back no tormal: Kleingeister

Hallo!

Ich habe mal den Stecker gezogen. Den Stift fallen lassen – und vergessen aufzuheben. Mich etwas zurückgezogen. Durchgeatmet. Und festgestellt, dass die eigenen Gedanken so klein sind, dass sie in der Flut des Hochwassers untergehen. Dass da draußen die Herausforderungen für viele Menschen auf der ganzen Welt so groß und existentiell sind, dass es einem – wenn man das Glück hat, verschont zu bleiben – auf dem Hochsitz des Beobachters die Sprache verschlägt.

Das Leben ist kurz. So kurz, dass man sich über jeden Tag freuen sollte, an dem die Dinge einigermaßen in der Waage bleiben. Ich vergesse das manchmal. Beklage meine jämmerliche Existenz, den anstrengenden Job, die lästigen Pflichten des Erwachsenendaseins, ohne zu sehen, wieviel Glück ich erstens habe, und zweitens ja auch Dinge ändern könnte.

Aber wann fängt man damit an? Mit 50? Wenn die Kinder aus der Schule sind? Oder im ersten Job? Mit 60? Oder ist es schon zu spät? Wieviel Risiko geht man ein? Was braucht man wirklich, um in der Zukunft bzw. im Alter glücklich zu sein? Ich weiß es nicht. Ich habe lediglich eine Ahnung: vermutlich nicht viel von dem, worüber ich mir gemeinhin den Kopf zerbreche.

Immerhin erkenne ich mittlerweile auch Glücksmomente, wenn ich sie erlebe. Momente, die ich früher als selbstverständlich erachtet habe. Dafür muss man reifen. Wenn wir – wie in diesem Sommer nochmal – alle fünf gemeinsam in Schweden sind. Im See baden, zusammen Holz stapeln, streichen, schrauben, mähen, kicken oder grillen. Leichtbier trinken, ohne Schwermut. An der Hand der einzigen Frau erkennen, dass man die Kinder groß bekommen hat. Verantwortung an die großen Kinder abgeben können. Zusammen die einzige Frau an deren Geburtstag hochleben lassen. Wenn sich die großen Kinder über kleine Dinge freuen, als wären sie selbst wieder klein. Selbst wenn die Sprüche der großen Kinder derber und die Knochen kantiger geworden sind …

Sport ist halt doch eben immer auch ein bisschen Mord.
Sport ist halt doch eben immer auch ein bisschen Mord.

Bin jetzt seit einer Woche im Schnitt. Unterweger. Zu wenig Vorbereitung, wie immer. Und das nächste Projekt lauert schon. Da beneide ich freie, bildende Künstler, die erstmal drei Tage um einen Granitklotz herumschleichen können, bevor sie zum ersten Mal Hammer und Meißel heben. Ein Großteil der Dinge verliert seinen Reiz, weil man sie unter Zeitdruck erledigen muss, u.a. das Leben selbst.

Plan A bis Z
Plan A bis Z

Dafür dürfen wir nun immerhin wieder zu zweit in einem Raum sitzen, die Cutterin und ich. Natürlich getestet. Und mit Abstand. Und während ich rausgucke und um Regen bete, damit meine Blumen nicht verdursten, hat der Regen woanders und in anderer Form alles zerstört.

In der aktuellen 11FREUNDE, die ich wirklich schätze, ist ein tolles Stück über Rassismus im Fußball. Toll, weil es so eindrücklich ist. Weil es einen wütend macht und sensibel. Weil der Mensch ein Untier sein kann …

Sometimes I don't like us being on this planet ...
Sometimes I don’t like us being on this planet …

Ich wünsche mir manchmal, dass ich es hinbekäme, die Dinge anders zu betrachten. Größer zu denken. Mich selbst von meinem Hochsitz aus zu beobachten und mir von oben „einzutrichtern“, endlich damit aufzuhören, kostbare Lebenszeit zu verschwenden, weil man sich vielleicht Sorgen macht oder neidisch auf andere guckt. Endlich diese „Kleingeister“ zu vertreiben, die einem ständig im Kopf herumspuken.

Auf rbb kam vor ein paar Tagen ein Doku über eine U-Bahn-Linie in Berlin. Ich glaube, die U6. An jeder Station wurde eine kleine Geschichte erzählt. Ganz ruhig. Ich musste daran denken, wie ich in der Anfangszeit bei Spiegel TV immer meinen Freund Jan besucht habe, wenn ich in Berlin gedreht habe. Und dass ich immer versucht habe, Themen oder Experten in Berlin zu drehen, um ihn zu sehen. Um zu sprechen. Oder zu schweigen. Die forensische Psychiaterin Nahlah Saimeh hat mir erst kürzlich im Interview gesagt, eine „echte“ Beziehung erkenne man auch daran, dass man mit seinem Partner/seiner Partnerin gemeinsam schweigen könne. Das war mir jetzt nicht neu, der Umkehrschluss aber schon, weil sie mir im selben Atemzug erklärte, dass sich Jack Unterweger und seine damalige Verlobte ständig mit Kosenamen ansprachen (Schatzi-Hasi-Mausi-Schatzi-usw.), weil ein Psychopath (Unterweger, nicht die Verlobte) unfähig ist, „echte“ Gefühle zu zeigen, und man in einer solchen Verbindung z.B. durch das inflationäre Benutzen der Kosenamen versucht, diese Beziehung irgendwie zu „materialisieren“. Allerdings war sich Frau Saimeh nicht sicher, ob man das so im Fernsehen sagen sollte, weil sie befürchtete, vielen „normalen“ Menschen damit vor den Kopf zu stoßen, die das eben auch tun. Womöglich aus ganz ähnlichen Gründen.

Und dann denke ich, dass ich immer ein paar gute Freunde hatte, die mich davor bewahrt haben, „kleingeistig“ zu sein. Die mich angespornt haben; korrigiert, ermuntert, aufgemuntert, ermutigt, mich auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt oder einfach sein gelassen haben. Wohl dem, der ein paar „Großgeister“ zum Freund hat.

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Ich kann mit meiner Frau jedenfalls sehr gut schweigen. Stimmt’s Schatzilein?

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