Autopilot

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War am Wochenende in Norddeutschland, bei meinem Onkel. Ölwechsel und neue Bremsbeläge. Ein Sohn war mit. Weil der sich für Hörspiele und Geschichte interessiert, haben wir auf der Fahrt CD statt Radio gehört: Alexander Kluge, Chronik der Gefühle. Fand er gar nicht schlecht.

Norddeutschland ist für mich wirklich immer eine Reise in die Vergangenheit. Ich komme da unheimlich zur Ruhe. Kenne alle Schauplätze, jeden Stein, jeden Baum. Auch wenn ich diesmal festgestellt habe, dass es auf dem Land immer mehr Leerstand gibt. Da verfallen gerade viele, wunderschöne, kleine Häuser.

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Familie ist so wichtig, gerade in Zeiten, in denen alles vernetzter, schneller und globaler wird. Und eine natürliche Umgebung. Einfach bei meinem Onkel in der Garage stehen und den Bremssattel mit der Drahtbürste bearbeiten. Oder mit der alten Kanne Öl nachfüllen und bloß darauf achten, dass man sich nicht verzählt. Herrlich. Und seinen Job kleinreden, den alle Verwandten glamourös finden, aber man selbst oft ein bisschen bekloppt.

In diese Tage fiel die Nachricht, dass Nico Rosberg zurückgetreten sei. Im heute-Journal lief eine schöne MAZ dazu. Am Ende dachte man, ja, der wollte es seinem Vater einmal zeigen – und basta. Ein Philosoph äußerte sich in dem Beitrag noch dahingehend, dass uns allen diese Art der „Gelassenheit“ gut zu Gesicht stehen würde. Nicht immer „mehr“ wollen. Ich kann das auch nachvollziehen. Es gibt kleine Erfolge und große. Es gibt Leistungen, die man nicht mehr toppen muss. Klingt bescheuert und vielleicht vermessen, aber als ich 2003 beinahe zeitgleich einen Roman und meine Doktorarbeit veröffentlicht habe, dachte ich auch: Was soll noch kommen? Ich konnte mich – im Gegensatz zu Rosberg – damals nur noch nicht zur Ruhe setzen. Letztlich hat das natürlich auch was mit den persönlichen Charaktereigenschaften zu tun. Reicht mir die Besteigung eines Achttausenders – oder müssen es dann alle sein? Reicht mir ein Weltmeistertitel – oder bin ich dann erst richtig angefixt? Ich halte Rosbergs Verhalten für sehr gesund und `normal´. Und wahrscheinlich ist genau das auch der Grund, warum ihm die ständigen Auseinandersetzungen mit seinem Teamkollegen so an die Nieren gegangen sind.

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Klar, die modernen Errungenschaften und Entwicklungen bieten auch Vorteile. Aber die Balance muss stimmen. Manchmal möchte ich mich mit meiner Freundin einfach auf einer einsamen Insel verkriechen und den Stecker ziehen. Die Welt dreht sich scheinbar immer schneller. Aber am Wochenende habe ich gemerkt, dass sich manches eben auch (noch) nicht geändert hat: Die Reduktion aufs Wesentliche, wenn man zu dritt durch ein abgelegenes Waldstück läuft. Das tolle Gefühl, durch trockene Herbstlaub-Berge zu schreiten. Das Rascheln in den Ohren. Oder die Vorfreude auf warmen Tee, wenn man am kalten See auf Hechtbisse wartet …

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