Spiel waren
Habe gestern versucht, für mein Patenkind zum 9. Geburtstag einen Rätselblock für Kinder zu bekommen. Ich habe früher auch total gerne gerätselt (tatsächlich habe ich kürzlich wieder mit Kreuzworträtseln angefangen), und ich dachte, das wäre ein schönes Geschenk für die Herbstzeit, in der man es sich jetzt gut drinnen gemütlich machen kann. Dazu ein paar Kuschelsocken und fair gehandelte Trinkschokolade, ein Schlechtwetter-Beschäftigungs-Kit eben.
Ich bin dann wegen des Rätselblocks zunächst zu meinem Lieblingsladen nach Trittau gefahren. Die Fahrt dahin übers Land beruhigt mich immer, vor allem bei Sonne. Außerdem musste ich ohnehin noch einkaufen und die haben da eigentlich alles, auch eine kleine Spielwarenabteilung. Aber leider Fehlanzeige! Ein Trauerspiel. Also, ja, es gab auch die klassischen Was ist was?-Artikel, aber ansonsten war alles, was da war, ein Riesenregal voller Models-Utensilien. Ein Albtraum in rosa, ernsthaft. Oder waren meine YPS-Hefte damals auch nicht besser?
Nun ja, dachte ich, dann eben Lebensmittel. Aus Interesse (oder Langeweile?) den Prospekt mit den Angeboten in die Hand genommen und gleich den nächsten Schlag bekommen, als ich den Slogan für diese Woche gelesen habe: Jetzt bevorraten & sparen! Ja, die Welt ist komplex, aber manchmal fehlen mir dann doch die Worte, wenn man sieht, wie die ganze Brisanz der allgemeinen Nachrichtenlage ein paar Tage später völlig durchgeschüttelt aus der Feder eines Werbetexters quirlt. Ein Aufruf zum Hamsterkauf! Aber bitte sparsam! Immerhin: So lange wir noch die Zeit haben, solche Prospekte zu layouten, kann es (noch) nicht ganz so schlimm sein:
Was soll ich sagen? Bin dann einigermaßen desillusioniert wieder nach Hause gefahren. Auf dem Weg liegt ein Dorf namens Stapelfeld. Da gibt es schon seit Jahren einen Laden, der mal mit Tintenpatronen und Playmobil-Sets angefangen und sich inzwischen zu einem gut sortierten Spielwarenladen gemausert hat. Jedenfalls bin ich auf gut Glück rein in den Laden, der Typ war auch ganz nett und wach, und der hatte doch just am selben Tag neue Rätselblöcke für 9-Jährige bekommen. Die waren noch nicht einmal ausgepackt! Hat er vor meinen Augen kurz vor Ladenschluss aus dem Karton geholt. Hab ich natürlich unbesehen gekauft. Wirklich, ich liebe den Einzelhandel …
Über Stunden & „kalter Kaffee“
Wenn ich länger nicht gebloggt habe und mir dann vornehme, mal wieder etwas zu teilen, stelle ich IMMER fest, dass ich die ganzen Ereignisse, Erlebnisse, Ideen und Gedanken, die sich in der Zwischenzeit regelrecht aufgetürmt haben, kaum gebündelt bekomme. Ich denke dann immer: Warum schreibst du nicht jeden Tag ein bisschen, anstatt alle paar Wochen mit diesem Gefühl der Überforderung zu kämpfen? Also ob man nach Wochen die Wäschetonne mit der ungewaschenen Sportwäsche öffnet. Oder die Tür zum unheimlichen Dachboden der unheimlichen Tante.
Vielleicht ist es leichter, den IST-Zustand als kurze Liste abzuhandeln:
Habe den 4-Teiler über die Schweizer am Persischen Golf fertiggestellt. Am letzten Tag vor dem Urlaub die letzten Listen abgeheftet. Mein Timing war immer schon gut. Hoffe, die Produktion erzeugt Aufmerksamkeit, aber keine weitere Arbeit.
War mit meiner Frau auf den Azoren. Sao Miguel.
Hätte ich Geld, würde ich uns da ein Haus kaufen.
So war es einfach nur ein sehr schöner, viel zu kurzer Urlaub.
Ich finde es aber auch da schön, wo wir wohnen.
Habe die Blumen geputzt.
Winterharte dazugesetzt.
Wäre das auch gerne.
Winterhart.
Jetzt feiere ich Überstunden ab, die sich durch die o.g. Produktion angesammelt haben.
Fast vier Wochen.
Die mir aber natürlich noch in den Knochen stecken.
Es liest sich immer so leicht.
Versuche, meinem neuen Buch den letzten Schliff zu verpassen.
Was mir aber natürlich im Kopf steckt.
Gerade noch diesen Satz bei mir gelesen:
„Alter ist nur eine Frage der Zeit ….“
Es liest sich immer so leicht.
Nein, nicht immer. War vor ein paar Tagen auf einer Lesung von Andy Münzner.
Habe mir da ein schönes, altes Buch von ihm gekauft.
Das schönste Buch seit langem.
Nicht nur die Form.
Auch der Inhalt.
Demnächst mehr von ihm.
Ansonsten?
Haben wir meinen Schwiegervater beerdigt.
Meiner Schwiegermutter zum 80. gratuliert.
Und unser Sohn, der bei uns gelebt hat, ist ausgezogen.
Mir fällt jetzt erst die imposante Doppeldeutigkeit des Wortes „ausgezogen“ auf. Es enthält neben dem Um-Zug tatsächlich auch den (heroischen) Aus-Zug. Das Erobern der Welt. Natürlich friedlich.
Und?
War gestern Angeln an der Elbe, mit meinem ältesten Sohn. Goldener Oktober, glitzerndes Wasser, bisschen albern sein, aber auch ernste Gedanken austauschen. Beste Mischung. Leider habe ich bei der Gelegenheit feststellen müssen, dass meine kleine „Captain“-Isolierflasche von EMSA nach etlichen Jahren an meiner Seite nun doch das Zeitliche gesegnet hat. Ist das normal, dass mir da jetzt, wo ich das hier festhalte, fast die Tränen kommen? Oder bin ich jetzt (endgültig) bekloppt? Vielleicht hat das auch mit dem ganzen Rest zu tun (Krieg, Weltordnung, Klima, Energie). Kennt ihr ja wahrscheinlich. Auf jeden Fall ist diese Meldung doch wohl alles andere als „kalter Kaffee“ …
Versuche, wieder regelmäßiger und kleiner zu berichten. Auch für mich. Wer soll sich das sonst alles merken?
Regen bringt Segen
Morgen geht es nochmal los, in den Mittleren Osten, nach Katar. Hätte ich mir als junger Mensch auch nicht träumen lassen, dass ich irgendwann solche Dienstreisen unternehme. Fand es als Kind immer total spannend, wenn mein Vater Dienstreisen gemacht hat: von Münster nach Kassel oder nach Bielefeld oder Detmold oder so. Da dachte ich immer, wow, wie cool, mein Papa ist wichtig, der wird von seinem Chef durch die Welt geschickt, als verlängerter Arm sozusagen. Ehrlich gesagt, würde ich gerne öfter mal nach Kassel fahren. Habe eben einer Protagonistin ein paar Ideen für unseren Dreh geschickt, und sie schrieb nur: Weißt Du eigentlich, wie heißt es jetzt ist? Keine Chance mit den Kindern rauszugehen. Wahnsinn. Das könnte ich nicht. Ich bekomme ja schon bei diesen stickigen 24 Grad hier Schweißausbrüche und genieße tatsächlich gerade den letzten Regen für die nächsten 9 Tage.
Und dann immer noch dieser Corona-Shit. Hab heute Mittag einen PCR-Test gemacht, in der City, bei einem Anbieter, der damit warb, dass das Ergebnis noch am selben Tag kommt. Das war wichtig, weil ich den Test für einen digitalen Einreiseantrag hochladen muss. Und dann kam ich dahin, das war bloß ein kleiner Container, und die Kollegin, die den Test durchgeführt hat, meinte dann, sie könne nicht garantieren, dass das Ergebnis heute noch kommt. Bin dann noch zum Flughafen gefahren und hab einen zweiten Test gemacht, im Expressverfahren, natürlich teuer, aber 1,5 Stunden später hatte ich das Ergebnis. Hochgeladen. Wieder dreißig Minuten später war ich in Katar prä-registriert. Was für ein Stress, und das noch am heiligen Sonntag. Naja, in einer Woche sind die Dreharbeiten erledigt. Hoffen wir, dass alles klappt.
Zwischenhoch
Herrje, hab gerade gesehen, dass der letzte Eintrag über 4 Monate her ist. Das geht natürlich nicht. Gibt so viel zu kommentieren, vor allem Schlimmes. Und ich merke, dass ich das momentan nicht kann. Dass ich mich an die schönen Dinge klammern möchte, die hoffnungsvollen. Hinzu kommt, dass ich gerade wieder eine Phase bei der Arbeit erlebe, wo ich froh bin über jeden Tag, an dem ich einigermaßen funktioniere. Mein 4-Teiler für den SRF über SchweizerInnen am Persischen Golf geht in die letzte Runde. 3 von 4 Folgen sind abgenommen, Montag muss ich noch einmal nach Doha. Kann sagen, es war eine tolle, spannende Erfahrung, aber eben auch eine sehr anstrengende, langwierige Produktion. Das sind diese Produktionsphasen, wo du wirklich an jedem (Arbeits-)Tag Output produzieren musst, wo du auch nicht krank werden darfst. Aber gerade der Druck, dass du weißt, du darfst nicht krank werden, sorgt natürlich dafür, dass du plötzlich Kopfschmerzen bekommst …
Also, schnell gute Nachrichten: Unsere Fußballfrauen – großartig. In jeder Hinsicht. Freue mich sehr, dass ich noch nicht im Flieger sitze, wenn das Endspiel läuft. Überhaupt rettet mir der Fußball nach wie vor täglich das Leben, und ich danke dem Himmel, dass ich immer noch selber spielen kann. Dass meine Söhne noch mit mir kicken gehen und auch keiner komisch guckt, wenn ich abends mal alleine hier in Stapelfeld auf den Platz gehe und mich mit dem Ball am Fuß ein bisschen bewege. Hab letztens wieder meinen alten Hummel-Ball hervorgeholt. Das ist wirklich eine Kanonenkugel, aber auch unzerstörbar. Im Grunde der perfekte Trainingsball, weil man, wenn man dann plötzlich wieder mit den modernen Bällen spielt, das Gefühl hat, man könnte Pässe über den ganzen Platz spielen.
Meine Mutter hatte eine komplizierte OP im Gesicht, aber es scheint alles gut gegangen zu sein. Auch das ist unterm Strich eine gute Nachricht. Die OP war hier in Hamburg, meine Frau und ich konnten ein bisschen bei der Logistik helfen, und auch dafür bin ich dankbar: dass ich diese Frau an meiner Seite habe.
Und diese Kinder, die so viel Freude machen. Die nett sind, ohne brav zu sein. Lustig, aber nicht auf Kosten anderer, und wenn, dann immer liebevoll. Der Jüngste hat uns gestern Abend noch ein Foto geschickt: er nimmt meinen Debütroman Jugendstil als Lektüre mit in den Urlaub. War total gerührt (auch wenn ich es erst glaube, wenn er es wirklich gelesen hat).
Und ich mache wieder mehr mit meinen Händen. Erneuere Dinge. Repariere sie. Hab mit meinem Onkel zusammen die Windschutzscheibe an meinem Volvo gewechselt, weil die alte einen Riss hatte. Carglass wollte 1200 Euro, meine Werkstatt immerhin noch 900 Euro. Also hab ich mir für 140 Euro eine Scheibe im Zubehör besorgt, den richtigen Kleber, Primer, und der Rest waren Muskelkraft und Fingerspitzengefühl. Und ein guter Freund von mir hat mir ein paar Tage später noch die Schalter für die elektrischen Fensterheber repariert – einfach ausgebaut und die Kontakte geputzt. Hammer. Richtig Geld gespart. Hätte ich beides alleine aber auch nicht geschafft. Und die Katzen haben neue Körbe bekommen. Freue mich ja auch da, wie sie immer noch meinen Kratzbaum benutzen, den ich ihnen damals zum Einzug gebaut habe.
Überhaupt, unsere Tiere. Der Isländer meiner Frau. Steht eigentlich zu weit weg, immer ein bisschen krank, aber der süßeste Gaul, den ich kenne. Wenn wir abends nach der Arbeit hinfahren, und ich ihn dann aus der Herde hole, das Halfter anlege, ihn ein bisschen putze, das ist wirklich Therapie vom Feinsten. Und auch dafür bin ich dankbar, unendlich dankbar, weil ich weiß, dass das alles andere als selbstverständlich ist.
Weil es, ausgelöst durch den Krieg, eben ganz viele schlechte Nachrichten gibt. Im Moment zeigt sich ja gerade, wie rückständig wir eigentlich sind, in vielen Dingen, eigentlich in den meisten. Gerechte Verteilung der Ressourcen, weltweit implementierte Energieeffizienz, Umsetzung gemeinsamer Klimaziele, Nahrungssicherheit und Frieden für alle, das kann doch nicht so schwer sein. Nicht nach dieser langen Probezeit. Aber der Mensch wird eben nicht besser, sondern jede(r) Einzelne einer neuen Generation fängt als Mensch im Grunde seines Herzens scheinbar bei Null an. Anders ist das nicht zu erklären.
Irgendwann – und ich hoffe, dass das noch lange dauern wird – werden intelligente Außerirdische auf die Erde kommen und nach Indizien für unseren Untergang suchen. Und wenn sie RICHTIG intelligent sind, werden es Zeichen wie diese sein, anhand derer sie den ganzen Wahnsinn unserer Zivilisation werden rekonstruieren können ;-)
Glück
Glück ist der Freund, von dem man nicht wusste, dass es ihn gab. Der stille Teilhaber im Hintergrund. Oder die schrille Alte. Die gute Frage, die einem nie einfällt. Ein versäumtes Gespräch. Glück ist unterbelichtet. Es wird einem erst im Unglück bewusst. So, wie man Gesundheit nur im Wissen um Krankheit schätzen lernt. Randnotiz: Gegen-Liebe hingegen ist das einzige Gefühl, nach dem man sich a priori namentlich sehnt.
Glück
Eines Tages wird unser Kater sterben,
und ich werde heulen.
Eines Tages wird unser Gaul sterben,
und ich werde heulen.
Eines Tages werden meine Eltern sterben,
und ich werde heulen.
Unterschiedlich lang,
unterschiedlich laut.
Vielleicht werden
mein Haus davonschwimmen
oder meine Felle
die Jungs für ihr Vaterland kämpfen müssen
oder ihr Vater für die Jungs.
Vielleicht wird
mich eine Krankheit umbringen
oder mein Job
oder meine Sorge
um meine Liebste.
Aber bis dahin
bin ich der,
der verschont geblieben ist;
der Glück gehabt hat.
Versteh das endlich,
Du dämlicher Hund.
Höltigbaum-Hits Vol. 4
so dumm sein
wie weißes Papier
(Element of Crime)
Tja, kann man in Zeiten wie diesen einen Blogeintrag verfassen, ohne über den Krieg zu schreiben? Eigentlich nicht. Oder sollte man es gerade deswegen (auch)? Wäre ich radikaler Konstruktivist, könnte ich sagen, wenn ich den Krieg ausblende, indem ich nicht über ihn schreibe, könnte er am Ende womöglich gar nicht passiert sein. Dann wäre ich aber zugleich auch ein inhumaner Zyniker, der das Leid eines ganzen Volkes (vielleicht der ganzen Welt) ausblenden bzw. sogar leugnen würde.
Ich versuche mal, eine Brücke zu schlagen. In den letzten Monaten – also, eigentlich seit Corona – fahre ich ja ab und an mit dem Rad ins Naturschutzgebiet bei uns in der Nähe. Höre Musik, trinke ein Feierabendbier, manchmal arbeite ich da auch noch, mache Notizen, telefoniere, schreibe Mails. In jedem Falle komme ich dort auf andere Gedanken. Auf bessere, um genau zu sein.
Über die Monate haben sich ein paar Songs herauskristallisiert, die ich neu- oder wiederentdeckt habe. Zu einigen fällt mir eine Geschichte ein, die ich dann mit euch teile.
Heute geht es um „Weißes Papier“ von Element of Crime.
Der Song erschien im Januar 1993 (in dem Jahr habe ich Abitur gemacht) auf der gleichnamigen Platte, die für die Band Element of Crime im Grunde auch der große Durchbruch war.
In der zweiten Strophe dieses Songs heißt es:
Auch werd‘ ich in Zukunft ein Anderer sein,
Als der, den du in mir sahst.
Die Hose die du mir gehäkelt hast
Werf‘ ich in den Container der Heilsarmee rein.
Ich ess‘ auf dem Fußboden, aus der Hand
Seh‘ mir jeden Trickfilm im Fernseh’n an.
Alles was du nicht magst, lobe ich mir.
Ich werd einfach so rein,
Und so dumm sein, wie weißes Papier.
Es geht hier um das alte Motiv des verlassenen (oder verlassenden?) Mannes, der sich nach der Beziehung in die Transformation flüchtet. Er mutiert in das Gegenteil dessen, was er meint, seiner EX gewesen zu sein und kultiviert plötzlich Handlungen, Eigenarten und Rituale, von denen er glaubt, dass diese die EX zur Weißglut gebracht hätten: keine Essmanieren, Trickfilme, Undank usw. Er meint, sie damit verletzen zu können. Oder sich über sie zu erheben. Es ihr heimzuzahlen.
Nun zu meiner Randnotiz: Im selben Jahr erscheint in Münster eine CD von dem zwar stadt-, aber ansonsten relativ unbekannten Künstler Axel Schulz (der sich später Axel Schulß nannte). Auf dieser Platte wiederum gibt es einen Song, der diesen Gedanken des ins Gegenteil mutierenden EX-Liebhabers weiterführt:
Ich liebe diesen Song von Axel Schulß. Tolle Komposition, sehr cleverer Text. Ich liebe ihn auch wegen der Band, die ihn eingespielt hat. Der Trommler ist mein alter Schlagzeuglehrer Ben Bönniger, die anderen beiden, Ekki und Wolfgang, sind jetzt feste Mitglieder der Kölner Band Erdmöbel. Jedenfalls habe ich mir anlässlich dieses Blogs nochmal genau angeschaut, wann die Songs erschienen sind. Manchmal entdeckt man dabei ja die merkwürdigsten Sachen. Ehrlich gesagt, habe ich mir insgeheim gewünscht, „Weißes Papier“ sei deutlich später erschienen; dass der große Sven Regener womöglich bei dem unbekannten und viel zu früh verstorbenen Münsteraner Künstler Axel Schulß „geklaut“ hätte, also im Prinzip so eine Gary-Moore-Still-got-the-blues-Geschichte (he got the blues). Vermutlich war es wohl eher andersherum, aber die Frage kläre ich mal, wenn ich das nächste Mal auf die Erdmöbel treffe. Außerdem, was soll´s? Es sind zwei sehr unterschiedliche Songs, auf ihre Art gleich wunderbar.
„So dumm sein, wie weißes Papier“. Ich stolpere immer über dieses Bild, das Sven Regener da gemalt hat. Weil es doch eigentlich nichts gibt, was mehr Potential hat, als ein weißes Papier. Als ein unbeschriebenes Blatt. Ein Neugeborenes ist ja nicht dumm, sondern, im Gegenteil, es hat alle Anlagen, alles zu lernen und zu wissen. Insofern ist es höchstens ungebildet oder unerfahren, aber nicht per se dumm. Ahnungslos vielleicht. Und jetzt zur Brücke; denn das wäre ich in Zeiten wie diesen nämlich auch gerne manchmal: Ahnungslos und unerfahren, wie ein weißes Papier, auf dem sich keine Zeile findet, über Kriege.
Aber wo kämen wir da hin?
Letzte Frage: Was ist der Unterschied zwischen einem unbeschriebenen Blatt und einem ungehobelten Klotz?
Die Welle bricht

Besuchen Sie Europa, solange es noch steht. Heute: Sieseby
Besuchen Sie Europa, solange es noch steht.
Geier Sturzflug
Sind ein paar Tage raus, in so ein modernes Ferienresort, mit ganz vielen neuen Häuschen am Wasser, denen ganz viele Einheimische aus ganz vielen Gründen mit ganz viel Unbehagen begegnen. Aber wenn man erst mal drin ist, sieht die Welt, von außen betrachtet, schon ganz anders aus: Wasser, wohin man blickt, schlicht, aber schick eingerichtet, mit Kamin, Sprudelwanne und Infrarot-Sauna. Und dann denkt man, … hm … die Ostsee … ob er hier vor der Schleimündung auch bald U-Boote parkt? Nur als Manöver, versteht sich. Und auf dem Weg kurz Lettland einkassiert?
Habe Urlaub genommen, um meinen Eltern im Garten zu helfen. Regensicherer Unterstand für das neue Holz bauen, Holz hacken. Hab dann ein paar Nächte drangehängt und meine Frau eingepackt. Oder andersherum.
Zwei Tage lang habe ich mit meinem Vater den Akkuschrauber, den Brennholz-Spalter und die Sägen zum Schwitzen gebracht, hervorragende Ablenkung. Aber abends muss man sich hüten. Man darf die Nacht nicht zu sich nach Hause einladen. Dann liegt man in der Wanne und macht sich Gedanken über die Unterlagen für den Steuerberater, den verschobenen Zahnarzttermin und – immerzu – die Arbeit. Aber nur, weil man Angst hat, die wirklich wichtigen Dinge an sich heran zu lassen. Und dann denkt man eben doch, alles egal, weil da wieder einer der wenigen Männer, die es können, machen, was sie wollen, weil sie es können. Oder weil sie offenbar nicht anders können. Weil – das schreibe ich gewissermaßen als Chronist – dieser Krieg in Europa alle fassungslos macht, die Welt verändert und wie eine Wolke über allem schwebt, und man alle Kraft aufbringen muss (vor allem unbewusst), die richtige Balance zu finden zwischen Information und Verdrängung.
Im Grunde war Corona schon ein guter Anlass, nochmal alle Schalter auf Null zu stellen. Gemeinsam mit seinem Lebensmenschen zu überlegen, was man mit dem Leben anfangen möchte. Jetzt noch der Krieg obendrauf, der uns natürlich gefühlt näher geht als die meisten anderen Krisenherde, weil wir die Suppe, die der russische Präsident da köchelt, am Ende der Fresskette mit auslöffeln werden. Selbst, wenn nichts mehr da ist. Wobei wir noch alle Gliedmaßen haben und leben werden. Deswegen ist das natürlich ein Luxusproblem, hier und jetzt überhaupt über verschiedene Szenarien und Handlungsalternativen zu verfügen, die nicht aus Angst, Verzweiflung oder Flucht resultieren. Ich weiß das sehr wohl.
Waren heute in Sieseby, am Grab von Jurek Becker, der die letzten sieben Jahre seines Lebens hier oben an der Schlei verbracht hat. Wir standen vor seinem Haus, also, es ist wohl nicht sein Haus, und es sieht vermutlich auch nicht mehr so aus wie damals, scheint komplett sarniert. Es steht eine Tafel davor, und man kann die Nachbarn fragen, wenn man es besuchen möchte. Nicht richtig schön, aber mit Blick aufs Wasser. Und man ahnt, dass er hier schöne letzte Jahre hatte, bis sein Herz nicht mehr wollte. Jurek Becker, übrigens auch ein Schriftsteller, der viel fürs Fernsehen gemacht hat. So wie ich. Allerdings hatte Becker zuvor einen Riesenhit bei Suhrkamp gelandet. Später hat er Drehbücher für die Anwaltserie „Liebling Kreuzberg“ geschrieben. Und Postkarten, das war eine Spezialität von ihm. Suhrkamp hat sogar ein Buch daraus gemacht: Postkarten vom Becker
Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch mein Apfelbäumchen pflanzen.
Wohl (nicht) von Luther, aber Mut machend.
Es ist schwer, einen klaren Kopf zu bewahren. Weil jeder unpolitische Gedanke gerade irrelevant erscheint. Aber weil es auch existentiell sein kann, sich angesichts der politischen Lage, die einen eigentlich zum Handeln zwingt, auf andere Gedanken zu bringen.
Die Welle bricht
Die Welle bricht
und erschleicht sich ein Geständnis
irgendwo über mir
vertraut jemand seinem
Gegenüber
macht jemand das Licht
aus
sich heraus
ein bisschen heller
wie ein blindes Glas, in das man
einfach Wasser
hineinlaufen lassen kann
und die Zeit
wiederholt sich
in ihrem Vergehen zu vergehen
Die Welle bricht
sie hat etwas Schlechtes
zu sich genommen
Wort. Schöpfung.
Bin heute geboostert worden. Gute Sache, schreckliches Wort. Muss Anfang Januar auf Dienstreise, deswegen bin ich in der Firma – gewissermaßen auf eigenes Risiko – früher als empfohlen aufgefrischt worden, meine 2. Impfung ist nämlich erst vier Monate her. Aber der Arzt meinte ganz richtig, in England würden sie schon nach drei Monaten boostern, also habe er da keine Bedenken. Und ich muss sagen, ich lebe lieber mit dem Risiko einer verstärkten Impfreaktion als nicht-beboostert mit hunderten anderen Passagieren aus aller Welt auf zwei Langstreckenflüge zu gehen.
Die Impfung ist ein Riesenthema gerade. Leute radikalisieren sich. Bereits Radikale schnuppern Morgenluft. Ätzend. Als Promi schafft man es – mit einer gewissen Vorgeschichte – mit der Aussage, ob man sich impfen lässt oder nicht, auf die Titelseiten. Wahnsinn.
Bin jetzt ein bisschen schlapp, aber nicht unzufrieden. War ein anstrengendes Jahr, aber vieles ist auch ganz gut gelaufen. Die Kinder machen Freude, haben sich hier am Wochenende die Klinke in die Hand gegeben. Sogar mit Kekse gebacken. Kinder sind wichtig, auch wenn sie, sobald sie da sind, dein Leben prägen, ein Großteil deines Denkens und Fühlens einnehmen.
Habe eben in der 3SAT Mediathek „Peter Handke in Paris“ gesehen, von Georg Stefan Troller, hochinteressant, Form und Inhalt. Der Film zeigt Handke im (fürs Fernsehen zwangsläufig in Szene gesetzten) Alltag, mit seiner damals 6-jährigen Tochter Amina, die bei ihm wohnte. Und Handke sagt das auch, dass Kinder so real sind, und das ist es eben, du kannst dich als Vater nur in gewissem Maße dem Leben entziehen, jedenfalls nicht, wenn man es einigermaßen als Vater hinkriegen will. Und wahrscheinlich ist es die größte Leistung eines Erwachsenen, wenn er die eigenen Kinder nicht traumatisiert auf die Reise schickt, ins Leben „entlässt“ (auch ein lustiger Ausdruck, so als sei das Aufwachsen bei den Eltern eine Haftstrafe).
Der Film passte ganz gut in meine Zeit, da ich ja gerade wieder Djians „Verraten und Verkauft“ gelesen habe. Da geht es ja auch um das Dasein als Schriftsteller, wie Schriftsteller die Welt sehen und sich in ihr bewegen. Und das gilt ja für Künstler im Allgemeinen. Apropos, ich hab übrigens vor ein paar Tagen mal wieder Musik gemacht, und zwar „richtig“, d.h. nicht alleine (s. Foto). War super.
Ich will das alles nicht immer überbewerten oder glorifizieren, aber ich denke, ich bin schon auch eher jemand, der ständig die Antennen aufstellt und nach Ausdrucksmöglichkeiten für das Unaussprechliche sucht. In Wort und Ton und Bild. Egal, jedenfalls wehrt sich Handke in dem Film von Troller auch gegen die (damals) vorherrschende Meinung, der Schriftsteller schreibe, um dem Leben zu entfliehen. Das Gegenteil sei doch der Fall, sagt er, niemand sei dem Leben so wehrlos ausgesetzt wie der Schriftsteller, weil ihm keine Abwehr-Systeme zur Verfügung stünden. Mein Lieblingssatz ist ja: Der Schriftsteller denkt immer das Drama. Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht mal mehr, ob der von mir ist. Aber unabhängig davon, was man von Handke hält, und dass es viele (wirklich) emphatische Menschen gibt, die auch danach handeln, anstatt „nur“ darüber zu schreiben, und dass man zugleich natürlich trefflich darüber streiten kann, was per definitionem ein vergleichsweise „schweres Leben“ ist, weiß ich doch, was Handke meint. Gestern Abend habe ich an der Tankstelle einen Mann angesprochen, der vergeblich versuchte, so eine moderne Luftsäule zu bedienen, die gleichzeitig auch als Staubsauger fungiert. Auch möglich, dass ihm ein Euro fehlte. Ich sah, dass er seine Familie dabei hatte. Eine Frau, zwei Kinder, die etwas beunruhigt schienen. Ich fragte, ob er Luft brauche, aber er verstand mich kaum, entgegnete, er lerne gerade Deutsch, komme aus Polen, sie wollten nach Hause.
Ich nickte, warf einen Euro ein, stellte die Bar-Zahl ein, von der ich dachte, sie könne passen und kniete mich vor den platten Reifen. Da kam er schon um die Ecke hockte sich neben mich und erzählte, im Reifen stecke ein Nagel. Ich nickte wieder, schaute hoch und bemerkte seinen Sohn, der mich mit großen Augen ansah. Er trug eine Pudelmütze mit Bommel. Ich lächelte ihn an. Ich pumpte, bis das Gerät piepte. Der Mann sagte mehrfach „Danke“, ich sagte, schon gut und wünschte ihm gute Fahrt. Also ich zuhause war, erzählte ich meiner Frau die kleine Episode. Dass mir diese Familie leid tat, vor allem der Vater, weil Väter in solchen Situationen immer verantwortlich sind. Weil Kinder immer erwarten, dass Väter Probleme dieser Art lösen. Und als ich das so erzählte, kamen mir fast die Tränen. Ist doch verrückt, oder?
Tolles aus der Tube – der große Dezember
Stimmt. Weihnachten naht, und die Erdmöbel gehen wie jedes Jahr wieder auf Tour, wie immer mit einem neuen Winterwunderweihnachtslied im Gepäck: Der große Dezember.
Ich habe den Song eben zum ersten Mal gehört – einfach schön. Musik UND Text. Ich kenne die Jungs ja tatsächlich ganz gut, sogar noch aus Zeiten, in denen sie in anderen Bands gespielt und noch nicht in Köln gelebt haben. Ekki Maas habe ich vor Ewigkeiten mal für meine Magisterarbeit interviewt. Ging um die (Un-)Konventionalität ästhetischer Kommunikation, verstehe ich selber nicht mehr. Mit Wolfgang bin ich zur Schule gegangen. Er hat damals für meine Jugendstil-Buch-Beilagen-CD einen Song produziert – und mich auf ein paar musikalischen Lesungen am E-Piano begleitet. Und mit der ganzen Band hab ich mal für arte gedreht. Schön war das alles. Ich frage mich gerade, ob sie mir irgendwann mal erzählt haben, warum sie damals geschlossen nach Köln gegangen sind und nicht z.B. nach Hamburg oder Berlin. Köln muss man ja wollen. Berlin allerdings auch. Über Hamburg hingegen lässt sich nicht streiten ;-)
Und nun sind sie auf Tour. Es muss ziemlich ätzend sein, jetzt wieder die Diskussionen um neue Corona-Maßnahmen zu verfolgen, wenn man im Bus sitzt, auf dem Weg zum Gig. Und noch zwanzig weitere Konzerte vor sich hat, von denen man nun hofft, dass sie auch stattfinden. Ich wünsche den Erdmöbeln (und allen anderen Künstlern und Kulturschaffenden) jedenfalls, dass nicht alles wieder komplett heruntergefahren wird. Obwohl ich andererseits auch möchte, dass wir diesen Shit endlich in den Griff kriegen.
Meine kluge Frau hat mir vor ein paar Wochen schon diesen Penny-Werbespot gezeigt, in dem der jugendliche Sohn seine Mutter fragt, was sie sich zu Weihnachten wünscht, und sie antwortet, sie wünsche ihm, dass er sich nachts aus dem Haus schleicht, Party macht, keinen Bock auf Schule hat, durchhängt, ein Mädchen kennen lernt und dass dieses Mädchen ihm das Herz bricht … Sie wünscht ihm eben ein ganz normales Leben. Und sie befürchtet, dass ihm in dieser Phase des Lebens gerade ganz viele Erfahrungen fehlen, die ein Mensch in seinem Alter machen sollte, um sich als „normaler“ Mensch zu entwickeln. Da ist natürlich etwas dran.
Bitte nicht falsch verstehen, was jetzt kommt; ich möchte, um Himmels Willen, Corona nicht mit einem Krieg vergleichen (auch wenn sich jetzt die Bundeswehr kümmert), aber letztens habe ich gedacht, wenn wir das Ganze niemals in den Griff bekommen sollten, dann wird der Ausnahmezustand eben der Normalzustand. Und dann werden wir lernen müssen, auch damit zu leben. Und es wird Spuren hinterlassen. Das merkt man ja jetzt schon. Womöglich sind wir schon auf der Schwelle dorthin!? Vielleicht werden wir dann irgendwann alle leichtsinniger. Ich meine nicht, dass man sich nicht impfen lässt, dafür gibt es keinen Grund. Leichtsinniger im Allgemeinen. Was Abstand angeht, soziale Kontakte, Umarmungen. Wie jemand, der in einer Region, in der man ständig mit Luftangriffen oder Heckenschützen rechnen muss, irgendwann eben doch einfach mal ungedeckt über die Straße läuft, weil er es einfach leid ist, immer und überall aufpassen zu müssen. Auf der anderen Seite ist ja auch nicht so schwer, ein paar neue Hygieneregeln dauerhaft zu übernehmen. So, wie man in den 80ern gelernt hat, dass man (eigentlich) immer Kondome benutzen sollte … ach, ich weiß es doch auch nicht.
Was kann man von einem Menschen erwarten? In einer globalen Gesellschaft, die sich vor allem über Leistung, Effektivität und Funktionalität definiert? Wieviel Widerstandskraft? Wieviel Individualität? Und wie schafft man es, anders zu denken, ohne ein „Querdenker“ zu werden? Schräg zu sein und sich trotzdem gerade zu machen, wenn es sein muss? Gegen den Strom zu schwimmen, um so den Fluss in die richtige Richtung umzuleiten?
Er schöpft.
Aus dem Vollen!
Sehe gerade, ich nähere mich meinem 1000. Beitrag. Sehe auch, der letzte Beitrag ist schon eine Weile her. Vielleicht ist zuviel passiert …
Ich fange mal hinten an: Minimal Trash Art, der kleine, feine Verlag aus Hamburg, bei dem ich ein bisschen mitmischen darf, hatte letzte Woche Grund zu feiern: die Premierenlesung von Dagrun Hintzes neuem Gedichtband „ACHTEN LAUFEN“ im Nachtasyl. Der Untertitel des Buches lautet: Krisenpoesie. Dieser Gattungsbegriff wurzelt natürlich in der Zeit des Lockdowns, in der viele der wunderbaren Texte, die sich jetzt im Buch finden, entstanden. Noch vor ein paar Wochen dachte ich, oje, Dagruns Buch ist völlig überholt, wenn es erscheint, und Corona dann ein alter Hut. Aber nein, Corona ist kein alter Hut, sondern vielmehr ein Neopren-Anzug, der sich dem Menschen in immer neuer Form über den Körper zwängt. Wir hätten die Veranstaltung beinahe absagen müssen, haben sie dann aber durchgezogen (2G plus – die Relativitätstheorie des 21. Jahrhunderts), und es war auch ein toller Abend. Aber völlig unbeschwert lief das nicht ab, es war ein bisschen wie an Deck der sinkenden Titanic, wo bis zum bitteren Ende die Kapelle spielt. Und noch Tage später hoffte man, dass die Warn-App nicht anschlägt.
Es ist alles schwer zu glauben. Und schwer zu ertragen. Dass wir es immer noch nicht geschafft haben. Dass es kein Ende nimmt, mit diesem blind wütenden Kack-Virus an Bord. Impfdurchbruch. Klingt wie Blinddarmdurchbruch. Dammbruch. Oder einfach nur wie Bruch mit der Welt. Ich merke, dass diese Nebengeräusche mir zunehmend in den Ohren klingeln. Dass das alles meine Arbeit erschwert, meine Regeneration verhindert. Unterweger steckt mir immer noch in den Knochen, und man muss gleich zum nächsten Projekt humpeln.
War vor drei Wochen fürs Schweizer Fernsehen in Katar, eine Woche lang, nur, um Vorgespräche zu führen. War natürlich sehr spannend, aber auch aufreibend. Gesundheits-App hier, PCR-Test da. Man kann sich gar nicht um die eigentlichen Dinge kümmern. Und immer, wenn man denkt, jetzt geht es los, passiert irgendwas Neues. Wahnsinn.
Ich betone das immer: Ich weiß, den meisten anderen Menschen geht es, objektiv betrachtet, viel schlechter als mir. Ich habe großes Glück in meinem Leben gehabt. Mit meiner Frau, den Kindern, meiner Familie. Haben letzte Woche bei meiner Mutter im Garten mit vereinten Kräften eine alte Ulme gefällt. Fällen müssen. Das war schade um den Baum, aber stark als Familienerlebnis.
Und trotzdem fällt es einem schwer, das Positive so für sich immer in angemessener Weise herauszuheben. Ständig grübelt man, wie schnell die Zeit vergeht. Im Moment trifft mich das immer frühmorgens im Bett, das Gefühl vermischt sich auch mit meinen Träumen. Dann bin ich wieder klein, meine Eltern wieder jung. Obwohl ich eigentlich kein Problem mit dem Älterwerden habe. Oder meine Kinder sind wieder ganz klein. Ständig muss ich im Traum eines meiner Kinder retten. Ist doch verrückt.
Aber, klar, je älter man wird, desto mehr Dinge fallen einem ein, die man in seinem Leben eigentlich hatte machen wollen. Anders machen. Dass man eigentlich von der Kunst leben wollte, an die Uni gehen, nochmal Gitarre lernen, Musik machen. So gesehen, ist mein Job, das Filmemachen, ja fast noch der bestmögliche Kompromiss. Sehr viele Songs, die ich bei Unterweger benutzt habe, entstammen z.B. der Feder meines alten Freundes Stephan „Gudze“ Hinz. Das hat Spaß gemacht, mit ihm darüber zu sprechen und die Songs zu kompilieren. Über diesen Trailer freue ich mich noch in zwanzig Jahren:
Und trotzdem ist das eben doch sehr fremdbestimmt. Und es kostet Zeit. Und das nervt mich. Und es nervt mich, dass es mich nervt. Weil ich für meine Liebsten gerne immer und jederzeit der lustige, starke verlässliche Fels in der Brandung wäre.
Manchmal wünschte ich, ich wäre bewusst leichtfertiger im Umgang mit der Zeit. Es gibt ja Menschen, die reißen das Arbeitsleben so ab. Ohne großen Leidensdruck. Andere ändern natürlich einfach was, aber auch nicht alle verbessern damit ihre Situation. Und einige haben ihren Traumjob gefunden und sind auch noch erfolgreich mit dem, was sie tun. Aber ich möchte kein neidischer Mensch sein, wirklich nicht.
Also, was tun? Sich beruhigen, Kerzen an, Tee kochen, und dem Himmel danken, dass man in Frieden lebt und ein Dach über dem Kopf hat. Einfach mal die Fresse halten, ja, ist ja so. Es zu schätzen wissen, dass man in einer Demokratie lebt. Auch wenn sich darin immer mehr Idioten und Idiotinnen tummeln (oder sich zu Wort melden. Wobei sie sich ja nicht melden, sondern einfach reinbrüllen).
Sich bewusst dem Schönen in der Welt öffnen, auch wenn es ein weiterer Link in die Vergangenheit ist: Habe wieder mal einen alten Djian-Roman zur Hand genommen, stand bei meiner Mutter im Regal: „Verraten und verkauft“. Wegen dieses Buches habe ich angefangen zu schreiben. Es hat mich damals konkret zu meinem zweiten Roman „Kunststoff“ inspiriert. Der geniale Dichter usw. … Mein Erik ist im Grunde Henris Schoß entsprungen; wenn ich diese literaturwissenschaftliche Anekdote irgendwann mal in einer Fußnote lesen sollte, spendiere ich ein Bier. Oder, noch besser, einen Grog.
Es wird kälter draußen. Also, wendet Euch nach innen. Schaut aus Euch heraus und findet zurück zu dem Anderen in Euch, der ihr immer sein wolltet.
Ob es Dir gefällt oder nicht: Du bist es schon.