Er schöpft.

Aus dem Vollen!

Sehe gerade, ich nähere mich meinem 1000. Beitrag. Sehe auch, der letzte Beitrag ist schon eine Weile her. Vielleicht ist zuviel passiert …

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Ich fange mal hinten an: Minimal Trash Art, der kleine, feine Verlag aus Hamburg, bei dem ich ein bisschen mitmischen darf, hatte letzte Woche Grund zu feiern: die Premierenlesung von Dagrun Hintzes neuem Gedichtband „ACHTEN LAUFEN“ im Nachtasyl. Der Untertitel des Buches lautet: Krisenpoesie. Dieser Gattungsbegriff wurzelt natürlich in der Zeit des Lockdowns, in der viele der wunderbaren Texte, die sich jetzt im Buch finden, entstanden. Noch vor ein paar Wochen dachte ich, oje, Dagruns Buch ist völlig überholt, wenn es erscheint, und Corona dann ein alter Hut. Aber nein, Corona ist kein alter Hut, sondern vielmehr ein Neopren-Anzug, der sich dem Menschen in immer neuer Form über den Körper zwängt. Wir hätten die Veranstaltung beinahe absagen müssen, haben sie dann aber durchgezogen (2G plus – die Relativitätstheorie des 21. Jahrhunderts), und es war auch ein toller Abend. Aber völlig unbeschwert lief das nicht ab, es war ein bisschen wie an Deck der sinkenden Titanic, wo bis zum bitteren Ende die Kapelle spielt. Und noch Tage später hoffte man, dass die Warn-App nicht anschlägt.

Es ist alles schwer zu glauben. Und schwer zu ertragen. Dass wir es immer noch nicht geschafft haben. Dass es kein Ende nimmt, mit diesem blind wütenden Kack-Virus an Bord. Impfdurchbruch. Klingt wie Blinddarmdurchbruch. Dammbruch. Oder einfach nur wie Bruch mit der Welt. Ich merke, dass diese Nebengeräusche mir zunehmend in den Ohren klingeln. Dass das alles meine Arbeit erschwert, meine Regeneration verhindert. Unterweger steckt mir immer noch in den Knochen, und man muss gleich zum nächsten Projekt humpeln.

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War vor drei Wochen fürs Schweizer Fernsehen in Katar, eine Woche lang, nur, um Vorgespräche zu führen. War natürlich sehr spannend, aber auch aufreibend. Gesundheits-App hier, PCR-Test da. Man kann sich gar nicht um die eigentlichen Dinge kümmern. Und immer, wenn man denkt, jetzt geht es los, passiert irgendwas Neues. Wahnsinn.

Ich betone das immer: Ich weiß, den meisten anderen Menschen geht es, objektiv betrachtet, viel schlechter als mir. Ich habe großes Glück in meinem Leben gehabt. Mit meiner Frau, den Kindern, meiner Familie. Haben letzte Woche bei meiner Mutter im Garten mit vereinten Kräften eine alte Ulme gefällt. Fällen müssen. Das war schade um den Baum, aber stark als Familienerlebnis.

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Und trotzdem fällt es einem schwer, das Positive so für sich immer in angemessener Weise herauszuheben. Ständig grübelt man, wie schnell die Zeit vergeht. Im Moment trifft mich das immer frühmorgens im Bett, das Gefühl vermischt sich auch mit meinen Träumen. Dann bin ich wieder klein, meine Eltern wieder jung. Obwohl ich eigentlich kein Problem mit dem Älterwerden habe. Oder meine Kinder sind wieder ganz klein. Ständig muss ich im Traum eines meiner Kinder retten. Ist doch verrückt.

Aber, klar, je älter man wird, desto mehr Dinge fallen einem ein, die man in seinem Leben eigentlich hatte machen wollen. Anders machen. Dass man eigentlich von der Kunst leben wollte, an die Uni gehen, nochmal Gitarre lernen, Musik machen. So gesehen, ist mein Job, das Filmemachen, ja fast noch der bestmögliche Kompromiss. Sehr viele Songs, die ich bei Unterweger benutzt habe, entstammen z.B. der Feder meines alten Freundes Stephan „Gudze“ Hinz. Das hat Spaß gemacht, mit ihm darüber zu sprechen und die Songs zu kompilieren. Über diesen Trailer freue ich mich noch in zwanzig Jahren:

Und trotzdem ist das eben doch sehr fremdbestimmt. Und es kostet Zeit. Und das nervt mich. Und es nervt mich, dass es mich nervt. Weil ich für meine Liebsten gerne immer und jederzeit der lustige, starke verlässliche Fels in der Brandung wäre.

Manchmal wünschte ich, ich wäre bewusst leichtfertiger im Umgang mit der Zeit. Es gibt ja Menschen, die reißen das Arbeitsleben so ab. Ohne großen Leidensdruck. Andere ändern natürlich einfach was, aber auch nicht alle verbessern damit ihre Situation. Und einige haben ihren Traumjob gefunden und sind auch noch erfolgreich mit dem, was sie tun. Aber ich möchte kein neidischer Mensch sein, wirklich nicht.

Also, was tun? Sich beruhigen, Kerzen an, Tee kochen, und dem Himmel danken, dass man in Frieden lebt und ein Dach über dem Kopf hat. Einfach mal die Fresse halten, ja, ist ja so. Es zu schätzen wissen, dass man in einer Demokratie lebt. Auch wenn sich darin immer mehr Idioten und Idiotinnen tummeln (oder sich zu Wort melden. Wobei sie sich ja nicht melden, sondern einfach reinbrüllen).

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Sich bewusst dem Schönen in der Welt öffnen, auch wenn es ein weiterer Link in die Vergangenheit ist: Habe wieder mal einen alten Djian-Roman zur Hand genommen, stand bei meiner Mutter im Regal: „Verraten und verkauft“. Wegen dieses Buches habe ich angefangen zu schreiben. Es hat mich damals konkret zu meinem zweiten Roman „Kunststoff“ inspiriert. Der geniale Dichter usw. … Mein Erik ist im Grunde Henris Schoß entsprungen; wenn ich diese literaturwissenschaftliche Anekdote irgendwann mal in einer Fußnote lesen sollte, spendiere ich ein Bier. Oder, noch besser, einen Grog.

Es wird kälter draußen. Also, wendet Euch nach innen. Schaut aus Euch heraus und findet zurück zu dem Anderen in Euch, der ihr immer sein wolltet.

Ob es Dir gefällt oder nicht: Du bist es schon.

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