Kunzt-Geschichte

 

Mein Handy ist mir auf dem Dreh hingefallen, jetzt sehen die Fotos, wenn man sie mit der Display-Kamera macht, etwas benebelt aus. Passt aber zum Thema. Hab nämlich mein Geschenk von Carsten Hagen, dem Künstler, abgeholt und bin auch etwas benebelt, weil ich festgestellt habe, dass das keltische Motiv, dass er mir zu Ehren aus drei Sicheln gebaut hat (was für mich eher was Druidenmäßiges hat), in rechten Kreisen vereinzelt als Symbol missbraucht wird.

Na ja, Kunst ist komplex, und die zwanghafte, radikale Umdeutung des Nordischen ohnehin ein Riesenfeld, es gibt sogar eine kleine Passage dazu in meinem ersten Roman „Jugendstil“:

Am Oslokai herrschte um die Mittagszeit mächtig Betrieb. Schiffe aus aller Welt wurden hier beladen und warteten auf ihre nächste große Fahrt. Es tat gut zu sehen, dass noch nicht alles verloren war. Zugleich fiel mir eine Passage aus `Moby Dick ́ ein, in der der Erzähler Leser wie mich sinngemäß davor warnte, eine zu romantische Vorstellung von der Seefahrt zu hegen. Was soll’s?

Ich setzte mich auf ein Ungetüm von einem Poller und ließ die Dinge auf mich wirken. Der Kontext, in dem all dies stand, war mir in seinen Grundzügen bekannt. Einiges war mir jedoch erst wieder eingefallen, als Tordes mir während unseres Spazierganges letzte Nacht davon erzählte. Kaum zu glauben, dass es bald ein Jahrhundert zurücklag, dass hier die Matrosen den Auftakt zur Novemberrevolution gaben. Es war bemerkenswert, mit welcher Intensität historische Schauplätze ihre erzählten Geschichten konservierten. Manchmal ließ es einen kalt wie einen Fisch, und manchmal schien die Luft noch zu brennen. Mir fiel der Begriff vom `deutschen Sonderweg ́ ein, den wir in der Schule gelernt hatten. Unsere uns überallhin verfolgende preußische Tradition, später das freiheitlich Progressive, das unter der Vergewaltigung eines vermeintlich nordischen Mythos schließlich im Nationalistischen mündete, das Dritte Reich, die doppelte Staatsgründung und endlich – mit der Wiedervereinigung – der Verlust der Utopien. Machiavelli hatte Recht behalten. Ein handlungsfähiger Staat musste ein mächtiger Staat sein. Leider mangelte es den meisten an Weitblick. In unseren Breitengraden würde es in naher Zukunft keine umwälzenden Revolutionen mehr geben. Das liberalistische System war zu hinterhältig. Und es war das, was uns die Lobby zugestand …

Tja, damals war ich noch jung und studiert und dachte, man müsse vor allem schlau schreiben. Anyway, freue mich einfach, dass Carsten sich daran erinnert hat, dass ich mal Nordistik studiert habe. Aber es ist schon seltsam, wie sensibel und fast verkrampft man wird, angesichts der radikalen Scheiße, die da draußen wieder wuchert. Nun ja, wollte, bevor ich es mit der Welt teile, zumindest erwähnen, dass mir die Deutungsproblematik bewusst ist. Freue mich trotzdem naiv über den künstlerischen Austausch und installiere es hiermit als kleine Randnotiz der Literatur- bzw. Kunztgeschichte.

Und wer möchte, kann mal bei Carsten gucken, was es sonst noch so gibt. Ich finde ja die Setzkästen super …

http://www.hagenartwork.de

Ansonsten? Ist Annette Frier eben als Danni Lowinski in „Der letzte Bulle“ aufgetreten. Lustig. Man mag ja über deutsche Serien schimpfen, aber das sind zwei echt gut gemachte Formate, vor allem Danni Lowinski finde ich richtig, richtig clever, lustig und rührend. Bea ist jetzt schwanger, aber ohne Papa und am Ende fragt Danni, die ja keine Kinder kriegen kann, ob Bea sie heiraten wolle. So ernst im Spaß. Super Geschichten. Respekt.

Und? Beim Boston-Marathon gab es einen Bombenanschlag. Das ist so grässlich. Man weiß noch nix Genaues, aber alle denken natürlich sofort das Eine. Das ist fast noch grässlicher.

Und? RTL 2 zeigt eine Sadomaso-MAZ. Haben wir bei der Wa(h)ren Liebe früher auch gemacht, aber das galt irgendwann als „schmuddelig“ und wurde eingestellt.

 

Priority-Report

 
Zurück aus der Schweiz. Hab dort für meinen Kollegen einen Dreh mit der Ultra-Langstreckenläuferin Anne-Marie Flammersfeld übernommen. War sehr nett, doch auch ein bisschen anstrengend. Klingt ja immer glamourös, aber rein ins Flugzeug, 3h mit dem Mietwagen durch die Berge (hatte das totale Skiurlaub-Déja-vu), im Hotel einchecken, schnell noch mit dem Team ein Feierabendbier, schlecht schlafen, am nächsten Tag unter Zeitdruck drehen (hatte extra meine Laufsachen mit, um Anne-Marie laufend zu filmen, weil sie ja eigentlich fast immer in Bewegung ist), dann wieder 3h zurück nach Zürich, im Stau hoffen, dass man den Flieger nicht verpasst, mit der letzten Maschine wieder nach Hamburg und dann noch nach Hause, ist halt auch nicht ohne. Die Kneipe im Hotelkeller war ganz gemütlich, die Preise standesgemäß. Bier 8 Euro! Dagegen erschien das leckere Abendbrot mit 11 Euro fast günstig.

 

Wollte mich dann heute frisch an den Roman setzen, da fiel mein Blick auf die Terrasse und das Wetter war so schön, und da konnte ich nicht anders, als ein paar Blumen zu kaufen und zumindest schonmal eine Terrasse zu bepflanzen. Bin ganz zufrieden, nur die Platten müssen noch ein zweites Mal geschrubbt werden. Und mein Rücken braucht eine Massage.


 

Kunzt

Gestern einen ganz feinen Abend auf der Vernissage von Carsten Hagen verlebt. Toller Raum (PROJEKTOR), sehr netter Gastgeber, und meine Laudatio passte auch. Ich glaube, meine Jungs von minimaltrashart, die die Ausstellung mit organisiert haben, waren fast ein wenig erleichtert, dass ihr Romancier sich bzw. sie nicht blamiert hat. Hab vom Künstler als Dank ein spektakuläres Geschenk erhalten. Zeige es Euch demnächst. Für´s Archiv hier schon mal ein Abdruck der Rede …

Kunst
Raub
Zug
Knochen
Arbeit
Meta
Ware
Gefühle
Metal
Trash
Speed
Hundert
Tausend
Meter
Morphose

Nutzlos, Unentschieden, Affe, Feuer, Angriff, Platt – Schon das Werkverzeichnis des Künstlers, Carsten Hagen, liest sich wie ein Gedicht. Ein Gedicht, das sich nicht reimt. Egal. Die Werke selbst reimen sich auch nicht. Umso besser. Wir können uns ja was zusammen reimen.

Für Kunst-Werke sind Hagens Objekte erstaunlich unprätentiös. Vordergründig hintergründig. Sie halten sich nur auf den ersten Blick zurück. Der Künstler lässt seinen besten Stücken stets ein Hintertürchen offen. Dieses Hintertürchen führt auf einen alten Dachboden in der hintersten Ecke unserer Seele. Es tut gut, mal durch diese Hintertür zu gehen. Weil nur so aus Objekten Subjekte werden.

Hagens Subjekte passen gut auf den Kiez: Rau, lustig, pragmatisch, clever, kantig, aber immer sympathisch. Würden sie wie Pinocchio über Nacht lebendig, sie wären klassische „Typen“ für einen guten Dokumentarfilm. Wo der Künstler die Zutaten findet – man möchte fast sagen: seine Knochen einzeln aufliest – lässt sich erraten: Er scheint an diesem speziellen Ort, hinter seinem Hintertürchen, zuhause. Man beneidet ihn um diesen Spielplatz. Dieser Ort ist nicht steril. Ein Abenteuer-Spielplatz. Man macht sich dort schmutzig, reißt sich Löcher in die Hose, rammt sich Splitter in die Finger. Aber wenn man die B-Denken beiseite schiebt, entsteht Platz für A-Denken.
 
Über Kunst zu reden ist so langweilig wie über Sex zu reden. Beides muss man erleben, um es zu verstehen und in den Genuss dieses Erlebnisses zu investieren. Carsten Hagen verschafft uns die richtigen Hilfsmittel. Spiel-Zeug. Dabei reicht es ihm nicht, wie Duchamp ein Urinal umgedreht ins Museum zu stellen und zu schauen, wer sich angepisst fühlt. Hagens Exponate besitzen ebenfalls Wirkungspotenzial, doch sie sind keine ready-mades. Eher hand-made als ready. Die Baustoffe zwar gefunden, aber nicht vor-gefunden. Assoziativ aufgeladen. Kreative Samples einzelner Beats, die hier – cool, zitternd oder wuchtig – zu neuen Grooves kompiliert wurden.

Alles, was von Bedeutung ist, wird in Frage gestellt. Das Einzige, was nicht in Frage gestellt wird, ist: Dass es um Rhythmus geht. Eine schöne Nebenwirkung dieses ästhetischen Klimbims: Vormals Zweckmäßiges wird ent-zweckt. Was bleibt, ist nicht Nichts, sondern eine Kreation, deren Zweck fremdbestimmt wird. Fremdbestimmt, weil selbst-bestimmt. Von uns. Dem Betrachter.

P.S.: Eben kam meine Chefin in unser Büro, mit den Worten: Warst Du schon mal in St. Moritz? Damit ist mein Wochenende auch verplant …

 

 

Vor Trag vor

Heute ein bisschen an der Laudatio gebastelt, die ich morgen auf der Vernissage halten werde (PROJEKTOR, Sternstraße 4, 19h). Hab mir noch mal Carstens Sachen angeschaut und richtig Spaß bekommen. Muss in dem Text natürlich mit den üblichen Begriffen wie ready-mades und Duchamp usw. hantieren. Um ganz sicher zu gehen, hab ich ein bisschen recherchiert und bei der Gelegenheit mal die ganze Geschichte gelesen, warum Duchamp überhaupt dieses Urinal ausgestellt hat, und was die Signatur R. Mutt für Interpretationsspielräume zulässt; u. a. dass das R. womöglich für Richard steht, also: rich-art. Sehr, sehr spannend. Zeigt aber auch, dass damals wie heute mitunter die Entstehungsgeschichte eines Werkes spannender ist als das eigentliche Werk. Ist aber, glaube ich, fast immer so.

Also, bis morgen?

Rekord-Rekord-Meister

Bayern ist Meister, so früh wie nie jemand zuvor. Hab heute Morgen auf Sport 1 extra den Doppelpass geguckt. Alle redeten von Heynckes Leistung, ja, vielleicht, aber ich glaube, Sammer ist der entscheidende Mann. Weil er so einer ist, wie sie Effenberg oder Beckenbauer oder Breitner (und in Ansätzen auch Schweinsteiger) früher auf dem Platz waren. Er ist die strenge Seite des Trainers.

Hab das Meisterstück zusammen mit meinem kleinen Glücksbringer geguckt. Hoffe sehr, dass er sich an die erste Bayern-Meisterschaft als Fan gemeinsam mit seinem Papa erinnert. Hab ja selbst viele Kindheitserinnerungen mit meinem Vater, aber so eine gehört nicht dazu. Als in der sky-Konferenz kurz ein Tor für Dortmund gegen Augsburg gezeigt wurde, saß neben Watzke mein alter Freund Carsten Cramer, für den ich früher als Student Marketing und Presse bei Preußen Münster gemacht hab. Manchmal ganz spannend zu sehen, wie weit man die Angel auswerfen kann. Beim Spiegel ist ja wieder Einiges in Bewegung. Morgen Abend geht erst mal die Bausch-Reportage auf Sendung – ein Stempel mehr im Reisepass.

Eben lief „Außer Kontrolle“ mit Shia LaBeouf – dachte immer, das wäre eine Frau. Ging um einen Regierungscomputer, der sich selbständig macht. Gruselig, aber absolut glaubwürdig. Bin mir sicher, dass meine Jobs-Maschine mehr über mich weiß als meine Mutter. Werde, glaube ich, demnächst auf Bongo-Trommeln umstellen. Wobei – im Idealfall könnte mein Computer vielleicht mein Buch alleine fertig schreiben.

Ansonsten? Brauchen auch kleine Hasen Streicheleinheiten …

  

Und: Belmondo wird morgen 80. Gerade laufen alle Filme in den Dritten Programmen. Kann sie zwar aufnehmen, aber nicht auf DVD brennen. Wusste gar nicht, dass Belmondos Vater ein bekannter Pariser Künstler war, mit ganz interessanten Freunden. Biete ich meinen Söhnen zu wenig? Tja, Sky bei Schweinske ist sicher nicht so cool wie Camus zum Café.

 

Medi-Terrain

Hab gerade gesehen, dass am Dienstag bei 37 Grad (ZDF) ein Feature über die Mutter des Serienmörders Frank G. lief. Hatten wir damals auch bei uns in der Doku „Das Böse nebenan“, ebenfalls mit der Mutter im O-Ton. Die tritt ja immer wieder in Talk-Shows auf, so dass man sich schon fragt, warum sie das tut. Woher kommt dieses Mitteilungsbedürfnis? Ist das die einzige Möglichkeit, mit den Taten ihres Sohnes fertig zu werden? Oder schon so eine Art Nebenjob? Auf jeden Fall hätte ich den Zugang jetzt nicht als so exklusiv erachtet, dass man damit bei 37 Grad vorstellig werden könnte …

Tja, was lernen wir daraus? Manchmal muss man die Dinge einfach machen, bevor sie ein anderer macht. Die ZEIT hat heute mit den Hitler-Tagebüchern aufgemacht, waren ja auch gerade in meiner Lügen-Doku Thema. Das Ärgerliche ist: Ich hatte das sehr wohl auf dem Schirm, dass das jetzt genau 30 Jahre her ist, und mit meinen Chefs auch darüber gesprochen, aber irgendwie ist da kein Sender drauf angesprungen, und dann haben wir es gelassen. Dabei gibt es bei uns im Archiv so schöne alte Interviews mit allen Beteiligten. Und der Stern-Journalist von damals, Gerd Heidemann, ist mir vor ein paar Wochen in Altona noch über den Weg gelaufen, als ich meinen Sohn vom Geigen abgeholt habe. Wir haben ein bisschen gequatscht, er hat mir sogar seine Karte gegeben. Aber so ist es eben: Wenn man ein Thema nicht sofort in der Sekunde, in der man dafür brennt, umsetzt, wird es wieder kalt und steif. Schade.

Im Hausflur heute Abend dafür eine schöne Miniatur, die alles umfasst, was uns ausmacht. Musste sofort an das Rätsel der Sphinx im Delphi-Orakel denken: Was geht am Morgen auf vier Füßen, am Mittag auf zweien und am Abend auf dreien? Ödipus, der Fuchs, wusste die Antwort: Der Mensch. Das Rätsel würde heute – im Zeitalter des Rollators – niemand mehr verstehen.

Schlaft gut,
Gerrit

Action, Painting!

Narrenhände? Nein, alles mit Omas Erlaubnis. Und nicht nur, weil Ostern war, sondern weil das Wohnzimmer im Sommer ohnehin einen neuen Anstrich bekommt. Ist das toll? Am Ende war die Wand so voll, dass meine Mutter sich gar nicht mehr sicher war, ob sie überhaupt noch streichen will.

Ja, und parallel zu dieser friedlich-fröhlichen Oster-Demo der Enkel das Gehampel in Korea. Komischerweise … also, ich hatte ja gerade noch mal Powells Story von den Massenvernichtungswaffen in der Lügen-Doku, und man wird ja bekloppt, aber gestern Abend während der Nachrichten hatten meine kluge Freundin und ich so einen Moment, wo wir dachten, das ist alles so unwirklich, das stimmt doch wieder alles gar nicht. Und dass ausgerechnet der Iran Verbündeter sein soll … wobei, ein bisschen hoffe ich auch, dass das alles nicht stimmt. Auch wenn das auch nicht besser wäre. Nein, die Welt macht keinen Spaß im Moment, da muss man sich an den kleinen Dingen des Lebens freuen. Mein Shaolin-Artikel, beispielsweise, ist so gut wie durch. Hab heute die „Fahnen“ bekommen, freue mich auf den Artikel mit den Fotos usw. Hab ja früher viel für Zeitschriften geschrieben. An den Kiosk zu gehen und seinen Artikel zu kaufen, ist immer noch etwas Anderes als den Fernseher einzuschalten, wenn der eigene Film läuft. Es ist cooler, amerikanischer, irgendwie Kino. Allein dafür sollte ich eigentlich anfangen zu rauchen …