Crisis – Cry this

paris

In Paris haben Terroristen die Redaktion der Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo gestürmt und 12 Menschen getötet. Darum heißt es heutzutage generell „Heiliger Krieg“. Weil nichts mehr heilig ist.

Wenn ich überlege, dass hier unten auch schon die eine odere andere Demo vorm Haus stattgefunden hat, wird mir, ehrlich gesagt, ganz anders.

Drei lange Dokus über „Das Böse“ haben mir eines gezeigt: Es lässt sich nicht verhindern. Oder wie ich es in Jugendstil formuliert habe: Die Überraschung ist immer auf der Seite des Bösen. Das Gute manchmal auch, aber das ist eine zu vernachlässigende Größe.

Nachtrag: Mir ist bei meinen Recherchen eben ein Zitat von Norbert Bolz, dem Medientheoretiker, untergekommen: Der Fußball rettet die Natur des Menschen. Also, auf mich trifft das momentan in weiten Teilen zu. In 90 Minuten stehe ich auf dem Platz.

midlife crisis

 

Das war alles.
Das war alles.

Okay, ich dachte, ich hätte eine Midlife-Crisis; wegen Udo Jürgens oder weil wir keinen Schnee hatten. Aber jetzt weiß ich, dass ich mir nur ganz normal Gedanken mache. Ohne es zu wissen, hab ich nämlich den alten Diskurs der Risikogesellschaft für mich wieder aufgewärmt. Hab es gerade in dem Nachruf über Ulrich Beck (ja, auch gestorben) in der taz geschnallt: Die Industriegesellschaft, die sich pathologisch weiterentwickelt, das freie, individualisierte Subjekt, das mit eben dieser Freiheit klar kommen muss – ist das nicht auch Sartre? Wusste ich auch mal alles. Ehrlich, ich werde täglich dümmer.

Da fällt mir Dieter Nuhr ein. Der zeichnete in seinem Jahresrückblick ein ähnlich düsteres Bild von der Welt. Ein Zitat ist hängengeblieben. Ging um uns, das Volk: „Intelligenz addiert sich nicht, Dummheit schon …“

Das ist zwar nicht neu, aber gerade wieder sehr aktuell. Nicht falsch verstehen, ich bin nicht elitär (und gestern Abend hat mir eine 60-jährige Tankstellenverkäuferin, die ihren 30-jährigen Sohn lachend mit den Worten „Sie bleiben immer Kinder“ verabschiedete, den Glauben an das Gute ein Stück weit zurückgegeben), doch am Sonntag war ich mit meinem Sohn den ganzen Tag lang auf einem Hallenfußballturnier, und da sind mir in dem ganzen dummen Gebrüll und Handyalarm zum ersten Mal nicht nur die Halbwüchsigen, sondern auch viele Eltern auf den Sack gegangen, vornehmlich Deutsche, ich kann es nicht anders sagen. Und plötzlich wurde mir klar, warum die Leute in Dresden mitmarschieren, und warum man so eine Bewegung, wenn der richtige Anführer kommt, auch nicht mehr stoppen kann. Weil sich Dummheit addiert …

Auf der anderen Seite – und ja, vielleicht bin ich schizophren – war dieses Turnier ein Musterbeispiel für Integration. Da waren alle Nationalitäten vertreten, und alle haben zusammen ein großes Sportfest gefeiert. Und trotzdem: Wenn ich mir die einzelnen Menschen angucke und das auf die ganze Welt projiziere, kann ich mir NICHT VORSTELLEN, wie das System langfristig funktionieren soll. Auf der anderen Seite hat es auch schon Jahrhunderte überlebt – zumeist unter viel schlimmeren Bedingungen für den Einzelnen.

Reptilienfutter im Tierhandel - auch zum Kotzen
Reptilienfutter im Tierhandel – auch zum Kotzen

Klar, wir können das große Ganze nicht schultern. Und klar, wir sollten uns lieber daran erfreuen, dass der Autoschlüssel doch nicht im Kofferraum liegt, sondern sich in der Tasche unter dem Portemonnaie versteckt hat. Dass wir gesund sind. Und die Kinder nicht im Rollstuhl, sondern fußballbegeistert. Schon klar …

Was mich im Moment aber wirklich nervt, ist der Medienkonsum überall. Auch die WM-Doku hat es ja gezeigt: Selbst unsere Nationalspieler glotzen die ganze Zeit auf ihre Scheiß-Handys. Hatte über die Feiertage auch prompt eine kleine Diskussion mit meinen Jungs, was die X-Box betrifft. Dabei ist hier alles im Vergleich so was von harmlos und total im Rahmen. Womöglich bin ich da im Moment überkritisch. Aber ich weiß auch, warum, und da schließt sich der Kreis. Weil ich im Moment wie so ein alternder Feldherr in den dampfenden Schlachtfeldern meines Lebens stehe und offenbar wild Ausschau nach Nachfolgern halte, die stark und clever und abenteuerlustig sind. Das ist genau das Bild, das mich aktuell beschreibt. Also doch Midlife-Crisis? Vielleicht hatte Ulrich Beck auch eine, als er Risikogesellschaft schrieb. Da war er ungefähr in meinem Alter.