Inkubation

Eine neue Woche. Wollte am Wochenende eigentlich ein paar Texte für die Jubiläumsausgabe des Whatever-Magazins der beiden Hamburger Werberaketen Rocket & Wink schreiben, habe jedoch – bis auf den Entwurf erster Ansätze – nur Mist gemacht: Katzenklo, Wäsche, Staub saugen. Nicht, weil ich das musste, sondern weil ich den anderen Berg konsequent vor mir hergeschoben habe. Es ist zum Verrücktwerden. Manchmal brauche ich zum Schreiben derart die total perfekte Situation, dass ich mich von jeder Kleinigkeit ablenken lasse. Was natürlich auch damit zu tun hat, dass auf dem Bildschirm noch nichts formuliert ist, was mich zurückhält. Also, gewissermaßen vom Ablenken ablenkt. Dazu noch Olympia, Supercup, es ist kompliziert.

Hab am Wochenende auch das Buch durchgelesen, das mir meine Freundin auf dem Campingplatz in Österreich geschenkt hat, „Sibermond und Kupfermünze“ von W. Somerset Maugham. Das war kein Mist.

(aus: W. Somerset Maugham: "Silbermond und Kupfermünze")
(aus: W. Somerset Maugham: „Silbermond und Kupfermünze“)

Das Spannende an älteren Romanen ist ja, dass man nebenbei viel über die Zeit erfährt, in denen sie geschrieben wurden. Über die Kultur, soziale Normen, Rollenbilder. Maugham lässt seinen Protagonisten, den Maler Charles Strickland, z.B. häufig verwundert feststellen, man könne eine Frau schlagen, „bis einem der Arm weh tut“, sie liebe ihn danach nur noch mehr. So ganz abwegig ist das nicht. Josef Wilfling, ehemals bei der Mordkommission München, hat mir das auch mal in einem Interview bestätigt, dass es diese Abhängigkeit bei Frauen gibt. Wo man sich verzweifelt fragt, warum diese Frauen bei ihren Männern bleiben!? Hab ich mich natürlich gleich selber befragt: Bin ich als Partner zu brav? Muss ich ab und an mal richtig ausrasten? Nein, im Ernst, ich verachte Männer, die Frauen schlagen, aber die Grundfrage hat mich dennoch ein bisschen beschäftigt. Und gestern Abend habe ich dann gedacht, dass ich meine Freundin sehr wohl manchmal „verletze“, wenn ich nämlich in dieser Phase bin, wie gerade beschrieben, wo ich eigentlich einen Schatz zu heben habe, aber schon am ersten Spatenstich scheitere und verzweifele. Und die Partnerin dann doppelt „gearscht“ ist, weil du 1. schlechte Laune hast und sie dich 2. auch nicht aus diesem Loch holen oder sonst irgendwie helfen kann. In diesen Momenten bist du der einsamste Mensch der Welt (höre passenderweise gerade dazu „It´s easy to be lonely“ von der letzten Sophia-Platte), und obwohl die Partnerin dir das affektierte Künstlergehabe im Grunde übel nehmen müsste, steigert es am Ende, glaube ich, sogar ihre Zuneigung oder zumindest das Mitgefühl, wie gesagt, es ist kompliziert. Vielleicht irre mich auch, und es nervt sie einfach nur. Hoffen wir das mal nicht.

In „Silbermond und Kupfermünze“ redet Stricklands Sohn Robert übrigens auch ganz anders über den Krieg: „Natürlich ist der Krieg etwas Furchtbares und so weiter; aber er bringt die besten Eigenschaften eines Mannes ans Licht, das lässt sich nicht leugnen.“ Ich halte es da eher mit dem österreichischen Psychiater Reinhard Haller, der in einem Interview für unsere Doku über das Böse gesagt hat: „Der Krieg ist die Mutter alles Bösen.“ Weil es im Krieg eben keine Regeln mehr gibt.

Hab heute auf dem Weg zur Arbeit mal wieder eine der CDs von Alexander Kluges „Chronik der Gefühle“ gehört. „Schlachtbeschreibung“ heißt die, wie sein früher Roman, mit dem Kluge ja damals die Mischform aus Doku und Fiktion erfunden und gleich umgesetzt hat. In diesem Werk geht es viel um Stalingrad und den Wahnsinn dieses Winterfeldzuges. Kluge zitiert da absurde Richtlinien der Obersten Heeresleitung zum Kälteschutz (Zeitungen in die Unterhose bröseln etc.) und Augenzeugenberichte von kannibalischen Auswüchsen angesichts der Hungersnot, und ich dachte beim Hören bloß, JEDER junge Mensch müsste das eigentlich hoch und runter hören, um nicht wieder auf dumme Gedanken zu kommen.

Was mich an Maughams Künstler-Figur, dem Maler Charles Strickland, am meisten beeindruckt, ist nicht nur dieser Wille, absolute Schönheit zu schaffen, und die Hilflosigkeit, wenn es nicht passiert. Nein, was ich viel cooler finde, ist, dass ihm der künstlerische Erfolg zeitlebens nichts bedeutet. Dass er seine Bilder nur verschenkt und nicht verkauft und sogar das Wandgemälde, das er am Ende schafft, und das – auch wohl nach seinen Vorstellungen – endlich das vollendete Werk darstellt (bezeichnend, dass er erst blind werden muss, um die richtigen Farbtöne zu treffen und zu komponieren), direkt nach seinem Tod vernichtet werden soll. Weil es ihm reicht zu erkennen, dass er mit der Annahme, dieser Schatz sei in ihm, richtig lag.

Kunst kann nie Kunst sein, wenn sie nur kalkuliert um ihrer Wirkung willen entsteht. Und genauso muss ich eigentlich an die Sache herangehen. Will ich bloß, dass mein Name in einem stylishen Kunstmagazin zweier Hamburger Werbeikonen steht, oder gibt es da wirklich einen Schatz zu bergen?

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