Im Osten was Neues

Wollte eben nach meinem ersten Uni-Tag ein paar Kleinigkeiten zum Abendessen besorgen (morgen und Freitag gehe ich wohl abends aus, da muss ich mich heute beschränken) und hab an der Kasse diese 5 kleinen Flaschen gefunden, also IN der Packung, Haha, nee, Spaß beiseite, 5 Sorten Puhdys-Schnaps, inklusive CD. Cool, oder?

Bin ein bisschen platt, heute war Theorie, Themen- und Gruppenfindung, damit wir morgen drehen können. Hab versucht, meinen Studenten in der Kürze der Zeit einen kleinen Überblick zu geben über die Grundzüge der Kommunikation, Konstruktivismus, Wirkungsforschung, worauf es bei einem Imagefilm ankommt (wir haben uns ein paar angeschaut, u. a. als krasse Beispiele einen von einem NPD-Politiker und dem amerikanischen Waffenverband, das war schon spannend und relativ unfassbar, das mal genauer zu analysieren) und über die Grundbegriffe im Bereich Kamera & Schnitt. Ganz schöner Batzen, aber die Studenten haben sich wacker geschlagen. Morgen gehen wir mit 4 Gruppen drehen und abends besucht mich mein alter Freund Tobias. Ein kluger Kopf. Mal sehen, was der zu sagen hat.

Hab gerade mal ein bisschen recherchiert. Die Puhdys-Schnäpse gibt´s schon ein Jahr, hab ich aber natürlich nicht mitgekriegt, und jetzt kommt der Hammer – wer hat die Jungs angeblich auf die Packung gepinselt? – Ja, mein alter Bekannter Arno Funke, der Dschungel-Dagobert … the world is so small.

Do-Zen-T

Mein Verleger von minimaltrashart hat heute einen Zeitplan geschickt, den wir einhalten müssen, damit mein Buch wirklich im August erscheint. Das wäre dann 10 Jahre nach meinem Debüt. In Worten: ZEHN!

Jetzt bin ich erstmal auf dem Weg nach Eberswalde. Werde da an der FH ein Seminar zum Thema Mediengestaltung abhalten. Hab ich schon ein paar Mal gemacht, ist immer ganz nett, vor allem für die theoriegeplagten Studenten. Wir recherchieren, drehen und schneiden einen PR-Film, und ich plaudere ein bisschen aus dem Nähkästchen. Ganz praktisch. Am Ende sehe ich dann auch immer klarer, wie alles funktioniert: Erst, wenn man jemandem etwas verständlich erklären kann, hat man es auch selbst verstanden. Das ist wie damals in unserem Mathe-LK-Lernkreis (Ja, ich bin in gewisser Hinsicht ein Nerd!). Hab trotzdem jedes Jahr das Gefühl, ich hätte mich besser auf das Seminar vorbereiten können.

Ein bisschen Geld gibt´s auch. Das ist auch ganz gut, meine Freundin hat Anwaltskosten vorgestreckt. Und die Angelegenheit ist noch nicht mal am Ende … manchmal frage ich mich, wie ich so ruhig bleiben kann.

Hab im Zug mit Interesse einen Artikel vom Wochenende aus der Süddeutschen gelesen über den Suhrkamp-Streit bzw. diesen Anteilsinhaber Hans Barlach, der statt auf die honorigen Autoren auf die nackten Zahlen schaut. Ich meine, mein Suhrkamp-Regal kann sich sehen lassen, da reiht sich ein Luhmann an den nächsten, aber dieser Barlach ist irgendwie … keine Ahnung, mir hat leider auch das Foto von ihm gefallen, da sieht er ein bisschen aus wie der junge Horst Buchholz mit einer Prise Kai Dieckmann. Obwohl ich sonst, weiß Gott, überhaupt nicht auf solche gegelten Controlling-Typen stehe. Im Gegenteil.

So, 22 Uhr, endlich im Hotel. Musste meinen Schlüssel aus einem Safe an der Straße holen, weil die Rezeption nicht besetzt war. Aber ich mag dieses Hotel. Bin schon zum 3. oder 4. Mal hier. Manchmal hat es was Beruhigendes, sich in einem frischen Hotelzimmer auszubreiten. Koffer ausbreiten, Kulturtasche auspacken, mache das immer mit viel Hingabe. In Würde vereinsamen, Schein-Tod eines Handlungsreisenden.

Eberswalde ist ja ein bisschen in Verruf geraten, wegen eines rechtsextremen Überfalls auf einen Angolaner 1990, der Mann erlag seinen Verletzungen. Aber das ist nicht das Einzige – in meiner ersten Dokumentation über das Böse erzählten wir auch die Geschichte von Erwin Hagedorn, einem Kindermörder, der 1972 in der damaligen DDR zum Tode verurteilt wurde. Das wurde vom Staat lange geheim gehalten, weil es im Arbeiter- und Bauernstaat natürlich keine Sexualstraftäter geben durfte …

Das ist der Bahnhof. Wenn ich mich recht erinnere, hat Hagedorn hier im Mitropa-Restaurant gearbeitet und mit Vorliebe lebende Fische aufgeschlitzt. Krasser Typ!

Jungle-Boogie

Gucke gerade Dschungelcamp, um zu sehen, wie sich mein alter Bekannter Arno Funke („Dagobert“) schlägt. Heute hat er über seinen Fast-Selbstmord gesprochen, der damals der ersten Erpressung voranging. Hoffe, er gibt nicht zuviel preis, sondern bleibt einfach cool. Er spricht genauso bedächtig wie damals bei mir im Interview, benutzt sogar die gleichen Formulierungen. Naja, er hat die Geschichte natürlich auch schon ein paar Mal erzählt. Da werden aus Ereignissen eben irgendwann Textbausteine. Dafür spricht die Mutter von der Katzenberger genauso wie ihre Tochter. Die Betonung, Wahnsinn.

Hab mich heute um alle 3 Jungs gekümmert. War sehr nett. Musste sie nur (zum wiederholten) mal daran erinnern, ihre Teller nach dem Essen abzuräumen. Hab gesagt, ich müsste die ganze Woche schuften, hätte außerdem schon den Kaninchenstall sauber gemacht und keine Lust, auch noch den ganzen Samstag die Arbeit für alle zu machen, und als alle dann grummelnd ihr Geschirr weggebracht hatten, fiel mir ein, dass meine Mutter (Nachtschwester auf der Intensivstation) vor ca. 30 Jahren mal genauso einen Ausbruch hatte, und zwar mit ziemlich exakt denselben Worten. Da musste ich dann doch ein bisschen über mich selber lachen.

Come back

Der Winter ist zurück. Fühlt sich gut an. Die Kälte fährt einem in die Glieder und rückt sie wieder zurecht. Als ich eben nach Hause kam, fiel plötzlich so ein Schneegraupelschauer vom Himmel. Hab versucht, das festzuhalten. Man muss natürlich gut hinschauen …

Schnee Fall from anders-blog on Vimeo.

Heute mit den letzten Änderungen der Lügen-Doku fertig geworden. Irgendwann hat man so lange daran herumgeschraubt, dass man gar kein Gefühl mehr für das „fertig“ hat. Kenne ich vom Schreiben. Richtig fertig sind diese Sachen erst, wenn sie im Fernsehen laufen oder als Buch im Regal stehen.

Ansonsten? Die Tochter von Klaus Kinski wirft ihrem toten Vater jahrelangen Missbrauch vor. Das macht vieles kaputt. Das macht ihn auch kaputter. Gestern wies welt.de richtigerweise daraufhin, dass Pädophilie in Kinskis Autobiografie ja auch Thema ist. In den 70ern wurde das noch anders bewertet, aber Kinskis Art wird ja bis heute nicht wirklich etwas entgegen gehalten. Weil man bei einem Schauspieler natürlich auch nie weiß, was Inszenierung und was Charakter ist. Erinnert ein bisschen an Unterweger: Je charismatischer der Täter, desto größer der blinde Fleck der Gesellschaft.

Und: Spiegel online meldet: Steinbrück jetzt schon unbeliebter als Westerwelle …

Katerstimmung

Puh, das hatte ich lange nicht, dass ich so ungern nach Hause komme. Hätte noch 4 Wochen auf der Insel bleiben können. Vorausgesetzt, jemand flöge die Kinder hinterher …

Fühlte mich heute Morgen nach dem Auschecken genauso verloren, wie es das Foto andeutet. Beneide Hauptmann, Laxness und Co. für deren Lebens-, Schaffens- und Freiräume. Hesse nicht so, der hat dafür seine Familie geopfert.

Das Festland empfing uns auch nicht gerade mit offenen Armen. Wir waren kaum auf der A20, da wurde es so grau, dass ich kurz davor war, im Auto eine Kerze anzuzünden, ehrlich, man hätte einen beschissenen Vorhang aufziehen wollen. Richtig erdrückend war das.

Ein wenig Erheiterung, als mir meine Freundin vorlas, dass der NDR seinen Mitarbeitern künftig die Nutzung von Presserabatten verbieten will. Na klar, die sitzen ja direkt neben Hagenbecks Tierpark, wahrscheinlich hat man sich da über die ganzen geplanten Beiträge gewundert, die nie gesendet wurden … Haha!

Ansonsten? Bettina und Christian Wulff haben sich getrennt. Ich finde das schade, weil es so vorhersehbar war. Ja, sie hat ihn bloßgestellt, ja, sie hat ihre Beziehung dekonstruiert, ja, sie hat ihr Buch am Ende mit einem Tagebuch verwechselt – wie cool wäre es da gewesen, wenn sie es trotzdem als Paar geschafft hätten? Auf der anderen Seite war ihr Statement über die fehlenden Ecken und Kanten ihres Mannes natürlich auch irreparabel. Das ist so ein bisschen wie Christine Neubauer, die sich nach 20 Jahren Ehe hinstellt und über ihren Neuen sagt, sie habe jetzt die „Liebe ihres Lebens“ gefunden. Herr Wulff ist jedenfalls angeblich schon in eine Mietwohnung gezogen. Ich bin bestimmt kein Fan, aber ich hoffe ehrlich, er überlebt das.

 

Insel-Lösung

Haben noch ein bisschen die Insel erkundet. Bezaubernd, wie alles winterschläft. Sind mit unseren geliehenen Fahrrädern querfeldein und hoch zum Leuchtturm. An einem torfigen Tümpel Halt gemacht und die Stille genossen. Absolute Stille.

Habe versucht, sie für Euch aufzunehmen. Die Stille ist so still, dass man sie nur in höchster Lautstärke und über Kopfhörer wahrnimmt (bei ca. 5 Sekunden schnattern ein paar Gänse oder krähen Krähen, keine Ahnung, ist aber toll).

[sc_embed_player fileurl=“https://www.anders-blog.de/wp-content/uploads/2013/01/natürlich-aufgenommen.mp3″]

Weiter durch das sandige Gras gestiefelt, den Leuchtturm durch den Nebel erahnt. Ein Foto wie ein impressionistisches Meisterwerk. Für einen Moment ein Gefühl von Irland. Und einfach mal die Klappe halten. Nur dem Atem zweier Menschen lauschen, die ohne einander anders wären. Stundenlang hätte ich so weiter marschieren können. Musste links und rechts allerdings die Fahrräder schieben, was mir bergan einiges abverlangte. Oben auf dem Hügel durchgeatmet, draufgesetzt und ins Tal gerast. Helle Freude statt dunkler Gedanken. Hoffe, der Vorrat hält bis aufs Festland. Doch das kann wohl niemand vorhersagen, oder?

Ansonsten? Bloß nix von der Welt da draußen. Ganz bei uns. Kommen voran. Reden viel. Über die Zukunft. Damit die Gegenwart nicht so schwer und erwachsen daher kommt. Vieles erscheint angesichts des Wassers jedoch auch leichter. Keine Lust, morgen schon wieder nach Hause zu müssen. Möchte mich hier einfrieren, wie diese Fliegen, die im Bernstein eingeschlossen sind. Ich glaube, von den Farben her, bin ich ein Bernsteintyp. Das Zeug wird hier an allen Ecken verkauft. Am besten gefallen mir diese kleinen Ketten, die Säuglingen beim Zahnen helfen sollen. So eine hätte ich gerne für mich. Irgendwie zahnt man doch sein ganzes Leben.

Bin Euch noch ein Retro-Insel-Gedicht schuldig. Hab mich bemüht, das Wort Arg unterzubringen, weil es mir aus dem Friedensgebet so nachhängt.

Ruhig und immer ruhiger wogt die Wut
ebbt ab und zuversichtlich kippt der Arg
um – zu schreiben, klar, mit neuem Blut:
der Baum ist kahl, jedoch in keiner Weise karg

An ihrer Hand löst endlich sich die Hülle
die mühsam Kopf und Herz zusammenhält
wenn sichtbar wird die reiche Fülle
mit der die Gunst den echten Mensch´ erwählt

Hauptmann Gerhart

  

Heute hat´s geklappt. Wir waren im Gerhart Hauptmann-Haus. Und es war super, ein bisschen so wie bei Laxness in Reykjavik. Ich frage mich, wie sich diese Schriftsteller solche Häuser leisten konnten. Ich meine, das hier war nur Hauptmanns Sommerhaus. War ganz beruhigt, als ich hörte, dass er auch schon über 60 war, als er es kaufte und vorher jahrelang (so wie wir) in Hotels oder Pensionen Zimmer gemietet hatte. Es besteht also noch Hoffnung. Außerdem war er – genau wie Laxness – ebenfalls zweimal verheiratet und machte am Ende Patchwork-Urlaub. Man denkt ja immer, das wäre so eine Erscheinung unserer Zeit – nee, das gab es immer schon. Es hieß nur anders. Einfach Urlaub.

  

Konnte im Eingangsbereich der Versuchung nicht widerstehen, meinen Mantel über die Garderobe zu hängen. Wollte das Gefühl haben, gewissermaßen bei den Hauptmanns eingeladen zu sein. Obwohl die nette Frau, die den Rundgang begleitete, erzählte, die Hauptmanns hätten ungern Besuch empfangen. Ich glaube, bei mir wäre es ähnlich. Echte, gute Freunde könnten bei uns allerdings mit Kind und Kegel den ganzen Sommer bleiben …

Coole Einrichtung. Nicht so extrem wie bei Laxness, aber schöner Mix aus klassischem, dunklen Holz und frischem, roten Schwedenschick. Fest steht, dass Leute wie Laxness oder jetzt auch Hauptmann meine Theorie bestätigen, dass ein Haus oder eine Wohnung erst durch originelles, leichtes Design und originale Kunst sein Flair erhält. Ich sammele ja auch kleine Gemälde. Die müssen (bzw. dürfen) nicht teuer, aber original und mit einer Geschichte versehen sein. Dann wird daraus Kunst.

  

Das Arbeitszimmer war natürlich der Höhepunkt. Die Frau erzählte, Hauptmann sei sehr diszipliniert gewesen und habe jeden Tag 3 Stunden diktiert. Ich hab das erst gar nicht verstanden. Doch er hat offenbar wirklich jeden Tag seiner Sekretärin 3 Stunden lang druckreife Sätze in die Feder diktiert. So haben ja früher viele Dichter gearbeitet, aber das ist schon schräg, ein Tonbandgerät auf 2 Beinen. Heute hätte er bestimmt ein PC mit Spracherkennung. Am Eingang hing ein Tagebucheintrag. Klingt vermessen, aber er erinnerte mich an meinen Blogeintrag von gestern. Werde für morgen mal versuchen, ein Insel-Gedicht zu verfassen. Irgendwas mit karg und Fülle und Arg und Hülle