Betrachtungs-Weise

3sat
Gestern in Mainz gewesen. Habe dort mit einem geschätzten Kollegen ein paar Ideen bei 3SAT vorgestellt. Zurück mit dem IC entlang des Rheins wieder nach Hamburg, an die gute, alte Elbe. Man denkt auf diesem ersten Abschnitt am Wasser, man reise in eine(r) andere(n) Zeit, weil man die ganze „Zeit“ auf Burgen und Fachwerkhäuser blickt.

rheinfall
Lesestoff an Bord: „Ferngespräche“, von Alexander Kluge und Rainer Stollmann. Hab es während meines Kurztripps im Januar erstanden, eher zufällig (oder eben gerade nicht?), im Heinrich-Heine-Haus in Düsseldorf, einer Buchhandlung, die im Internet zudem noch als Büchercafé ausgezeichnet war, was sich wiederum als falsch erwies. Und auf der vergeblichen Suche nach einer Toilette und einem Heißgetränk, habe ich stattdessen dieses Buch erworben.

klugermarx
Wie alles von Kluge ein Wissensschatz. Betone das deshalb, weil dieser Mann, der mich mit dem, was er tut und sagt, seit meinem Studium beschäftigt (also seit über 20 Jahren), nächste Woche 85 Jahre alt wird. Wir hatten ein Mal konkret miteinander zu tun, im Rahmen einer DVD-Produktion über das Böse. Meine Freundin und ich hatten eine Spiegel TV-Doku zu diesem dunklen Thema produziert und Kluge mehrere andere, kürzere Filme, die er zurecht gerne veröffentlicht sehen wollte.

Man kann Alexander Kluge nur für das bewundern, was er aus seinem Leben gemacht hat. Und das meine ich so, wie ich es sage; wie er es geschafft hat, sich in der kommerziellen, von Quoten und Werbeeinnahmen bestimmten Fernsehlandschaft einen „Markt-Platz“ zu sichern, mit Waren, die auf diesem Markt üblicherweise nicht nachgefragt werden, sondern, im Gegenteil, über die sich alle wundern. Oder sogar ärgern. Einmalig. Diese nicht standardisierten Genüsse dennoch stets im Gepäck, und die Strukturen des „Marktes“ in der Art ausgetrickst zu haben, dass man jeden Samstag aufs Neue seinen Stand aufbauen und weitere Waren produzieren darf, gleicht beinahe schon einem Eulenspiegel-Streich. In jedem Falle ein Glücksfall für diejenigen, die nicht nur Gemüse aus holländischen Treibhäusern fressen wollen.

Alexander Kluge – so scheint es jedenfalls, von außen betrachtet – befindet sich in der einmaligen Situation, laufend neue Projekte anzugehen, die ihn geistig (und körperlich) fordern und gewissermaßen auf seiner eigenen, geistigen Karriereleiter immer einen Schritt höher befördern. Während ich das Gefühl habe, seit meinem Studienabschluss täglich Wissen zu verlieren, scheint Kluges Wissensschatz wie der Inhalt von Dagobert Ducks Geldspeicher ständig und unaufhaltsam anzuwachsen. Sein Leben und sein Schaffen kommen daher wie eine einzige autogene Weiterbildungsmaßnahme. Und auch wenn er sich im Laufe der Zeit ein konstantes Vokabular angeeignet hat, bringen sich die Verbindungen und Anwendungen in seinen verschiedenen Ausdrucksformen ständig aufs Neue gegenseitig in Bewegung.

Wie in „Ferngespräche“. Ich habe das Buch aus Neugier gekauft. Weil an meiner Pinnwand ein Zettel hängt, auf dem steht: „Kluges Gespräch“! Es ist der Titel eines Interviewbuches mit Kluge, das ich gerne noch machen würde. Wobei ich nicht darauf versessen bin. Das Leben hat oftmals seine eigene Dramaturgie. Man kann im Laufe des Lebens Impulse setzen, aber alles andere ist ergebnisoffen. Konstellativ, würde Kluge sagen. Vielleicht. Was weiß ich schon?

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