Die Kritik zuerst: Das ZDF will mir weismachen, sein virtuelles WM-Studio, das, 40 km von der Dachterrasse ihres angemieteten Hotels entfernt, eben genau diese Dachterrasse virtuell simuliert, sei voll cool und innovativ. Hab ich das richtig verstanden? Die Moderatoren stehen vor Grün und haben denselben Hintergrund (die Copacabana) im Rücken, den sie auch hätten, wenn sie „in Echt“ auf der Terrasse ständen? Die ist aber tatsächlich zu klein! In der Sportreportage haben sie eben so getan, als wäre das alles gewollt und geil. Für mich klingt es erstmal so, als hätte sich da irgendein Depp im Vorfeld vermessen. Oder erst gemietet, dann gemessen. Möchte mal wissen, was dieses virtuelle Gedöns kostet. Ich will überhaupt keine Statistiken in den Himmel gestanzt. Ich will clevere und unterhaltsame Fragen. Und das ist anspruchsvoll genug.
Gestern und heute ausgeruht. Eingekauft für die Pfingstfeiertage. Brennholz, Bier, was zum Grillen, damit man nicht mehr los muss. Spießig? Keine Ahnung, sind Eichhörnchen spießig? Ist auch egal. Hab heute nach dem Joggen 2 Stunden Unkraut gejätet. Vielleicht auch spießig. Aber Jogging für die Seele.
Denke in den letzten Wochen verstärkt daran, ein Sachbuch zu schreiben. Liegt wohl daran, dass ein paar Leute aus meinem Umfeld gerade eines schreiben bzw. geschrieben haben (u.a. Manuel Möglich, Julian der „Shaolin“). Es müsste aber viele Themen behandeln. Oder sogar alle!? Ich bin ja kein Experte für ein Thema, aber ich habe Gespräche geführt. Viele. Im Prinzip wie die Doktorarbeit, nur für alle lesbar, aufgehängt an kleinen Beobachtungen. Habe z.B. auf dem Rückflug aus Rumänien beobachtet, wie die Stewardessen neuerdings diese Dutyfree-Kataloge verteilen. Nämlich eben nicht an alle, sondern nur an Leute, die sich offenbar wirklich dafür interessieren. Die Stewardessen haben sie auch so komisch hochgehalten, als wären die Kataloge selbst schon der teure Schmuck. Also, klar, die sind ja auch teuer, aber früher steckten die einfach hinter jedem Sitz. Das ist ein ganz perfider Trick, nach dem Motto: Du kriegst diesen Hochglanz-Katalog nur, wenn du auch was kaufst. Spart Druckkosten und erhöht den Kaufzwang. Deutsche Effektivität.
Hab auf dem Rückflug außerdem ein Buch gelesen, das ich in der deutschen Buchhandlung in Sibiu (Hermannstadt) erstanden hab, für umgerechnet 70 Cent: „Wilhelm Meisters Abschied“ von Leonie Ossowski. Erstens fand ich es nett, dass das wie Plenzdorf den Goethe weiterbehandelt, und dann hab ich beim Lesen aber gestaunt, wie aktuell das ist. Kam 1982 raus und kreist um die damalige Berliner Hausbesetzer-Szene, Spekulanten und die ersten Friedensmärsche – alles hochaktuell. Ich meine, gerade heute war in Berlin der Karneval der Kulturen. Ehrlich, ich bewundere so eine Strahlkraft von Büchern bzw. so weitsichtige Autoren. Sorry, Autorinnen.
Kannte Ossowski gar nicht, wobei, ich kenne ja eh wenig, deswegen blättere ich ab und an ein bisschen wild in „Bildung“ von Dietrich Schwanitz und heute – also, manchmal ist das ja verrückt, ich lese ohnehin grundsätzlich selten, weil ich immer Angst vor meinen eigenen Gedanken habe, meinen Assoziationen (Im Zeitmagazin erzählt Mehmet Scholl von einem Alptraum, den er als Spieler ab und an hatte, dass er zum Spiel fährt und dann ist die Hose nicht da, der Schuh und zu guter Letzt fehlt ein Schnürsenkel und am Ende kann er nicht auf den Platz und seine Mannschaft muss zu zehnt spielen. Exakt diesen Traum kenne ich auch, ebenso als Variation, dass ich als Trommler einer Band es nicht rechtzeitig schaffe, das Schlagzeug aufzubauen, das nur am Rande), jedenfalls hatte ich das Assoziations-Chaos jetzt auch bei Ossowski wieder, man liest zwei Sätze und will dann eigentlich erstmal eine halbe Seite Notizen machen, naja – und heute schlage ich „Bildung“ auf und lese eine Seite über Wilhelm II. und hab sofort das Gefühl, ich müsste mir eigentlich dieses ganze Preußenzeugs nochmals reinziehen, bevor es jetzt auf die letzte Reise nach Lettland geht, weil in den Interviews ja immer irgendwann die Sprache auf diese blöden, deutschen Tugenden kommt, und da spielt das Preußische natürlich voll rein, dieser Drill, diese Bereitschaft, sich immer selbst zu disziplinieren. Deswegen tippe ich gerade, anstatt mit einem Bier im Schwimmbad zu liegen, wobei, jetzt bricht der Himmel gerade zusammen …
Bei Ossowskis Wilhelm Meister geht es am Ende vor allem um die Frage, was der Einzelne tun kann, und da dachte ich jetzt noch mal, ich kann zumindest mit unserer kleinen Reportagereihe ein bisschen was zum Thema Integration machen. Das ist relevant. Musste bei dem Buch aber auch daran denken, dass mein Freund Jan immer gesagt hat: Du musst nicht den Werther lesen, sondern den Wilhelm Meister. Ich glaube, ich schicke ihm das Buch, mit einem Brief; da merkt man übrigens auch, dass man ganz schnell auf dem Holzweg wandelt. Ein Brief an einen Freund sollte doch wichtiger sein als ein Blogeintrag, oder?
Ansonsten? Bin ich gut angekommen. Ja. Bin wieder zuhause. Bin wieder. Das Wetter ist schön, auf den Terrassen blüht es. Vermisse meine Glücksbringer, zumindest zwei von denen, aber die sehe ich auch bald wieder. Dieses Vater-Ding ist auch so ein Riesenthema, das man nicht mehr los wird. Werde mir deswegen vermutlich auch nicht „Boyhood“ angucken, obwohl der bestimmt toll ist, aber als ich allein von dieser einen Szene gelesen hab, wie Ethan Hawke als Teilzeitvater seine Kinder in so einer Angeberkarre abholt und sie hilflos hinterrücks über ihren Alltag ausfragt, das ging mir total nahe – obwohl ich denke, dass ich das Ganze vergleichsweise gut hinkriege. Jetzt schläft meine Süße drinnen auf dem Sofa, zu ihren Füßen ratzt der eine Kater, der andere oben im Kratzbaum-Ausguck. Bin glücklich. Bin ich.
Und? Lese gerade bei Wiki, dass Ethan Hawke nach der Trennung von Uma Thurman wieder geheiratet hat, und zwar das ehemalige Kindermädchen der beiden. Hat mit der jetzt auch zwei eigene Kinder. Klingt irgendwie not cool, wenn´s stimmt.