Momentaufnahme

Ohne Bild und ohne Ton
Ohne Bild und ohne Ton

Die BILD-Zeitung titelte heute: „Der schlimmste Vater der Welt“. Das Foto dazu zeigte Syriens Präsidenten Assad im Kreise seiner Familie, annlässlich einer Geburtstagsfeier eines seiner Kinder, das soeben im Begriff ist, die Kerzen auf seinem Geburtstagskuchen auszupusten.

Es ist derselbe Mann, der in Verdacht steht, durch den Einsatz von Giftgas unschuldige Kinder getötet zu haben. Diese beiden Vorstellungen bekommt die BILD-Zeitung nicht unter einen Hut. Zudem ist der Titel womöglich irreführend. Assad ist vielleicht der schlimmste Präsident, aber nicht der schlimmste Vater.

Zugegebenermaßen kann man in Bezug auf die Psychopathologie anderer Menschen, zumal aus der Entfernung, generell nur spekulieren, aber dass Männer tagsüber für unfassbare Gräueltaten und Massenmorde verantwortlich zeichnen und abends, an Sonntagen oder zu Weihnachten treusorgende, liebende Familienväter sein können, wissen wir in Deutschland spätestens seit dem Dritten Reich.

Es gibt auch zahllose Serienmörder, deren bürgerliche Existenz (nach außen hin) tadellos erschien.

Ich recherchiere aktuell zum Thema Amok und bin dabei auch auf den Begriff der „Tötungshemmung“ gestoßen, die bei jedem gesunden, „normalen“ Menschen vorherrscht. Doch wo ist die Grenze zum Un-Normalen? Un-Gesunden? Ist das Böse krank? Dann wäre jeder Täter vermindert schuldfähig!?

Amokforscher unterscheiden zwischen Tätern, die ihre Opfer von Angesicht zu Angesicht töten, und den Tätern, die das nicht tun. Weil sie es nicht können. Über Breivik wird gesagt, er habe sich sein Mitgefühl (die Tötungshemmung) systematisch abtrainiert.

Ob in den Konzentrationslagern der Nazis oder heute in Syrien: Wer von seinem Schreibtisch aus den Einsatz von tödlichem Gas befiehlt, muss nicht in die Augen seiner Opfer sehen.

Es ist zu vermuten, dass dieser Anblick auch eigentlich nicht zu ertragen wäre, wenn es die Fotos nicht gäbe, in den Geschichtsbüchern und jetzt wieder auf Seite 1 der Tageszeitungen. Ich würde nicht behaupten, dass wir sie hinnehmen, aber im Innersten meines Herzens habe ich Angst, dass wir unser Mitgefühl auch systematisch abtrainieren. Vielleicht um uns zu schützen. Aber ich will das gar nicht.

Im selben Umfeld des „schlimmsten Vaters“ berichtet die BILD übrigens auch von den Verletzungs-Sorgen(!) des örtlichen Fußballvereins und lässt einen Supermarkt für Süßigkeiten werben, die weniger kosten als siebzig Cent.

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