Tag 4

Verlasse Breiten
grade
heraus

mein Kopf kann alles
was ich denke

Los, trommel
Dich zusammen
grün und blau
vom Leben
zusammengeschlagen

Bin
alles in allem
ein perfekter Abend,
um sich mit Light-Bier zu betrinken

Tag 3

Hatte eben im Supermarkt zum ersten Mal Orientierungsprobleme, im Sinne von: Bin ich noch drin? Nach gerade mal 3(!) Tagen – lächerlich.

Joe Bausch hat uns heute sein Revier gezeigt, u. a. ein paar Betriebe, wo alte Starkstromkabel recycelt werden, einen Wohnbereich für die Sozialverträglicheren, die neben der Teeküche auch das Privileg der besseren Aussicht genießen, den Sportplatz, über den lange Stahlseile gespannt sind, damit da keine Hubschrauber landen können, um irgendwelchen Schwerverbrechern zur Flucht zu verhelfen, alles sehr spannend. Aber eben auch ein supersensibles Konstrukt.

Als Filmemacher wünscht man sich natürlich immer Bilder mit vielen Menschen, ein bisschen Action, aber eigentlich sollte man da gar nicht so viel Aufhebens machen. Es ist wirklich eine Gratwanderung, einen Hochsicherheitsknast zu zeigen, ohne dass da ein Zoo oder Zirkus draus wird. Man muss ja nicht nur die Bediensteten respektieren, sondern auch die Rechte der Häftlinge, egal, was die verbrochen haben. Die müssen ja, wenn sie wieder rauskommen, trotzdem in dieser Welt klar kommen. Wenn sie wieder rauskommen …

Bausch hat heute einen krassen Satz gesagt. Mir war schon vorher aufgefallen, dass einige Häftlinge ihre Zellenfenster mit Tüchern oder Flaggen verhängen, aber ich hatte keine Ahnung, warum. Das liegt daran, dass gerade diejenigen in den höheren Stockwerken den Blick nach draußen in die Freiheit nicht ertragen. Dann doch lieber den offenen Vollzug im Hotel-Knast. Da kann man wenigstens zum Fußball gucken in die Kneipe gehen.

Als akustisches Gegengewicht zum schweren Knastalltag eine alte MIDI-Skizze von mir:

Tag 2

Unterwegs

Nach dem zweiten Bier aus der Minibar ist mir schlecht. Nicht wegen der Preise, vor Hunger. Schokolade? Könnte mir noch was aus der Küche bestellen – oder Bilder von Tiffanys Busen aufs Handy. Die Welt steht mir offen.

*

Ich hasse diese Feierabende in Hotelzimmern. Das sind die Momente, in denen ich die Menschen, die ich liebe, am meisten vermisse. Tagsüber verdrängt man das gut bei der ganzen Anspannung, aber abends wird es dunkel. Das ist, als würde plötzlich eine ganz andere Chemie durch den Körper fließen.

Im Fernsehen läuft eine Doku über Hochsee-Fischer. Drei vernarbte Kerle reden darüber, wie sehr sie ihre Kinder vermissen. Ich bin also nicht allein – und frage mich ernsthaft, wie die Väter das drüben im Knast aushalten.

Also, schlaft gut,
Gerrit

Tag 1

Der erste Drehtag mit Joe Bausch ist zu Ende – ein langer, aber guter Arbeitstag. Wir haben nach der Sprechstunde in Hamm (da waren schon ein paar interessante Leute dabei) eine kurze Begehung in Werl gemacht und danach noch eine Krimi-Lesung gedreht, auf der Bausch mit Nina George eine Story im Duett gelesen hat. Das war sehr nett. Bausch war ein bisschen baff, als ich ihm sagte, ich würde Nina aus Hamburg kennen, weil wir mal zusammen junge Leute aus Wilhelmsburg bei einem Schreibworkshop gecoacht haben. Tja, die Welt ist klein …

Nina fragte, ob ich was Neues schreibe, und da musste ich gestehen, dass ja schon lange was Neues fertig ist, sich aber die Veröffentlichung hinzieht. Was das bedeutet, können wirklich nur Leute nachvollziehen, die sich mit dem Schreiben und Veröffentlichen von Geschichten auskennen.

Na ja, jetzt geht das hier erstmal raus …

Schlaft gut, ich muss morgen auch früh raus,
Gerrit

Knast

Letzter Abend in Freiheit – ab morgen drehe ich eine Woche mit dem Schauspieler und Gefängnisarzt Joe Bausch in Werl, einem Hochsicherheitsknast. War da schon mal vor 3 Jahren. Viel wird sich nicht verändert haben, außer dass Bausch jetzt ein Bestseller-Autor ist und im letzten halben Jahr vermutlich täglich über seinen Job im Knast geredet hat …, tja, … aber auf der anderen Seite ein Superbeispiel dafür, dass man nur lange genug durchhalten muss, bis sich der große Erfolg einstellt. Von der Tatort-Nebenrolle auf die Spiegel-Bestsellerliste – Respekt!

Gebe für den Knast immerhin diese herrliche Terrasse auf, wenn auch nur für eine Woche. Vermutlich kann man sich das gar nicht vorstellen, wie das ist, wirklich den allerletzten Tag zu verbringen, bevor man einwandert. Klar, die Familie noch mal um sich scharen, den Kindern gute Ratschläge geben („Macht es besser als ich …“), ein letztes Mal die Frau vögeln …

Die Woche wird mich viel lehren. Ich werde danach viele kleine Dinge besser zu schätzen wissen. So ähnlich wie damals nach dem Zivildienst in der Krebsklinik. Ob krank, Knast oder irgendwie noch unterwegs – eine Frage eint uns alle: Was habe ich aus meinem Leben gemacht?

Meine Freundin (ja, wenigstens das hätte ich nicht besser hinkriegen können) und ich haben im Küchenfenster so eine „Landschaft“ aus Steinen, Holz, Scherben, kleinem Strandgut, einem Kaktus etc., ein bisschen wie so ein Waldorf-Jahreszeitentisch, nur ohne Filz. Da habe ich mit meinen alten Playmobil-Figuren meine anstehende Dienstreise nachgestellt. Ich, der Handlungsreisende, besuche Bausch, die Exekutive (Anmerkung: Der Sheriff ist von 1974, mit dem dürfen nicht mal meine Glücksbringer spielen).

Ein Nachsatz aus gegebenem Anlass. Ich meinte gestern mit der Schlussbemerkung nicht, dass Meditation an sich nichts bringt, im Gegenteil, es ist nur die schwierigste unter den geistigen Übungen und für viele eine zu große Herausforderung. Deswegen finde ich es gut, dass Kinder-Yoga an manchen Schulen mittlerweile zum Programm gehört. Und, wer weiß, vielleicht bewahrt das den einen oder anderen jungen Menschen am Ende sogar vor dem Knast!? Es ist schließlich ein großer Luxus, da freiwillig hinzugehen.

In diesem Sinne,
Gerrit

God Zilla

Waffen laden Hüter

des Gesetzes

der schwer Kraft

seines Amtes

Zeit loopt

 

Habe heute im Radio gehört, dass der Autor des Mohammed-Videos deswegen womöglich gar nicht angeklagt wird, weil die schmählichen Darstellungen und Äußerungen über den Propheten in den USA als „freie Meinungsäußerung“ gelten. Das fand ich angesichts der Folgen zumindest bemerkenswert.

Wo sind die Grenzen von Satire? Wo wären unsere Grenzen? Nehmen wir Jesus nicht Ernst genug? Oder sind wir in letzter Zeit einfach nicht mehr auf die Probe gestellt worden? Oder muss Fundamentalismus losgelöst von allem anderen betrachtet werden?

Klar, Glaube braucht etwas, das man greifen kann, um es zu ritualisieren, aber vielleicht wäre es besser, wenn Religion völlig abstrakt wäre. Wenn man auf alle Namen und Begriffe verzichten würde. Aber dann wäre es Meditation und würde den meisten Leuten vermutlich nichts mehr bringen.

 

Move

Wie versprochen, heute was Leichtes. Rock`n´Roll. Die H-BLOCKX sind in Hamburg! Den Bassisten Gudze kenne ich noch aus Schulzeiten. Wir haben auch in der D-Jugend zusammen gekickt (übrigens trainiert von dem damals 16-jährigen Klaus Filbry, der sich jetzt um das Marketing bei Werder Bremen kümmert – verrückt, wie klein die Welt ist …).

Aber vom Wiesenhof zurück auf die Showbühne, ich meine, Berlin war ja bereits wie ein kleiner Kindergeburtstag für mich, weil da auch drei Kumpels kamen, um mich zu sehen. Tucholsky hat ja mal sinngemäß gesagt, die Qualität eines Mannes zeige sich an der Qualität seiner Freunde. Ich hoffe, er hat Recht …

Heute war es doppelt cool – weil ich meine beiden Glücksbringer dabei hatte. Zum ersten Mal. Die stehen auch auf die Red Hot Chili Peppers, und das ist so großartig, weil die Gründung der H-Blockx auf ein legendäres RHCP-Konzert zurückgeht, irgendwann Ende der 80er im Odeon in Münster, und jetzt 25 Jahre später köchelt das alles noch so vor sich hin. Der Kreis schließt sich, und ich kann das wie ein kulturelles Erbe weitergeben.

On the roadAm besten fanden die Jungs natürlich den Nightliner. Was soll ich sagen? Rock`n´Roll ist immer noch ein großer Kleiner-Jungen-Traum. Oder ein kleiner Großer-Jungen-Tr…? Egal.

Leider mussten sie ja dann ins Bett, und ich konnte das Konzert nicht sehen, das ist eben die andere Seite der Vater-Medaille. Statt Ohrstöpsel daher ein alter Song für alle, die es heute nicht ins Gruenspan geschafft haben …

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Icke

Zurück aus Berlin. Habe dort gestern zwei interessante Interviews für die anstehende Dokumentation über die Lüge geführt. Zum Einen mit einem sehr cleveren, total netten, jungen Historiker – Bernd Ingmar Gutberlet, der echt meinen Horizont erweitert hat (nicht, dass das schwierig wäre, mein historisches Allgemeinwissen passt in eine Streichholzschachtel, trotz Geschichte-LK, wohlgemerkt) und zum Anderen mit einem katholischen Theologen, David Berger, der sich als homosexuell geoutet hat und dadurch natürlich Schwierigkeiten mit der Kirche bekam, ebenfalls eine beeindruckende Persönlichkeit.

In dem Kontext haben wir natürlich auch über schwule Fußballer gesprochen. Das Lustige (oder Traurige) ist, ich hatte gar nicht mitbekommen, dass sich just im fluter erstmals ein Bundesligaprofi geoutet hatte (anonym, aber immerhin). Will sagen, als Blogger bin ich natürlich (mindestens) einen Tag zu spät mit dem Thema, aber das ist es ja: man denkt selber wochenlang auf irgendwas herum, weil man einen Film darüber macht, und plötzlich explodiert genau dieses Thema an anderer Ecke, doch vor lauter Scheuklappen kriegt man das gar nicht mit. Jedenfalls habe ich dann abends in Kreuzberg ein paar alte Freunde getroffen, und einer von denen erzählte mir davon. Klar, die Gerüchte häufen sich ja seit dem Sommermärchen, und ein Nationalspieler hat sich ja auch schon mal konkret dazu geäußert, doch – gerade als Journalist – fragt man sich, warum der Boulevard da schon so lange schweigt!? Wer soll da geschützt werden? Oder was? Tatsächlich die Persönlichkeitsrechte der Spieler? Oder doch eher ein anachronistischer, milliardenschwerer Volkssport?

Spannend vor dem Hintergrund der Lüge ist übrigens auch, dass auf der fluter-Page unter dem Interview ein Hinweis abgedruckt war, dass man beim fluter davon ausgehe, dass der freie Mitarbeiter dies Interview mit diesem Spieler auch wirklich geführt habe. Tom Kummer lässt grüßen …

Wie lange kann es jetzt noch dauern, bis die ersten hochkarätigen Namen bekannt werden? Ich hoffe, dass die Fans und Funktionäre dann nicht durchdrehen. Ob Shitstorm oder Hetzjagd – der aufgeklärte Mensch ist immer noch ein Tier mit niederen Instinkten, sagt auch mein neuer Lieblingshistoriker … hier übrigens ganz entspannt beim Verkabeln.

Ein taz-Redakteur schrieb gestern (habe ich aber auch erst heute gelesen – Herrje), „schwuler Labbadia“ sängen die Fans doch seit Jahren … ja, vielleicht, aber „schwuler Labbadia“ ist bloß gaga – richtig bedenklich und fies wird „Schwuchtel“ oder das Attribut „schwul“ eben auch erst dann, wenn es sich – mit echter Verachtung – gegen Homosexuelle richtet. Insofern ist es Schade, wenn Funktionäre homosexuellen Fußballern aus Angst vor dem System raten zu schweigen, das System selbst aber nicht in Frage gestellt wird. Das hat der taz-Redakteur aber auch gesagt. Puh, ernstes Thema … morgen was Leichtes, versprochen.

Schlaft gut,
Gerrit

 

Theater

Guten Abend,
gestern noch über soziale bzw. soziologische Rollenspiele geredet – und heute dann „richtig Theater“! Beinahe jedenfalls. Mein kleiner Glücksritter hätte in Macbeth ein Königskind spielen sollen, aber seine (ansonsten echt nette) Lehrerin hatte es versäumt, die Schulerlaubnis rechtzeitig zum Thalia zu schicken. Aus arbeitsrechtlichen Gründen durfte er daher nicht auftreten. So flossen Tränen und die Zweitbesetzung musste ran.

Ansonsten diskutierte Deutschland heute u. a. darüber, ob der Tatort ein offenes Ende haben dürfe, bzw. was man dem altgedienten Tatort-Zuschauer zumuten könne. Zum Schießen. Ich habe mich ja gefreut. Das war wirklich mal was Neues, innovativ und trotzdem respektvoll, nicht so wie Til Schweiger, der am liebsten den Vorspann ändern würde, den er laut SPIEGEL online „irgendwie dämlich“ findet. Fragt sich, wer oder was hier dämlich ist … obwohl, irgendwo habe ich noch gelesen, dass die Tagesschau eine neue Titelmusik bekommt. Herrje, gibt es keine anderen Probleme?

Meine Freundin bemerkt gerade, falls sie irgendwann einmal so über mich reden sollte, wie die Wulff jetzt in ihrem neuen Buch über ihren (Noch-)Ehemann, könne ich sie erschießen. Das wäre okay …

Tja, Macht macht sexy, aber was bleibt, wenn der Mächtige „ent-machtet“ wird? Dann doch lieber stinknormal, oder?

Schlaft gut,
Gerrit