narzisstisch? – No

Der weiße Islandmoos ist ganz freundlich. Er legt sich ins Zeug und quer durch die Luft (man muss genau hinsehen) und tut so, als sei er die Blüte der Narzissen, die die besten Tage längst hinter sich haben. Bin ganz gerührt.

Während ganze Städte in Deutschland ertrinken, herrscht hier totaler Frieden. Bin ein bisschen erschöpft von den Recherchetagen im Büro und dann abends noch mit Jan-Uwe mein Manuskript lektorieren. Auf der anderen Seite sitze ich hier und jetzt bei angenehmen 20 Grad und Sonne und warte lediglich darauf, dass die Mittagsstunde vorbei ist, um noch zwei Schrauben in den Kaninchenstall zu jagen.

Hab in dem Umsonst-Buch von Enzensberger ein wunderschönes Gedicht gefunden. Es heißt middle class blues und ist aus den frühen 60ern, aber dabei so prägnant und zeitlos – der perfekte Text zu dieser Situation, hier und jetzt in der klimatisierten Hitze:

wir können nicht klagen.
wir haben zu tun.
wir sind satt.
wir essen.
(…)
wir haben nichts zu verheimlichen.
wir haben nichts zu versäumen.
wir haben nichts zu sagen.
wir haben.

die uhr ist aufgezogen.
die verhältnisse sind geordnet.
die teller sind abgespült.
der letzte autobus fährt vorbei.

er ist leer.

wir können nicht klagen.

worauf warten wir noch?

Was für ein kluger Kopf. Anfang der 60er, da gab es Persil, neue Küchen, neue Autos, Weihnachtsgeld, die Avon-Beraterin – wer da Gedichte schrieb, die sich nicht reimten, kam gleich schon wieder auf den Steckbrief. Würde mich manchmal gerne eine Woche bei diesen letzten alten kritischen Denkern einquartieren und einfach reden. Über alles.

So, Mittagsstunde vorbei. Wo ist der Akkuschrauber?

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