Im Osten nichts Neues

Hamburg verlassen bei 18 Grad und Sonne, in Moskau angekommen bei Schneeregen und 2 Grad Celsius. Das Taxi, das mich vom Flughafen abholt, riecht so sehr nach Duftspray, dass es stinkt. Dicke Tropfen klatschen an die Scheibe. Stau, natürlich. Und wie immer schießt mir kurz der Gedanke durch den Kopf, warum ich mich immer wieder auf diese Abenteuer einlasse. Erstes scharfes Bild in Stadtnähe: die Moskauer Ikea-Filiale. Da hätte ich auch in Schnelsen bleiben können.

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Das Hotel ist klein, aber nett. Allerdings spricht die Dame am Empfang kein Englisch – und ich kein Russisch, und das ist das eigentliche Problem, dass ich es bei all der Arbeit zuhause nicht einmal geschafft habe, einen kleinen Sprachkurs zu machen, und sei es online. So dauert der Check-in drei Mal so lange wie sonst, macht nix, hab ja eh nix vor. Immerhin bleibt noch Zeit für einen Gang vor die Tür. Ich brauche noch Zahnpasta, Bier und was Warmes zu essen, wäre auch nicht verkehrt. Ein pappiges Sandwich im Flieger, das war alles, was ich an diesem Tag bislang hatte.

In welche Richtung gehen? Keine Ahnung. Also los, einfach schauen, wo das Leben beginnt und dabei den Rückweg nicht aus den Augen verlieren. Denke in diesen Momenten immer an Hänsel und seine Brotkrumen, muss das Brot aber erst noch kaufen, also Augen auf und bestimmte Punkte merken, Fenster, Schilder, alles, was ein bisschen besonders aussieht. Wenn ich mich hier gleich am ersten Abend verlaufe, wird es blöd.

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Die große Parade am nächsten Tag

Russisch ist eine krasse Sprache, vor allem wegen der kyrillischen Schreibweise. Man versteht wirklich kein Wort. Das ist etwas mühsam, der Hunger macht es nicht besser. Dazu die Sorge, ob alles am nächsten Tag klappt. Kommt der russische Kameramann rechtzeitig? Ist die Protagonistin nett? Können wir überall ohne Probleme drehen? Ist immerhin der 09. Mai, der höchste russische Gedenktag zur Feier des Sieges über den deutschen Faschismus. Und ich als Kartoffel mittendrin. All das geht mir durch den Kopf und führt dazu, dass ich immer weniger Lust und Energie verspüre, mir jetzt in einer Seitengasse ein kleines, feines, russisches Restaurant zu suchen.

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Was soll ich sagen? Am Ende wird es ein Big Mac, so traurig das ist. Vielleicht hat es in dieser Sekunde sogar was mit Heimweh zu tun, keine Ahnung, zumindest mit einem Gefühl von Unsicherheit. Ich meine, warum ist eine Dose Coca-Cola im Dschungel die beste Medizin? Weil man weiß, was drin ist. Ach, irgendwie jämmerlich, egal, morgen wird erkundet.

Im Hotel kriegt Indiana Jöns dann Dusche und Fernseher nicht zum Laufen. Muss die Rezeptionistin fragen, mit Händen und Füßen, versteht(!) sich, zwei Handgriffe, dann funktioniert beides, sie muss denken, dass ich total unfähig bin. Schäme mich in der Tat dafür, dass ich mir zuhause nicht einmal die Grundbegriffe in ihrer Sprache draufgeschafft habe. Auf dem Duschvorleger sind zum Glück zwei Füße eingewoben, damit sich Leute wie ich nicht das Gesicht damit abtrocknen …

Die Parade am nächsten Tag war krass. Ein Riesenauflauf. Zwischendurch, kurz bevor es auf den Roten Platz ging, dachte ich, jetzt bricht eine Massenpanik aus. Geschah dann aber zum Glück doch nichts. Tatsächlich war das alles sehr bunt und vergleichsweise freundlich-fröhlich und eigentlich ist der Brauch, den Kriegstoten die Ehre zu erweisen und an sie zu erinnern, ja ganz schön. Trotzdem hat mir die Masse an Menschen, von der man ja prinzipiell nie weiß, in welche Richtung sie sich bewegt, ein bisschen Angst eingejagt.

Vor diesem Hintergrund ist der Widerspruch zwischen den Unterschieden der politischen Systeme einerseits und der gleichmachenden Globalisierung andererseits eigentlich verrückt. Es ist ja nicht nur McDonalds, es sind auch Mercedes, Ferrero, Apple, bis hin zum Händetrockner im „Museum of Books“, der von einem Hersteller aus Norderstedt produziert wird. Kein Witz.

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Insofern ist der Kapitalismus nur zu bewundern, dieser materielle Virus, der Bedürfnisse schafft, die es nicht gibt, nach denen sich die Menschen aber sehnen, egal, wo sie leben. Der erkannt hat, dass sich Menschen überall auf dieser Welt letztlich über materiellen Wohlstand definieren, mehr jedenfalls als über Intellekt und geistigen Reichtum. Und zwar in ihren Rahmenbedingungen, aber mit wachsendem Anspruch, sobald sich die Bedingungen verbessern. Es ist der kleinste Teil, der, sobald er das Existenzminimum erreicht hat, sagen kann: Das reicht. Insofern scheint der Kapitalismus bzw. der Konsum und der Wunsch nach Besitz von bestimmten Dingen tatsächlich die einzig akzeptierte Welt-Religion zu sein. Auch wenn es sich dabei (natürlich) um eine Ersatzreligion handelt.

Und deswegen war der Sozialismus keine schlechte Idee, wenn er/sie denn „wirklich“ so gerecht gewesen wäre, wie gedacht. Aber was für ein Auto fuhr z.B. Erich Honecker? Richtig, Volvo und Citroën. Und so ähneln sich nicht nur die Speisekarten in den McDonalds-Filialen weltweit, nein, es ähneln sich auch die Menschen hinter dem Tresen und die, die den Boden wischen und den Müll abräumen.

Heute auf dem Rückweg vom Bücher-Museum ist mir abseits der Hauptstraße ein Mann entgegengekommen, der offenbar kurz zuvor in einem Eichhörnchen-Kostüm Werbeprospekte verteilt hatte. Als er an mir vorbei ging, nahm er den Kopf ab und setzte sich ein auf einen Treppenabsatz, um kurz innezuhalten. Ein Bild, das mehr sagt als alle Staatstheoretiker und Soziologen jemals werden in Worte fassen können.

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