Regenwasser zu Wein

Ab und an werde ich von Kollegen als Sprecher gebucht, meistens als Voice-over für ausländische O-Töne. Da kommt mir natürlich meine Erfahrung aus den vielen Lesungen zugute, die ich im Laufe der Zeit gemacht habe. Außerdem ist es für mich eine schöne Abwechslung. Und man hat das Gefühl, ganz effektiv und konkret etwas zum Entstehen einer Produktion beizutragen.

Gestern war es wieder so weit. Was soll ich sagen? Ich war Jesus …

Jesus

Ansonsten? Wäre ich stattdessen Petrus, würde ich den Scheißregen stoppen.

Und? Bin mit dem Enzensberger Buch „Tumult“ durch. Ein spannender, persönlicher Einblick in ein aufregendes Leben. Auch bei Enzensberger gab es das, was man „Brüche“ nennt, mit Ehefrauen, seiner Tochter, Freunden. Auch Enzensberger hat, so scheint es, viel Wartezeit überstehen müssen, aber auch Rastlosigkeit, oftmals gepaart mit diesem, mir wohlbekannten „Zwang“ zur Dokumentation und – andersherum – dem Gefühl der Hilflosigkeit, wenn die Echtzeit-Geschehnisse eine befriedigende, kreative Retrospektive verhindern. Dieses Gefühl, wenn man seinem eigenen Leben nicht „hinterherkommt“. Oder es einem enteilt, wie ein kleiner Straßendieb, der einem gerade im Gewimmel die Brieftasche geklaut hat.

Trotzdem wird eines ganz deutlich: Es ist eine andere Zeit gewesen, damals Ende der Sechziger. Eine Zeit, die aus dem Land, in dem wir leben, unterm Strich eine „bessere Welt“ gemacht hat. Das ist der Unterschied zu den politischen „Veränderungen“ heute.

Und noch etwas: Die Wartezeiten werden dann erträglich, wenn man sich zwischendurch immer wieder mit Menschen auseinander- bzw. eigentlich zusammensetzt, die einen weiterbringen. Da bin ich mir tatsächlich nicht so sicher, ob mein Leben immer die richtige Balance hat. Wenn man seine besten Freunde nur zwei Mal im Jahr sieht, stimmt doch was nicht, oder?

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