ora @ labora

Eben noch Eiseskälte und Stürme. Und plötzlich ist der Frühling da. Und jeder Tag erpicht darauf, das Tempo zu erhöhen und zugleich in Erinnerung zu bleiben.

Versuche hier mal in Kürze das Wichtigste festzuhalten:

Tschick gemacht
Tschick gemacht

Es gab zwischendurch die Konfirmation meines jüngsten Sohnes zu feiern. Ich habe ihm aus diesem Anlass einen langen Brief geschrieben, tatsächlich über mehrere Abende verteilt, über die verschiedenen Religionen, Fundamentalismus und dass man nichts falsch machen kann, wenn man sich von Jesus das Konzept der Liebe und Barmherzigkeit abguckt. Und dass Religion den Geist trainiert, so wie man als Fußballer den linken Fuß trainieren kann, und schloss dann mit dem legendären, aber hier väterlich gemeinten Schlachtruf: You never walk alone – woraufhin mein Sohn nach der heimlichen Lektüre hinter verschlossener Tür, wieder aus seinem Zimmer kam, sich artig bedankte und sagte: Papa, es heißt You´ll never walk alone …

Schön, oder?

Herz

Liebe. Ganz einfach. Meine Freundin hat mir dieses Foto aus Schweden geschickt, vorletztes Wochenende, als das Eis noch dick und der Schnee noch weiß war.

Aber was passiert, wenn man nie Liebe erfährt? Oder das zumindest glaubt?! Dann spinnt man, wenn bestimmte Persönlichkeitsmerkmale zusammenkommen, womöglich irgendwann Rachepläne. Immer mehr, immer krasser, bis diese so ungeheuerlich groß sind, dass man sie in die Tat umsetzt und – wie unlängst in Münster geschehen – mit einem großen Auto Menschen totfährt.

Ich habe ja in Münster studiert und hätte in dieser Stadt so eine Tat zuletzt verortet. Auf der anderen Seite habe ich ja gerade eine Doku über die Motive von terroristischen bzw. amokaffinen Einzeltätern verfasst. Und auch wenn es für die Opfer keinen Unterschied macht: Es sind, selbst, wenn sich die Erscheinungsweisen dieser Taten zusehends ähneln, dann eben doch nicht immer religiöse Fanatiker, sondern häufig genug einfach Männer, die sich zeitlebens missverstanden und gemobbt gefühlt haben. Und die leben überall.

Interessante Berichterstattung dazu mal wieder in der BILD:

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Eine Terror-Doppelseite, aber irgendwie … merkwürdig: Fiktives Monster links (der Junge aus dem Tatort gestern – war der gut), echtes Monster rechts (Münster). Frage mich, ob das so nebeneinander gut gestaltet ist? Frage mich auch, ob die BILD-Zeitung der Amokgeschichte nicht zuviel Platz einräumt. Schließlich weiß man, dass genau das Nachahmungstäter anspricht, selbst wenn der Täter nicht glorifiziert wird. Eigentlich gibt es sogar die Pressempfehlung, nicht den Tatort zu zeigen. Dieser Empfehlung sind andere Tageszeitungen auch gefolgt …

Apropos Nachahmungstäter – es klingt vielleicht vermessen und egozentrisch, wenn man meint, man hätte irgendwie Einfluss auf alle Geschehnisse in der Welt, aber ich hoffe inständig, der Amoktäter von Münster hat sich NICHT meine Doku zum Vorbild genommen, die vor kurzem lief. Es ist ja erwiesen, das auch so ein Film Auslöser einer Tat sein kann, und dieses ganze `Rache´, `Schuld sind die anderen´ und `Ich hatte nie Sex´ wurde bei mir ja auch nochmal von A-Z durchdekliniert, bis hin zu der schrecklichen „Mode“, einen Lieferwagen zur Mordwaffe umzufunktionieren. Man kann so ein Thema so seriös wie möglich versuchen zu behandeln, Identifikationspotenzial schafft man damit immer.

Merkwürdigerweise hatte ich am Wochenende noch eine weitere, ganz ähnliche Situation, wo ich dachte: Die haben meinen Film gesehen! Lese gerade mit wachsender Begeisterung ein kleines Büchlein, „Die Herzlichkeit der Vernunft“ (wäre auch ein gutes Buch zur Konfirmation gewesen) von Alexander Kluge und Ferdinand von Schirach, in dem diese beiden klugen Männer in einem Kapitel erst über Kleist und dann über „das Böse“ sprechen. Und da merkte ich beim Lesen der „Stoffsammlung“, über die sie sich da kurz austauschen (Unterweger, Fritzl, Gust), dass die offenbar auf den Film zurückgehen, den meine Freundin und ich damals für Spiegel TV gemacht haben, und der dann später in Kooperation mit Kluge als DVD erschien. Alexander Kluge hatte damals eine zweite DVD mit eigenen Werken beigesteuert und von Schirach das Vorwort dazu geschrieben, insofern müssten beide unseren Film eigentlich gut kennen. Ich habe auf jeden Fall größte Hochachtung vor diesen beiden „Geistern“, und der Gedanke, dass die zwei sich punktuell mit Inhalten auseinandergesetzt haben, für die ich (wenn auch mit den üblichen produktionstechnischen Kompromissen) mit verantwortlich war, fühlt sich gut an, auch wenn er aus dem „Bösen“ resultiert.

Ansonsten? Ist es hier im Büro geradezu (nicht: gerade zu) friedlich. Die Chefs alle auf der Messe in Cannes, ich über dem Text der letzten Folge „Abenteuer Moskau“ für den SRF, alles still und leise vor sich hin. Am Wochenende geht es mit Sebastian von den Alphabeten in Klausur. Wir schneiden eine weitere Podcast-Folge, sodass wir damit bald an den Start gehen können. Nächste Woche treffen wir uns dann vom Verlag minimaltrashart mit der Autorin Dagrun Hintze, um mit ihr über die Publikation ihrer Gedichte zu sprechen. Schöne Aussichten sind das. Unten im Atrium beginnt gleich eine Veranstaltung mit Markus Feldenkirchen. Ja, Bücher wie seines wirbeln mehr Staub auf, aber diesbezüglich weiß ich meine Selbstbestimmtheit und das Schaffen im Verborgenen auch zu schätzen.

Und? Blasenpflaster bringen Erleichterung. Hätte ich so nicht für möglich gehalten.

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