich konzentriert bleibe, tatsächlich eine relevante Botschaft formulieren kann.

Vermisse die beiden anderen Jungs ein bisschen, wie immer, wenn sie länger weg sind. Ferien sind doof, wenn man als Erwachsener arbeiten muss.

Auf der anderen Seite spüre ich auch, dass ich die Projekte dieses Jahr ganz gut meistere. Ich habe mich von der hohen Schlagzahl nicht aus der Ruhe bringen lassen. Im Gegenteil, ich bin relativ gefestigt.

Das liegt auch daran, dass das Glas die meiste Zeit lang halbvoll war.  Beziehung, Familie, Freunde, alles gut. Habe heute Morgen mit meiner Mannschaft ein Testspiel bestreiten dürfen. Freue mich darüber, dass  mein Körper noch mitmacht, und zwar beinahe genau so, wie es ihm der Geist kurz zuvor mit auf den Weg gegeben hat. Das ist mehr, als viele andere von sich sagen können.

Sitze jetzt noch ein bisschen auf der Terrasse und blättere in sechs Büchern gleichzeitig. Nein, nacheinander, also nicht zur selben Zeit.  Eines davon ist eine kleine Gedichtssammlung von Derek Walcott. Auf dem Rücken des Buches zwei Zeilen:

Dinge explodieren nicht,

sie versagen, sie verblassen

Habe mich, nachdem ich nun fünf Experten-Interviews zum Thema Amok geführt habe, gefragt, ob das auch für dieses Thema zutrifft.  Bin mir nicht sicher. Vielleicht sogar ja.

Morgen geht es wieder nach Moskau. Vielleicht zum vorletzten Mal. Habe mich an die Reisen gewöhnt, bin aber auch froh wenn der Herbst kommt. Auf der anderen Seite soll man die Abenteuer so lange angehen,  wie einen die eigenen Beine noch tragen. Sonst wird es schwer, vor der  Verrücktheit der Welt davonzulaufen.

Großes Kino

Heute war ein interessanter Arbeitstag. Wir haben im Studio so prototypenmäßig ein Jugendzimmer nachgebaut, drehen dort morgen mit einem jungen Schauspieler ein paar Themenbilder für meine Amok-Doku. War gar nicht so leicht, das auf die Schnelle hinzukriegen. Sollte ein bisschen artifiziell und zugleich realistisch aussehen. Bin mal gespannt, wie es morgen wirkt.

Amokzimmer

Man bekommt auf jeden Fall ein Gefühl dafür, wie aufwendig „Film“ ist. Wie lange es dauert, bis ein Set steht, bevor man überhaupt das erste Bild gedreht hat. Ist aber auch reizvoll. Würde gerne mal ein Drehbuch schreiben und filmisch umsetzen.

Kann mich aber sonst auch nicht über zu wenig kreative Nebenaktivitäten beklagen. Mein Alphabeten-Kollege Sebastian hat mir heute morgen „Der Club“ von Takis Würger ausgeliehen. Der ist nächste Woche bei uns zu Gast. Wir interviewen ihn für unseren Podcast, der ab Oktober auf Sendung geht. Ich kenne Takis nicht persönlich, obwohl er für die gleiche Firma arbeitet wie ich, ist ein bisschen lustig. Deswegen muss ich jetzt schnell noch das Buch lesen, damit ich nächste Woche keinen Mist rede. Oder zumindest nicht nur …

Schwarzwaldi

Tickt der auch richtig?
Tickt der auch richtig?

Lustig. War mir gar nicht so bewusst, aber ich war letzte Woche zwei Mal im Schwarzwald. Am Mittwochabend in Brooklyn, im Black Forest, dem Restaurant meiner ehemaligen Kollegin Ayana, die dort Spezialitäten aus ihrer Heimat (richtig, dem Schwarzwald) anbietet.

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Hab mich da mit dem Möbeldesigner Patrick Weder getroffen, mit dem ich vor zwei Jahren für das Schweizer Fernsehen gedreht habe. War ein Superabend, es passiert nicht so oft, dass ein Kontakt über die Dauer der eigentlichen Zusammenarbeit weiterbesteht. Tja, und am Wochenende ging es dann – im Prinzip direkt nach meiner Rückkehr – mit meiner Liebsten in den echten Schwarzwald, wo ein anderer Kollege von mir seine Hochzeit gefeiert hat. Und dass ich beinahe ohne Unterbrechung von dem Schwarzwald in Brooklyn in den Schwarzwald im … äh … Schwarzwald gedüst bin, fand ich dann doch schräg.

Bei all dem Reisestress in diesen Tagen ist mir etwas aufgefallen, ein Gedanke von gewisser Größe, da lohnt es sich schon mal drüber nachzudenken.

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Es ging eigentlich damit los, dass man am Flughafen in New York jetzt im Gastrobereich alles über so wahnsinnige Tablets bestellt, die auf allen Tischen stehen. Natürlich kann mit den Dingern noch ganz andere Sachen machen, aber eben auch bestellen, d.h. man spricht mit keinem Kellner mehr, sondern tippt alles ein, bezahlt (das Trinkgeld wird in Amerika ja automatisch eingerechnet, man darf sich aber aussuchen, wie viel oder wie wenig Prozent man geben möchte) und dann kommt irgendwann das Essen (oder in meinem Falle ein großes Brooklyn Lager für 17(!) Dollar).

In Deutschland sind die Kellner nur noch Nummern ...
In Deutschland sind die Kellner nur noch Nummern …

Darüber hinaus wurde ich sowohl bei der Fluglinie United in Amerika als auch bei Eurowings in Deutschland dazu angleitet, nicht nur selbst einzuchecken (das ist ja inzwischen Standard), sondern auch mein Gepäck selbst aufzugeben, also zu wiegen, das Label draufzukleben und aufs Laufband zu stellen. Bei beiden Flügen klappte das nicht so richtig, was dazu führte, dass man dann doch jemanden um Hilfe fragen musste. Und da ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen: Die Entwicklung, so viele Schritte eines Dienstleistungsprozesses zu automatisieren, bzw. an den Kunden aus Kostengründen abzugeben, führt nicht nur dazu, dass die Menschen (Anbieter – Kunde) generell weniger miteinander kommunizieren, sondern vielmehr verhält es sich so, dass, wenn sie dann doch miteinander sprechen, der Anlass meistens der ist, dass die Automatisierung nicht funktioniert, d.h. die (Rest-)Kommunikation, die dann noch stattfindet, ist von vorneherein negativ determiniert. Und das gilt natürlich auch für alle anderen Dienstleistungsbereiche (Stromanbieter, Ämter, Callcenter) etc. Fand ich irgendwie spannend. Frage mich, ob das irgendwann einer Gesellschaft aufs Gemüt schlägt!?

Theater

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Nach mehreren Moskaureisen nun also ein kurzer Abstecher nach New York – für ein Interview. Also, Betonung auf „ein“. Verrückt, aber nun gut. So ist der Job.

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Bin dieses Jahr soviel unterwegs, dass ich leider auch unseren Familienurlaub zwischen diese ganzen Reisen für den Job „quetschen“ musste.

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Nachdem wir ja letztes Jahr mit dem Wohnmobil unterwegs waren, sind wir dieses Jahr wieder nach Schweden gefahren. Und obwohl wir das Altbekannte sehr genossen haben – angefangen von dem reichhaltigen Buffet auf der Fähre, bis hin zu Angel-, Bade- und Fußballplatz vor der Haustür – war es diesmal doch ein bisschen anders als in den Jahren zuvor. Weil die Jungs in den letzten zwei Jahren so eine enorme Entwicklung durchgemacht haben. Zwei von dreien sind ja jetzt schon junge Männer und der dritte auf dem Sprung dahin, und das war dann schon bemerkenswert.

Interessanterweise hat das nicht dazu geführt, dass sie sich abgesondert haben – nur ab und an, was der Erholung aber auch nicht abträglich war -, sondern dazu, dass wir auf dem Grundstück einiges geschafft haben: einen Baum gefällt und zersägt, einen Riesenhaufen Brennholz gestapelt, den Zaun repariert und die Terrasse vor der Angelbude ausgebessert. Ach ja, und dazu, dass ich beim Fußball spielen zum ersten Mal schneller erschöpft war als der Nachwuchs.

Aber das ist nicht schlimm. Mich hat in den letzten Wochen eine gewisse Ruhe erfasst. Notgedrungen. Das heißt, ich bin mir auch nicht sicher, ob es eher eine Art Müdigkeit ist oder Gelassenheit. Die Jungs aufwachsen zu sehen und zu sehen, wie sie immer selbständiger werden, ist jedenfalls ein großes Glück, zumal sie uns neben den üblichen, kleinen Begleiterscheinungen keinerlei Kummer bereiten. Sogar für Marshmallows am Lagerfeuer waren sie sich an einem Abend nicht zu doof, bzw. zu alt. Im Gegenteil, es war ihre Idee.

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Mich beschäftigen diese Dinge aktuell sehr, was natürlich auch mit dem Thema zusammenhängt, für das ich gerade im Flugzeug sitze: Amokläufer. Interviewe morgen dazu den amerikanischen Experten Peter Langman. Habe gerade noch zwei Aufsätze von ihm gelesen. Mit vielen Details über die verschiedenen Amokläufe und Kategorien der jeweiligen Täter, die in den letzten Jahrzehnten in Erscheinung getreten sind. „In Erscheinung treten“ ist übrigens eine dieser typischen, wissenschaftlichen Formulierungen, die ich so liebe. Weil sie so sachlich und präzise das Grauen beschreiben.

Jedenfalls tauchen da bei den Täterprofilen immer wieder Aspekte auf, die ich – in niedriger Dosierung – natürlich auch von meinen Jungs kenne: Computerspiele, schwarze Klamotten, (Selbst-)Definition von Männlichkeit und so „grandiose“ Sprüche auf dem Fußballplatz wie „Ich bin Gott!“, wenn einer von ihnen mal wieder ein Lattenschießen gegen mich gewonnen hat. Oder einen Kaugummi aus fünf Metern in den Mülleimer gespuckt. Oder was auch immer. Eric Harris, einer der Columbine-Attentäter hat das auch gesagt: „Ich bin Gott!“ Auf Deutsch.

Die große Frage bei diesem Amok-Thema ist natürlich die Rolle der Eltern. Warum haben die in allen Fällen nichts davon bemerkt, dass der Zug, in dem ihr Sohn sitzt, langsam, aber immer unaufhaltsamer in eine gefährliche Richtung fährt!?

Und während ich hier gerade in der alten Boeing 7irgendwas der United Airlines auf meinem „Economy Plus“-Platz sitze und ein Küchlein esse, das laut Verpackung fast ein Jahr(!) haltbar sein soll, denke ich mir, dass es vielleicht eine gute Sache war, mit allen Jungs den Riesenhaufen Brennholz in den regendichten Schuppen zu stapeln. Ein Haufen, der zunächst scheinbar nicht kleiner werden wollte und somit für schlechte Laune sorgte, sich am Ende durch die vereinten Kräfte und Durchhaltevermögen aber schließlich doch in Luft aufgelöst hatte. Ich habe den Dreien beim Abendessen für Ihre Hilfe gedankt und hinzugefügt, dass ihnen im Laufe ihres Lebens noch so einige Haufen in den Weg gelegt würden, die auf den ersten Blick unüberwindbar erscheinen. Und dass man jeden Haufen aus dem Weg räumen kann. Und das Beste? Ich habe es in dem Moment selbst geglaubt.

A B Flug

Gestern, 14 Uhr, Moskau, Ortszeit.

Zeit, den Abflug zu machen. Pfeife eine Abschiedsmelodie … auf dem letzten Loch, wohlgemerkt.

Habe acht Euro in zwei Bier investiert. Acht Euro, die mir niemals fehlen werden.

Flugzeuge fahren von links und rechts ins Bild, und das ist „oll“ und futuristisch zugleich. Wie wir Menschen, denke ich, wie wir Menschen. Und dazwischen, ein Hund ohne Herrchen, der Tank-LKW mit dem Gazprom Schriftzug, und ich denke SOFORT: Gerhard Schröder -und kann mir allmählich sehr gut vorstellen, wie man mit den Despoten dieser Welt an einem Tisch sitzen und sich verdammt wohlfühlen kann, obwohl man genau weiß, dass in dieser Sekunde in irgendeinem Scheiß-Hinterhofknast ein Oppositionsführer zu Tode gefoltert wird. Nicht, dass ich mich langsam damit abfinde, ich will nur sagen: es ist kompliziert.

A B Flug

Und auch wieder nicht …

Bin irgendwie froh, dass die Wort-Vervollständigungsfunktion meines Smartphones noch so ein Wort wie „allmählich“ kennt.

G weg

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Ich kann auch krasse Bilder …

Habe mir heute beinahe ein bisschen selbst das Leben gerettet. War nämlich Joggen im Gorkipark, weil ich hier kurz vor einem Bandscheibenvorfall stand, bzw. lag. Da macht sich der Stress dann doch bemerkbar, wenn man es nicht schafft, für körperlichen Ausgleich zu sorgen. Doch dann war ich eine Stunde laufen, habe ein bisschen Gymnastik gemacht, seitdem geht’s einigermaßen. Wahrscheinlich gehe ich morgen noch mal raus. Wäre ja blöd, wenn ich kurz vor dem Urlaub plötzlich flach läge. Die Zeiten sind allerdings auch turbulent. Komme mir vor wie ein Politiker oder ein Wirtschaftsboss, weil ich so viel unterwegs bin. In der Tat frage ich mich, wie unsere Kanzlerin das aushält. Sie ist ja auch nicht mehr die Jüngste.

Ich glaube, so viele Kilometer habe ich noch nie in einem Kalenderjahr abgerissen. Ich merke auch, dass mir die Schlagzahl zusetzt. Eine Galeere, die nie ankommt.

Und trotzdem: Der Job ist ein Privileg, gepaart (Gepard?) mit meiner Fähigkeit, mir in bestimmten Momenten die richtigen Themen ins Bewusstsein zu rufen. Hab mir ja vor Monaten Jean Ziegler ausgeliehen, mich das erste Mal nach längerer Zeit wieder etwas ausgiebiger mit Globalismus-Kritik auseinandergesetzt, mit all den Themen, die jetzt vor dem G20-Gipfel in Hamburg natürlich täglich durch die Medien geisterten.

Hab mir als Reiselektüre außerdem Goethes „Werther“ mitgenommen. Das geschah nicht nur aus einer Laune heraus, sondern hat eine Bewandtnis, und tatsächlich war das ein kleiner Handgriff, der nach und nach – und ohne, dass ich das vorausgeahnt hätte – alle Dimensionen gesprengt hat.

Warum?

Bin ja gerade fürs Thema Amok unterwegs, und der Werther-Effekt spielt da eine ganz wuchtige (wollte wichtige schreiben, aber wuchtige trifft´s besser) Rolle. Hab immer gedacht, im Werther bringe sich einfach jemand um, aber, nein, der Werther geht an einigen Stellen auch in die Argumentation, warum ein kühner Selbstmord nicht schlechter ist als ein mühsam durchlebtes Leben.

Die Amokforscher nennen das „kulturelles Skript“. Das ist im Prinzip ein Handlungsentwurf, den mir jemand vorlebt, den ich deswegen in mein Repertoire aufnehme, weil ich den Anderen als mir ähnlich empfinde. Anders gesagt: Auch ein Verbrechen kann Vorbildcharakter entwickeln. In dem Moment, wo ein Pkw in eine Menschenmenge rast, zieht er einen ganzen Konvoi Gleichgesinnter hinter sich her.

In Hamburg ist der G 20 Gipfel ziemlich mies verlaufen. Tierische Gewalt, große Verwüstung, schreckliche Bilder. Alle wundern sich darüber. Und lustigerweise schließt sich da am Ende der Kreis. Denn wenn alle diese Themen heutzutage am Ende etwas gemein haben (abgesehen davon, dass es natürlich ungleich schrecklicher ist, Menschen umzubringen als Autos anzuzünden), dann ist es der ungebrochene Wunsch nach Grandiosität und Aufmerksamkeit (ich bin kein Psychologe, und das ist reine Spekulation, aber womöglich waren diese Aspekte auch Teil der Motivation unseres Bürgermeisters, den Gipfel in Hamburg auszutragen).

Wer produziert die krassesten Bilder in der Öffentlichkeit? Denn die Medien suchen ja danach und zahlen entsprechend dafür. Und insoweit bewegen sich linke Gewalttäter (und womöglich auch so manch austeilender Ordnungshüter) letztlich wie jugendliche Amokläufer und Terroristen in dem Jagdmodus der „kalten Wut“, wie Psychologen das nennen, d.h. hochfokussiert, unemotional, gelenkt vom eigenen „Tunnelblick“. Weil sie sich, vereinfacht ausgedrückt, im Prinzip in einer Krise befinden.

Aufmerksamkeit ist momentan die höchste Währung, und um sie zu erzielen, sind nahezu alle Mittel recht, und die Grenzen zwischen gut und böse, clever und doof, lustig und ätzend verschwinden. Die Medien kontrollieren sich selbst, überprüfen sich selbst und gucken sich gegenseitig auf die Griffel, wer am neutralsten berichtet hat, aber wie soll das gehen wenn die ganze Welt darauf aus ist die krassesten Bilder zu produzieren. Und so gibt es eben Comedians, die lustige Schilder in die Luft halten und daraus auch schon wieder eine Aktion machen, und Blogger wie Moritz Neumeier, der bei seiner Tasse Kaffee letztlich zwar formal Distanz schafft und klare Worte findet, sich aber am Ende auch nicht zu doof ist, auf seine anderen Videos hinzuweisen und einen seltsamen Abgang zu inszenieren. Schade.

Was mich dann wundert, ist, dass sich alle wundern, dabei funktioniert das öffentliche Leben seit Jahrhunderten nicht anders. Politik ist von jeher symbolische Politik, und wenn man wirklich etwas kritisieren wollte, dann wäre es der Fluch der Öffentlichkeit, stets auf Symbole, Bilder, Gesten und weniger auf inhaltlichen Diskurs eingehen zu wollen. Oder zu können!?

Wenn man bei YouTube „Beatgeneration“ eingeben will, dann erscheint unter den ersten Treffen sofort „Beatrice Egli – Federleicht“. Und DAS ist symptomatisch. Ich bin kein großer Gregor Gysi-Fan aber ich hab ihn vor kurzem bei Markus Lanz gesehen, und da hat er eine „soziale Wende“ gefordert, und meinte dabei insbesondere das Bildungssystem. Das hingegen würde ich sofort unterschreiben. Alle guten Ideen, die die Zivilgesellschaft und die Aufklärung notiert haben, funktionieren nicht ohne Bildung, im Gegenteil, dann schlägt uns das irgendwann alles wie ein nasses Handtuch ins Gesicht.

 

Verbindung unterbrochen

Verbindung unterbrochen

Das Problem, wenn man längere Zeit nicht zum Bloggen kommt, ist, dass natürlich trotzdem ganz viel passiert. Vor allem ganz viel von dem üblichen Scheiß da draußen. Aber heute ist der Tag gekommen, an dem ich mir mal wieder die Zeit nehmen muss, ein paar Zeilen zu schreiben.

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Man hätte heute Morgen schon darauf kommen können, dass irgendwas passiert, angesichts des Weltuntergang-Szenarios, das sich da vor dem Fenster auftat. Dann ging der Sturm los, es klarte wieder auf, ich freute mich, morgens noch den Sonnenschirm eingeklappt zu haben, und dann traf mich die Nachricht wie ein Schlag:

Gunter Gabriel ist tot.

Nach unserer Zusammenarbeit für den NDR, vielen netten Abenden, die als Arbeit begannen und als Vergnügen endeten, mit ihm und meiner Freundin, einer kleinen Zwischendurch-Hoffnung, dass er einen Song von mir interpretieren und ich endlich reich würde, bis zu der aufrichtigen Sorge am Ende, als er in den Dschungel zog: Der Verlust ist groß! Es bewegt mich sehr …

… und kam tatsächlich überraschend. Wir haben vor vier oder fünf Wochen noch telefoniert, als ich in Harburg vor seinem Hausboot stand, und er wieder einmal in Berlin war, aber voller Tatendrang und Kraft in der Stimme. Dass die nun für immer verstummt ist, erscheint unfassbar. Keine schrägen Sprüche mehr, keine Anekdoten (die man zum X-ten Mal hört, aber egal), keine Zoten und keine verrückten Telefonnachrichten mehr.

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Alles schwer zu glauben, auch wenn man jetzt sieht, dass alle Redaktionen offenbar schon fertige Nachrufe in den Schubladen liegen hatten. Ja, Herzinfarkt, Schlaganfall, Tonnen von Medikamenten (ich war häufig live dabei, wie er über die „Scheiß-Pillen“ geschimpft hat), am Ende dachte ich trotzdem (oder gerade deswegen): Gunter, das Unkraut vergeht nicht. „Mein Kadaver ist noch nicht kalt“, pflegte er immer zu sagen, und so war es auch. Kalt war kein Aggregatzustand für Gabriel.

Gabriel

Ruhe in Frieden, Du großer, manchmal etwas plumper, naiver Mann. Grüße an Johnny Cash, sei nicht enttäuscht, wenn er sich nicht sofort an Dich erinnert. Du warst sicher ein größerer Fan von ihm als er von Dir. Aber solche Kleinigkeiten spielen jetzt keine Rolle mehr.

Rückzugsgedanken

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Habe auf dem Rückweg von Sankt Petersburg das Buch von Mirko Bonné, „Nie mehr Nacht“ durchgelesen. Toll. Hatte seltsamerweise das Gefühl – jedenfalls an ein, zwei Stellen – dass er Jugendstil von mir gelesen haben muss, vor allem an einer Stelle, wo er den „jungen Belmondo“ erwähnt. Wie dem auch sei, es wäre mir eine Ehre. Ein Satz hat mir besonders gut gefallen (siehe Foto oben, letzter Satz).

Ansonsten gehen auch meine Tage hier in Russland wieder dem Ende zu. Ohne, dass es sich wie ein Ende anfühlt, weil ich ja noch ein paar Mal wiederkomme. Bin beinahe  genauso ein moderner Pendler wie meine Protagonisten. Und ich lerne wirklich dazu und -kennen und -schätzen. So werde ich versuchen, meiner Freundin irgendwann einmal das Soul Kitchen Hostel zu zeigen (siehe Foto oben).

Und ich sehe Russland jetzt nach meiner zweiten Reise wirklich mit anderen Augen. Verstehe langsam, warum das Volk Putin anders bewertet als der Westen. Weil es lieber vergleichsweise stabile Verhältnisse und volle Regale hat als einen demokratischen Rechtsstaat, wie wir ihn kennen. Das russische Volk hatte noch in den Neunzigern existenzielle Probleme. Es herrschte Chaos, was übrigens viele skrupellose Unternehmer für sich zu nutzen wussten. Aber mein Kameramann hat mir heute erzählt, dass er damals manchmal den halben Tag damit zugebracht hat, Lebensmittel zu beschaffen, um sich abends etwas Vernünftiges kochen zu können. Heute ist es für viele anders. Es gibt Coffee-Shops, ja, es gibt bei den meisten Dingen endlich eine Auswahl(!), und so sind die meisten Menschen, die auch die anderen Zeiten erlebt haben, froh, dass sie heute ein Leben führen können, dass wir – seit vielen Jahrzehnten –  als „normal“ bezeichnen.

Es ist ein bisschen so, wie ich mal über die so genannten „Wirtschaftsflüchtlinge“ gesagt habe: Wenn ich wüsste, dass es irgendwo ein Land gibt, wo ich viel besser für meine Kinder sorgen könnte, würde ich auch dorthin gehen. Vielleicht sogar über Leichen …

Nie mehr Nacht

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Drehschluss für heute. Bin wieder  für das Schweizer Fernsehen in Russland unterwegs.  Läuft alles ganz gut, ist aber, wie immer, ganz schön anstrengend. Habe mir dieses Mal endlich mal wieder ein Lese-Buch mitgenommen: Nie mehr Nacht, von Mirko Bonné. Bin total begeistert. Und hatte heute Morgen die Situation, dass ich aus meinem Alltagsstress immer noch in eine Situation flüchten kann, die der Autor in seinem Roman beschreibt. Wenn das keine dichterische Leistung ist Pünktchenpünktchen.

Cool: Die Spracherkennung macht aus „…“ tatsächlich „Pünktchenpünktchen“. Das ist einen eigenen Absatz wert.

Mein Herz ist zu jung

für den Rest von mir

bin tausendundeiner

und einen Groschen

für die Gedanken

der Stewardess

Und dann drehst du den lieben, langen Tag in Sankt Petersburg und plötzlich steht da ein Wohnwagen am Straßenrand, der dich daran erinnert, wo du herkommst. Zufall? (1. Bild)