Gerüch(t)e

Hallo, Freunde,

arbeite ja momentan an einer Dokumentation über die „Macht der Lüge“ (wird nächstes Jahr irgendwann auf VOX laufen). Und da haben wir heute in der Redaktion kurz über die Wulffs diskutiert bzw. darüber, dass der Boulevard zeitgleich und übermotiviert den Ursprung eines Gerüchtes hinterfragt. Wer steckt dahinter? Habe für die Doku ja auch schon ein paar Interviews geführt, u. a. mit Roger Willemsen. Diskutierte mit ihm auch darüber, welche Bedeutung Watergate als Geburtsstunde des investigativen Journalismus zukommt, und inwieweit es sich heute oft nur noch um die publikumswirksame Aufdeckung eines Skandals handelt. Um eine Steigerung der Auflage. Und dass sich die Relevanz verschiebt. Dass man mit der Info, ein US-Präsident habe Oralverkehr mit einer Praktikantin, eben auch nichts über die Welt erfährt.

Und da wären wir wieder bei den Wulffs. Da überlegt man kurz, was dahinter steckt, liest die Schlagzeilen und die ersten Hintergrundberichte und weiß nicht mehr, wem man was glauben kann. Warum müssen manche Journalisten immerzu im Dreck wühlen? Geschieht wirklich alles immer im Dienste der Aufklärung? Oder verfolgt nicht am Ende alles nur den Zweck, die Auflage des Buches von Frau Wulff zu steigern. Auf der anderen Seite haben die Wulffs sicher alles versucht, diese Dinge von den Kindern fern zu halten. Und das ist genau das Problem mit der Lüge. Dass man am Ende nicht mehr weiß, wer wissentlich lügt, wer sich in Notlügen verrennt, ja, wer welches Motiv verfolgt!? Man staunt immer wieder über den Boulevard, der es schafft, die heiklen Vokabeln so zu verpacken, dass sie nichts und alles verraten. Dass sie juristisch so gerade auf der sicheren Seite sind; dass ist auch eine Art von Handwerkskunst.

Eine Kollegin war der Meinung, es sei alles kein Thema geworden, wenn Wulff von Beginn an mit offenen Karten gespielt hätte; dass er seine Frau da und da kennengelernt hat usw. Vielleicht … aber das ist ja nicht das eigentliche Wulff-Problem.

Ganz ehrlich: Mich interessiert das alles nicht. Über die Vergangenheit von Sibel Kekilli redet auch kein (vernünftiger) Mensch mehr. Sie ist einfach nur noch diese atemberaubende Schauspielerin die gestern an der Seite von Axel Milberg und Lars Eidinger im Tatort brilliert hat. „Das Böse“ ist ja auch so ein Thema, das mich beschäftigt, aber dazu demnächst mehr …

Vielleicht spielen wir alle bloß uns selbst. Mead und Goffman sagen ja so etwas, dass wir alle eine Rolle spielen: der fleißige Arbeitnehmer, der sorgende Vater, der feurige Liebhaber … ist das so? Man müsste Frau Wulff mal fragen, welche Rollen sie in ihrem Leben schon bekleiden musste!? Und was wäre die Konsequenz? Sind wir NIE echt und ungeschminkt? Sind wir nie einfach nur „wir“? Willemsen meinte, ungeschminkt seien wir anderen Menschen unzumutbar. Vielleicht wollte er es nur auf den Punkt bringen, aber was, wenn da was dran ist … wäre das nicht schrecklich?

Schlaft gut,
Gerrit

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