Bedingungs-Losbude

artsurprise

Gehe manchmal alleine essen, um in Ruhe etwas zu lesen. Heute war es der Artikel über Rousseau in dem SPIEGEL Sonderheft zum Thema Aufklärung, das ich schon ein paar Mal erwähnt habe. Hatte über Rousseau ja schon ein paar interessante Gedanken in Jean Zieglers „Ändere die Welt“ gelesen, und dieser gute Eindruck wurde heute vertieft.

Rousseau hatte, wie der SPIEGEL-Artikel nochmal schön klar gemacht hat, früh erkannt, dass es einen Widerspruch gibt zwischen Natur und (gesellschaftlicher) Kultur. Dass es für den Menschen als Bürger einer Gesellschaft fast unmöglich ist, „natürlich“ (im Sinne von ehrlich, tugendhaft und authentisch) zu bleiben. Dass sich der Mensch, überspitzt formuliert, in der zivilisierten Gesellschaft vom Mensch-Sein oder „menschlich“-Sein entfremdet. Und dass mehr Wissen nicht zwangsläufig zu allgemeinem Fortschritt führt. Oder wie es der Autor des Artikels, Romain Leick, ganz richtig zusammenfasst: „Modern gefragt: `Wie gibt es richtiges Leben im falschen?´“

Man könnte nun trefflich diskutieren, wieviel „Kultur“ – oder auch Kunst (Künstlichkeit!?) – sich ein Mensch leisten und trotzdem als Mensch natürlich bleiben kann, denn auch Rousseau hätte nicht ernsthaft verlangt, dass wir wieder wie Affen auf den Bäumen leben. Doch ich glaube, die Aktualität oder Parallelität des Dilemmas findet sich heute nach wie vor und mehr denn je in der Struktur der Arbeitswelt. Marx hatte für dieses Problem ja schon eine Lösung, die sich in der praktischen Umsetzung als fataler Irrtum erwies. Was kann man also tun? Und da kommt mir ein Interview in den Sinn, das ich zufällig (oder?) heute morgen in der taz gelesen habe, mit dem Theoretiker Nick Srnicek, der sich dort für das bedingungslose Grundeinkommen und gegen den Neoliberalismus ausspricht.

Also, jetzt aus der Hüfte gedacht und ins Blaue getippt, meine These: Menschen werden in allen Epochen und Systemen das „falsche Leben im richtigen“ leben müssen, solange sie gezwungen sind, mehr Zeit für die Sicherstellung ihrer existentiellen Bedürfnisse mit Tätigkeiten zu verbringen, die sie ungleich unattraktiver finden als jene, für die sie aus eben diesem Grund jedoch kaum Zeit finden.

War doch gar nicht so schwer …

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