Baby, Achtung – Aus, Differenzierung

„Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern“ – völliger Quatsch, habe nämlich gerade in der taz von Dienstag einen tollen Artikel über „Das Eigenleben der Erzähungen“ gelesen, na ja, sagen wir: überflogen, zum Lesen fehlt mir tatsächlich die Ruhe, aber 2 Punkte doch jetzt schon auf die Schnelle: Der Autor Moritz Bassler zitiert eingangs Betrand Russel, der gesagt haben soll, mit 20 sei er Mathematiker gewesen, mit 30 habe es noch zum Physiker, mit 40 zum Philosophen gereicht, und er hoffe, er bringe es nicht noch zum Literaturwissenschaftler – allein diese Selbstbeobachtung hat mich umgehauen. Spricht mir voll aus der Seele. Wenn ich heute in meine Doktorarbeit gucke (und das war noch nicht einmal eine naturwissenschaftliche), verstehe ich nur noch die Hälfte, dabei waren es meine Gedanken. Und es stimmt: Je älter wir sind, desto un-exakter und vager werden wir in unseren Überlegungen. Wir verlieren mit dem Alter den Scharfsinn und die Akkuratesse. Stattdessen verlassen wir uns auf einen geistigen Weichzeichner, der alle Aspekte auf ein erträgliches Maß runterkonvertiert und somit für uns erst als Gesprächsgegenstand zugänglich macht.

Damit kommen wir zum zweiten Punkt. Denn der Literaturwissen-schaftler Albrecht Koschorke, dessen Buch Bassler bespricht, sagt, vereinfacht ausgedrückt (wenn ich es richtig verstanden habe), das sei nicht nur nicht schlimm, sondern sogar hilfreich, weil (zit. nach Bassler) „eine Wissens- und Sinnsphäre, die der (systemtheoretisch gesprochen, Anm.: GJA) funktionalen Ausdifferenzierung der Gesellschaft erfolgreich widersteht (…) just darin ihre kulturpoetische Funktion hat.“

Passend dazu bin ich heute in der aktuellen Pressemitteilung des transcript-Verlags über das Buch der Hamburgerin Sibylle Peters gefallen, die, andersherum, fragt, ob und wann (auch) Kunst Forschung sei, bzw. wie sich Forschung verändern müsse, wenn sie nicht länger ein Privileg der Wissenschaften sein soll.

In Anbetracht der Stammzellen-Schlagzeile von heute: Ich glaube, man wird immer Experten und nerds und Fachidioten brauchen. Wichtig ist nur, dass es weiterhin auch die Visionäre und Querdenker und Skeptiker gibt, die Bedeutungen relativieren können und die Konsequenzen im Blick haben.

 

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